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ADB:Senfft von Pilsach, Ernst von

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Artikel „Senfft-Pilsach, Ernst von“ von Hermann von Petersdorff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 316–329, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Senfft_von_Pilsach,_Ernst_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:38 Uhr UTC)
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Senfft-Pilsach: Ernst von S.-P., preußischer Staatsmann, wurde am 24. Mai 1795 auf Schloß Reck bei Hamm in Westfalen geboren und starb am 13. November 1882 zu Gramenz im hinterpommerschen Kreise Neustettin. Er entstammte einer ursprünglich pfalzbairischen, später hessischen Familie, deren Sprossen sich dann nach Kursachsen wandten und auch in einzelnen preußischen Landestheilen auftreten. Ihr gehörte u. a. der geistliche Liederdichter Ludwig Rudolf v. S.-P. († 1718) an (s. A. D. B. XXXIV, 26). Senfft’s Vater war preußischer Landrath und später Geheimrath. Seine Mutter Friederike war eine geborene v. d. Recke, die ihrem Gatten einen großen, in der Grafschaft Mark gelegenen Gütercomplex in die Ehe brachte. Vom patriotischen Geiste der Markaner berührt, fühlte S. sich, noch als königlich westfälischer Unterthan und als Primaner gedrungen, nach der Schlacht bei Leipzig als Freiwilliger in das preußische Heer einzutreten. Dies geschah am 24. November 1813 gleichzeitig mit seinem um zwei Jahre jüngeren Bruder Adolf, der später als Mitglied der äußersten Rechten im preußischen Herrenhaus (berufen aus Allerh. Vertrauen 28. Januar 1855) bekannt wurde († 2. November 1882). Die beiden Brüder wurden als freiwillige Jäger in das pommersche Grenadier-Bataillon (das jetzige 1. pommersche Grenadier-Regiment Nr. 2 König Friedrich Wilhelm IV.) eingestellt. S. nahm während des Feldzuges im J. 1814 Theil an den Gefechten bei Hoogstraeten, St. Antrine, Courtray und Oudenarde, fand aber nicht Gelegenheit, sich besonders auszuzeichnen. Am 17. September 1814 wurde er zum Secondlieutenant ernannt, gleich darauf, am 14. October, dem 2. Grenadier-Regiment, dem späteren Kaiser Franz-Garde-Grenadier-Regiment, aggregirt und am 14. December in diesem einrangirt. Schon nach wenigen Jahren, am 26. August 1821, nahm er den Abschied, während sein Bruder der Waffe treu blieb und erst als Oberstlieutenant aus dem Heere schied. Während des Feldzuges hatte er Bekanntschaften gemacht, die für sein Leben entscheidend wurden. Vor allem war es die Persönlichkeit Gustav v. Below’s, des späteren Herrn auf Reddentin im Kreise Stolp in Pommern, die auf ihn Einfluß gewann. Nach der Heimkehr aus dem Felde vollzog sich in diesem jene innere Wandlung, die die sogenannte pommersche Erweckung vorbereitete. S. war einer der Ersten, gegen die Below in den Jahren 1816 und 1817 sein Inneres in langen Briefen ausschüttete. Neben Gustav v. Below trat ihm ein anderes Glied der pommerschen Erweckten, der ihm gleichaltrige Adolf v. Thadden-Trieglaff, nahe. Durch diesen wurde er mit den Gebrüdern Gerlach, insbesondere mit dem späteren Appellationsgerichtspräsidenten Ludwig v. Gerlach, bekannt und befreundet. Mit Thadden, Ludwig Gerlach, ferner mit Herrn v. Rappard auf Pinne, dem späteren Cultusminister v. Bethmann-Hollweg, und dem späteren Archivdirector v. Lancizolle gehörte er noch in den Jahren seines Dienstes als Gardeofficier in Berlin zu einem Kreis frommer junger Männer, die eifrig Gesang und Gebet pflegten. Briefe aus jener Berliner Zeit zeigen ihn ganz im Geist inbrünstiger Religiosität. Er verkehrte damals auch mit dem frommen Baron v. Kottwitz. Gleichzeitig veranstaltete er Abendandachten in Familiencirkeln, so im Hause des Generals v. d. Gröben, durch die mancher sich tief ergriffen fühlte. Im J. 1822, bald nach seiner Verabschiedung, zog er in die Nachbarschaft [317] seines Freundes Thadden, nach Rottnow im Kreise Greifenberg (Reg.-Bez. Stettin), das er sich erworben hatte. Sein Erscheinen in dieser Gegend belebte die religiöse Bewegung, die von Thadden angefacht worden war. Hatte S. sich doch ganz regelrecht, „in still lieblicher Weise“, wie es in einem Bericht heißt, zu einem Prediger auszubilden gesucht und wurden ihm doch ganz ungewöhnliche Predigtgaben nachgerühmt. Der Zudrang zu den Conventikeln, die die Greifenberger Erweckten veranstalteten, war sehr groß. Voller Freude beobachtete Ludwig Gerlach bei seinen Besuchen dies Leben, das sich auch über den Greifenberger Kreis hinaus in die Kaminer Gegend erstreckte. Auf die schlichten Landleute machte Senfft’s Wirken den tiefsten Eindruck. Noch nach Jahrzehnten erzählte ein frommer achtzigjähriger Greis in Kamin dem Seminardirector Wangemann voller Stolz, indem er auf eine Stelle in seinem Zimmer hinwies: „Da hat unser jetziger Oberpräsident (S.) gestanden und gepredigt und das Abendmahl ausgetheilt. Das war ein Mann von Gott.“ Dabei trat S. mit einer gewissen gebieterischen Art auf und verbot gelegentlich einem der auftretenden Geistlichen, der ihm nicht zusagte, in Rottnow zu lehren. Andrerseits erregte er auch den Widerspruch des Oberpräsidenten Sack durch sein Wesen. Wenn bei festlichen Veranstaltungen ihm ein Toast nicht gefiel, dann brachte S. wohl durch Anstimmen eines Chorals den Redner zum Schweigen. Durch Thadden war er mit dessen Schwägerin Ida v. Oertzen bekannt geworden, die er am 7. März 1825 heirathete. Dadurch wurde er auch Ludwig Gerlach’s Schwager. Durch die Heirath scheint ein langer Roman zum Abschluß gekommen zu sein; denn schon im Jahre 1820 suchte Ludwig v. Gerlach Senfft’s Vater, der jetzt in der Nähe von Naumburg a. S. ein Gut, Werbenhain, besaß, und der sich eben, siebzigjährig, mit einem Fräulein v. Wolfersdorf verlobt hatte, zu bestimmen, in die Heirath seines Sohnes Ernst mit jenem Fräulein v. Oertzen zu willigen. Der Vater gab seine Einwilligung nur, nachdem sich Thadden und Gerlach, unter der Rückbürgschaft des reichen Bethmann-Hollweg, in gerichtlichen Instrumenten dafür verbürgt hatten, daß das künftige Paar sein Auskommen haben würde. Seinem Schwager Thadden wurde S. bei dessen Conflikten mit der Kirchenbehörde ein guter Beistand, insbesondere durch geschickte Verwerthung des Toleranzparagraphen des Allgemeinen Landrechts. Gelassen schrieb er selbst darüber: „Daß bei den Individuen, welche diese Bestimmungen entworfen haben, vielleicht großentheils Indifferentismus zu Grunde gelegen hat, will ich gern glauben, das hat aber die Hand des Herrn nicht verkürzt, welche darin so bemerklich gewaltet zu haben scheint.