ADB:Schmidt, Julius
Rümker zum beobachtenden Astronomen aus, kam dann 1845 an die Privatsternwarte Benzenberg’s zu Bilk (bei Düsseldorf) und 1846 als Argelander’s Gehülfe nach Bonn. Hier vollendete er seine Bildung, die ihn namentlich für topographische und physikalische Astronomie in seltenem Maaße befähigte; eine treffliche Probe davon legte er ab, als er 1851 zur Beobachtung der berühmten totalen Sonnenfinsterniß nach Ostpreußen entsendet wurde. Bald nachher suchte der österreichische Prälat, Domcapitular E. v. Unkrechtsberg in Olmütz, eine geeignete Kraft als Vorstand der von ihm eingerichteten Sternwarte, und nachdem S., auf Argelander’s Empfehlung hin, diese Stelle erhalten hatte, verblieb er in ihr von 1853–58. Dann aber rief ihn sein Schicksal in größere Verhältnisse. Baron Sina hatte in Athen eine neue Sternwarte gegründet, für deren Direction wol keine geeignetere Persönlichkeit gefunden werden konnte, als eben S., denn die unglaubliche Uebung seines Auges ließ ihn mehr denn jeden anderen von dem stets klaren Himmel Attikas Nutzen ziehen, und alle Fachgenossen wußten, daß, wenn es sich um möglichst andauernde Verfolgung eines von Norden gegen Süden sich bewegenden Himmelskörpers handelte, ein Appell an Schmidt’s Mitwirkung niemals fruchtlos war. Ein Vierteljahrhundert hat S. in Athen gewirkt, allgemein – insbesondere auch am Hofe – geschätzt, ohne zur Gründung eines Hausstandes die Zeit erübrigen zu können. Schmerzen und Krankheit blieben ihm erspart; er hatte noch am Vorabend seines Todes in gewohnter Frische einer vom deutschen Gesandten gegebenen Gesellschaft beigewohnt und wurde während der Nacht vom Herzschlage dahingerafft. Anläßlich ihres Jubiläums hatte die Universität Bonn 1868 S. zum Ehrendoctor der Philosophie ernannt.
Schmidt: Julius S., Astronom und Geophysiker, geboren am 26. October 1825 zu Eutin in Holstein, † am 8. Januar 1884 zu Athen. In seiner Vaterstadt empfing S. den ersten Unterricht, und von da ging er an das Gymnasium zu Hamburg über, wo er bereits durch seine Neigung zu naturwissenschaftlicher Beschäftigung, sowie durch Formensinn und Geschick im Zeichnen vielen Genossen auffiel. Ohne eigentlich studirt zu haben, bildete sich S. von 1842 an beiSchmidt’s ältere Arbeiten, Beobachtungen von Meteoren, Mondhöfen u. s. w. sind in Poggendorff’s Annalen (Band 80–92) enthalten; später wählte er zur Veröffentlichung seiner äußerst zahlreichen Beobachtungen besonders die Astron. Nachrichten, zu denen er übrigens schon seit 1843 Beiträge geliefert hatte. Seine erste selbständige Schrift erschien 1852 in Berlin (Resultate aus zehnjährigen Beobachtungen über Sternschnuppen; Sendschreiben an A. v. Humboldt); bald nachher (Braunschweig 1856) kam die gleichfalls durchaus auf eigene Wahrnehmungen sich stützende, aber auch die Forschungen Anderer gebührend berücksichtigende Schrift über das Zodiakallicht heraus. Mit den Kometen beschäftigte er sich nicht minder angelegentlich, und insbesondere dem berühmten Septemberkometen von 1882, den er in Athen besonders lange zu sehen in der Lage war, hat er seine Aufmerksamkeit zugewendet. Am 24. September 1876 entdeckte er einen neuen Stern dritter Größe im Sternbilde des Schwanes. Auch für die Sonnenflecke liegt von ihm eine 11 Jahre (1841–51) umfassende Beobachtungsreihe vor.
