ADB:Schwarz, Sibylle
Wallenstein’sches Kriegsvolk in Greifswald ein und hielt dasselbe vier Jahre hindurch besetzt. Mit demselben kamen alle Greuel und Leiden des Krieges über die unglückliche Stadt, noch vermehrt durch den Ausbruch einer Seuche; erst mit dem Einzuge Gustav Adolf’s am 17. Juni 1631 kam den geängstigten Einwohnern die Befreiung. Unter diesen Leiden und Weltereignissen wuchs Sibylla auf als ein eigenartiges Kind; selbst in ihre Familie griff das Unglück mit schwerer Hand, indem ihr Schwager Christoph Bünsow (1629) und ihre Mutter (1630) bald hinter einander starben; der tiefe Seelenschmerz der Tochter klingt noch in einem fünf Jahre später verfaßten Gedichte wieder. Dazu kam, daß der Vater drei volle Jahre in Besorgung von Landesgeschäften zu Stettin abwesend war und seinem Hause nicht mit Rath und That in so drangvoller Lage beistehen konnte. Bald nach seiner Heimkehr verheirathete sich ihre verwittwete Schwester Regina zum zweiten Male mit dem Generalsuperintendenten v. Krakewitz. Bedeutsam für die junge Dichterin wurde die im Jahre 1634 erfolgte Ankunft des jungen Herzogs Ernst von Croy und Arschott, welcher auf der Landeshochschule den Studien obliegen wollte, sofern sie, die von ihrem 10. Jahre ab sich in der Stille poetisch versucht hatte, zum ersten Mal an jenem Tage mit einem Gedichte zur Begrüßung des jungen Herzogs, der als Sohn von Anna v. Croy Bogislaw’s XIV. Neffe war, in die Oeffentlichkeit trat. Seine Einführung in das ihm von der Universität übertragene Rectoramt (3. Nov.) feierte dagegen Sibyllens Vater in lateinischen Versen. Einen wohlwollenden Beurtheiler und Förderer ihrer dichterischen Versuche fand Sibylla an dem Arzt und Professor der Mathematik J. Schöner, einem vielseitig und fein gebildeten Manne, welcher sie gegen mißgünstige Auffassung von Seiten ihrer Angehörigen und Freundinnen in Schutz nahm und darum ihre ungetheilte Verehrung genoß. Derselben gab sie beim Tode seiner Gattin, 18. Nov. 1634 durch ein Trostgedicht an ihn und die verwaisten Kinder den entsprechenden Ausdruck; auch dem jüngsten Kinde widmete sie bei dem Tode desselben einen poetischen Nachruf. Vornehmlich den Empfindungen der Liebe und Freundschaft gab sie in ihrer Poesie einen treuen und warmen Ausdruck, welcher sich mitunter zu edlem Pathos steigert, doch hielt sich ihre Muse von Sarkasmen nicht frei. Herben Spott offenbart das Gedicht „An den unadligen Adel“, in welchem sie sich gegen leere Formen und hohle Aufgeblasenheit wendet. Auch als ihr Freund Schöner (1. Nov. 1636) mit [249] Elisabeth v. Stetten eine neue Ehe einging, feierte Sibylla diesen Act mit einem Festgedicht voll sarkastischer Laune. Bei aller Verschiedenheit jedoch im einzelnen klingt vernehmlich genug ein Grundton durch ihre Dichtungen wieder, das durch den Krieg heraufgeführte Unglück ihres Landes sowie ihrer Familie, und immer aufs neue stellt sie wehmüthige Betrachtungen darüber an. Als mit dem Tode Bogislaw’s XIV. am 10. März 1637 das einheimische Herrscherhaus erlosch und Pommern an Schweden fiel, dichtete Sibylla den Trauergesang auf ihres letzten Landesfürsten Tod. Mit besonderer Vorliebe besang sie das nahe bei Greifswald an der See gelegene Gut Frätow; dieselbe erklärt sich dadurch, daß sie dort fern von dem Gewirr und der Noth der Stadt im Kreise trauter Freundinnen den Frieden und die Ruhe der Seele fand. Dorthin versetzt sie den ganzen Helicon, hier läßt sie sogar die Venus aus den Fluthen steigen. Aber auch jenes idyllische Asyl nahm ihr der Krieg, indem es von der schwedischen Soldatesca eingeäschert ward, sodaß sich die Dichterin nach Greifswald flüchten mußte. Dies Ereigniß stellte sie in einem Trauerspiel dar, in welchem sie den ganzen Olymp zur Mitfeier aufbot. Nunmehr war ihr das einzige und letzte Sorgenfrei genommen, in der Welt hatte sie fortan keinen Halt mehr. Ihr Schwanenlied war ein Gedicht auf die endlich zu Stande gekommene Verbindung ihrer Schwester Emerentia mit dem Dr. Hermann Querinus. Nach kurzem Krankenlager starb sie in ihrem noch nicht vollendeten achtzehnten Lebensjahre am Hochzeitstage ihrer Schwester. In dem südlichen Chorumgange der Nicolaikirche zu Greifswald hängt ein Epitaphium der Familie Schwarz, auf welchem unter einer Copie nach Rembrandt, welche Christus vor Pilatus darstellt, die Mitglieder der Familie Schwarz abgebildet sind; in der Mitte zwischen dem Vater und der Mutter kniet Sibylla, gleich ihren Eltern, ihren vier Brüdern und zwei Schwestern die Hände zum Gebet gefaltet. Von Dichtern und Dichterfreunden der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts als zehnte Muse, als großer Geist und Wunder ihrer Zeit gepriesen, wird sie auch in den neuesten Lehrbüchern bis auf Koberstein und Gervinus herab noch immer mit Ehren neben ihrem Meister Opitz in der ersten schlesischen Dichterschule genannt. Eine „Cypresse“ hat ihr der heimathliche Sänger Karl Lappe in den „Blüthen des Alters“ Stralsund 1841, S. 170 gewidmet.
Schwarz: Sibylla S., wegen frühgereiften Dichtertalentes und vorzeitigen Ablebens die „pommersche Sappho“ genannt, ward am 14. Februar 1621 zu Greifswald geboren und starb am 31. Juli 1638 ebendaselbst. Ihr Vater Christian S. wie die Mutter Regina Völschow, Wittwe des Bürgermeisters J. Brunnemann, einem alten städtischen Patriciergeschlecht angehörig, wurde, gleich seinen Vorfahren, Mitglied des Rathes, 1610 Rathsherr und von 1631–48 Bürgermeister und Landrath. Da Sibylla’s Leben in die Zeit des dreißigjährigen Kriegs fällt, so wurde ihr poetisches Schaffen wesentlich durch denselben bestimmt und spiegelt jene traurigste Zeit Deutschlands wieder. Am 30. November 1627 rückte- Wöhler in der Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde, Jahrg. XV, Seite 70–89. – Giesebrecht, Ueber einige Gedichte der Sibylla Schwarz. Stettin 1865. – Sib. S.’ Gedichte aus ihren Handschriften, herausgegeben durch Samuel Gerlach, Danzig 1650. – Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald, Greifswald 1857.