“ Auch unmittelbar an den Strand verpflanzte er seine religiöse Wirksamkeit. So predigte er in einer Scheune des Stranddorfs Revahl. Das Cultusministerium bedrohte ihn deswegen mit harter Strafe. Der Landrath erhielt Anweisung, ihm den Aufenthalt in Revahl zu untersagen. S. machte auf „das Komische“ dieser Verfügung durch die Frage aufmerksam, „ob der Landrath etwa analoger Weise mich auch von Rottnow entfernen wolle“. Schließlich suchte St. Bureaukratius dadurch einen Ausweg zu schaffen, daß S. der Vorschlag gemacht wurde, er solle sich nothdürftig zu einem theologischen Examen vorbereiten, dann wolle man ihm das Predigen gestatten. In diesen Wirrnissen machte S. während eines Aufenthaltes in Berlin, wo er gelegentlich auch in den Stadtvogteigefängnissen predigte, vielleicht durch die Vermittlung des Barons v. Kottwitz, die Bekanntschaft des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (1829). Beide fanden aneinander großen Gefallen. S. war entzückt von dem Geist des Thronerben und Friedrich Wilhelm nahm sich seiner gegen den Unverstand der Behörden an. „Das Betragen dieser Regierung ist wirklich so ungeheuer dumm, daß [318] es zum Erbarmen ist,“ schrieb er am 2. Mai 1830 über die Maßnahmen der Stettiner Regierung gegen S. an den Cultusminister v. Altenstein. Friedrich Wilhelm III. bestellte schließlich eine Commission zur Prüfung der Angelegenheit, in die der Adjutant des Kronprinzen, der fromme Herr v. Röder, den vom König sehr geschätzten streng lutherischen Professor Heubner aus Wittenberg hineinbrachte. Durch Heubner’s Votum wurde der König bewogen, S. in Ruhe zu lassen. Unter Senfft’s Auspicien fanden noch die ersten Pastoralconferenzen statt, die später als Trieglaffer Conferenzen eine gewisse Berühmtheit erlangten. Die erste derartige Berathung fand nämlich, wie Wangemann erzählt, 1828 bei S. in Rottnow statt. Einige Jahre später setzte S., offenbar von einer gewissen Unruhe getrieben, die ein besonderes Merkmal seines Wesens ist, seinen Wanderstab weiter nach Osten, indem er im J. 1870, nach dem Verkauf des kleinen Rottnow, vielleicht durch den Tod seines Vaters in den Besitz größerer Geldmittel gelangt, die schönste und größte Herrschaft im Neustettiner Kreise, Gramenz, für etwa 60 000 Thaler erwarb. Dort setzte er seine religiöse Thätigkeit fort. Er war daselbst auch den Below’s und der Familie v. Puttkamer auf Reinfeld, die gleichfalls zu den eifrigsten Anhängern der pommerschen Erweckten gehörte, näher. Dort trat er außerdem in Beziehungen zum Landrath Hans Jürgen v. Kleist-Retzow auf Kieckow im Kreise Belgard, an dessen Sohn Hans, dem späteren bekannten Parlamentarier, er sich herzlich erfreute und auf den er sehr anregend und gelegentlich auch bestimmend wirkte. Der Vorkämpfer der Altlutheraner, Prediger Lasius, wurde von S. bei Annäherung der Gendarmen, die damals beauftragt waren, Sectenbildung zu unterdrücken, verborgen gehalten.

An dem neuen Wohnorte entwickelte sich aber bald noch eine andere Neigung in S. Er wurde nämlich ein ungewöhnlich eifriger Landwirth. Als solcher nahm er am 15. October 1831 führenden Antheil an der Gründung des landwirthschaftlichen Vereins zu Regenwalde, des Sammelpunktes der angeregtesten Landwirthe Pommerns, dessen Präsident Bülow-Kummerow (s. A. D. B. III, 517–520), später dessen Schwager, der bekannte nachmalige Präsident des Landesökonomie-Collegiums Beckedorff (s. A. D. B. II, 219) war und in dessen Vorstand auch S. gleich hineingewählt wurde. Mit außerordentlich regem Sinne suchte S. namentlich die Wiesencultur durch Entwässerungsanlagen zu befördern. Er wußte den Regenwalder Verein dafür zu interessiren und fand dabei einen tüchtigen praktischen Gehülfen in der Person des Regierungsconducteurs Vincent, der berühmt geworden ist durch seine unermüdliche fruchtbare Thätigkeit zur Hebung des Wiesenbaues. S. veranlaßte es, daß die Regierung Vincent auf Reisen ins Ausland schickte und half die Reisepläne Vincents ausarbeiten. Er vermittelte es auch, daß der bekannte Agriculturchemiker Sprengel (s. A. D. B. XXXV, 293) aus Braunschweig nach Regenwalde zog. Diese landwirthschaftlichen Neigungen Senfft’s interessirten bald den neuen König. Seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelm’s IV. weilte S. mehr in dessen Nähe und gewann schnell einen ungewöhnlichen Einfluß auf ihn. Dies wurde von manchem nicht gern gesehen, so u. a. nicht von dem General Leopold v. Gerlach, offenbar weil dieser dadurch eine Minderung seines eigenen Einflusses befürchtete. Auch reizte diesen und andere Vertraute des Königs Senfft’s zugeknöpftes Wesen. Es ist nicht ganz zutreffend, wenn Treitschke angibt, daß die Gebrüder Gerlach in S. eine „mächtige Stütze“ am Hofe Friedrich Wilhelm IV. fanden. Leopold v. Gerlach fühlte sich bis zuletzt in einem gewissen Gegensatze zu S., wie namentlich die ungedruckten Aufzeichnungen des Generals beweisen. Es zeigte sich, daß der Puritaner von Gramenz eine gar nicht üble Befähigung für die [319] Dinge der hohen Politik besaß und sehr wohl für moderne Ideen zu haben war. Zu Leopold Gerlach’s tiefem Verdrusse veranlaßte er den Abgang des Ministers Graf Albrecht Alvensleben-Erxleben (1842). Schon im December 1844 drängte S., vielleicht beeinflußt von Bülow-Kummerow, auf Einberufung der Generalstände, um sie wegen der Eisenbahnsache zu befragen. Bald darauf hatte er die Idee zur Einsetzung einer Commission wegen der Generalständesache.

