Zum Inhalt springen

ADB:Schilling, Johann

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schilling, Johann“ von Wilhelm Vogt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 259–261, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schilling,_Johann&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:07 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schilling, Gustav
Band 31 (1890), S. 259–261 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Johann Schilling in Wikidata
GND-Nummer 136974406
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|31|259|261|Schilling, Johann|Wilhelm Vogt|ADB:Schilling, Johann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=136974406}}    

Schilling: Johann S., Lesemeister im Barfüßerkloster zu Augsburg in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts, schloß sich frühzeitig der neukirchlichen Bewegung an und trat bald als furchtloser Vorläufer der Wiedertäufer in den Kampf ein, in welchem er sich ungescheut zu den radicalsten Anschauungen der Zeit in kirchlicher wie socialer und politischer Hinsicht bekannte und durch seine aufhetzende Wirksamkeit den Bestand des reichsstädtischen Gemeinwesens einen Augenblick gefährdete. Denn der bedrohliche Aufstand, welchen seine Anhänger, insbesondere Weber, Schneider und Bierschenker in den Augusttagen des Jahres 1524 gegen den Rath der Stadt zu erheben wagten, ist in seinen letzten Gründen auf S. zurückzuführen. Von seinem Vorleben wissen wir nichts, auch [260] der Zeitpunkt, wann er nach Augsburg gekommen ist, kann nicht angegeben werden: nur das wird von ihm berichtet, daß er vordem „zu Gmünd (Schwäbisch-Gmünd) Widerwillen und Aufruhr erweckt“ und daß ihm „von seines aufrührigen Predigens wegen ein Rath zu Gmünd die Stadt verboten“ hat. Ob er von da sogleich nach Augsburg übersiedelte, läßt sich nicht ermitteln; sicher ist aber, daß er hier durch seine kühne Sprache auf der Kanzel und durch sein rücksichtsloses Auftreten sehr bald das größte Aufsehen erregte und in den niedern Schichten der mit ihrer Lage gerade damals recht unzufriedenen Bevölkerung zumeist aus dem Arbeiterstande einen von Tag zu Tag wachsenden Anhang gewann. Seine Predigten „freudig und frech“, seien, so schreibt ein Chronist, „nicht nach der Milch, wie Paulus vorschreibt, sondern nach einem spröden, und gesalzenen Gsotthaber geartet und mehr zu Frevel und Zerreißung der Liebe, als zu Unterweisung christlichen Thuns und Geduld dienstlich gewesen“. S. griff die alte Kirche, ihre Lehren und Einrichtungen schonungslos an, mit Verächtlichkeit sprach er von der Möncherei und von den Sacramenten; „er ging leichtfertig mit dem Sacrament um, wenn er die Leute damit versah“, benahm sich auch sonst, wenn die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen nicht zu weit gehen, äußerst freimüthig und ungeistlich beim Wein und im Umgang mit Frauen. „Er hat“, schreibt Dr. Konrad Peutinger von ihm, „ein leichtfertig Wesen geführt.“ Aber das war noch nicht alles. Seine Kanzelreden waren durchtränkt von einem die Massen gegen den Rath aufwiegelnden Geist. Alle Autorität stehe bei der Gemeinde, lehrte er; wenn der Rath nicht handele, müsse die Gemeinde zugreifen. Solche Reden vernahm der Pöbel gerne. So oft S. die Kanzel bestieg, war die Kirche wie vollgepfropft, und zuweilen kam es selbst im Gotteshaus zu ärgerlichen Scenen: die altgläubigen Priester wurden verhöhnt und bedroht. „In Augsburg steht man mit der Pfaffheit nicht eben wohl; besorge, es wird noch ein bös Spiel daraus“, schrieb damals ein Mitglied des Reichsregiments zu Eßlingen an den kursächsischen Rath v. Planitz. In Augsburg selbst lebte der Rath in großen Sorgen, mit Mißtrauen betrachtete er die Popularität Schilling’s und die Unbändigkeit der Menge, die jener schürte. Dr. Konrad Peutinger, der damals die Seele des städtischen Regimentes war, hielt es für das beste, den gefährlichen Mönch in aller Stille aus der Stadt zu schaffen. Deshalb wurde der Provinzial des Ordens, Dr. Georg Hofmann, ersucht, ihn abzurufen, und um der Angelegenheit ein möglichst freundliches Gesicht zu geben, verfügte sich eine Rathsdeputation, Peutinger an der Spitze, zu dem Mönch, dem der Rath ein Pferd für die Reise zur Verfügung stellte und 20 fl. unter der Bedingung verehrte, daß er in aller Stille sich aus der Stadt wegbegebe. S. versprach dies zwar zu thun, schwieg aber nicht. So kam es, daß seine große Anhängerschaft, von dem Verfahren des Rathes unterrichtet, in die äußerste Wuth versetzt wurde, welche bei den entschlossensten den Entschluß reifte, gegen