Zum Inhalt springen

ADB:Stenzler, Adolf Friedrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stenzler, Adolf Friedrich“ von Richard Pischel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 59–61, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stenzler,_Adolf_Friedrich&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:37 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Stenzel, Johann Anton
Band 36 (1893), S. 59–61 (Quelle).
Adolf Friedrich Stenzler bei Wikisource
Adolf Friedrich Stenzler in der Wikipedia
Adolf Friedrich Stenzler in Wikidata
GND-Nummer 117272485
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|59|61|Stenzler, Adolf Friedrich|Richard Pischel|ADB:Stenzler, Adolf Friedrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117272485}}    

Stenzler: Adolf Friedrich St. wurde geboren am 9. Juli 1807 zu Wolgast als Sohn des dortigen Superintendenten, † am 27. Februar 1887. Den ersten Unterricht erhielt er in der Schule seiner Vaterstadt; 15 Jahre alt kam er auf das Gymnasium zu Friedland in Mecklenburg, das er im October 1826 verließ, um in Greifswald Theologie zu studiren. Seine Neigung zu den orientalischen Sprachen, die ihn schon als Knabe in Wolgast hatte Hebräisch und Arabisch lernen lassen, wurde in Greifswald durch Kosegarten verstärkt, der von entscheidendem Einflusse auf Stenzler’s Studiengang war. St. hörte bei ihm Arabisch, Hebräisch und Persisch und wurde von ihm auf das Sanskrit, später auch das Avesta, hingewiesen. 1827 ging er nach Berlin, wo Bopp sein Lehrer im Sanskrit und in vergleichender Grammatik wurde, und 1828 nach Bonn, wo er Sanskrit bei A. W. v. Schlegel und namentlich Lassen, Arabisch bei Freytag hörte. Nach Berlin zurückgekehrt, wurde er am 12. September 1829 zum Doctor promovirt mit seiner Dissertation: „Brahma-Vaivarta-Puráni specimen“, einer Ausgabe von zwei Capiteln dieses Werkes mit lateinischer Uebersetzung und kritischen und erläuternden Anmerkungen. Bereits in Bonn hatte er den Plan gefaßt, nach Paris zu gehen, das damals der Hauptsitz orientalischer Studien war. Von Kosegarten dazu ermuntert, führte er schon im October 1829 seine Absicht aus. Der Vertreter des Sanskrit in Paris, A. L. Chézy, konnte ihm freilich nichts bieten. Aber er fand reichen Ersatz in Eugène Burnouf, mit dem er in regen Verkehr trat und dem er die weitaus nachhaltigste Wirkung für die Bereicherung und Gründlichkeit seiner Sanskritkenntnisse und die ganze Methode seiner Arbeit verdankt. Auch Silvestre de Sacy, bei dem er Arabisch und Persisch, und Abel Rémusat, bei dem er Chinesisch hörte, sind von Einfluß auf ihn gewesen. Er verfaßte in Paris eine französische Uebersetzung der „Sāvitrī-Episode des Mahābhārata“, die 1841 Pauthier veröffentlichte, ohne den wahren Verfasser zu nennen, eine Thatsache, die weiteren Kreisen erst nach Stenzler’s Tode bekannt geworden ist. Die Julirevolution 1830 zwang ihn Paris zu verlassen. Er ging nach London, wo der Umgang mit Männern wie Colebrooke, Haughton, Wilkins, später auch Wilson, ihn lebhaft anregte und in ihm den Wunsch wachrief, nach Indien zu gehen. Dies gelang ihm nicht; ebensowenig kam ein Ruf nach Dorpat an ihn, der ihm im November 1830 in Aussicht gestellt wurde. Er benutzte in London fleißig die reichen handschriftlichen Schätze des East India House und 1832 erschien seine erste größere Arbeit: „Raghuvansa. Kálidásae carmen. Sanskrite et Latine“, die erste Ausgabe eines Sanskrittextes nach streng philologischen Grundsätzen. Ihre Bedeutung wurde gleich anerkannt. St. erhielt eine der beiden goldenen Medaillen, die König William IV. der Royal Asiatic Society überwiesen hatte. In London lernte St. Alexander v. Humboldt kennen, der seinen Bruder auf St. hinwies, und es war wesentlich Wilhelm v. Humboldt der veranlaßte, daß St. noch 1832 von dem Minister v. Altenstein als außerordentlicher Professor der orientalischen Sprachen nach Breslau berufen wurde, ein Amt, das er 1833 antrat. Sein geringes Gehalt, 200 Thaler, eine auch in jener Zeit zum Leben nicht ausreichende Summe, zwang ihn zugleich bei der Bibliothek einzutreten. Fast 40 Jahre hat er diese Nebenstellung behalten müssen, erst als Hülfsarbeiter, seit 1836 als Custos, und er hat es schwer empfunden und oft bitter beklagt, daß ihm dadurch die beste Zeit des Tages zu wissenschaftlicher Arbeit entzogen wurde. Es erklärt dies, daß er nicht in dem Maße schriftstellerisch thätig gewesen ist, wie er es selbst wünschte und es für das Sanskritstudium ersprießlich gewesen wäre. Erst 1838 erschien seine Ausgabe des zweiten Kunstepos des Kālidāsa: „Kumára Sambhava. Kálidásae carmen. Sanskrite et Latine“. Berlin und London, wie der Raghuvamça auf Kosten des 0riental Translation Fund of Great Britain and Ireland gedruckt. [60] Dem Gebiete der classischen schönen Litteratur der Inder gehört, abgesehen von mehreren eingehenden Anzeigen in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik und der Halleschen Litteraturzeitung, noch an seine Ausgabe des merkwürdigsten indischen Dramas: „Mṛcchakaṭikā id est Curriculum figlinum. Sûdrakae regis fabula“, Bonnae 1847 und viel später seine Ausgabe von Kālidāsa’s lyrischem Gedichte „Meghadūta“, Breslau 1874, vorwiegend für Vorlesungen bestimmt. Die Ausgabe der „Mṛcchakaṭikā“, zu der er die Vorarbeiten schon 1830 begonnen hatte, ist ohne Zweifel Stenzler’s bedeutendste Arbeit, die ihm die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft einbrachte. St. stellte in ihr das Studium der Prākritsprachen zuerst auf eine feste, wissenschaftliche Grundlage, indem er die Eigenheiten der einzelnen Dialekte scharf bestimmte und sie gegen die schwankenden Handschriften mit sicherer philologischer Methode planmäßig durchführte. Die Ausgabe bleibt für alle Zeiten das Muster derartiger Arbeiten.