Im April 1845 berief ihn der König endlich in eine amtliche Stellung, indem er ihn zum Geheimen Oberfinanzrath im Hausministerium ernannte und ihn mit Entwässerungsanlagen in Preußen betraute. Der junge Bismarck, der S. aus dem Regenwalder Verein sehr wohl kannte und mit ihm zusammen auch die Hochzeit seiner Freundin Marie v. Blanckenburg gefeiert hatte, notirte diese ungewöhnliche Ernennung mit Beifall: „Er wird gewiß über kurz oder lang Oberpräsident, wenn nicht mehr; übrigens ist er auch ein Mann von ganz außerordentlichen Fähigkeiten und ein besserer Präsident als zwanzig examinirte Assessoren sein würden.“ Auch S. zeigte sich schon damals sehr eingenommen für den Junker auf Kniephof. In seiner neuen Stellung führte S. nun in der Tucheler Heide große Bewässerungsanlagen an den beiden Flüssen Schwarzwasser und Brahe aus, von denen die an der Brahe darauf berechnet waren, bis nach Bromberg hin etwa 32 000 Morgen unfruchtbaren Waldbodens in Rieselwiesen zu verwandeln. Dafür wurden zahlreiche, zuletzt an 6000 Arbeiter beschäftigt. Jedoch nur die Arbeiten am Schwarzwasser gelangten zur Durchführung und haben sich nach den Angaben des Gehülfen Senfft’s bei diesen Unternehmungen, des späteren Wirklichen Geheimen Oberregierungsraths Herm. Wagener, mit dem S. in der Folge eng befreundet wurde, vorzüglich bewährt. Wagener konnte sich bei seinem lobenden Urtheil auch auf die Autorität eines erfahrenen Landwirths, des Herrn v. Sänger-Grabowo, berufen. Auch andere landwirthschaftliche Fachmänner, wie der Geheimrath Wehrmann im landwirthschaftlichen Ministerium, sprachen sich, nach einer Mittheilung Kleist-Retzow’s an Leopold Gerlach, günstig über Senfft’s westpreußische Meliorationen aus. Seine kostspieligen Anlagen an der Brahe wurden freilich nicht zu Ende geführt und verfielen, weil der Minister v. Patow dem Unternehmen ungünstig gesonnen war. Allgemein wurde S. seitdem unter dem Namen der „Riesler“ bekannt und als „Projectenmacher“ etwas verschrien, zumal da auch die Meliorationsarbeiten auf seinen eigenen Gütern von zweifelhaftem Erfolge waren und er seinen Besitz über die Maßen belastete. Neben der Wiesencultur widmete er sich in Gramenz der Rübenzuckerfabrikation. Diese rentirte sich in der Folge gar nicht und trug S. viel Spott und Hohn ein. Doch bewahrte der König ihm trotzdem unausgesetzt in höchstem Maße sein Vertrauen und seine Gunst. U. a. veranlaßte er die Seehandlung zur Gewährung eines hohen Darlehns an S., das auf Gramenz eingetragen wurde. Ein besonderer Vertrauensbeweis war es auch, daß er S. bei Begründung des Berliner Krankenhauses Bethanien, einer seiner Lieblingsschöpfungen, an die Spitze des Curatoriums dieser Anstalt berief. In seinen an den König erstatteten vertraulichen Berichten, deren große Klarheit ein urtheilsfähiger Mann wie Herm. Wagener besonders rühmend hervorhebt, und in seinen häufigen höchst intimen Unterredungen mit Friedrich Wilhelm, von denen selbst Leopold Gerlach nur zuweilen etwas erfuhr, wußte S. stets den Ton zu treffen, der für die jedesmalige Stimmung des Königs geeignet war. Zuweilen imponirte er diesem auch durch großen Freimuth und setzte ihm auseinander, was man im Volke über ihn spräche. Obwohl S. im Rathe Friedrich Wilhelm’s, der im allgemeinen so wenig einer fremden Meinung zu folgen [320] vermochte, eine solche Rolle spielte, enthalten die amtlichen Papiere, wie Treitschke hervorhebt, über seine politische Wirksamkeit fast gar nichts. Sehr fein, wenn auch eine Schattirung zu ungünstig, analysirte Leopold Gerlach seinen Charakter. Er warf ihm (1852) verstecktes Wesen vor, das durch seine Neigung zum Projectemachen und durch die Hartnäckigkeit, mit der er an diesen Projecten festhalte, hervorgerufen würde. Damit stimmt auffällig überein ein Urtheil, das Albrecht v. Roon sehr viel später, am 9. Juli 1865, in einem Schreiben an Bismarck über ihn fällt. Darin spricht der fromme Kriegsminister von den „Liebhabereien“ Senfft’s für „krumme Wege“. Aber bei allen Vorbehalten hat Leopold Gerlach doch stets die Ueberzeugung gehabt, daß S. ein „gläubiger, einsichtsvoller und rechtlicher Mann“ sei, der es „treu mit dem Könige meine“. Und das war ihm schließlich doch die Hauptsache. Selbst Senfft’s intimster Freund, Herm. Wagener, sagt in seinem Buche über die Politik Friedrich Wilhelm’s IV., das er S. gewidmet hat und in dem er Senfft’s historische Verdienste sicher übertrieben einschätzt, von Senfft’s Charakter, er habe allerdings nicht jedem offen gelegen. Neben dem zwanzig Jahre jüngeren Wagener gewann sich S. in dem alten Feldmarschall Graf Dohna und in dem königlichen Hausminister, dem frommen Grafen Anton Stolberg, fest auf ihn bauende Freunde. Unbedenklich erklärte Stolberg im Gespräch mit Vertrauten seinen Schwiegersohn Kleist-Retzow, auf den er so große Stücke hielt, für weniger bedeutend als S.

Als das Jahr 1848 hereinbrach, verursachte die allgemeine Umwälzung böses Mißgeschick für S. Denn David Hansemann sah sich, als er Minister wurde, sofort veranlaßt, jene von der Seehandlung vorgestreckte Summe – 150 000 Thaler – zu kündigen, und S. war, wie nur zu natürlich, nicht in der Lage, diesen Betrag gleich aufzubringen. Damit steht wohl sein Ausscheiden aus dem Staatsdienst im August 1848 in Zusammenhang. Neben seiner landwirthschaftlichen Thätigkeit hatte S. den Gang der Politik aufmerksamen Auges verfolgt. Während des Vereinigten Landtages empfand er mit anderen rechtsstehenden Männern das Bedürfniß eines publicistischen Organs. So konferirte er bereits am 14. Juni 1847 in Berlin mit Gesinnungsgenossen über die Gründung eines solchen. Dabei hatte er schon seinen getreuen Wagener zur Hand. In den Märztagen weilte er auf dem Lande in Pommern. Er scheint damals kleinmüthig gewesen zu sein. An dem demonstrativ-tapferen Verhalten Thadden-Trieglaff’s nahm er Anstoß. Und sein anderer Schwager, Ludwig Gerlach, beklagte es noch sehr viel später, daß S. in jener kritischen Zeit nicht „Zeugniß für seinen mißhandelten König“ abgelegt habe. In den folgenden schwierigen Monaten erwachte aber wieder sein Trieb, sich zu bethätigen. Mit Ludwig Gerlach verschaffte er jetzt dem publicistisch gewandten Wagener die Redaktion der neu begründeten Kreuzzeitung. Er bewog den König im Juni 1848 durch ein Schreiben, mit dem Grafen Alvensleben-Erxleben einen letzten Versuch zu machen, ob dieser kraftvolle Mann im Fall der eintretenden Dictatur das Ministerium übernehmen würde. Als diese Hoffnung fehlschlug, reiste er, ohne Vorwissen der beiden anderen Hauptvertrauten des Königs in dieser Krisis, der Generale Gerlach und Rauch, vom 6.-9. August nach Frankfurt a. M., um Georg v. Vincke, mit dem er in verwandtschaftlichen Beziehungen stand, zur Uebernahme des Ministeriums zu bestimmen. Wie bekannt, nahm Vincke nicht an. Inständigst drang S. damals in den König, den Professor Heinrich Leo mit der Abfassung einer Proclamation zu betrauen, die ein festes Regiment einleite. Der König gab seinem Wunsche auch nach, ohne schließlich von Leo’s Niederschrift öffentlich Gebrauch zu machen. Im August 1848 hat S. ferner, nach Wagener’s glaubhafter [321] Angabe, den Vorschlag gemacht, Bismarck zum Minister zu, ernennen. Zu Leopold Gerlach’s Entsetzen billigte er am 21. August 1848 den Gedanken der Eliminirung Oesterreichs und sah hoffnungsvoll Besprechungen entgegen, die deswegen mit Stockmar stattfinden sollten. An dem Wittenberger Kirchentage im September 1848, auf dem Wichern das Werk der Inneren Mission organisirte, war S. einer der Wortführer. Stand er doch schon seit Jahren mit Wichern in Beziehungen. Wichern besuchte ihn im Juli 1850 längere Zeit in Gramenz und erfreute sich an dem erbaulichen Leben in seinem Hause. Von Gramenz aus pflog S. mit dem Könige eine sehr vertraute Correspondenz. In dieser bestärkte er im September 1851 den Monarchen, als nach der Beseitigung der Verfassung in Oesterreich der Gedanke auftrat, ob diese auch in Preußen beseitigt werden könnte, durch freimüthige Auslassungen in seiner Auffassung, daß er die beschworene Verfassung halten müsse. Ob sein Rath wirklich entscheidenden Einfluß hatte, wie Herm. Wagener und auch Sybel behaupten, darf billig bezweifelt werden, da der König, nach den Gerlach’schen Denkwürdigkeiten und auch nach denen des Generals von Natzmer zu schließen, von Anfang an Festigkeit zeigte. Sybel’s Angaben über diese Angelegenheit sind überhaupt ungenau, unsicher und mit Vorbehalt aufzunehmen.

