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ADB:Schelwig, Samuel

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Artikel „Schelwig, Samuel“ von David Erdmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 30–36, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schelwig,_Samuel&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:33 Uhr UTC)
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Schelwig: Samuel S. (Schelgwing), einer der eifrigsten und heftigsten Streiter unter den lutherischen Theologen des 17. und 18. Jahrhunderts wider den Spener’schen, auf eine gründliche Erneuerung des kirchlichen Lebens neben der reinen Lehre dringenden Pietismus. Geboren am 8. März 1643 zu Polnisch-Lissa als Sohn eines evangelisch-lutherischen Geistlichen erhielt er seine Schulbildung auf dem Gymnasium zu Maria Magdalenen in Breslau, von wo er 1661 die Universität Wittenberg bezog, um sich dem Studium der Theologie und Philosophie zu widmen. Hier wurden die streitbaren heftigen Vorkämpfer der reinen lutherischen Lehre, Abraham Calovius, Meißner, Quenstedt, Deutschmann, Strauch seine Lehrer und Vorbilder. Nach Erlangung der Magisterwürde 1663 [31] wurde er 1667 in die Reihe der akademischen Docenten aufgenommen, jedoch nicht, um Theologie zu lehren, sondern um als Adjunct der philosophischen Facultät Vorlesungen zu halten. Aber schon im J. 1668 verließ er Wittenberg, um einem Ruf als Conrector des Gymnasiums in Thorn Folge zu leisten. Nach fünfjähriger Thätigkeit in diesem Amt wurde er 1673 als Professor der Philosophie und Bibliothekar nach Danzig berufen. Hier wurde er 1675 als Nachfolger von Aegidius Strauch außerordentlicher Professor der Theologie am Athenäum, dem akademischen Gymnasium, 1681 Prediger an der Katharinenkirche und 1685 Rector des Gymnasiums, sowie auch Pastor an der Trinitatiskirche. Er starb hier am 18. Januar 1715.

Durch sein ganzes Leben zieht sich der heftige Kampf gegen Spener und die von ihm ausgegangene, auf die Erneuerung des individuell christlichen und des kirchlichen Gemeindelebens gerichtete Bewegung. Es handelte sich in diesem oft mit der äußersten Leidenschaftlichkeit und unheiligem Feuereifer geführten Kampf um die Wahrung der angeblich von Spener in den Hauptartikeln des Glaubens angefochtenen lutherischen Lehre. Mit dieser völlig ungerechtfertigten Anklage wurde von den Vertretern der lutherischen Schultheologie die Forderung Spener’s beantwortet, das mit gleichem Ernst und Nachdruck, wie die reine Lehre, auch ein wahrhaft frommes gottseliges Leben und ein auf das ewige Ziel gerichtetes Streben nach persönlicher sittlicher Erneuerung und Heiligung zur Geltung kommen müsse. Zwischen S. und Spener hatte früher ein freundliches Verhältniß bestanden. Ja, dieser hatte versucht, jenem zu einer theologischen Professur in Wittenberg zu verhelfen. Von Schelwig’s Seite wurde dieses Verhältniß durch die Art und Weise seiner Theilnahme an der öffentlichen Bekämpfung des Pietismus bald getrübt oder vielmehr gestört. Die theologische Facultät in Leipzig hatte durch ihr Mitglied Johann Benedict Carpzow eine Schrift unter dem Titel: „Gründliche und wohlgehegte Bedenken von der Pietisterei“ erscheinen lassen. Zu dieser Schrift hatte S. die Vorrede geschrieben, in der er als Gegner des Pietismus auftritt. Es handelte sich nach dem Titel um „Unterricht und Warnung für die christliche Gemeinde hier und an anderen benachbarten Orten“. Das damit entzündete Feuer brannte bald in Danzig weiter, indem S. mit seinem Amtsgenossen Constantin Schütze, Pastor an der Marienkirche, als einem Anhänger Spener’s, über den Pietismus in Streit gerieth. Er griff ihn in einer Predigt öffentlich vor der Gemeinde an und ließ dieselbe drucken unter dem Titel: „Von Austreibung des Schwarmteufels“, indem er im Pietismus nichts als Schwarmgeisterei erblickte. Es entspann sich dadurch zwischen beiden ein Schriftwechsel. Schütze veröffentlichte gegen Schelwig’s Beschuldigung eine „Erläuterung an seine Gemeinde“. S. erwiderte mit einer „wohlgemeinten und brüderlichen Erinnerung“ an Schütze. Unter seinen Schriften ist die bedeutendste und umfassendste der 1694 erschienene „Catalogus errorum Schützianorum“, die nicht bloß gegen Schütze, sondern gegen die ganze Spener’sche Richtung die Waffen hin und wieder recht wenig geistlicher Ritterschaft erhob. Er suchte darin eine umfassende Zusammenstellung der pietistischen Irrthümer zu geben. Er erhob darin gegen Schütze[WS 1] den Vorwurf, daß er auf der Kanzel dem Pietismus das Wort geredet, Spener’s sich angenommen und sich