1847 wurde er ordentlicher Professor. Seine Antrittsschrift: „De lexicographiae Sanscritae principiis“, Vratislaviae 1847, legte den Werth der einheimischen indischen Lexicographen auf Grund umfassendster Studien dar, eine Erkenntniß, mit der St. seiner Zeit weit vorauseilte. Er ist darin nie irre geworden. Als er nach Vollendung des großen Petersburger Wörterbuches von Böhtlingk und Roth, zu einer Anzeige in der Jenaer Litteraturzeitung aufgefordert wurde, lehnte er dieselbe ob, weil die Methode der Verfasser seinen philologischen Anschauungen schroff widersprach. St. hat auch zuerst den großen Werth der einheimischen Scholiasten voll erkannt und in allen seinen Arbeiten mit Erfolg und Verständniß sie in erster Linie berücksichtigt. Seine glänzende philologische Begabung und sein feines ästhetisches Gefühl wiesen ihm überall den richtigen Weg. Als 1842 Böhtlingk’s Ausgabe von Kālidāsa’s Çakuntalā erschien, war St. der einzige unter allen Sanskritisten, der in einer eingehenden Anzeige sich gegen die Echtheit dieser Recension aussprach und erklärte, daß sie ihm „eine spätere, nicht sehr glückliche Hand zu verrathen scheine“, auch darin seiner Zeit vorauseilend.

Schon frühzeitig wandte er seine Aufmerksamkeit dem indischen Recht zu. Seinem: „Juris criminalis veterum Indorum specimen“, Vratislaviae 1842, folgte die Ausgabe und Uebersetzung von Yājñavalkya’s „Gesetzbuch“, Berlin und London 1849. Demselben Gebiete gehört seine Ausgabe von Gautama’s „Dharmaçāstram“, London 1876, an. Wie umfassende Studien er gerade auf diesem Felde gemacht hat, beweisen nicht nur einzelne Aufsätze, wie der über die Litteratur der indischen Gesetzbücher (Indische Studien I, 232 ff. 1850), der über die indischen Gottesurtheile (Zeitschrift der Deutschen Morgenl. Gesellschaft IX, 661 ff. 1855), sondern auch die großen Sammlungen, die er hinterlassen hat und die jetzt in der Bibliothek der Deutschen Morgenl. Gesellschaft in Halle aufbewahrt werden. Sie erstrecken sich über alle Gebiete der indischen Philologie und zeigen Stenzler’s ausgebreitete Belesenheit.