Damals lag Senfft’s Verwendung in einer leitenden Stellung sozusagen in der Luft. In allen einflußreichen Kreisen beschäftigte man sich mit diesem Gedanken. Schon im December 1851 nahm der Ministerpräsident Otto v. Manteuffel S. für einen höheren Posten in Aussicht. Es ist nicht ersichtlich, für welchen. Am 10. Februar 1852 erfuhr Leopold Gerlach zu seiner Ueberraschung davon, daß Graf Anton Stolberg, Kleist-Retzow, sein Bruder, der Präsident Ludwig v. Gerlach, und Moritz v. Blanckenburg daran arbeiteten, S. an Stelle des am 28. Januar 1852 verstorbenen Oberpräsidenten C. W. v. Bonin zum Oberpräsidenten von Pommern zu machen. Er hegte namentlich wegen der finanziellen Schwierigkeiten, in die S. sich gestürzt hatte, Bedenken dagegen. Gerade in Pommern, so fürchtete er, würde S. seiner Neigung zu Projecten die Zügel schießen lassen, Flüsse reguliren, große Eisenbahnbauten unternehmen u. s. w. Es kam darüber zwischen Gerlach und Kleist-Retzow, der S. für den relativ geeignetsten Kandidaten hielt, zu einem etwas gereizten Schriftwechsel. Auf die Vorstellungen Gerlach’s redete Kleist nach seiner Art S. wegen seiner gewagten Unternehmungen ins Gewissen, und dieser suchte sich vor ihm deswegen zu rechtfertigen, gab ihm auch Material zur Informirung Gerlach’s, auf Grund dessen Kleist ihn in seiner treuherzigen Weise gegen den Generaladjutanten vertheidigte. Er wollte es nicht zugeben, daß Senfft’s Unternehmungen, wie Gerlach behauptete, als „eigentliche“ Spekulationen anzusehen seien. Doch beharrte der General zunächst auf seinem Widerspruche. Auch ein anderes Mitglied der Camarilla, der Cabinetsrath Niebuhr, war gegen Senfft’s Anstellung, da er fürchtete, daß dadurch zu sehr der Stolberg-Kleist-Bismarck’sche Einfluß steigen würde. Auf der anderen Seite wurde S. zu dem Posten in Stettin auch von seinem Landsmann, dem ehemaligen Minister Ernst v. Bodelschwingh, warm empfohlen, und so erhob ihn dessen Bruder, der damalige Finanzminister v. Bodelschwingh, zu seinem Candidaten. Der Ministerpräsident selbst wollte den bisherigen Finanzminister v. Rabe mit dem Posten betrauen. Der König sprach sich gegen diesen aus und war sofort für Senfft’s Ernennung eingenommen. Er empfand es schmerzlich, daß sich sein Generaladjutant Gerlach dagegen erklärte, während dieser ein Fiasko Senfft’s und davon den Sturz seiner eigenen Partei befürchtete. Er besorgte zudem, daß S. bei seiner rücksichtslosen Einseitigkeit und [322] Hartnäckigkeit den König compromittiren würde. Die Entscheidung über die Angelegenheit zog sich sehr in die Länge. Auch der Minister des Innern, v. Westphalen, sprach sich gegen S. aus, der Unterstaatssecretär Karl v. Manteuffel hetzte seinen Bruder, den Ministerpräsidenten, gegen S. auf. Schließlich schwenkte Leopold Gerlach, den u. a. auch dessen Bruder Ludwig gewarnt hatte, er möchte nicht sein Gewissen durch eine Verhinderung der Ernennung Senfft’s belasten, ein, weil die um Manteuffel gesammelte Bureaukratie ihm „allzu frech das Haupt zu erheben“ und ihm unter diesen Umständen Senfft’s Kraft ein nicht zu verachtender Stein auf dem innerpolitischen Schachbrette zu sein schien. Er meinte nunmehr, in dieser Lage überwögen die „guten Eigenschaften“ Senfft’s. Zur aufrichtigen Freude des Königs nahm er seinen Widerspruch zurück. Am 12. September 1852 erfolgte endlich die Ernennung Senfft’s zum Oberpräsidenten von Pommern. In der preußischen „Reaction“ seit 1850 war sie eine der wichtigsten Begebenheiten. Wichern gab dem Freunde glaubensvoll das Wort mit auf den Weg: „Er wird ein Oberpräsident werden, wie wenige. Selten finden sich Klugheit und Einfalt in dem Maße wie hier vereinigt.“

Volle vierzehn Jahre sollte S. an der Spitze der pommerschen Verwaltung stehen. Er war ohne Zweifel, im Gegensatz zu Kleist-Retzow am Rhein, der gegebene Mann für diesen Posten und seine Wahl einer der guten Griffe in der Regierung Friedrich Wilhelm’s IV. Er nahm sich der Provinz sofort mit Feuereifer an. Aus den Erfahrungen, die Kleist-Retzow in seiner Stellung als Oberpräsident am Rhein gemacht hatte, eine Lehre ziehend, lehnte er beharrlich die ihm vielfach angebotenen Mandate für die Zweite Kammer ab, weil das Amt eines Oberpräsidenten zur parlamentarischen Thätigkeit nur wenig Zeit ließe. Leopold Gerlach verzichtete bald darauf, ihn in seinem Eifer, die Provinz zu beglücken, zu zügeln, weil er die Unmöglichkeit erkannte. „Gegen S. habe ich die Opposition aus Ueberzeugung aufgegeben,“ schrieb er am 19. März 1853 in sein Tagebuch. „Er kommt wöchentlich mit langen Listen von Bitten an den König hierher, wozu schon Eisenbahnen, Schiffbarmachungen (bald auch Meliorationen) gehören.“ S. nahm Gelegenheit, eine Seite der Politik zu betonen, deren Beachtung er, nach Mittheilung seines Freundes Wagener, seinem königlichen Herrn von Anfang an besonders empfohlen hatte: Eingehen auf die Verhältnisse und Interessen des Handelsstandes. Am 9. Mai 1853 legte er in einer Denkschrift dem Monarchen die Hülfsbedürftigkeit des Stettiner Handels dar. „Der unglückselige Krieg mit Dänemark hat unzählige Verbindungen zerrissen, welche die Stettiner Kaufmannschaft mit Vorsicht und unsäglichem Fleiße angeknüpft und erfolgreich benutzt hatte. Den größten Teil dieser Verbindungen hat Hamburg an sich gezogen und Stettin bemüht sich vergebens, sie wieder zu gewinnen.“ Er belegte das Wachsen Hamburgs und das Sinken Stettins mit Zahlen, sprach von den verderblichen Wirkungen des Sundzolles, meinte, daß es diesen zu beseitigen gelte, erörterte die mangelhafte Eisenbahnverbindung Stettins mit seinem Hinterlande, den schlechten Zustand der Schiffbarkeit der Oder, die Ungerechtigkeit des auf der Oder bestehenden Transitzolles u. s. w., kurz er begann im großen Stile auf die Hebung des ersten Seehandelsplatzes der preußischen Monarchie hinzuarbeiten. Der Sundzoll wurde bekanntlich bald darauf aufgehoben, und S. hat an den deswegen stattfindenden Berathungen eifrig theilgenommen. So verhandelte er über diese Angelegenheit im September 1854 in Berlin mit dem preußischen Ministerresidenten in Washington v. Gerolt. Auch sonst erwarb er sich viel Verdienste um die Hauptstadt Pommerns, für die ihm diese damals mehrmals ihren Dank bezeigte. Stettin blühte während seiner Verwaltung [323] sichtlich empor. Mit großer Zähigkeit strebte er auch die Beseitigung der vom Handel als lästig empfundenen, das rasche Wachsthum der Stadt hemmenden Festungswerke Stettins an, kam damit jedoch, obwohl er auch in dieser Beziehung vorbereitende Maßnahmen durchsetzte, nicht zum Ziele. Er wollte Stettin als Festung eingehen lassen und eventuell dafür Greifenhagen befestigen. Ein Jahrzehnt nach seinem Rücktritt entschloß man sich ja in der That zum Schleifen der Festung. Nicht zuletzt war es Leopold Gerlach, der ihm bei diesen Bestrebungen Widerstand leistete. Der spottete wohl gar über das Bestreben Senfft’s, seine Provinz glücklich zu machen. „Es ist eine schwere Irrung unserer Zeit, diese glücklich machenden Oberpräsidenten,“ lautete eine seiner auf S. bezüglichen Notizen; „während doch mehr ihres Amtes ist, Ordnung, Gehorsam, Sitte, Religion aufrecht zu erhalten und dann die königlichen Revenüen zu vermehren.