den Rath mit Gewalt vorzugehen. In vorsichtigster Heimlichkeit wurde der Plan vorbereitet und am 6. August der ahnungslose kleine Rath, welcher zu einer Sitzung zusammengekommen war, förmlich überfallen. An 1800 Menschen rottirten sich vor dem Rathhaus, lärmten, schrieen, tobten und verlangten vom Rathe gehört zu werden. Ihre Forderung war, daß man den entlassenen Prediger zurückrufe. Peutinger verhandelte mit der aufgeregten Menge und versicherte, daß der Rath nicht Willens sei, das Evangelium zu unterdrücken: zum Beweise dessen wolle er den bekannten und anwesenden Urbanus Rhegius an Schilling’s Statt zum Prediger bestellen. Allein das Volk beharrte auf seinem Willen: „Wir wollen den Barfüßermönch und keinen andern“, und heftige Reden fielen während der Verhandlungen. Man solle, hieß es, beim Abte von St. Ulrich, bei den Dominicanern und bei St. Georg und dem hl. Kreuz zum [261] Essen gehen. Hinter diesen Drohungen gegen die altkirchliche Geistlichkeit lauerte noch eine andere Absicht, nämlich den Rath zu stürzen und ein demokratisches Regiment aufzurichten, die Reichen heimzusuchen und der drückenden Armuth der Masse zu begegnen. Eine entschlossene, aber kleine Partei hatte das zu bewerkstelligen alles vorbereitet: auf ein gegebenes Zeichen sollten sich die Verschworenen aus der Weberzunft des Zeughauses bemächtigen und, die Verwirrung benutzend, losschlagen. Zum Glücke für die Stadt verhinderte die Nachgiebigkeit des kleinen Rathes die Ausführung dieser Pläne, indem er versprach, den Mönch zurückzurufen und den Betheiligten Amnestie zu gewähren. Daraufhin verlief sich die Menge, die Umstürzler aber äußerten laut ihren Aerger, daß man sich habe die günstige Gelegenheit entschlüpfen lassen: sie wollten womöglich einen neuen Aufstand in Scene setzen. Allein der Rath war gewitzigt, er durfte sich ein zweites Mal nicht mehr überrumpeln lassen. Peutinger traf alle nöthigen Vorsichtsmaßregeln und rüstete sich für alle Fälle. Als am 9. August sich abermals ein Tumult erhob, stand die rathstreue Bürgerschaft in Waffen bereit und die Gegner, zu schwach, durften nichts wagen. Allerdings verzichteten sie deshalb noch nicht auf ihre Absichten: in geheimen Conventikeln beriethen sich die Verwegensten, trotzdem der Rath vor jedem Anschlag ernst und feierlich gewarnt hatte. Es konnte nicht fehlen, daß das wachsame Auge der Polizei die geheimen Zusammenkünfte entdeckte; im Hause eines Maurers Has wurde das Nest der Rädelsführer entdeckt und ausgenommen. Zwei derselben wurden mit dem Schwerte hingerichtet, einer aus der Stadt gejagt. Lange Untersuchungen folgten und Strafen trafen alle irgendwie Betheiligten je nach ihrem Vergehen. Hauptsächlich der Umsicht und Strenge Peutinger’s verdankte es der Rath, daß er wieder Herr im Hause wurde. Unterdessen war S. wieder in die Stadt zurückgekehrt und hatte seine Predigerthätigkeit wieder aufgenommen. Allein er sah bald ein, daß er seine Rolle ausgespielt habe; den früheren Ton durfte er nicht mehr anzuschlagen wagen. So nahm er denn freiwillig am 8. November 1524 seinen Abschied. Noch einmal, nachdem er sich, wie berichtet wird, bald da, bald dort in Landsknechtskleidung herumgetrieben hatte, tauchte er in der Stadt im Frühling des unglückseligen Jahres 1525 auf, aber der Rath duldete seine Anwesenheit nicht mehr, sondern verwies ihn aus Augsburg. Kein Wunder, denn er scheint im Auftrag der Bauernschaft gekommen zu sein, um den Aufruhr auch in die Reichsstadt zu tragen: wenigstens genoß er das Vertrauen der aufständischen Haufen, welche unter den 14 „Doctores, so anzeigt sein zur Aussprechung des göttlichen Rechts“ in ihrer Bundesordnung vom 7. März 1525 auch den „Prädikanten bei den Barfüßern zu Augsburg“ aufführten. Sonst erfahren wir nichts mehr von ihm: ohne Zweifel ist er im Bauernkrieg untergegangen. Sein Andenken aber erlosch nicht so bald. Die Evangelischen der Stadt erbickten in ihm in späterer Zeit nichts anderes als einen Märtyrer des Evangeliums, welcher verleumdet und verfolgt der Gewalt der Feinde habe weichen müssen. In der That aber ist er ein radicaler Neuerer gewesen, dem es viel weniger um das Evangelium, als um sociale und politische Hetzerei zu thun war, ein Vorläufer jener Wiedertäufer wie Hans Denk, Hans Hut, Hetzer u. a., welche wenige Jahre darauf soviel Verwirrung in Augsburg anrichteten.

Vogt, Johann Schilling der Barfüßermönch und der Aufstand in Augsburg im J. 1524, Zeitschr. des hist. Ver. f. Schwaben und Neuburg. – Roth, Augsburger Reformationsgeschichte. – Cornelius, Studien zur Gesch. des Bauernkriegs.