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ADB:Sisibut

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Artikel „Sisibut“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 418–421, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sisibut&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 09:26 Uhr UTC)
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Sisibut, Westgothenkönig, 612–620, ein Held, ein Schriftsteller und der Eröffner der langen Reihe judenverfolgender Herrscher in Spanien. Während er durch seine Feldherrn Rekila und Svinthila die Aufstände der Basken und der keltiberisch-romanischen Stämme in den Bergen von Asturien, Cantabrien, Gallicien niederwerfen ließ, verwerthete er mit bestem Erfolg sein tapfres Schwert, seine staatsmännische Klugheit und die gütevolle Milde seines Herzens auf das echt königliche Trachten, die Byzantiner aus der pyrenäischen Halbinsel zu vertreiben. Nachdem Kaiser Justinian das Vandalenreich in Afrika und das Ostgothenreich in Italien vernichtet hatte, plante er auch die Wiedergewinnung Spaniens und ergriff gierig die Gelegenheit, sich in Thronstreitigkeiten des Westgothenreiches zu mischen. Unter den Königen Agila 549–554 und Athanagild 554–567 (s. d. Art.) bemächtigten sich die Byzantiner der zahlreichen Hafenplätze und Meeresburgen, welche sich von Sucruna am Mittelmeer bis zum „heiligen Vorgebirg“ am atlantischen Ozean hinzogen; und auch viele Binnenstädte hinter dieser Linie konnten ihnen lange Zeit nicht wieder entrissen werden, schlug auch der gothische Heerbann im offnen Felde gar oft die kaiserlichen Statthalter (Patricier): war doch die Vertheidigung fester Plätze immer noch die stärkste Seite byzantinischer, deren Bezwingung die schwächste Seite germanischer Kriegführung. Erst der heldenhafte König Leovigild 569–586 (s. d. Art.) entriß nach wiederholten Siegen den Kaiserlichen eine Reihe von Städten: wie Assidonia (570) und das wichtige Cordova (571 und, nach vorübergehendem Wiederverlust, nochmal 583); allein als S. den Thron bestieg (612), fand er gleichwohl noch die Byzantiner im Besitze von zwei Gruppen verschiedener Gebiete auf der iberischen Halbinsel: einmal, westlich der Meerenge, am atlantischen Ocean behaupteten sie die äußerste Südspitze von Portugal, ein kleines Stück des heutigen Algarbiens, mit den Städten Lacobriga (Lagos) in Portugal und Ossonoba (Gebraleon oder Estoy in Spanien). Dann aber beherrschten sie am Mittelmeer ein weitgestrecktes Land: von Colopona im Westen bis Sucruna im Osten. Das Kaiserreich war damals durch Perser und Avaren zu stark im Morgenland beschäftigt, um diese entlegenen überseeischen Besitzungen mit Nachdruck vertheidigen zu können: in zwei Feldschlachten von S. auf das Haupt geschlagen (613) konnte der Patricius Caesarius nur mit Anstrengung in den starken Meeresvesten sich behaupten, zumal S. durch ausgesuchte Milde in Behandlung der Besiegten und Gefangenen die Bevölkerungen und sogar die kaiserlichen Besatzungen in den Städten für sich zu gewinnen verstand. Er kaufte von seinen Heermannen um hohe Summen die Kriegsgefangenen und dadurch ihnen verknechteten Byzantiner und Hispano-Romanen frei: „so ward sein Königschatz das Lösegeld der Gefangenen“, sagt der gleichzeitige Bischof Isidor v. Sevilla. So konnte S. unter Vermittlung des Bischofs Caecilius v. Mentesa mit dem Patricius Caesarius in erfolgreiche Verhandlung treten über bedeutende Abtretungen byzantinischen Gebietes: außer jenen vermittelten ein Priester Amelius, ein Romane Ursellus und zwei