“ S. führte treffend gegen ihn ins Gefecht, daß schon der Große Kurfürst Stettins Wichtigkeit als Handelsplatz erkannt hätte, was Gerlach nicht gelten lassen wollte. Dieser meinte vielmehr unter sonstigen irrigen Ausführungen, der Kurfürst hätte die Stadt als Festung im Sinne gehabt. Weniger im Recht war S., als er es im Interesse der Provinz durchzusetzen suchte, daß die Pferdegestellung bis nach der Ernte verschoben würde. Da setzte ihn der alte Feldmarschall Dohna heftig zurecht: „Solches Schwanken und partielles Aendern diskreditirt den König und thut unsäglichen Schaden“. Ein ander Mal (im Sommer 1856) suchte S. es zu erreichen, daß die Manöver in Pommern wegen der Theuerung und der durch lange Kälte verursachten späten Ernte nicht stattfänden. Den opponirenden Gerlach schlug er durch überreiches Material nieder. Als seinem Wunsche nicht Rechnung getragen wurde, forderte er wiederholt den Abschied. Mit ähnlicher Energie kämpfte er für den Ausbau der Eisenbahnen und Kunststraßen. In den letzten Jahren seiner Verwaltung verfocht er mit besonderem Eifer den Gedanken einer Bahnverbindung zwischen Dirschau und Stettin, um dadurch eine directe Verbindung zwischen Petersburg und Amsterdam herzustellen. Obwohl er den Minister v. d. Heydt dafür gewann, gelangte er damit nicht zum Ziele. Die Beharrlichkeit und Energie, mit der er bei seiner Verwaltung vorging, wurde in der Provinz bald sprichwörtlich. Herm. Wagener erzählt, er hätte in Pommern wiederholt Aeußerungen vernommen wie die: „Wir thun alles, was der Baron (S.) wünscht, jetzt immer auf der Stelle, weil wir wissen, er läßt doch nicht nach.“ In seinem Eifer kam S. oft Jahr und Tag nicht nach Gramenz. Im Stettiner Schloß, wo er Dienstwohnung hatte, übte er eine schöne Gastlichkeit. Die geistige Atmosphäre seines Hauses zog manche feinorganisirte Natur ungemein an. Seine erste Frau, die ihm zwei Söhne und drei Töchter schenkte (der eine Sohn Arnold wurde ein berühmter Sänger, s. A. D. B. XXXIV, 23–26), hatte er am 31. Mai 1849 durch den Tod verloren. Acht Jahre darauf, am 30. Januar 1857, ging er, 61jährig, eine zweite Ehe mit der Wittwe des ihm befreundeten Generals v. Sohr, Bertha geb. v. Luck, ein.

Zu Lebzeiten König Friedrich Wilhelm’s IV. behielt er auch seinen sonstigen politischen Einfluß. So nahm er fortgesetzt die Rolle eines energischen Anwalts des von Hinckeldey viel wegen seiner Redactionsthätigkeit verfolgten Wagener’s wahr. Schließlich hielt er es für das Gerathenste, daß Wagener von der Leitung des Blattes zurücktrat. Er hatte gleich in der Person des Dr. Thuiskon Beutner, der jahrelang in seinem Hause als Erzieher seiner Söhne thätig gewesen war, einen Ersatzmann bei der Hand, der in der That auch die Redaction der Kreuzzeitung erhielt und sie lange führte, sich allerdings nicht so bewähren sollte, wie Wagener. Auch für seinen [324] Schwager Ludwig Gerlach setzte er sich energisch ein, suchte ihm im Jahre 1853, allerdings vergeblich, das Justizministerium zu verschaffen und trat als sein Fürsprecher beim König auf wegen seiner Kreuzzeitungsrundschauen. Dabei übersah er, wie man wohl sagen darf, die Gebrüder Gerlach und übte gelegentlich treffende Kritik an ihnen. Schon im September 1848 hatte er als gewandter Diplomat, obwohl er im Grunde doch auf der Seite der Gerlach’s stand, seinem Schwager Ludwig Gerlach vorgehalten, daß es doch thöricht sei, sich zur „Reaction“ zu bekennen, wie es der Präsident that; dadurch mache er sich unmöglich. Vorstellungen, die natürlich bei Ludwig Gerlach glatt abprallten. Am 4. März 1854 buchte Leopold v. Gerlach das den Kernpunkt des Gerlach’schen Wesens berührende Wort Senfft’s: „Er nannte mich wie Ludwig im letzten Moment thatenscheu.“ Die einflußreichen Brüder zogen ihn in Erkenntniß seiner geistigen Bedeutung oft für ein Ministerium in Betracht. Namentlich schwebte er dem General als Mitglied eines sogenannten starken Cabinets im Verein mit Bismarck, Kleist-Retzow und Ludwig Gerlach vor. Der Präsident dachte auch wohl gelegentlich daran, ihn an die Spitze des Auswärtigen Ministeriums zu bringen. Wichtig wurde es, daß S. mit Kleist-Retzow zusammen gegen Leopold Gerlach’s Ansicht die Ernennung des thatkräftigen alten Feldmarschalls Graf Dohna zum Oberkammerherrn bewirkte, wodurch die strengmonarchische altpreußische Partei am Hofe Friedrich Wilhelm’s IV. eine wesentliche Stärkung erfuhr. Mit regem Eifer und mit Beharrlichkeit verfocht S. ferner beim Könige die rheinischen Pläne Kleist-Retzow’s, mit dem er seit seiner Ernennung zum Oberpräsidenten von Pommern in ein nahes Freundschaftsverhältnis gekommen war, das noch durch verwandtschaftliche Beziehungen befestigt wurde. Der Stil seiner Briefe an Kleist ist für ihn charakteristisch: „Damit ich Dir einmal etwas ganz Neues mittheile, will ich Dir erzählen, daß ich Dich unbeschreiblich lieb habe.“ „Liebster Hans! So muß ich Dich heute anreden, denn es steht mir groß vor der Seele, daß es auf der ganzen weiten Welt keinen Hans gibt, den ich entfernt so liebte wie Dich.“ Ueber Kleist’s Schritte zur Unterdrückung der Aachener Spielbank schrieb er ihm: „Daß Du mit der Spiel-, Sünden- und Schand-Bank in Aachen Ernst machst, darüber werden sich die Engel Gottes freuen!“ Mit Erfolg nahm er sich auch seines alten Freundes Wichern an bei dessen Beschwerden gegen Hinckeldey über die Verwaltung des Moabiter Zellengefängnisses. In bedeutsamer Weise griff er wieder in die Politik Friedrich Wilhelm’s IV. gelegentlich der Krisis im Frühjahr 1854 ein, indem er wesentlich zum Sturze der westmächtlichen Partei in Preußen, namentlich Bunsen’s, beitrug. Vielleicht hat sein Herold Herm. Wagener recht, wenn er ihm den entscheidenden Antheil an der damaligen großen Wendung beimißt. Daß sein Antheil darin wesentlich war, berichtet auch Leopold Gerlach. Schon Anfang März stellte S. dem Könige die Gefahr vor, daß er sich von seinen westmächtlich gesinnten Rathgebern zum Kriege gegen Rußland fortreißen lassen würde, und bearbeitete ihn, Manteuffel zu entlassen, für den er, wie übereinstimmend von Leopold Gerlach und Wagener berichtet wird, Bismarck zum Ministerpräsidenten vorschlug. Auch Roon hat er schon damals zum Kriegsminister vorgeschlagen.