dadurch als Anhänger der Schwärmerei desselben öffentlich bloßgestellt habe. Unter maßlosen Angriffen beschuldigt er Schütze, daß er von einer neuen Reformation nach dem Exempel der Wiedertäufer träume, die Irr- und Schwarmgeister in Schutz nehme, die streitigen Lehrpunkte gering achte und nach der libertas prophetandi trachte. Weiter wirft er ihm vor, daß er die Lehre von dem Verdienst Christi an den Orten, an denen viele grobe Sünder in der äußerlichen Kirche seien, nur selten triebe, daß er die guten Werke als nöthig zur Seligkeit preise und mit den allergröbsten Calvinisten lehre, [32] daß Gott den Menschen zur ewigen Verdammniß geschaffen habe. Er halte mit den Wiedertäufern die Philosophie und andere Wissenschaften verächtlich und bemühe sich, die Akademien und Theologen vor der Gemeinde stinkend zu machen. Schütze schrieb diesen Beschuldigungen gegenüber eine apologia catalogo opposita und eine „Vorbereitung zur gänzlichen Verantwortung“. – Aus gleichen Ursachen und in gleicher Weise entspann sich ein Streit zwischen S. und dem Prediger Strauß. Diese kirchlich-theologischen Kämpfe, mündlich von den Kanzeln, schriftlich in einer gehässigen Streitlitteratur vor den Gemeinden geführt, stellten die Geduld und Nachsicht des Danziger Raths auf eine harte Probe. Dieser sah sich dem sich immer weiter fortspinnenden und ausbreitenden Streit gegenüber endlich zum Einschreiten genöthigt, um wenigstens den äußern Frieden durch Niederhaltung der öffentlichen Aergernisse wiederherzustellen. Der Rath verbot das weitere Streiten (1694–1695).

In ein neues Stadium tritt die Bekämpfung des Pietismus durch S. dadurch, daß er mit Spener selbst in Streit gerieth. Dies geschah durch seine Schrift: „Wiederholung der evangelischen Wahrheit in den Artikeln vom Gesetz und Evangelium, Glaube und Werken, Rechtfertigung und Heiligung, der Neugierigkeit zu steuern“, Frankfurt und Leipzig 1695. Er sah alle diese Lehren durch den Pietismus gefährdet. Obgleich sachlich und objectiv gehalten, war diese Schrift doch zugleich ein Angriff auf den Pietismus überhaupt und auf die Vertreter desselben, wenn auch deren Namen nicht genannt wurden. Es fehlte nicht an Anspielungen auf die Pietisten, namentlich auch auf Schütze. So wenn es heißt: „Es sei beides zu predigen, Gesetz und Evangelium; es sei nicht recht, wenn man, weil in der äußeren Gesellschaft viele große Sünder wären, das Evangelium selten oder nie, bis sich alle bekehrt hätten, predigen wollte.“ Solche Anspielungen werden dann zu verkappten Angriffen und Beschuldigungen, bei denen es an maßlosen Uebertreibungen oder an Verdrehungen nicht fehlt. Z. B. so Jemand zur Vernichtung des Glaubens etwa predigte: „Verlasset euch nicht darauf, daß ihr des lutherischen Glaubens seid; die Teufel glauben auch und erschrecken; darum thut’s der Glaube nicht, so er nicht thätig ist durch die Liebe“, – so wäre das ein thöricht Geschwätz, als ob ich sagte: „verlasset euch auf Wagen und Pferde nicht, Kunz hat auch Wagen und kann doch nicht fortkommen; ergo“. S. beschuldigt die Pietisten geradezu der Hintanstellung des Glaubens hinter die Werke, wenn er sagt: „Die Lehrer handeln übel, welche die Gemeinde selten von den Werken unterrichten, aber noch weit übler die, welche des Glaubens selten gedenken.“

Obgleich Spener in dieser Schrift nicht direct angegriffen, auch nicht genannt war, mußte er sich doch als Urheber der Bewegung, die in so ungerechter Weise bekämpft wurde, veranlaßt finden, den Kampf dagegen aufzunehmen. Er that es im Gegensatz gegen den ihm indirect gemachten Vorwurf irriger Lehren zunächst in der Schrift: „D. Spener’s freudiges Gewissen wider D. Schelwig’s Zunöthigung“, einer Schrift, die sich freilich mehr mit der Person Schelwig’s befaßt, als mit der Sache, um die es sich handelte, und die eigentliche auf die Sache eingehende Antwort Spener’s erst ankündigte. S. antwortete darauf mit einer Schrift: „Unerschrockenes Gewissen contra Spenerum“ 1695, in der er in gereizter Behandlung persönliche Verhältnisse und Umstände, die früher zwischen ihm und Spener obwalteten, bespricht. Mit gründlichem Eingehen in die Sache vertheidigt sich dann Spener gegen Schelwig in einer ausführlichen Schrift unter dem Titel: „Freudige Gewissensfrucht und Ablehnung der von Schelwig gegen ihn geführten Beschuldigungen“ 1695. Erst in dieser Schrift hat Spener, indem er alle drei Schriften Schelwig’s, den „Catalogus“, Wiederholung, unerschrockenes [33] Gewissen“, gründlich beantwortete, die gegen den Pietismus erhobenen Beschuldigungen eingehend beleuchtet und widerlegt.