Gothen, Ansimund und Theoderich. Gar demüthig bittet der Statthalter um Frieden und begleitet seinen Brief mit kostbaren Geschenken: der König macht ihn in freundlicher Antwort vor Gott verantwortlich für das Blut, das, nach Scheitern der Verhandlung, weiter vergossen werden müsse: seit die Gothen vom Arianismus zum Katholicismus übergetreten sind (589), hat sich der Ton ihres Verkehres mit den Byzantinern gemildert. Endlich (615) trat Caesarius, unter später eingeholter Genehmigung des Kaisers Heraclius, jenes ganze größere Stück kaiserlichen Besitzes am Mittelmeer ab: – nur die spitze Ecke am atlantischen Ocean ward noch einige Jahre behauptet (s. König Svinthila). Daß aber die Gothen unter S. auch in Afrika wieder Eroberungen gemacht, zumal die unter Theudis (s. d. Art.) gewonnenen und eingebüßten Städte [419] Tanger und Ceuta zurückerobert hätten, ist eine von den Spaniern zwar allgemein verfochtene, jedoch durch nichts bewiesene Annahme. Außer den Kriegserfolgen und der milden Güte dieses Herrschers gegen Freund und Feind wird auch seine Begeisterung für die Künste und für die Wissenschaften gerühmt: er ist der Erbauer der berühmten Leokadienkirche zu Toledo: seine gelehrte Bildung wird gerühmt von seinem Zeitgenossen Isidor von Sevilla, der, einer der größten Lehrer des Mittelalters, diesem König sein Buch „de natura rerum“ zugeeignet hat. S. verfaßte selbst eine uns erhaltene Lebensbeschreibung des heiligen Desiderius: diese wie seine Briefe athmen eine gewisse leidenschaftliche Heftigkeit des Ausdrucks und in der Gesinnung den ganzen Glaubenshaß der Zeit. Ist der Schluß des Briefes an die Langobardenfürsten echt, so verstand der König die Künste der Bekehrung so trefflich wie ein Priester: auch an Selbstgefühl des gelehrten Verfassers fehlt es nicht: ausdrücklich hebt er hervor, nicht aus Unkenntniß, sondern in frommer Absicht habe er seine Zeilen, statt mit Grammatik, Rhetorik und Dialektik, mit Bibelstellen angefüllt. Leider verloren ist uns sein Werk, „Chronica Gothorum“: wie gerne würden wir die Geschichte der Gothen, vom Standpunkt eines ihrer tapfersten Könige dargestellt, gelesen haben. Aber seine jeder dichterischen Ader baren Verse sind auch einem gekrönten Helden schwer zu verzeihen. Und dieser gegen seine Kriegsfeinde gütige, mit der Bildung seiner Zeit inniger als andere Laien vertraute König war gleichwohl tief durchdrungen von dem leidenschaftlichen Glaubenshaß jener Tage, jener Kirche und jenes Volkes. Unter ihm beginnt die lange Reihe grausamer Judenverfolgungen, welche den westgothischen Staat entstellt und wahrscheinlich seinen Untergang erheblich gefördert haben (s. d. A. Roderich u. Witika). Zur Erklärung der Judenverfolgung reichen offenbar solche Gründe nicht aus, welche in den übrigen gleichzeitigen Germanenreichen auf römischem Boden ganz ebenso gegeben waren, und doch nicht die gleiche Wirkung erzeugten: also nicht die im römischen Recht vorgefundene Zurücksetzung der Juden oder ihre Verhaßtheit aus Glaubensgründen. Vielmehr scheint der zum Theil wohl auch durch Wucher erworbene Reichthum der Juden in Spanien früh ein außerordentlicher, und ihre Zahl sehr stark gewesen zu sein: die hierauf gegründete Ueberlegenheit des verhaßten Volkes ward von Gothen wie Romanen mit Ingrimm empfunden. Dazu trat die völlige Beherrschung dieses Staates (seit Rekared, s. d. A.) durch den katholischen Eifergeist. Die Kirche war es, welche hier durch den Staat die Juden verfolgte. Zwar verwarfen hervorragende Bischöfe, wie Isidor v. Sevilla, ja einzelne Concilien