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ADB:Schramm, Rudolf

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Artikel „Schramm, Rudolph“ von Rud. Schramm. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 446–450, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schramm,_Rudolf&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 10:38 Uhr UTC)
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Schramm: Rudolph S., k. preußischer Generalconsul a. D., geboren am 8. Januar 1813 zu Elberfeld, † am 5. October 1882 zu Baden-Baden, Publicist. S. stammte ab von dem alten niederrheinischen Rittergeschlecht Schramm v. Horrem (auch v. Hornum benannt), dessen Mitglieder zu Anfang des 17. Jahrhunderts [447] zur Reformation übertraten und deren Nachkommen infolge ihres unerschrockenen Eintretens für ihren Glauben bei dessen Unterdrückung in der Rheinprovinz durch die Spanier viele Verfolgung erlitten. Sein Vater, Johann Wilhelm S., gehörte zu denjenigen Rheinländern, welche unter dem französischen Regimente ihre deutsche Gesinnung bewährt und vor der Schlacht von Belle-Alliance entschlossen um die preußische Regierung sich geschart hatten.

Rudolph S. studirte Philosophie und Jura in Bonn und Berlin, an letzterer Universität gleichzeitig mit dem späteren Reichskanzler Fürsten Bismarck, mit welchem er bekannt wurde. Er trat dann als Auscultator bei dem Landgericht in Saarbrücken ein und ging als Referendar nach Köln, wo er zur Regierung übertrat. Hier gehörte er zu denjenigen Männern, von welchen die Idee des Kölner Dombauvereins ausging. Er lehnte als Protestant im Interesse der Sache die Secretärstelle ab, wurde aber thätiges Mitglied des ersten Central-Dombauvorstandes. Als anfangs der 40er Jahre die Kölner Bürgerschaft eine Petition um Preßfreiheit an den rheinischen Landtag beschloß, beauftragte sie S. mit deren Abfassung. Der spätere Ministerpräsident Ludolf Camphausen und der spätere Regierungspräsident v. Wittgenstein waren die ersten Unterzeichner. Auch an dem im Entstehen begriffenen Eisenbahnwesen nahm S. lebhaften Antheil, er veröffentlichte zwei Schriften über damalige Fragen und trat in die Direction der Bonn-Kölner Eisenbahngesellschaft ein. Um sein Assessorexamen zu machen, begab er sich 1845 nach Berlin und wurde, als die Agitation für Einführung einer constitutionellen Regierungsform begann, bald in den Strom des politischen Lebens hineingezogen. Er wurde zum Präsidenten des demokratischen Clubs in Berlin erwählt und dann 1848 als Vertreter des Kreises Striegau-Schweidnitz-Neumarkt in die constituirende preußische Nationalversammlung gesandt. Seinen damaligen politischen Standpunkt kennzeichnet die Aeußerung: „Es müssen jetzt bei Beginn der neuen Staatsbildung das im Läuterungsfeuer der Zeit, im Glanze der Idee gereinigte und erhobene Königthum und das allgemeine Staatsbürgerthum unerschütterlich zusammenstehen“. (Der Standpunkt der Demokratie in und zur octroyirten zweiten Kammer. Berlin 1849). Sein stürmisches Wesen, das Energische in seiner Ausdrucksweise, machte ihn zu einer der charakteristischsten Gestalten jener parlamentarischen Lehrjahre des preußischen Volks, gab leider aber auch seinen Feinden Gelegenheit, ihn republikanischer Tendenzen zu verdächtigen, welche er in Wirklichkeit nicht nur nicht gehabt, sondern sogar bekämpft hat (Offene Correspondenz zwischen Herrn Franz Duncker und Herrn R. S. Berlin 1863, Die Internationale vor dem Reichstag und die Sociale Frage. Mailand 1878). 