ADB:Stavenhagen, Friedrich
v. Peucker Director war. Er gehörte damals der Casinopartei an, einem Theile des Gagern’schen Centrums, welches das Klein-Deutschland im engsten Sinne des Wortes wollte, einen von Oesterreich losgelösten Bundesstaat mit preußischer Spitze. Als es mit der Versammlung und mit dem Reichskriegsministerium aus war, ward St. im activen Dienste nicht wieder verwendet, sondern durch Cabinetsordre vom 26. Juni 1849 als Generalmajor mit Pension zur Disposition gestellt. Er zog nach Gotha und verlebte hier zehn Jahre in stiller Muße, aber fortwährend erfüllt von lebhaftem Interesse für die Entwicklung der deutschen Frage und die politischen Vorgänge in seiner engeren Heimath. Er hatte die Hoffnungen des Jahres 1813, unter denen er Soldat geworden war, nicht vergessen. Sie waren auf die Gewährung einer ständischen Vertretung und auf ein geeintes, freies deutsches Vaterland gerichtet gewesen. Im Laufe der Zeit war er liberal geworden, eine constitutionelle Regierungsform und ein einiges Deutschland waren das Ziel seiner Wünsche. Als im J. 1859 die deutsche Bewegung von neuem in Fluß kam und die Regentschaft des Prinzen Wilhelm in Preußen diese zu unterstützen schien, faßte St. frische Hoffnung für die Verwirklichung seiner Jugendträume. Der Wahlkreis Westhavelland-Zauch-Belzig vertraute ihm ein Mandat für das preußische Abgeordnetenhaus an. Als am 12. Januar 1860 die Session eröffnet wurde, nahm er zum ersten Male seinen Sitz ein und trat der liberalen Fraction bei. Die Thronrede betonte damals die Nothwendigkeit einer Neugestaltung der Bundeskriegsverfassung. In [534] die Antwort, welche das Abgeordnetenhaus darauf gab, ward in Gemäßheit eines von St. ausgehenden Vorschlages die Erklärung aufgenommen, daß eine Reform der Kriegsverfassung nicht ausreiche um die Wünsche des Volkes zu erfüllen, sondern daß diesen erst genügt sein würde, wenn Preußen die leitende Stellung in einem engeren Bundesstaate übernommen und namentlich die Führung der diplomatischen, militärischen und handelspolitischen Angelegenheiten desselben in Händen haben würde. Am 10. Februar brachte die Regierung zwei darauf bezügliche Gesetzvorschläge ein, von denen der eine die Regelung der gesetzlichen Dienstpflicht betraf, der andere die zur Durchführung der Reorganisation des Heeres nöthigen Mittel forderte. Das Haus bestellte zur Begutachtung der sogenannten Militärvorlage eine Commission, welche zum Vorsitzenden Georg v. Vincke, zum Berichterstatter den General St. wählte. Er war als Sachverständiger der militärische Vertrauensmann des Hauses und zu einer Verständigung mit der Regierung geneigt. Auf die Organisation des Heeres wollte er einen Einfluß nicht ausüben, er erkannte darin einen Eingriff in die Rechte der Krone; nur bei der Geldfrage und den gesetzlichen Grundlagen der Heeresergänzung wollte er mitsprechen. Eine Verstärkung der jährlichen Aushebung auf 63 000 Mann und die Vermehrung der Linienregimenter war er zu bewilligen bereit, aber er war gegen das Ausscheiden der Landwehr aus der Feldarmee und für die Einführung der zweijährigen Dienstzeit. Die Landwehr lag ihm vom Jahre 1813 her am Herzen; gegen die „Reorganisation“ war er nicht grundsätzlich eingenommen, sie erschien ihm aber als zu theuer. In der Landtagsperiode von 1861, nachdem der bisherige Prinzregent als König Wilhelm I. den Thron bestiegen hatte, hörte die Militärfrage auf zu sein was sie bis dahin hauptsächlich gewesen war, nämlich eine Geldfrage. St. war wiederum der Berichterstatter der vom Abgeordnetenhause niedergesetzten Commission und der Wortführer unter den Gegnern der Regierung. Auf Rechnung seiner politischen Haltung ist wol zu setzen, daß er ohne sein Ansuchen am 11. Juni 1861 aus dem Disponibilitätsverhältnisse mit Pension in den Ruhestand versetzt wurde. Die Entscheidung über die Militärfrage wurde aber damals noch vertagt. Die Annahme des Amendement Kühne, welches nach Abstrich von 750 000 Thalern und mit der Maßgabe, daß der Betrag der Kosten der Reorganisation nicht in das Ordinarium, sondern in das Extraordinarium des Staatshaushaltes eingestellt, also als eine einmalige und vorübergehende Ausgabe betrachtet werden solle, die Forderung bewilligte, beugte der