diese Zwangsmaßregeln: allein alle Verfolgungsgesetze waren erlassen auf anderen Concilien, welche in ihren Beschlüssen nur von den Bischöfen und Aebten bestimmt wurden, nicht von dem Laien-Adel, dessen Vertretung sich in dem für ihn günstigsten Fall gegenüber den geistlichen Gliedern dieser Kirchen- und Reichsversammlungen verhielt wie 15 Laien zu 46 Priestern. Die Könige aber waren von den Bischöfen meist so völlig abhängig, daß sie in einer solchen halb kirchlichen Frage unmöglich so lange Zeit gegen den ernsten Duldungswillen des Episkopats hätten vorgehen können: war es doch auch gerade die Geistlichkeit, welche durch diese Beschlüsse die Ausführung der Judenverfolgungen und die Gerichtsbarkeit hierüber, zunächst mit Ausschluß der Staatsbeamten, übertragen erhielt und auf das eifrigste ausübte. Endlich lag es in der eigenartigen Verkettung von Glaubens- und von volksthümlichen und politischen Gegensätzen in der Geschichte der Westgothen von der Mitte des 4. Jahrhunderts an begründet, daß eine Neigung zur Verfolgung Andersgläubiger in diesem Stamme länger, häufiger, leidenschaftlicher als bei andern Germanen und Germano-Romanen hervortritt: bei den nächst verwandten Ostgothen findet sich keine Spur davon: warum sollte das gerade westgothische Stammesanlage gewesen [420] sein? Aber schon bei Annahme des Christenthums bei den Westgothen c. 356 traf der Gegensatz des alten und des neuen Glaubens mit dem nationalen und dem politischen der Partei der Freiheit und der Unterwerfung unter Rom zusammen, später waren für die arianischen Westgothen die katholischen Byzantiner, Franken, Romano-Gallier zugleich die gefährlichsten Staatsfeinde, mit denen die eigenen katholischen Unterthanen nur zu oft in verrätherischem Einvernehmen standen. Als nun durch den Uebertritt der arianischen Gothen zum Katholicismus dieser Gegensatz weggefallen war, warf sich die alte Gewöhnung der Glaubensverfolgung auf die ihres Wuchers und ihres Reichthums willen gehaßten Juden: und wie oft hat auch später noch spanischer Glaubenshaß wilder als der anderer Christen gewüthet!

Welche Gründe gerade unter dem sonst so milden S. den Sturm der Verfolgung gegen die Juden entfesselt haben, – wir wissen es nicht. Denn sagenhaft ist der Bericht (Fredigar’s), Kaiser Heraclius, durch Zeichendeuter gewarnt, es drohe der Christenheit Gefahr von dem „beschnittenen“ Volk, habe dies irrig statt von den Arabern, von den Juden verstanden und deshalb von S. als Gegenleistungen für jene Gebietsabtretungen die Vertreibung der Juden verlangt. Seine beiden Judengesetze (Lex Visigothorum, XII 2, 13. 14) beschäftigen sich zunächst mit den christlichen Unfreien der Juden: diese sollen das römische Bürgerrecht erhalten, durch das Gesetz frei Gelassene und gleichwohl wieder Verkaufte werden für frei erklärt, ebenso, unter Belassung ihres Peculiums, entlaufene jüdische Knechte, die sich taufen lassen wollen; nicht einmal als freie Miethlinge darf der Jude christliche Diener halten; christliche Knechte muß er binnen vorgestreckter Frist mit ihrem Peculium an Christen verkaufen; Ehen zwischen Christen und Juden werden getrennt, Christen, die zum Judenthum übertreten, schwer gestraft. Nachfolger auf dem Thron, welche diese Gesetze aufheben oder Uebelthäter, welche sie hindern, werden sammt den Juden am jüngsten Tage in die Hölle verflucht. Aber über diese Gesetze hinaus ward Zwang zur Taufe durch Androhung der Gütereinziehung und der Geißelung massenhaft angewendet: durch Flucht ins Frankenreich suchten sich Viele zu retten.