1849 wurde er auf die falsche Anschuldigung hin, in seinem Wahlkreise die Ausführung des Steuerverweigerungsbeschlusses der Nationalversammlung angeregt zu haben, in contumaciam zu 6 Monat Festung verurtheilt. Er wartete im Ausland den Sturz des Reactions-Ministeriums Manteuffel ab und stellte sich dann zur contradictorischen Verhandlung, worauf er am 8. März 1859 von der Criminal-Deputation des Berliner Stadtgerichts freigesprochen wurde. Zehn Jahre hatte sein Exil gedauert und enttäuscht durch die engherzigen politischen Anschauungen, welche er in der Heimath vorfand, kehrte er zunächst wieder nach England zurück, wo sein eigener Gesichtskreis in der politisch reiferen Umgebung sich so bedeutend erweitert hatte. Bereits 1855, als König Friedrich Wilhelm IV. zu einem neuen, preußischen Anfange der deutschen Kriegsflotte und deutscher Küstenwerke sich entschlossen, hatte S. in London eine Broschüre „Der Norddeutsche Staat“ gegen die hannöverschen Intriguen gegen Preußens Kriegshafen am Jadebusen geschrieben. In dieser Schrift ist nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg der preußischen Politik von 1866 mit größter Bestimmtheit vorgezeichnet. Die Unerläßlichkeit des Kampfes [448] mit Oesterreich wird hervorgehoben, indem die Scheidung des neuen von dem alten Staate nicht zwischen Preußen und Hannover, sondern zwischen Preußen und Oesterreich zu geschehen habe, damit das reformirte national-deutsche Kaiserthum unter erblicher brandenburgischer Kaiserdynastie, wonach Deutschlands ganze Entwickelung dränge, siegreich geboren werden könne. Als 1861 König Wilhelm seinem Bruder auf dem Throne folgte, ernannte er den bisherigen Gesandten in London, Grafen v. Bernstorff zum Minister des Auswärtigen. Derselbe befand sich in genanntem Jahre im Gefolge des Königs in Ostende. Der Graf, welcher Schramm’s Schrift „Der Norddeutsche Staat“ gelesen hatte, wünschte den ihm bisher persönlich unbekannten Verfasser kennen zu lernen, und da er erfuhr, daß derselbe sich in diesem Jahre, wie in manchem früheren, der Seebäder halber ebenfalls in Ostende aufhalte, ließ er ihn am 10. September 1861 um eine Unterredung bitten. In derselben theilte er ihm dann mit, daß Tags zuvor Seine Majestät in Ostende eine Conferenz mit seinen Ministern abgehalten habe, welcher auch der Großherzog von Baden und dessen Minister Freiherr v. Roggenbach beigewohnt hatten, und in welcher der König nicht nur seinen Entschluß die deutsche Reform in Angriff zu nehmen, sondern auch seinen Plan zur Reichsschöpfung mitgetheilt habe (Glossen, Heft I, Mailand 1876). Graf Bernstorff’s Aufforderung, für des Königs Plan, dessen Einzelheiten er ihm mitgetheilt hatte, zu wirken, kam S. nach, indem er sich nach Deutschland begab und die liberalen Parteiführer, namentlich des Nationalvereins, für denselben zu gewinnen suchte. In der Festschrift „Zur Krönung“ Berlin 1861 gab er der Begeisterung, welche des Königs persönliche Initiative in ihm wachgerufen, Ausdruck. Nur zu bald mußte er sich aber überzeugen, daß die in der Heimath gebliebenen liberalen Politiker noch zu sehr in den alten Gegensätzen gegen die Regierung feststeckten, um des neuen Königs Losung „Erst die Einheit, dann die Freiheit“ anzunehmen. S. selbst ließ sich dadurch aber nicht irre machen und trat unbekümmert um Anfeindung auf das nachdrücklichste für die Durchführung der Heeresorganisation ein in der Ueberzeugung, daß die große liberale Partei der Conflictszeit, im besonderen der ausschlagende Theil, die damalige Fortschrittspartei, einen großen politischen Fehler machte, indem sie die Heeresorganisation, dieselbe blos vom Standpunkte des inneren Staatsrechts aus betrachtend und die unbedingte Nothwendigkeit derselben zur Lösung der deutschen Frage verkennend, rücksichtslos ablehnte (Die Fortschrittsprogrammisten und die Ideen der Demokratie und des deutschen Volksthums. Berlin 1861). S. hoffte auf die Bildung einer neuen nationalen Partei, in welcher er neben früheren Gegnern auch mehr als einen alten politischen Freund finden werde. In dieser Gesinnung hat er sich Herrn v. Bismarck angeschlossen, welcher dem Grafen Bernstorff im Amte gefolgt war, als sich dieser der ihm gestellten Aufgabe nicht gewachsen gezeigt hatte. Bei der Beurtheilung dieses Schrittes, wegen dessen er auf das heftigste angegriffen worden ist, darf man nicht vergessen, daß S. die Reactionsperiode von 1849 bis 1860 nicht mitdurchlebt hatte, sondern während derselben sich in England befand und äußerlich, wie innerlich von ihr