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ADB:Stamford, Heinrich Wilhelm von

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Artikel „Stamford, Heinrich Wilhelm von“ von Heinrich Pröhle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 424–426, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stamford,_Heinrich_Wilhelm_von&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 04:47 Uhr UTC)
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Band 35 (1893), S. 424–426 (Quelle).
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Stamford: Heinrich Wilhelm v. St., hervorragender Militärschriftsteller, auch Lyriker. Die vielleicht nicht ganz unbedenklichen auf Verkümmerung deutenden Erlebnisse seiner frühesten Kindheit lassen es als eine Ironie des Schicksals erscheinen, daß sein vornehmer Name an den Ort Stamford in Lincoln anknüpft, dessen Benennung sich sogar in Connecticut wiederholt. Der Name der Familie St. hat in England wie in Deutschland sich im Laufe der Zeiten aus Standford in Stamford (nicht Stamfort) umgewandelt. Als König Karl I. von England 1646 zu den Schotten gegangen war, flüchteten zwei Grey’s nach dem Festlande, wo sie sich mit dem späteren englischen Namen der Grey’s nur noch St. nannten. Sie hießen Amhitel und Leonhard. Einer war der zweite, der andere der vierte Sohn des 1628 zum Grafen v. St. ernannten Barons Grey von Greby. Einer der beiden Brüder wurde in Amsterdam ermordet. Von dem anderen stammen die jetzt in Deutschland lebenden ab. Sein Sohn starb zu Heidelberg als kurpfälzischer Oberstlieutenant. Dessen Sohn kam aus kurpfälzischen in nassauische und saarbrückensche Dienste und starb ebenfalls als Oberstlieutenant. Ein Sohn von diesem studirte in Heidelberg und brachte ein Jahr in baden-durlachschen, die Zeit von 1758 bis zu seinem Tode 1803 aber in hessischen Diensten zu. Seine Vornamen waren J. K. Friedrich. Mit Heinrich Wilhelm stellte er die vierte Generation der Familie St. in Deutschland dar. Sie waren der Urgroßvater und der Urgroßonkel des jetzt lebenden Majors v. St. in Kassel. Es scheint nun nicht nur die Flucht der Familie Grey nach Deutschland so gut als unbekannt, sondern es wird auch die Lebensgeschichte unseres H. W. v. St. überall wesentlich falsch erzählt. Nur der Herausgeber seiner Gedichte scheint eine Ahnung von dem Richtigen gehabt zu haben; er schrieb aber so zurückhaltend, daß die Irrthümer fortdauerten. Auch wird die Angabe dieses Herausgebers, daß H. W. v. St. ein Engländer sei, falsch sein; richtig dagegen die, daß er in Frankreich (zu Bourges) 1740 das Licht der Welt erblickt habe. Die jetzige Familie v. St. in Deutschland weiß nämlich, daß der Vater des Dichters v. St. zuerst in französischem Seedienste gestanden hat. Aus dem französischen gelangte der Vater in zweibrückenschen Dienst. Wenn die Gelehrtengeschichte dem Sohne H. W. die Anmaßung des Adels zuschreibt, so wird sie sich doch dabei beruhigen müssen, daß ihn Kaiser Franz II. am 28. Juli 1800 noch in den Stand der Ritter des heiligen römischen Reiches erhoben hat. Wenn sie ihm uneheliche Geburt zuschreibt, so hat er ebenfalls das Zeugniß seines Kaisers für sich, der in dem Diplom seine Mutter namhaft macht und ihm die eheliche Geburt ebenfalls ausdrücklich zuschreibt. Das Adelsdiplom, dessen Erneuerung allerdings bei den übrigen Stamfords in Deutschland nicht nöthig gewesen oder viel früher geschehen zu sein scheint, befindet sich in den Händen des Herrn Majors v. St. zu Kassel. Sogar zum Findling aber wird H. W. v. St. in der Gelehrtengeschichte gemacht! Gewiß wird sein Vater, der Seesoldat, sich keinen Findling zu seinem Vergnügen aufgelesen haben. Nicht völlig ausgeschlossen scheint es nur, daß seine Mutter, eine Bürgerliche Namens Firnhammer aus dem Breisgau, mit diesem Seemann vielleicht erst später durch Priesterhand verbunden worden ist. Der Knabe muß in Frankreich eine Zeit lang geblieben sein, denn die französische war seine Muttersprache. Er soll sogar selbst zuerst bei den Franzosen gedient haben. Der preußische Kriegs- und Domänenrath Ludwig v. St. war sein Gönner. Dies