Entscheidung vor. Sie fiel 1862. Die Regierung, nunmehr überzeugt, daß sie mit dem Abgeordnetenhause in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung nicht zu ihrem Ziele gelangen würde, löste im März die Versammlung auf. Aber die Berufung an das Land entsprach ihren Erwartungen nicht. Aus den am 6. Mai vorgenommenen Wahlen ging eine verstärkte Gegnerschaft hervor. Darunter war St., welcher bei der Neubildung der Parteien sich dem linken Centrum unter der Führerschaft von Bockum-Dolffs zugesellte. Am 11. September 1862 begann die siebentägige Verhandlung über die Frage der Neugestaltung des Heeres. Im Verein mit Twesten und Sybel stellte St. einen Vermittlungsantrag: Die neuen Truppentheile sollten beibehalten, aber es sollte die zweijährige Dienstzeit eingeführt werden. Der Kriegsminister Roon bezeichnete den Vorschlag einen Augenblick als vielleicht annehmbar, aber am folgenden Tage verwarf ihn die Regierung und die Mehrheit des Hauses verweigerte nun alle ihre Forderungen. Damit war auf fast vier Jahre der Krieg zwischen der Regierung und den Vertretern des Volkes erklärt. St. beharrte während dieser Zeit auf seinem Standpunkte. Er verstand die Politik Bismarck’s, welcher am 24. September den Vorsitz im Staatsministerium übernommen hatte, nicht und sah nicht ab, wozu das neugestaltete Heer gebraucht werden sollte. Als der [535] Krieg von 1866 beendet war, eröffnete er am 5. August als Alterspräsident die 9. Legislaturperiode, während welcher er in diesem Jahre das Amt des Vicepräsidenten bekleidete. Die alten Gegensätze waren ausgeglichen. Mit freudigem Stolze sah St. jetzt auf das Heer, dessen Zustandekommen er so lange bekämpft hatte, er hatte sich der Gewalt der Thatsachen gebeugt. Bei der Bildung der Parteien schloß er sich der neubegründeten nationalliberalen an; als der Norddeutsche Reichstag zusammentrat, ward er von den Wählern der Stadt Halle und des Saalkreises zu ihrem Vertreter erkoren. Beiden gesetzgebenden Körperschaften hat er bis zu seinem am 30. März 1869 zu Berlin erfolgten Tode angehört. Als nach den Osterferien dieses Jahres der Reichstag seine erste Sitzung abhielt, gedachte Präsident Simson mit warmen Worten des Dahingeschiedenen; er rühmte seinen lauteren, treuen, tapferen, selbstlosen Sinn, den reinen Patriotismus, der zu allen Zeiten seine Ueberzeugungen bestimmt habe, seine mit Wohlwollen und Rechtsgefühl gepaarte Energie. Sein Parteigenosse Sybel sagt, er sei ein rechtschaffener und ehrenwerther Mann, ohne die bei verabschiedeten Officieren so häufige Verbitterung gewesen, der großes Vertrauen genossen habe.
Stavenhagen: Friedrich Karl Leopold St., preußischer Generalmajor, am 8. März 1796 in Pommern geboren, trat bei Ausbruch des Befreiungskampfes von 1813 als freiwilliger Jäger beim 1. pommerschen Infanterieregiment in den Heeresdienst, und ward am 9. September jenes Jahres zum Secondlieutenant im Elb-Infanterieregiment, gegenwärtig Infanterieregiment Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (1. Magdeburgisches) Nr. 26, ernannt, mit welchem er den Winterfeldzug von 1813/14 in Holland und Belgien und als Adjutant des Füsilierbataillons den Feldzug von 1815, namentlich die Schlacht bei Ligny und den Sturm auf Namur, mitmachte. Durch Erbberechtigung erwarb er später das Eiserne Kreuz II. Classe. Am 17. März 1816 wurde er zum Premierlieutenant, am 27. September 1821 zum Capitain befördert und am 30. März 1822 zum Generalstabe commandirt, welchem er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienste in verschiedenen Stellungen und Verwendungen angehört hat, zuletzt, nachdem er am 22. März 1845 Oberst geworden war, seit dem 17. Februar 1846 als Chef eines Kriegstheaters beim Großen Generalstabe zu Berlin. Im J. 1848 betrat er als Abgeordneter zur deutschen Nationalversammlung in Frankfurt die parlamentarische Laufbahn, daneben war er seit dem 22. August 1848 dem Reichskriegsministerium überwiesen, in welchem er unter General- B. v. Kleist, Die Generale der königlich preußischen Armee, 1840 bis 1890. Hannover 1891. – Schmidt-Weißenfels, Preußische Landtagsmänner S. 218. Breslau 1862. – H. v. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. München und Leipzig 1889. II, 378 ff.