Es war überraschend, daß bei dem Revirement zu Beginn der Regentschaft des Prinzen von Preußen, während Senfft’s Freund Kleist-Retzow und andere verabschiedet wurden, S. im Amte blieb. In dem berühmten Gespräch, das der Prinz mit Bismarck über den Pietismus gehabt hatte, wandte er sich mit besonderer Schärfe gegen S., der zu denen gehöre, die alles katholisch machen wollten. Und die Stelle im Regierungsprogramm des Regenten vom November 1858 über die zu entlarvenden Heuchler klang doch ebenfalls nicht [325] gerade günstig für S. Als nun aber Ende 1858 das von dem Prinzregenten gewählte Ministerium auch auf Senfft’s Verabschiedung drängte, versagte der Regent sich dem mit Festigkeit. Es zeigte sich, daß er für S. etwas übrig hatte. Noch im November 1861 bestätigte Max Duncker es dem die Beseitigung der Hochkirchlichen anstrebenden Theodor Bernhardi, daß Wilhelm I. gerade an Senfft-Pilsach festhalte, weil er dessen staatsmännische Eigenschaften schätze. Ja Wilhelm I. hat S. im Sommer 1861 neben einem anderen erklärten Vertrauten, dem Regierungspräsidenten v. Möller, Kleist-Retzow’s intimem Gegner am Rhein, für ein Ministerium ins Auge gefaßt, war allerdings nicht mit der dabei von S. beobachteten Haltung einverstanden. Wir werden in dieser Schätzung Senfft’s wieder den praktischen Blick Wilhelm’s I. zu erkennen haben, der über der Abneigung gegen das Puritanerthum doch die politische Befähigung des Mannes nicht verkannte. Später scheint sich seine Werthschätzung Senfft’s noch gesteigert zu haben. Wenigstens schrieb Kleist-Retzow am 9. December 1878 an Bismarck über S.: „Des Kaisers Majestät schätzt ihn ganz besonders, seitdem er seine Correspondenz mit Friedrich Wilhelm IV. von dem Jahre 1848 an gelesen hat.“ Oeffentlich gab Wilhelm I. seiner Gewogenheit für den Oberpräsidenten dadurch Ausdruck, daß er ihn am Tage seiner Krönung zum Wirklichen Geheimen Rathe ernannte.

Der politische Einfluß, den S. als Oberpräsident unter Wilhelm I. besaß, wurde, namentlich seitdem Bismarck das Ruder führte, freilich bald mehr beschränkt. Das neue Regiment erwehrte sich der unaufhörlichen persönlichen Rücksprachen Senfft’s. Zuerst holte sich S. eine Abweisung von Roon, dann von v. d. Heydt, dann erging am 25. Mai 1861 eine scharfe Zurechtweisung durch den König an S.: nur in besonders dringlichen Fällen dürfe er nach Berlin kommen. S. empfand diese Einengung schmerzlich. Im October 1864 zog er sich aber eine verschärfte Rectifikation wegen seiner übrigens lediglich im dienstlichen Interesse nach Berlin unternommenen Fahrten zu. In einer beweglichen Eingabe bezeichnete er die ihm widerfahrene Behandlung als eines Oberpräsidenten nicht würdig. Aber das Mittel, den Abschied zu fordern, das früher öfter von ihm mit Erfolg angewandt war, fruchtete jetzt nichts mehr. Man rümpfte wohl die Nase darüber und lächelte, und der König ertheilte den Abschied nicht. Der geschickte Behandler der Menschen zeigte sich in S. wieder darin, daß er auch dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dessen Gemahlin, die damals öfter in Stettin Hof hielten, da der Kronprinz die Würde eines Statthalters von Pommern innehatte, näher zu kommen verstand. S. brachte den Gedanken auf, daß der Kronprinz an die Spitze der Civilverwaltung von Pommern treten sollte. Der Kronprinz erklärte zwar, er traue sich die erforderlichen Eigenschaften nicht zu, die Kronprinzessin dagegen rief aus: „Lieber heute als morgen“. Diese Idee, den Statthalter von Pommern in dieser Provinz mit der obersten Militär- und Civilgewalt zugleich zu bekleiden, brachte er im Sommer 1865 von neuem auf und steckte sich hinter Roon, um sie zu betreiben. Roon wollte darin nur ein Scheinmanöver Senfft’s erkennen, mit dessen Hülfe der schlaue Mann die damalige Stellung des Ministeriums zum Thronfolger erfahren wollte. Das Wohlwollen des kronprinzlichen Paares für S. trat u. a. darin zu Tage, daß es sich bei verschiedenen Unfällen, von denen S. betroffen wurde, geflissentlich telegraphisch nach seinem Befinden erkundigte. Nach dem Kriege gegen Oesterreich suchte S. unter dem 8. August nochmals dringlich um seinen Abschied nach. Er war jetzt über 70 Jahre alt und durch verschiedene böse Bein- und Armbrüche hinfällig geworden. In seinem Abschiedsgesuch sprach er dem Könige seinen Glückwunsch zur Heimkehr aus: „Wie glänzend hat die Reorganisation der Armee sich bewährt. Und wie über alles [326] glänzend hat sich der Segen des Bußtages erwiesen, mit dem Ew. Kgl. Majestät den Krieg begonnen haben!“ Unter dem 12. October gewährte Wilhelm I. ihm den Abschied. Noch vorher, am 5. October, richtete er an den alten Diener ein auch mit Bonmots gewürztes Privatschreiben, in dem es hieß: „Sie wissen, daß ich lange gezögert habe, auf Ihr Entlassungsgesuch einzugehen, und jetzt wird es Ihnen selbst lieb gewesen sein, die große Zeit des Jahres 1866 nach activ erlebt zu haben. Da es nun aber wirklich Ernst wird, so will ich doch vorher Ihnen einen unter dem 2. d. M. ausgesprochenen Wunsch erfüllen und Ihnen ein Andenken senden, wie Sie es sich erbeten haben. Der beifolgende Stock ist Ihrem Verlangen nach hoffentlich werthlos genug; daß ich ihn aber gebraucht habe, beweist der abgetragene untere Beschlag. Mögen Sie ihn, wenn er nicht zu schwach ist für das Leiden, welches Ihnen Ihr wiederholter Beinbruch verursachen muß, als ein Andenken an mich betrachten, der ich … das Regiment, wie Sie es in so langer Zeit geführt haben in Ihrem lieben Pommern, stets in regster Dankbarkeit anerkannt habe und anerkennen werde.“

