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ADB:Tüsch, Hans Erhard

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Artikel „Tüsch, Hans Erhard“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 26–27, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:T%C3%BCsch,_Hans_Erhard&oldid=- (Version vom 31. Oktober 2024, 23:46 Uhr UTC)
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Band 39 (1895), S. 26–27 (Quelle).
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Tüsch: Hans Erhard T. scheint nach einer nicht ganz unzweideutigen Angabe der Autor der 1477 gedichteten und im selben Jahre zu Straßburg gedruckten ’Burgundischen Hystorie‘ geheißen zu haben. Wie der Druckort, zeugt auch der Inhalt der kleinen Reimchronik dafür, daß der Poet in Straßburg zu Hause war[1]: die Heimathsstadt, ’des Rheines höchste Kron’‘, ist die erste, die er in der Reihe der gen Neuß ziehenden Städte nennt; er verweilt gerne bei den Wunderthaten des berühmten Straßburger Geschützes, des Straußes; Maria ruft er an, weil ihr Bild in der Straßburger Streitfahne schwebt. Bei fast all den Ereignissen, von denen er berichtet, waren auch Straßburger Truppen betheiligt: wol möglich, daß T. etwa als Büchsenmeister *) Zeuge vieler der erzählten Zusammenstöße war; jedenfalls interessiren ihn die Belagerungen mehr als die Schlachten. Auch zu Markgraf Christoph von Niederbaden scheint er Beziehungen gehabt zu haben. Er rechnet sich selbst zu den ’Armen‘. – Seine Absicht ist, Herzog Karl’s von Burgund Uebermuth und Ende darzustellen: mit der Jugend seines Helden beginnt er, mit seinem Tode schließt er. An Lucifer erinnert ihn Karl’s Hochmuth; den stolzen Vergleich mit Alexander benutzt T. wieder und wieder, um den Herzog dadurch herunterzudrücken. Angebliche und wirkliche Greuel werden ihm massenhaft nachgesagt; für das Heroische des verhaßten und gefürchteten Mannes hat der subalterne Gegner gar keinen Sinn. Ihm ist er [27] das Haupt der Welschen, über die der Deutsche in parteiischem Nationaldünkel sich erhebt. Seine Parteilichkeit kennt keine Grenzen: was ihm nicht paßt, z. B. die anfänglichen Mißerfolge der Bundesgenossen vor Blamont, das verschweigt er; die Zahlenverhältnisse entstellt er tendenziös. Wol möglich, daß er da vielfach unter der Herrschaft der Legende stand, nicht selbst fälschte. Er sieht die Ereignisse durchaus von niedrigstem Standpunkt an: in ihren Zusammenhang hat er keinen Einblick. Die Höhepunkte, die Thaten von Neuß, Hericourt, Blamont, Granson, Murten und Nancy stellt er ohne rechten Uebergang nebeneinander: daneben wird nur die vielbeschriebene Ermordung Hagenbach’s und die Huldigung der Lothringer vor Karl dem Kühnen zu Nancy, diese wieder tendenziös gefärbt, ohne starkes Interesse kurz berührt und die Eroberung von allerlei kleinen und großen Schlössern mit dem Behagen des Betheiligten aufgezählt. Solche Beschränkung auf die Hauptscenen des Trauerspiels würde Lob verdienen, wenn das Ganze ein Streben nach künstlerischer Einheit verriethe. Davon aber ist keine Rede. T. ist ein elender, ungeschickter Darsteller, der den Stoff in Einzelheiten verzettelt. Wie kläglich schildert er bei aller Ausführlichkeit die berühmte Belagerung von Neuß! Bei dem Entsatzheer des Kaisers und seiner Ausrüstung verweilt er in breiten Aufzählungen und Details; von den Schwankungen der Belagerung selbst weiß er so wenig zu sagen, daß er mit den ihrer letzten Periode angehörigen Minenkämpfen um das Lombardsloch beginnt, daß er ferner nur das Bild der abgeschlossenen Wallzerstörung, nicht ihren Fortgang zeichnet. Das kann sich daher erklären, daß T. erst mit Kaiser Friedrich’s Scharen nach Neuß gekommen sein wird, also nur das Ende vom Liede selbst miterlebte. Aber auch die äußerst charakteristischen Schlachtenbilder von Granson und Murten verwischt der Stümper vollkommen. Seine 638 aus gekreuzten Reimpaaren bestehenden Strophen, die eine gewisse Neigung zur Silbenzählung zeigen und durch die rohsten Strophenenjambements entstellt sind, quälen sich mühsam vorwärts: selbst die Parteiwärme wird lau vor den sprachlichen Schwierigkeiten. Die einzigen, sehr bescheidenen Reize, die man der Darstellung nachsagen kann, bestehn in einem gewissen Natursinn, der etwa den nahenden Frühling ärmlich preist oder den Witterungswechsel in der Schlacht zu einem Effectchen zu verwerthen sucht, und vor allem in den zahlreichen volksthümlichen Bildern und Redensarten, die durch das Ganze zerstreut sind und die öden Aufzählungen ein wenig beleben. So ist Sigmund von Oestreich zu Roß ’schnell als im Luft der Falk‘; die Kaiserlichen vor Neuß wollen nicht unthätig warten wie ’ein lahm Begin‘; Hagenbach ’mischt die Karte‘, achtet die Freiheit ’wie ein hafen Scherbe‘, ’von seinen eilf Augen er nit kam, bis er den Pfeffer macht zu stark‘; eine Geschichte ist wahr ’und nit als ob dies blerrt ein Kalb‘; die Angreifer von Murten bleiben im Graben stecken ’als wär er eitel Vogelleim‘ und so weiter (T. würde ’um Kurtzrung‘ sagen: ’etzettra‘; so im Reim: ’da‘). Ein untergeordneter Bursche also, dessen Gesinnung und Talent vielleicht für ein derbes Siegeslied unmittelbar nach der Schlacht ausgereicht hätte, der aber an der größern Aufgabe kläglich scheitert.

Alsatia, hsg. v. Stöber, 1875–6, S. 340–451 (Colmar 1876).

[26] *) Hieß der Dichter nicht Hans Erhard T., sondern Hans Erhard, wie manche meinen, so könnte man an einen Büchsenmeister Erhard denken, der in einem Berner Schreiben vom 19. April 1476 bezeugt ist (v. Rodt, Die Kriege Karls des Kühnen II, 188).

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 26. Z. 30 v. o.: Ein Meisterlied ‚a Johanne Erhardo Tijsch civi Argentinensi‘, das Lambel in Wagner’s ‚Archiv für die Geschichte deutscher Sprache und Dichtung‘ I, 442 aus der Wiener Hs. 3214 veröffentlicht hat und das mir leider bei der Abfassung von Tüsch’s Biographie nicht gegenwärtig war, bestätigt meine Vermuthung, daß Tüsch aus Straßburg stammte. Die beiden äußerst verkünstelten Strophen, in deren schlagreimreichen Zeilen fast die Hälfte aller Silben reimt, interessiren besonders durch die zahlenmystische Ausdeutung ihres metrischen Baus, die ihnen in einem Prosanachwort beigegeben ist. [Bd. 45, S. 674]