ganz unberührt geblieben war. Er erkannte in dem neuen Minister nicht einen principiellen Gegner liberaler Bestrebungen, sondern nur den energischen und resoluten Staatsmann, welcher die Kraft besaß, des Königs Pläne zu verwirklichen. Herr v. Bismarck erinnerte sich Schramm’s von der Universität her, sie hatten auf derselben beide einem „Englischen Kränzchen“ angehört. Welchen Werth der Ministerpräsident auf Schramm’s politische Anschauungen legte, läßt sich daraus ermessen, daß er ihn persönlich auch mit dem Kriegsminister v. Roon in Verbindung setzte, zu dem dann S. bis zu dessen Tode in freundschaftlichem Verkehr geblieben ist. Diese persönlichen Beziehungen machten es S. damals auch möglich, seinem Freunde Lothar Bucher, welcher [449] seitdem eine so verdienstvolle Thätigkeit im Auswärtigen Amte ausgeübt hat, den Wiedereintritt in den Staatsdienst zu vermitteln. Als dann die schleswig-holstein’sche Frage zum Austrag kam und der Krieg mit Dänemark die Reihe jener glorreichen Feldzüge eröffnete, deren endlicher Erfolg die Wiedergeburt des Deutschen Reiches gewesen ist, machte S. rechtzeitig aufmerksam auf die Ungedecktheit der deutschen Nordgrenze und auf die Unentbehrlichkeit des Hafens von Kiel für Preußen. Er reiste selbst nach dem Kriegsschauplatz und veröffentlichte nacheinander vier Broschüren, in welchen er unter Hervorhebung der preußischen Erbansprüche auf die Herzogthümer das nationale Interesse gegen die Prätensionen des Kieler akademischen Senats und des Herzogs von Augustenburg vertrat. Den Segen, welchen die preußische Verwaltung seiner eigenen engeren Heimath gebracht hatte, beschrieb er in der Festschrift: „Zur fünfzigjährigen Jubelfeier der Einverleibung der Rheinprovinz von einem Rheinpreußen“, Berlin 1865. Endlich nahte die von ihm lange vorhergesagte Stunde der Entscheidung zwischen Oesterreich und Preußen heran und da Preußen infolge des Umzuges der Gesandtschaft von Turin nach Florenz in Oberitalien keinen zuverlässigen Vertreter hatte, nahm S. das als politischer Vorposten wichtige Consulat in Mailand an, welches für die Dauer seiner Amtsführung zu einem Generalconsulat erhoben wurde, aber unbesoldet blieb. Die Alliance-Verhandlungen zwischen Italien und Preußen schritten nur langsam voran. Am 22. März 1866 berichtete der italienische Unterhändler in Berlin, General Govone, an seine Regierung, daß nunmehr jede Hoffnung, Preußen werde sich zum Kriege bereit erklären, geschwunden sei und sein eigenes weiteres Verbleiben in Berlin keinen Zweck mehr habe. Merkwürdigerweise hat der Zufall es gewollt, daß S. gerade an demselben Tage die Gelegenheit zu einem Hervortreten benutzte, welches Klarheit in die Situation brachte und auf die öffentliche Meinung und Presse in Italien großen Eindruck gemacht hat (s. S. 36 „Custoza e Lissa“ da Felice Venosta, Milano 1868). Auf seine persönliche Verantwortung und indem er Gefahr lief abgesetzt zu werden, falls es nicht zum Krieg kam, wohnte er dem Todtenamte bei, welches die Stadtgemeinde Mailand alljährlich den 1848 in dem Kampfe gegen die Oesterreicher gefallenen Patrioten feiern läßt und welches keineswegs eine blos städtische, sondern eine nationale Feierlichkeit ist, welcher die Civil- und Militärbehörden des Staats beiwohnen. Schramm’s Auftreten erregte in Wien und in Paris großes Aufsehen; in Mailand erhielt er Danksagungskarten von den höheren Officieren der Nationalgarde und die italienische Presse schlug von Stund an einen kriegerischen für Preußen vertrauensvollen Ton an. Nach dem Prager Frieden bat S. um seine Entlassung, da sein Amt nunmehr jede politische Bedeutung verloren hatte. Sie wurde ihm unter Verdankung der geleisteten Dienste gewährt, da er auf ihr bestand, um sich wieder seiner unabhängigen publicistischen Thätigkeit zuwenden zu können. Die ihm durch seine Amtsführung für Bureaukosten u. s. w. entstandenen baaren Auslagen hat er sich nicht zurückzahlen lassen, wie er denn auch überhaupt für patriotische Zwecke stets freigebig gewesen ist.