Seit Rekared I. ist für Würdigung jedes Gothenkönigs maßgebend vor allem seine Stellung zu dem Bischofthum: ein kräftiger Mann konnte sich nicht ohne Widerstand in die immer mächtiger sich gestaltende Staatsbeherrschung durch den gefährlichen Verbündeten finden und fügen. So hat doch auch S., dessen Frömmigkeit noch durch bessere Beweise als die Judenverfolgung bezeugt ist, – so von Isidor, der unter ihm am 13. November 679 das zweite Concil zu Sevilla abhielt, – seine Kronrechte gegen die Kirche wahren müssen: er ertheilt Bischof Eusebius v. Tarraco in der dem königlichen Schriftsteller eignen leidenschaftlichen Sprache – „nicht mit dem Finger habe er rühren mögen an des Prälaten Schreiben!“ – einen heftigen Verweis: er kümmere sich um eitle Dinge, halte es mit elenden, hohlen, aufgeblasenen Menschen, treibe blinden Götzendienst mit den Knochen der Todten, verabsäume darüber die Seelsorge für die lebenden und fröhne mit Leidenschaft den Stiergefechten (die einzige, bisher übersehene, Stelle, welche den Fortbestand dieser alten römisch-spanischen Volksspiele während der Gothenzeit bezeugt); er zwingt ihn, den vom König Gewünschten zum Bischof von Barcelona zu weihen (Eusebius hatte am 13. Jan. 614 die Provinzialsynode für die Tarraconensis zu Egara abgehalten, welche jedoch lediglich die Beschlüsse des Concils von Huesca von 398 wiederholte). Die Priester beseitigten unbequeme Herrscher in diesem Reiche so häufig durch Mord, daß man sofort an Gift dachte, als S. bald nach diesem Briefwechsel starb. Es ist ein Zeichen seiner Einsicht und seines Ansehens, daß er den aus dem einstigen Wahlkönigthum ganz regelmäßig folgenden Thronkämpfen zuvorzukommen, [421] bei seinen Lebzeiten schon die Erhebung seines Sohnes Rekared II. zum Mitherrscher und Nachfolger hatte durchsetzen können: aber dieser starb bald nach dem Vater, nach einer Alleinregierung von nur 14 Monaten (14. Febr. 620 bis 16. April 621).

Quellen: Sisibuti regis epistolae ed. Migne, patrologiae cursus 80; Sisibuti regis vita et passio St. Desiderii, l. c. Inschriften und Münzen s. Könige V, 177 f. – Isidor, Hispalens. chron. et histor. Gothor. p. 1070 seq. ed. Roncall. II. (Padua 1787). – Marius Aventicensis Chron. ed. Arndt. Leipzig 1875. – Fredigar. chron. ed. Krusch (Hannover 1889) c. 33. – Chronologia regum Gothorum ed. Bouquet Scriptor. II, 704. – Braulio, praefatio zu Isid. de viris illustribus, ed. Schott. Hisp. illustr. II. – Hildefunsi appendices ad. Isid. l. c.Acta Concil. Egabr. v. 13. Januar a. 614 ed. Mansi X p. 631 und Acta C. Hispalensis II v. 13. November a. 619 ed. Mansi l. c.Lex Visigothorum XII. 2, 13, 14, ed. Academia Espaňola. Madrid 1815.
Litteratur: Dahn, die Könige der Germanen V (Würzburg-Leipzig 1870) S. 177 f. VI. 2. Auflage Leipzig 1885 S. 413 f., 432 f. und die daselbst angeführten Werke.