trug vielleicht etwas dazu bei, daß wir ihn im siebenjährigen Kriege bei der legion britannique für Friedrich kämpfen sehen. Nach dem Kriege vollendete er, wie ich vermuthe, in Braunschweig oder Wolfenbüttel – beide dazu trefflich geeignet – seine Schulbildung und bezog, wie die Familie weiß, jedenfalls noch die Universität Göttingen. Als Mathematiker trat er dort besonders Kästner nahe. Wie Kästner kam auch St., dem es ohnehin mit der [425] Wissenschaft Ernst war, überhaupt nicht über den Standpunkt der deutschen Anakreontiker hinaus. Selbst Boie und Bürger hat er als Student vielleicht noch nicht kennen gelernt. Gleichwohl möge schon hier von seinen Gedichten die Rede sein. Von ihnen findet sich „Ein Mädchen holder Mienen“ sehr oft in fliegenden Blättern. Aber auch „Ich möchte nicht der König sein“ (nach Gleim), „Nacht und Still’ ist’s um mich her“, „Wenn die Nacht mit süßer Ruh’“ und „Auf des Mondes sanftem Strahle“ wurden mehr oder weniger beliebte Lieder. Auch Gelegenheitsgedichte nach Art der Halberstädter, Triolette im Wetteifer mit Clamor Schmidt und Gleim sowie Fabeln verfaßte er. Erst 1808, ein Jahr nach seinem Tode, wurden die Gedichte von einem Freunde de Luc’s, Zimmermann’s und Stamford’s selbst – dem Oldenburger Leibarzt und Pyrmonter Brunnenarzt Marcard – mit der oben erwähnten kurzen biographischen Einleitung herausgegeben. Erfahrung, Weltklugheit und Schwermuth, die auch Göckingk im Leben an ihm bemerkte, betrachtet Marcard als die hervorragenden Kennzeichen seines Dichtens. Bürger hatte 1776 mit Rücksicht auf seinen eigenen damaligen Musenalmanach geschrieben: „Stamford’s Sachen haben viel Sanftes und Gefälliges“. Vom 14. October 1772 bis zum 10. April 1775 war St. Lehrer des Französischen an der Klosterschule zu Ilfeld am Südharze. Sein Vorgänger war dort ein ähnlicher Mann aus dem strategischen Kreise der Braunschweiger: Jakob Mauvillon; sein Nachfolger: Claudius Gardieu. Alle seine schon vorhandenen Beziehungen zum braunschweigischen Hofe würden ihn jedoch schwerlich wieder an denselben geführt haben. Dagegen war es von Einfluß, daß in dem nahen Ellrich damals Göckingk den göttinger Musenalmanach herausgab und daß Bürger sich freute, St. aus dem Göckingk’schen auch in seinen eigenen Musenalmanach übernehmen zu können. Göckingk und Bürger machten den Colloborator von Ilfeld wie mit einem Schlage bekannt. Obgleich derselbe auch in politischer Hinsicht damals ganz der Gesinnungsgenosse dieser freisinnigen Juristen war, so trug Vater Gleim doch kein Bedenken, den Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig als Commandeur des preußischen Regiments in Halberstadt zu bitten, St. nach Halberstadt zu berufen. Wie es scheint, sollte er zunächst nur den jungen Officieren in Halberstadt Vorträge halten. Seitdem erhielt das Regiment immer mehr die Bedeutung, die es durchaus dem „preußischen Grenadier“ (Gleim) verdankte. St. aber brachte es nachher auch bei Friedrich nicht viel weiter als in Halberstadt. Nach Potsdam berufen stand er dem Generalstabe jedenfalls sehr nahe, scheint aber à la suite geblieben zu sein. Zwar berichtete Göckingk einmal an Bürger, St. müsse einen Schaden an der Festung Spandau ausbessern, aber nie verlautet etwas von einer festen Stellung in der Armee. Der große Monarch vertraute ihm nichts geringeres an als die Leitung der strategischen Ausbildung des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm III., soll ihn aber, hierfür wenigstens, bloß mit Lobsprüchen bezahlt haben. Kein Wunder daher, wenn ihn seine Freunde Gleim, Zimmermann und Marcard „in dem damals schönen aber traurigen Potsdam, wo es von Soldaten und Officieren wimmelte und wo Zwang und Langeweile auf jedem Gesichte zu lesen war“, besonders da er sich auch leidend fühlte, „mehr ehrenvoll als glücklich“ fanden, wie Marcard sich euphemistisch ausdrückt. Friedrich, der für sich selber keine Schonung kannte, handelte mit ausgezeichneter Ueberlegung, indem er es begünstigte, daß 1785 oder 1786 St. noch als Erzieher, Strateg und Diplomat in die schwierigen niederländischen Dienste überging. Er leitete zunächst