ADB:Schneller, Franz Julius Borgias
Joseph’s II. Begreiflich, daß die außerordentlichen Grundsätze dieses hervorragenden Herrschers den bedeutendsten Einfluß auf den frühreifen Geist des jungen S. gewannen. Mit großem Wissensdrange griff er als Student, nachdem ihn zuerst die Mathematik beschäftigt, zur Rechtswissenschaft und dann noch zu andern Wissenschaften. Der ihm innewohnende starke Trieb sich mitzutheilen und öffentlich handelnd zu zeigen, ließ ihn schon 1795 als Schriftsteller und 1796 als vaterländischen Volksredner unter den Freiburger Studenten und dem eigenartigen Völklein der Hauensteiner auftreten, diese gegen das drohende Heer Moreau’s aufregend. Als die Franzosen jedoch vorrückten, verließ S., der übrigens selbst ein Gefecht bei Wagenstadt mitgemacht, Vorderösterreich und begab sich nach Wien. Dort wirkte der nun auf sich selbst gestellte junge Mann zunächst als Lehrer, nachdem er sich rasch eine tüchtige praktische und litterarische Bildung angeeignet; dann aber war es ihm vergönnt, als Reisebegleiter Paris, London, Venedig und Belgrad zu sehen. Nach seiner Rückkehr im J. 1802 bethätigte er auch als dramatischer Dichter eine neue Seite seiner Begabung. Nach eifrig betriebenen Geschichtsstudien gelang es ihm ferner, eine Preisaufgabe zu lösen und eine Lehrstelle für Geschichte am Lyceum zu Linz zu erringen. Dort in Linz sah und sprach S. Napoleon, dessen eifriger Bewunderer er war und blieb. Eine weitere Stufe erstieg er 1806, als ihm der Lehrstuhl der Geschichte an dem Grazer Lyceum, einer durch Joseph II. des Charakters einer Universität entkleideten Hochschule, übertragen ward. Wenn auch seine häuslichen Verhältnisse durch eine glückliche Heirath und die Geburt (1817) einer Tochter, Ida Gabriele, sich angenehm gestalteten, so machte sich doch später der politische Rückschlag durch über ihn ausgestreute Verdächtigungen, Josephiner und Bonapartist zu sein, peinlich geltend, so daß S. es vorzog, als im J. 1823 der Lehrstuhl der Philosophie zu Freiburg frei ward, sich um diesen zu bewerben. [166] Obwohl nur an dritter Stelle vorgeschlagen, erreichte er es doch, die alte Heimath als Amtsgenosse mehrerer seiner alten Lehrer wiedersehen zu dürfen. Hier nun lehrte er bis zu seinem Tode am 13. Mai 1833, war mehrmals Decan der philosophischen Facultät, 1829/30, im Todesjahre des Großherzogs Ludwig von Baden, Prorector, erhielt 1830 den Titel Hofrath. Obwol bei seinem Kommen sich unliebsame Rangstreitigkeiten erhoben hatten, gewann er doch alle Herzen und wurde wiederholt durch das akademische Consistorium infolge seiner ausgezeichneten Amtsführung belobt und beschenkt, unter anderem mit einer Uhr, dem Kunstwerk des Professors der Mathematik Thaddäus Rinderle, welche jetzt noch, von Schneller’s Wittwe zurückgeschenkt, im Lesezimmer der Universitätsbibliothek ihre Dienste thut. Seit 1832 kränkelte er, vermochte seine Vorlesungen nur noch mit Unterbrechungen zu halten. Endlich traf ihn ein tödtlicher Nervenschlag.
Schneller: Franz Julius Borgias S., geboren zu Straßburg im J. 1777, war der Sohn des im J. 1776 als außerordentlicher Lehrer der Rechtswissenschaft, 1780 auch als Ordinarius an der Universität Freiburg angestellten Franz Borgias S. Unter seines Vaters Leitung erhielt er eine sorgfältige Erziehung. Seine Jugend, die er in Freiburg zubrachte, fiel unter die RegierungAus den bereits gemachten Andeutungen geht schon Schneller’s vielseitige Begabung hervor. Er war ein äußerst lebhafter, empfänglicher und im Grunde heiterer Geist. Mit Recht hat man darauf aufmerksam gemacht, daß außer Joseph’s II. weitherzigen Grundsätzen auch die großen Zeitereignisse auf S. von der bedeutendsten und bildendsten Einwirkung waren. Die außerordentliche Erscheinung Joseph’s II., die französische Revolution, Napoleon, die Befreiungskriege mußten diesen phantasievollen aufnehmenden Geist mit wechselnden Bildern füllen und in dauernder Unruhe erhalten. Aeußere glänzende Eigenschaften, weltmännische Verkehrsart, eigenthümlich ausdrucksvolle Rede- und Schreibweise zierten ihn. Er liebte heitern geselligen Verkehr, bildende Kunst, Musik. Kennzeichnend ist seine Vorliebe für Seneca und Voltaire. Für äußere Ehren war er empfänglich. Die Geschichte war sein Lieblingsstudium und sein eigentliches Arbeitsfeld, denn obwohl er in Freiburg Philosophie lehrte – er las Geschichte der Philosophie, Encyclopädie, Logik, Metaphysik, Aesthetik, praktische Philosophie, Pädagogik, Anthropologie –, hat er doch keine rein philosophischen Werke herausgegeben, während seine geschichtlichen Schriften sehr zahlreich sind. Er liebte jedoch naturgemäß die Grenzgebiete der Philosophie und Geschichte. Als Geschichtschreiber arbeitete er ganz im Geiste seiner Zeit. Eingehendes Einzelstudium und objective Betrachtung des Gegenstandes waren nicht seine Sache. Was wir heute von dem Geschichtsschreiber verlangen: möglichst völlige Freiheit von vorgefaßten Meinungen, strengstes Streben nach reiner Wahrheit, diese Grundeigenschaften des Philologen fehlten ihm ganz. Nicht die Geschichte lehrte ihn, nein, er lehrte seine Meinungen, die aufklärerischen weltbürgerlichen Anschauungen seiner Zeit durch die Darstellung der Geschichte. Eine gesetzmäßige Reform zur Verwirklichung der ihm vorschwebenden Menschenrechte war der ihn beherrschende Gedanke.