Gleich anderen sah S. die „kirchlichen Wirren“ voraus und hoffte, daß dieselben verhindert werden würden. Leider entfremdete er sich durch seine Ansichten auf diesem Gebiete den Fürsten Reichskanzler. S. wünschte die Wahl des Erzbischofs Melchers zu verhindern und den Cardinal Hohenlohe zum Fürsten-Primas von Deutschland ernannt zu sehen (Kirchenpolitische Verantwortlichkeiten, Mailand 1875). Die Mailänder Aristokratie hatte vor und nach dem deutsch-französischen Kriege jede Gelegenheit benutzt, um ihrer Servilität gegen die Napoleoniden Ausdruck zu geben, sie hatten ihnen Standbilder und Reiterstatuen [450] errichtet und auf einem Triumphbogen ihre ephemeren Erfolge über Deutschland in Inschriften verherrlicht. Auf solchen Hohn antwortete S., indem er 1868 in das Wettbuch des Clubs dell’ Unione, dessen langjähriges Mitglied er war, die prophetischen Worte einschrieb: „Ich wette, daß drei Monate nach dem Ausbruch eines Krieges Deutschlands mit Frankreich Napoleon III. aufgehört haben wird zu regieren“. Um diese Zeit veröffentlichte er auch ein Gedicht, welches er „Dem kommenden Kaiser und Reiche deutscher Nation“ widmete. Während des Krieges mit Frankreich 1870 ließ er in einer in Leipzig erschienenen „Kriegsbrochüre“ die Warnung erschallen „Keinen Frieden, der die Keime neuer Kriege in sich führt“, indem er voraussah, daß andernfalls angesichts der stets drohenden Gefahr, die wirthschaftliche Lage des deutschen Volkes sich ungeachtet aller Opfer nicht verbessern könne. Im neuen Reiche bekämpfte S. das Vorwiegen der Ministerialgewalt und drang darauf, daß in einem Staate von der inneren und äußeren Entwickelung Deutschlands, alle den Staat betreffenden Dinge öffentlich behandelt werden müssen (Verfassungswahrheit, Mailand 1879). Gegenüber den utopischen Träumen von allgemeinem Weltfrieden und allgemeiner Entwaffnung hob er hervor, daß in dem herrlichen Worte des Kaisers Wilhelm I. und Alexander II.: „Zu unseren Lebzeiten wollen wir keinen Krieg gegen einander führen“ bereits der Grundsatz des Verzichtes der Kriegserklärung auf bestimmte Zeit ausgesprochen sei, welchem auf dem Wege der Verträge zunächst zwischen den innereuropäischen Großstaaten eine allgemeine Geltung verschafft werden müsse, um so zu einem Bunde des innereuropäischen Friedens zu gelangen, welcher eine Aera niegeahnten Aufschwunges einleiten werde. Er hob die gemeinsamen Interessen Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Oesterreichs gegenüber den besonderen Interessen und Zielen der Weltmächte Großbritannien, Rußland und der nordamerikanischen Vereinigten Staaten hervor. Die Beseitigung der Gefahr eines Krieges unter sich auf längere Jahre, unter gegenseitiger Garantie ihres Länderbesitzstandes, würde den vier innereuropäischen Großstaaten gestatten, ihre Heere bedeutend abzurüsten und dennoch mit ihren vereinten Truppen jeder der drei Weltmächte stets gewachsen zu bleiben (Kaiser Wilhelm I. und das Programm der europäischen Freiheit und des europäischen Friedens, Rede zur Feier des Kaiserbesuches, Mailand 1875). S. hat mit Wort und That den Grundsatz vertreten, daß es nicht nur Recht, sondern auch Pflicht eines jeden Bürgers sei, an dem politischen Leben der Nation unmittelbar theilzunehmen und, daß die Abwälzung dieser persönlichen Verantwortlichkeit auf ein jede Initiative absorbirendes, geschäftsführendes Beamtenthum dem Geiste der germanischen Ordnung widerspreche, deren Grundprincip das Princip der freien Persönlichkeit sei, und somit die glückliche Weiterentwickelung des Reiches in Frage stelle. Unbekümmert um Anfeindung, selbstlos nie den eignen Vortheil, sondern nur das allgemeine Wohl verfolgend, hat er stets furchtlos sein Zeugniß abgelegt, sobald er erkannte, daß die für die Zukunft des Vaterlandes entscheidenden Stunden herannahten. Sein einziger Lohn hat darin bestanden, seinen Lebenswunsch, daß Deutschland einig und stark dastehen möge, in Erfüllung gehen zu sehen.

Gedenkblatt an Rudolph Schramm, Mailand 1883. – Rheinische Wochenschrift, Mainz und Wiesbaden 13. und 20. October 1876. – Berliner Tageblatt, 6. und 11. October 1882. – Allgemeine Zeitung, München 15. Oct. 1882 u. s. w.
Rud. Schramm.