Zunächst vertheidigt er sich gegen den von S. ihm gemachten Vorwurf, daß er Gesetz und Evangelium scheide und den Artikel von der Rechtfertigung mit dem von der Heiligung vermische. Er hält dagegen dem S. entgegen, daß dieser, wenn er vom Glauben spreche, nicht auf den Unterschied zwischen dem todten und dem lebendigen Glauben aufmerksam mache. Allein der thätige Glaube sei der allein seligmachende, weil er der wahre Glaube sei. Nur mache freilich der Glaube nicht selig, sofern oder weil er thätig sei. Da S. ihn den Patriarchen der Pietisten genannt hatte, so geht er auf die Frage nach seiner Stellung zu ihnen weiter ein. Es gebe allerdings Pietisten; aber diese seien keine Secte. Freilich, wenn sie solche Leute seien, wie sie in einer anonymen Lästerschrift (Ausführliche Beschreibung des Unfugs, welchen die Pietisten zu Halberstadt … gestiftet, 1693) geschildert seien, Leute, „die von der lutherischen Kirche abwichen, alle Ordnung und Stände über den Haufen würfen, das Predigtamt und den Eid auf die symbolischen Bücher aufheben wollten, ihren Glauben auf Gesichte gründeten, ein tausendjähriges Reich lehrten, phantastische Bücher verbreiteten, Münstersche Tragödien mit der Zeit vorhätten“, – so wolle er mit solchen Leuten nichts zu thun haben. Aber er wisse solche auch nicht zu finden. Vielmehr bezeichne man diejenigen als Pietisten, „welche bei der lutherischen Kirche und Lehre blieben, aber unterschiedliche Punkte, Haltung der Gebote Gottes so trieben, wie nächst der Schrift die symbolischen Bücher und andere alte Theologen geredet hätten, dabei die Ordnungen in den Ständen herzlich verehrten, das Predigtamt für eine theure Gabe Gottes hielten, die symbolischen Bücher in dem ihnen eigenen Werth hielten, auf die Erfüllung der der Kirche noch bevorstehenden Verheißungen von Bekehrung des jüdischen Volks und den Fall Babels hofften, unsere Kirche von dem großen Babel unterschieden, aber doch Vieles in derselben als verdorben und als innige Gemeinschaft mit Babel beseufzten, collegia pietatis für nützliche Uebung hielten, vom geistlichen Priesterthum hochhielten und gern praktisiren wollten, wie sie von Luther angewiesen seien, und in den für Mitteldinge gehaltenen Dingen sich vorsähen.“ Dieses Alles gestatte doch nicht den Vorwurf der Sectirerei, sondern komme bis auf Weniges, wozu er eben nicht alle verbinden wolle, allen Christen zu.