S. blieben noch sechzehn Jahre zu leben übrig. Regen Geistes verfolgte er in dieser Zeit den Gang der Politik. Mit Bismarck unterhielt er ständig Beziehungen, besonders durch den gemeinsamen Freund Herm. Wagener. Der leitende Staatsmann hatte während der Amtszeit Senfft’s und auch vielleicht noch später diesen Canal öfter benutzt. Gelegentlich hatte er direkt einen freundschaftlichen Druck auf ihn ausgeübt, so in der Frage der Beeinflussung der Landräthe bei den Wahlen in einem interessanten Briefe vom 17. September 1863, in dem er ihm persönlich die Verantwortung für das Verhalten der pommerschen Landräthe zuschob. In den Complikationen, in die Wagener später verwickelt wurde, beobachtete Bismarck Senfft’s Verhalten mit Mißtrauen. S. selbst verfolgte die Politik des alten Freundes mit wachsender Besorgniß. Namentlich empörte ihn der Culturkampf. Er hat nicht zu den sogenannten Declaranten gehört, die vom 26. Februar bis 21. März 1876 in der Kreuzzeitung gegen die Verunglimpfung dieses Blattes durch Bismarck in der Reichstagssitzung vom 9. Februar jenes Jahres protestirten, obwohl sein alter Freund Thadden-Trieglaff sich diesem Pronunciamento anschloß. Er war doch wohl zu staatsmännisch angelegt, um nicht das Undiplomatische dieses Schrittes zu ermessen. Aber schon drei Jahre vorher suchte er in einem Privatschreiben Bismarck in den Arm zu fallen. Als Bismarck im März 1873 daranging, durch Abänderung der Artikel 15 und 18 der preußischen Verfassung das Recht der evangelischen und römischen Kirche, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, zu beeinträchtigen, da übermannte den 77jährigen S. die Erregung und er richtete am 20. März 1873, kurz nachdem Bismarck im Herrenhause für die Abänderung der genannten Artikel gestimmt hatte, jenen berufenen Brief an den Kanzler, in dem er den leitenden Staatsmann um seines Seelenheils willen beschwor, von dieser verhängnisvollen Politik abzulassen und seinen hochfahrenden Sinn zu ändern. Das Schreiben war mit berechneter Feinheit stilisirt. Der alte Prediger der pommerschen Erweckten gedachte noch einmal eine Bußpredigt zu halten und damit auf den größten seiner Zeitgenossen eine zerknirschende Wirkung zu erzielen, wie einst auf die pommerschen Strandbewohner. Die Klimax, die neben sonstigen beweglichen Ausführungen den Mittelpunkt bildete, sollte ein Schuß ins innerste Herz Bismarck’s sein: „Nur die eine unterthänige Bitte wollen Eure Durchlaucht mir erlauben: daß Hochdieselben sich ermannen in der Demuth, ermannen in Gott, ermannen in dem Herrn, der Sie geliebt hat bis in den Tod und der Seine durchgrabenen Hände auch heute noch nach Ihnen ausstreckt.“ Sollte [327] der Kanzler der Buße widerstreben, so schloß das Schreiben, dann würde er ohne Zweifel Gottes Gericht verfallen. Wenn man sich in die Seele des Puritaners von Rottnow und Gramenz hineinversetzt, so wird man zu urtheilen haben, daß die Gesinnung, die aus dieser Mahnung zur Buße sprach, aufrichtig war. S. war thatsächlich von dem Glauben erfüllt, daß Bismarck’s Seele auf dem Wege des in der That so verfehlten Culturkampfes verloren ginge und sorgte sich innig darum. Er war der Ansicht, die auch andere namhafte Vertreter der Frommen im Lande hatten, daß der Kanzler, durch seine Erfolge berauscht, von Hoffart verblendet war. Daß er in diesem Falle sich vermaß zu richten, wo seines Amtes zu richten nicht war, entging dem alten Herrn in der Angst um das Wohl der Kirche und kann ihm nicht allzusehr verdacht werden. Bismarck hat augenscheinlich die widerwärtige Empfindung gehabt, daß er es hier mit Heuchelei zu thun hätte. Die Antwort, die er dem einst so verehrten Manne noch an demselben Tage zugehen ließ, war zermalmend. „Daß Sie den Inhalt Ihres Schreibens; in der Rückanwendung auf Sich Selbst Sich in täglichem Gebete gegenwärtig halten, davon bin ich überzeugt … In ehrlicher Buße thue ich mein Tagewerk ohne Euer Excellenz Ermahnung; aber wenn ich in Furcht und Liebe Gottes meinem angestammten Könige in Treue und mit erschöpfender Arbeit diene, so wird der pharisäische Mißbrauch, den die pommerschen wie die römischen Gegner mit Gottes Wort treiben, mich in meinem Vertrauen auf Christi Verdienst dabei nicht irre machen. Ich bitte Eure Excellenz, Sich Ihrerseits vorzusehen, daß Sie dem Gericht Gottes nicht eben durch die Ueberhebung Ihrer an mich gerichteten Warnung verfallen.“ Dabei verwies er S. auf Psalm 12, 4–5 und Psalm 3. Diese Zurückweisung Senfft-Pilsach’s ist eins der merkwürdigsten Actenstücke zur Beurtheilung Bismarck’s, wie das Schreiben Senfft’s auch ungewöhnlich charakteristisch für diesen ist. Bismarck’s Brief sieht so aus, als wenn er den endgültigen Bruch eines alten Freundschaftsverhältnisses bedeutet. Doch wenn man einem Schreiben Kleist-Retzow’s trauen darf, so hat Bismarck trotzdem noch dem alten Oberpräsidenten S. Werthschätzung bewahrt. Denn noch am 9. December 1878 schrieb Kleist an seinen „geliebten Otto“, mit dem er sich erst kürzlich nach langer Entfremdung wieder ausgesöhnt hatte: „Wie hoch Du v. Senfft-Gramenz schätzst, weiß ich“, und zugleich wagte er sich bei dem allmächtigen Kanzler für S. in Sachen der Geldschwierigkeiten, in die dieser erneut gerathen war, zu verwenden. Und auch S. wagte noch zu derselben Zeit, den Kanzler wegen dieser seiner Geldverlegenheiten anzugehen.