[769] Dasjenige Gebiet der Sternkunde jedoch, welches Schmidt’s Namen recht eigentlich berühmt machen sollte, war die Selenographie; er ist für unsere Kenntniß von der Oberflächenbeschaffenheit des Erdtrabanten seiner Zeit das geworden, was Hevelius dem XVII., Tob. Mayer dem XVIII., Mädler den dreißiger Jahren des XIX. Jahrhunderts gewesen war. Sein über diesen Gegenstand geschriebenes Werk („Der Mond; ein Ueberblick über den gegenwärtigen Umfang und Standpunkt unserer Kenntnisse von der Oberflächengestaltung und Physik dieses Weltkörpers“, Leipzig 1856) gilt noch heute als ein Grundbuch, ungeachtet seitdem neue und bedeutende Leistungen englischer Astronomen gerade auf diesem Gebiete an’s Licht getreten sind. Ununterbrochen arbeitete S. an seiner Mondkarte, welche, sechs Fuß im Durchmesser haltend, 1878 auf Kosten der preußischen Regierung der Oeffentlichkeit übergeben werden konnte. Sie enthält 30 000 Krater, ebensoviele eigentliche Berge und über 300 Rillen (wahrscheinlich feine Sprünge der Mondrinde). Von letzteren arbeitete S. einen eigentlichen Katalog aus, der nicht weniger denn 425 solcher Objecte in sich schließt, während bis dahin nur 141 bekannt gewesen waren. Uebrigens hat derselbe auch die ältere vorzügliche Mondkarte seines Vorgängers Lohrmann der Vergessenheit entrissen und neu aufgelegt. Alle diese zahlreichen astronomischen Arbeiten füllten übrigens noch lange nicht Schmidt’s ganze Zeit und Kraft – selbst nur auf diesem einen Arbeitsfelde – aus, vieles andere harrt erst noch des Bekanntwerdens. Indem nämlich S. der Geldmittel halber Schwierigkeiten bei der Publicirung seiner Athener Beobachtungen fand, von denen nur zwei Bände in den Buchhandel gelangten, bot er zu Ende der siebziger Jahre sein gesammtes handschriftliches Material der Reichsregierung an. Dieselbe ging darauf ein, erwarb die Sammlung und gab sie dem astrophysikalischen Observatorium (Sonnenwarte) zu Potsdam in’s Depositum. Der Schatz, denn so darf man sich wol ausdrücken, enthält u. a. 300 Ortsbestimmungen von Nebelflecken nebst einer Reihe detaillirter Zeichnungen der wichtigeren, sehr viele photometrische Messungen, Beobachtungen über das Dämmerungsphänomen und eine über dreißig Jahrhunderte umfassende Liste von Meteorsteinfällen.
Noch aber sind wir mit der Kennzeichnung von Schmidt’s wissenschaftlichem Wirken lange nicht zu Ende, denn neben der Astronomie cultivirte er auch mit Eifer und Erfolg die physikalische Geographie. Er war einer der ersten, die das neue Aneroidbarometer von Bourdon kritisch prüften und es ausgiebig zu Höhenmessungen anwandten; er bereiste mit demselben die römisch-neapolitanischen Vulkanbezirke und lieferte aus diesen sehr viele neue Höhenkoten. Vulkanische und seismische Erscheinungen hatten von jeher großen Reiz für ihn, und so ist denn auch das uns schon bekannte Buch vom Monde gleichsehr von geologischem wie von astronomischem Interesse. Hellas, das Land des meererschütternden Poseidon, bot Schmidt’s Neigungen neue und mannichfaltige Anregung; seine „Vulkanstudien“ (Leipzig 1874) und nicht minder die „Studien über Erdbeben“ (ebenda 1875) enthalten der beachtenswerthen Gesichtspunkte überaus viele, umsomehr, da der Verfasser allenthalben aus dem Vollen geschöpft und – nicht ohne eigene Gefahr – anläßlich der großen phokischen Erderschütterung und des unterseeischen Vulkanausbruches von Santorin reiche persönliche Erfahrungen gesammelt hatte. Endlich datirt auch erst von dem Auftreten dieses unermüdlichen Mannes eine wirkliche Klimakunde von Griechenland, deren Grundlinien er in einem dreibändigen Werke („Beiträge zur physikalischen Geographie Griechenlands“, Athen 1861–69) gezogen hat.
- Nekrolog von Holetschek (Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik, 6. Jahrgang, S. 475 ff.). – Nekrolog von Wolkenhauer, Wagner’s [770] Geographisches Jahrbuch XI, 390. – Clerke, Geschichte der Astronomie während des XIX. Jahrhunderts, deutsch von Maser, Berlin 1889. S. 326, 328 ff., 438 ff., 454 ff. – C. Neumann-J. Partsch, Physikalische Geographie von Griechenland, Breslau 1885.