wieder die militärischen Studien der oranischen Prinzen. Nun hatte er 1785 und 1786 in Berlin mit dem Lieutenant von Massenbach auch die militärische Monatsschrift herausgegeben. Er legte einen Aufsatz, den er selbst darin geschrieben hatte, den Prinzen vor. Wie rauh auch der Stil war, so [426] wurde doch der „innere Werth“ der Arbeit erkannt und dieselbe infolge dessen zu dem „Entwurf einer Anleitung den Cavalleristen in Friedenszeiten den ganzen Felddienst zu lehren“ erweitert. Dieses umfangreiche Buch erschien 1794 im Verlage jener preußischen Militärzeitung. Es schloß mit einem umfangreichen Gedichte von dem Vater des berühmten Lachmann. In der Vorrede sagt St., es gäbe zwar vortreffliche Cavalleristen, aber ihre Lehrmethode erhalte keine Allgemeinheit. Man treibe Formiren, Abbrechen, Schwenken, Deployiren und Attaquiren bis zum Ekel. Man lerne aber dies Alles nicht auf den eigentlichen Felddienst anwenden. St. will zeigen, wie der Reiter im Frieden üben kann, was er im Kriege gebraucht. Seine Winke bilden ein Lehrbuch, welches sich lange eines ausgezeichneten Rufes erfreut haben muß, denn noch 1827 gab ein Officier der Reiterei einen „Entwurf einer Anweisung den Reiter in Friedenszeiten den ganzen Felddienst zu lehren“ als Auszug aus Stamford’s Werk heraus. St. nennt sich 1794 auf seiner strategischen Schrift „Generalmajor und Generaladjutant der vereinigten Niederlande“. Auf seinen ein Jahr nach seinem Tode erschienenen Gedichten nennt ihn Marcard „Adjutant des letzten Erbstatthalters Prinzen von Oranien und großbritannischen Generallieutenant“. Man verwandte ihn im Haag auch zu wichtigen diplomatischen Arbeiten. Noch spät wurden ihm von den Engländern in holländischen Dingen wichtige Sendungen nach Berlin übertragen. Er war nämlich zuletzt unter den holländischen Truppen, die in englische Dienste übergingen und in Wight cantonirten. Dann lebte er mit englischem Halbsold in Braunschweig. Es hing wohl mit der Flucht Karl Wilhelm Ferdinand’s nach der Schlacht bei Jena zusammen, daß St. am 16. Mai 1807 zu Schleswig (nicht zu Hamburg) starb, wo er auch begraben liegt. Da er auch die oranischen Prinzen auf das Collegium Carolinum begleitet hatte, so hatte er trotz seiner Anstellung an den verschiedensten Orten die ganze strategische Entwicklung der Wolfenbüttler von Ferdinand bis Friedrich Wilhelm (Oels) in der Nähe verfolgen können. Bei der Gemahlin des Herzogs v. Br.-Oels als Erbprinzessin war die Gemahlin von St., eine Gräfin, die ihn mit einer Tochter überlebte, Oberhofmeisterin. Leicht glaublich ist daher, was der Herausgeber seiner Gedichte 1808 sagte: daß Mittheilungen aus seinem handschriftlichen prosaischen Nachlaß damals nicht möglich gewesen sein würden. „St. sieht schwarz!“ hatte man schon längst gesagt. Niemals hatte er in Dichterkreisen ein scharfes Urtheil über die Fürsten gescheut, mit denen er verkehrte. Nun war einer seiner Zöglinge, der Prinz Louis, bei Saalfeld gefallen! Ich vermuthe aber schwerlich ohne Grund, daß wie Prinz Louis so auch der Herzog v. Br.-Oels Stamford’s strategische Lehren empfangen hat. Langer, der Nachfolger Lessing’s, der sich nicht einmal getraute, 1807 den Herzog v. Br.-Oels im Bivouac bei Braunschweig und Wolfenbüttel zu besuchen, wird sein alleiniger Mentor nicht gewesen sein. Jedenfalls wurde dem Herzoge bei Quatrebras ungefähr das zu theil, was sich St. gewünscht hatte, als er zu Marcard sagte, er könne sich keinen schönern Tod denken, als nach Ersteigung der Batterie schon als Sieger und mit den Zähnen schon über der Brustwehr plötzlich von einer Kugel zu fallen.

Die älteren Angaben nach Meusel’s gelehrtem Teutschland III, S. 521, 522, auch in der Biographie universelle XL, S. 136, bei Goedeke 1. Aufl. II 692 und im Register zu Bürger’s Briefen bei Strodtmann unter Stamford. Meinen obigen Berichtigungen liegen briefliche Mittheilungen der Herren C. v. Stamford in Kassel und Prof. C. Bösch in Ilfeld zu Grunde. – Ueber Langer s. H. Pröhle: Goethe, Schiller, Bürger, S. 229–235 und 239. – Directe von St. an Bürger oder von Bürger an St. gerichtete Briefe hat Strodtmann nicht.