Es genügte St. nicht, die „geschichtliche Bewegung der Gesetzlitteratur überhaupt“ zu erforschen; sein Bestreben ging darauf hin, „die Fäden aufzufinden, welche diesen Zweig der Litteratur mit der ältesten Zeit verbinden“. Dies führte ihn zu dem Studium der Gṛhyasūtra, der Werke, die uns ein Bild altindischer Culturgeschichte geben, wie wir es auch nur annähernd bei keinem andern indogermanischen Volke haben. In seinem: „Glückwunsch Seiner Excellenz Herrn Freiherrn Alexander v. Humboldt zum 4. August 1855 dargebracht“. Breslau 1855, veröffentlichte er ein Bruchstück aus Pāraskara’s „Gṛhyasūtra“ mit Uebersetzung und Erläuterungen; ihm folgte die „Commentationis de domesticis Indorum ritibus particula“, Vratislaviae 1860, zu Middeldorpf’s 50jährigem Doctorjubiläum geschrieben, und 1863 die bei Antritt des Rectorats gehaltene, [61] in Form und Inhalt gleich vollendete Rede: „Ueber die Sitte“. Sie ist im Druck beigegeben dem zweiten Hefte seiner Ausgabe von Āçvalāyana’s „Gṛhyasūtra“, die Leipzig 1864/65 erschien und der 1876/78 Text und Uebersetzung von Pāraskara’s „Gṛhyasūtra“ folgte. 1886 veröffentlichte er noch das „Wortverzeichniß zu den Hausregeln von Āçvalāyana, Pāraskara, Çāṅkhāyana und Gȯbhila“.

Wie dem Recht, so hat St. auch der Medicin der Inder seine Aufmerksamkeit gewidmet. In einem Aussatze: „Zur Geschichte der indischen Medicin“ in Henschel’s Janus 1, 441 ff., bekämpfte er erfolgreich die Ansicht über das hohe Alter der indischen Medicin und er hat als junger Mann Dietz bei Abfassung seiner Analecta Medica und später Häser bei seiner Geschichte der Medicin ausgiebig unterstützt. Wie eingehend er sich mit Metrik beschäftigt hat, beweisen die Sammlungen, die nach seinem Tode von Kühnau veröffentlicht worden sind (Zeitschrift der Deutschen Morgenl. Gesellschaft 44, 1 ff.).

St. war nicht nur als Gelehrter ausgezeichnet, sondern auch als Lehrer. Um das Studium des Sanskrit zu erleichtern, gab er „Sanskrittexte mit Vocabular. Für Anfänger“, Breslau 1868, heraus und in demselben Jahre sein „Elementarbuch der Sanskritsprache“, von dem fünf Auflagen (1868–1885) in fast 6000 Exemplaren bei seinen Lebzeiten, die sechste 1892 erschienen ist. Kein Buch hat so sehr zur Verbreitung und Kenntniß des Sanskrit beigetragen wie dieses. Die knappe und gedrängte Form des Buches war auch die von Stenzler’s Lehrweise. Er stellte, wie an sich selbst, so auch an seine Zuhörer große Anforderungen, wußte aber auch alle zu fesseln, denen es Ernst um die Sache war, wie am besten der Umstand beweist, daß viele ältere und jüngere Sanskritisten an deutschen Universitäten und im Ausland seine Schüler sind. Im Anfang seiner Lehrthätigkeit las er in Breslau auch Arabisch und Persisch, dann nur Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaft, die er später auch aufgab, obgleich er nicht selten eine beträchtliche Zahl von Zuhörern darin hatte. Seiner Neigung entsprach mehr das Sanskrit und um das Studium desselben zu fördern, benutzte er den Ueberschuß aus den Kosten seines Elementarbuches zur Stiftung eines Stipendiums für Studirende des Sanskrit in Breslau. Seine Schüler und Fachgenossen war er stets bereit mit Rath und That zu fördern und nie ließ er abweichende Ansichten irgendwelchen Einfluß auf persönliche Beziehungen gewinnen. Mit Ritschl verband ihn enge Freundschaft trotz der entgegengesetzten Meinung, die Ritschl von der vergleichenden Sprachwissenschaft hatte. Nie hat er in der Kritik die sachliche Schärfe mit persönlichen Angriffen vermischt und auch da, wo er viel zu tadeln fand, einen Ton angeschlagen, der ihm die Herzen nicht entfremdete, wie in der Anzeige von v. Bohlen’s Bhartṛhari (Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1835, Nr. 30. 31). St. war eine vornehme, für alles Schöne und Gute empfängliche Natur. Mit Liebe pflegte er die Musik, darin unterstützt von seiner feinsinnigen, edlen Frau Marie geb. v. Liebenroth († am 16. December 1892), die im Musikleben Breslaus lange einen hervorragenden Platz eingenommen hat. Seine Ehe blieb kinderlos. Warme Vaterlandsliebe hatte ihn als Student der Burschenschaft zugeführt, was ihn damals in eine Untersuchung verwickelte. Wie in der Wissenschaft, so huldigte er auch in der Politik einer gemäßigt conservativen Richtung und mit Begeisterung begrüßte er 1870 den nationalen Aufschwung Deutschlands, der das Ideal seiner Jugend gewesen war. Er säete nur Liebe, und nur Liebe hat er geerntet. Alle, die das Glück hatten seine Schüler zu sein, haben ihm während seines Lebens die treueste Anhänglichkeit bewiesen und sie ihm über das Grab hinaus bewahrt. In der Geschichte der Wissenschaft aber ist sein Name für alle Zeit verzeichnet als der eines der Begründer des Sanskritstudiums in Deutschland.