Diese Geldschwierigkeiten bildeten ein trauriges Capitel in Senfft’s Dasein. Die hohe Verschuldung von Gramenz in früherer Zeit rächte sich. Und S. hat es nicht verstanden, sich von dieser Calamität zu befreien, sich vielmehr durch unausgesetztes Projectemachen in immer größere Geldverlegenheiten verstrickt. Es kam so weit, daß öffentlich und, wie es dann zu gehen pflegt, unter Entstellungen darüber gesprochen wurde. So sah sich Kleist-Retzow veranlaßt, Angaben, die Gustav Schmoller im Colleg zu Straßburg gemacht hatte, durch schriftliche Aufzeichnungen, die er seinem in Straßburg studirenden Sohne sandte, entgegenzutreten. Auf seinem großen Gütercomplex Gramenz, Zechendorf, Althütten und Schofhütten, der etwa 16 000 Morgen umfaßte und von dem etwa 12 000 Morgen Acker und Wiesen waren, hatte S. eine vorzügliche Anlage künstlicher Wiesen von etwa 2000 Morgen Umfang ins Werk gesetzt, zu der das Wasser durch einen großen Canal von weither geleitet und in großen Bassins gesammelt wurde. Um den Betrieb seiner Landwirthschaft noch schwunghafter zu machen, namentlich zur Neuanlage von Brennereien und zur Durchführung der Drainage, kam er auf den Gedanken der Stiftung einer [328] „pommersch-rheinischen Ackerbaugesellschaft“. Die Grundgedanken waren: die großen Flächen der Besitzungen in Pommern bringen noch lange nicht den möglichst hohen Ertrag, weil den Besitzern das entsprechende Capital fehlt. Durch das Zusammentreten von Capitalisten und Landwirthen müsse es möglich sein, ein größeres Capital durch Anpachtung und Bewirthschaftung größerer Güter reich zu verzinsen und die Landwirthschaft der Provinz wesentlich zu heben. Das Capital aber fand wenig Neigung, sich an solchen Unternehmungen zu betheiligen. Es blieb bei der Anpachtung der Gramenzer Güter. S. besaß über die Hälfte der Actien. Der von ihm erhoffte schwunghaftere Betrieb wurde nicht erzielt. Und so gerieth er in eine solche Verlegenheit, daß sein wirthschaftlicher Zusammenbruch drohte. Man wird lebhaft an den großen Colonisator Friedrich’s II., Franz Balthasar Schönberg v. Brenckenhoff, erinnert, mit dem S.-P. in seinem Meliorationstrieb und seiner Projectenmacherei schon früh Aehnlichkeit zeigte und dessen Ausgang auch so unglücklich war, wenn Brenckenhoff auch als Colonisator ungleich bedeutender gewesen ist. Daß es mit S.-P. schließlich nicht einen so üblen Ausgang wie mit Brenckenhoff nahm, hatte er seinem treuen Freunde Kleist-Retzow zu verdanken. Der nahm sich seiner in der thatkräftigsten Weise an. Freilich scheint jene Vorstellung bei Bismarck nichts genutzt zu haben, obwohl Kleist den Kanzler daran erinnerte, daß König Friedrich Wilhelm IV. einst S. verheißen hatte, Gramenz zur Sicherung seiner Gläubiger nach einer Taxe zu kaufen. „Und eines Königs Wort soll der Hausminister nicht deuten.“ Auch Vorstellungen Kleist’s bei der zuständigen Stelle, dem Hausminister v. Schleinitz, der zweifellos dem Gramenzer persönlich abgeneigt war, blieben fruchtlos. Dann aber wußte der unermüdliche Kleist Senfft’s Nachfolger, den Oberpräsidenten von Münchhausen, mobil für S. zu machen. Münchhausen reiste auf Kleist’s Veranlassung nach Berlin und nahm sich in einer Audienz beim Kaiser am 30. Januar 1880 warm seines Vorgängers an. Zwar meinte Kaiser Wilhelm bei aller Anerkennung der Verdienste Senfft’s, daß für diesen „schon viel, sehr viel“ geschehen sei; doch ermächtigte er Münchhausen zu Verhandlungen mit Schleinitz wegen des Ankaufs von Gramenz. Aber so lange Schleinitz im Amte war, geschah nichts. Darüber starb S.-P. am 13. November 1882 im 88. Jahre. Erst der Nachfolger von Schleinitz, der Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode, bewerkstelligte es, daß die Herrschaft Gramenz am 17. März 1887 für den angemessenen Preis von 800 000 Thalern in den Besitz der Krone überging und dadurch die Familie Senfft’s aus der Geldschwierigkeit erlöst wurde. In seinen letzten Lebensjahren war S. ans Krankenlager gefesselt und schließlich des Gebrauchs seiner Glieder fast beraubt. Aber noch bis zuletzt beschäftigten ihn Fragen des Verkehrslebens und der Landescultur. Noch einige Wochen vor seinem Tode dictirte er fast einen Tag lang eine Denkschrift über derartige Fragen. Kurz vor seinem Ableben empfing er noch seinen alten Freund Herm. Wagener, der längst zu den Geächteten gehörte, und gewährte ihm Einblick in alle seine Correspondenzen. Sein Hinscheiden wurde wenig beachtet. Er war eben schon ziemlich allgemein in Vergessenheit gerathen. Und doch ist er ohne Zweifel eine höchst merkwürdige und bedeutende Erscheinung von großen persönlichen Eigenschaften gewesen; sonst wäre das Vertrauen, das ihm die verschiedenartigsten Naturen schenkten und der große Einfluß, den er namentlich unter König Friedrich Wilhelm IV. erwarb, nicht zu erklären. Der Gesammteindruck, den man von seinem Wesen empfängt, kann freilich nicht sonderlich befriedigend genannt werden.

[329] Personalacten Senfft-Pilsach’s auf dem Oberpräsidium zu Stettin. – Handschriftlicher Nachlaß Kleist-Retzow’s. – Aufzeichnungen des Generals Leopold v. Gerlach (nur zum Theil in dessen Denkwürdigkeiten gedruckt). – Aufzeichnungen Ernst Ludwig’s v. Gerlach. Schwerin 1903. – Herm. Wagener, Die Politik Friedrich Wilhelm’s IV. Berlin 1883. – Nekrolog in der Kreuzzeitung vom 15. Nov. 1882. – E. v. Glasenapp, Beiträge zur Geschichte der v. Glasenapp. Berlin 1884. – Otto v. d. Recke, Geschichte der Herren v. d. Recke. Breslau 1878. – v. Priesdorff, Officier-Stammliste des Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm IV. (1. Pomm.) Nr. 2. Berlin 1906. – Wichern, Briefe u. Tagebuchblätter. Hamburg 1901. – Eleonore Fürstin Reuß, Thadden-Trieglaff. 2. Aufl. Berlin 1894. – Wangemann, Regen und Ringen am Ostseestrande. Berlin 1861. – Fr. Meinecke, Bismarck’s Eintritt in den christlich-germanischen Kreis. Hist. Zeitschr. 90, 56 ff. – Wangemann, Die kirchliche Cabinetspolitik Friedrich Wilhelm’s III. Berlin 1884. – v. Stojentin, Geschichte des landwirthschaftlichen Vereins zu Regenwalde. Stettin 1906. – Charlotte Broicher und Arnold v. Senfft in den Preußischen Jahrbüchern Bd. 130, S. 233 u. Bd. 131, S. 197. – Der Briefwechsel zwischen Bismarck und S.-P. vom 20. März 1873 bei H. Kohl, Bismarckjahrbuch I, 85–87. Bismarcks Brief an S., vom 17. Sept. 1863. Bismarckjahrbuch VI, 200 f. – Das Schreiben König Wilhelm’s vom 5. Oct. 1866 vollständig im Hohenzollernjahrbuch. – Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen des Fürsten Bismarck, Bd. II. – Roon’s Denkwürdigkeiten. – Poschinger, Unter Friedrich Wilhelm IV., Bd. II. 1907. – Treitschke, Deutsche Geschichte V, 26. – Sybel, Begründung des deutschen Reiches durch Wilhelm I., Bd. II, 104. – Natzmer, Unter den Hohenzollern IV, 147. – H. Kohl, Bismarckbriefe. – Tagebücher Theodor v. Bernhardi’s IV, 161 f. – Kreuzzeitung, 14. November 1882. Nekrolog auf Thuiskon Beutner. – Petersdorff, Kleist-Retzow. Stuttgart u. Berlin 1907. – Im Register zu Varnhagen’s Tagebüchern ist Senfft-Pilsach meist mit seinem Bruder, dem Herrenhaus-Mitglied Oberstlieutenant a. D. Adolf v. S.-P. auf Sandow in der Mark (vgl. oben Anfang dieses Artikels) verwechselt worden.