Wie sein mündlicher Vortrag durch neue eigenthümliche Wendungen und Bilder die Hörer zu fesseln wußte, so vermögen seine Schriften durch die rednerische Färbung und die Glätte ihrer Form trotz ihrer entschiednen inhaltlichen Mängel auch heute noch eine gewisse Anziehungskraft auf ihre seltnen Leser zu üben. Wenn dieser völlig moderne, subjectiv denkende, rednerische Darstellungsweise liebende Mensch dichterisch thätig war, so mußte vor allem das Schauspiel sein Gebiet sein. So hat er denn auch, durch Kotzebue aufgemuntert, mehrere Dramen, darunter ein Trauerspiel „Vitellia“ und ein Lustspiel „Gefangenschaft“ gedichtet, welche sich eine Zeit lang auf Wiens Bühnen hielten. Ein satirisches Gedicht „Sündenbabel und Krähwinkel“ erschien in dem von Ch. K. André seit 1809 in Brünn herausgegebenen „Hesperus“, einem „National-Blatt für gebildete Leser“. Ein anmuthiger durch sein eheliches Glück eingegebner Sonettenkranz „Weiblichkeit“ ward 1830 in Freiburg gedruckt.
[167] Seine geschichtlichen Werke sind: „Ueber Preußens Demarkationslinie“, 1795. „Weltgeschichte zur gründlichen Erkenntniß der Schicksale und Kräfte des Menschengeschlechts“, 1808–1813. „Böhmens Schicksal und Thatkraft vor dem Vereine mit Ungarn“ u. s. w., 1817. „Ungarns Schicksale und Thatkraft vor dem Vereine mit Böhmen“ u. s. w., 1817. „Staatengeschichte des Kaiserthums Oesterreich“, 1817–19. „Oesterreichs und Steyermarks Thatkraft vor dem Vereine mit Ungarn“ u. s. w., 1818. „Bundes-Anbeginn mit Ungarn, Böhmen“ u. s. w., 1819. „Ueber den Zusammenhang der Philosophie mit der Weltgeschichte“, Antrittsrede, 1824. „Geschichte von Böhmen“, 1827, 1828. „Geschichte der Menschheit“, 1828. „Der Mensch in der Geschichte“, 1828–1834. „Geschichte von Oesterreich und Steiermark“, 1828. „Geschichte Ungarns“, 1829–1832. „Oesterreichs Einfluß auf Deutschland und Europa seit der Reformation“, 1829. „Geschichte des Weltlaufes und Zeitgeistes“, 1830–1832. „Zeitgeist“, Rede, 1830. „Gedächtnißrede auf Ludwig, Großherzog von Baden“, 1830. „Jetzt! Taschenbuch der Zeitgeschichte[WS 1] für 1832“, 1831–1832. „Jahrbuch neuester Thaten und Zeiten für 1833“, 1833. Ferner veröffentlichte er noch mehrere Gedächtnißreden und gab eine Uebersetzung von Chateaubriand’s Genius des Christenthums heraus. Aufsätze von ihm erschienen in André’s Hesperus, in den seit 1828 erscheinenden Jahrbüchern für Geschichte und Staatskunst von K. H. L. Pölitz, in den seit 1830 von Karl v. Rotteck herausgegebenen Neuen allgemeinen politischen Annalen. Kritiken schrieb er unter den Namen „Friedrich Hain“ und „Julius Velox“. Seine hinterlassenen Werke gab E. Münch heraus: 16 Bände, 1834–1842. Darin Lebensabriß und Briefwechsel. Im übrigen sind es nur neue Auflagen der bereits gedruckten Schriften.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Zeitschichte