Die angeführten Worte Spener’s umfassen alle Hauptfragen, um die es sich in diesem von ihm und S. vertretenen Kampfe zwischen Pietismus und lutherischer Schultheologie handelte. Der Streit war schon vor diesem Schriftenstreit infolge einer Reise, die S. 1694 durch Norddeutschland nach dem Bade Pyrmont gemacht, und auf welcher er die Städte Wittenberg, Leipzig, Jena und Helmstedt, sowie bei der Rückkehr Hamburg, Kiel, Lübeck und Rostock besucht hatte, noch erbitterter geworden. In dieser Rundreise glaubte man in den Kreisen der Pietisten für die Ansicht, daß sich die Gegner zu einer förmlichen Liga gegen sie zusammengeschlossen hätten, neuen Anhalt zu finden. Man nahm an, daß S. in Angelegenheiten eines großen Theologenbündnisses zur Bekämpfung des Pietismus diese Reise unternommen habe. In zwei anonymen Flugschriften wurde von pietistischer Seite diese Sache an die Oeffentlichkeit gebracht. Es erschienen dieselben angeblich zu Jena unter den Titeln: „Die entdeckte neue Schwärmerliga wider Herrn D. Spener“ und „M. N. H. Brief von jetzigen theologischen Streitigkeiten in Deutschland“. Hier werden die Reise Schelwig’s und seine angeblichen Verhandlungen mit den strenglutherischen Theologen ausführlich erzählt. Gegen diese Schriften, die der Sache Spener keineswegs gute Dienste leisten konnten, gab S. sein itinerarium antipietisticum, „kurze Erzählung einiger Dinge, so er auf seiner [34] schon im vorigen Jahre 1694 verrichteten Reise der Pietisterei wegen in Deutschland wahrgenommen“, Stockholm 1695, heraus. Er versichert, seine Reise habe allerdings dem Pyrmonter Sauerbrunnen und nicht einer Liga wider Spener gegolten, aber er habe doch auch auf das Alles, was man an verschiedenen Orten über Pietisten geredet und geurtheilt habe, achten müssen. Und nun erzählt er eine Menge von „curiosen“ Geschichten, in denen böswillige Gerüchte, offenbare Verleumdungen und Lügen mit thatsächlichen Vorkommnissen, die allerdings als Symptome von hier und da vorhandenem Mangel an geistiger und geistlicher Gesundheit und Nüchternheit sich darstellten, vermischt und verquickt waren. Es hatten sich ja in der That an verschiedenen Orten der gesunden religiös sittlichen Bewegung des Pietismus ungesunde, unreine Elemente angeschlossen. Diese wurden nun verallgemeinert und mit allerlei Zuthaten versehen, die Niemand für baare Münze hätte nehmen sollen. Wie Spener schon in der letztgenannten Schrift ihm vorgeworfen hatte, daß er in Sachen der Liga auf seiner Reise thätig gewesen sei, so hielt er ihm jetzt in seiner Antwort auf die im Itinerarium aufgehäuften Beschuldigungen, „Gewissensrüge“ 1696, seine damit begangene gröbliche Versündigung wider das 8. Gebot vor. Er führte ihm zu Gemüth, wie unbillig es sei, zu den Pietisten alle diejenigen zu zählen, an denen er einiges Unordentliche finde. Was würde er, Schelwig, dazu sagen, wenn man Alles, das von solchen ausgehe, die nicht zu den Pietisten gehörten, auf Schelwig, Carpzov u. A. als Patriarchen zurückführen wolle? Aber diese Vorhaltungen brachten S. nicht zu einer besseren Erkenntniß und zur Beobachtung eines würdigeren Verhaltens. Er beantwortete jene Schrift Spener’s mit einer in plumpem Ton gehaltenen und auch inhaltlich wenig zutreffenden Gegenschrift: „Gewissenhafte Rüge der gewissenlosen Gewissensrüge Spener’s“. Die ruhigen Erörterungen und Vorhaltungen Spener’s werden heuchlerisch als Anfechtungen, die die Lutheraner geduldig zu erleiden hätten, bezeichnet. So schreibt S. in einem an Carpzov in Leipzig gerichteten und in jener Schrift abgedruckten Briefe: „Er wünsche ihm Glück zu den Anfechtungen, die er von Spener zu erdulden habe“. S. befestigte sich trotz aller Vorhaltungen und Belehrungen Spener’s in der vorgefaßten Meinung, daß der Pietismus nichts als Sectirerei sei. Er sucht dies in einem großen Werke, welches unter dem Titels „Die sectirerische Pietisterei“, der erste Theil 1696, der zweite und dritte Theil 1697, erschien, zu begründen und damit den Hauptstoß gegen den Pietismus zu führen. Im ersten Theil meint er die Sectirerei aus dem erweisen zu können, was die Pietisten von dem Verfall der Kirche, von der nothwendigen Reformation, vom Predigtamt, vom Kirchenregiment, den hohen Schulen, der Philosophie und den anderen weltlichen Studien, vom geistlichen Priesterthum und von dem Nutzen der oollegia pietatis lehrten. Wenn Spener auf die Mängel hinweist, welche die Kirche, d. i. die äußere Versammlung, habe, so werde damit die Kirche verunglimpft, und ein aufrichtiger Lutheraner dürfe so nicht reden. Angesichts der reinen Predigt des Wortes Gottes könne die Kirche als solche wegen der einzelnen Personen in ihr anhaftenden Mängel von einem solchen Vorwurf nicht betroffen werden, und man könne nicht von einem Verfall der Kirche sprechen, ohne sich als Sectirer zu erweisen. Ganz folgerichtig hätten ja auch schon einige angefangen, sich von dieser Kirche abzusondern; die Pietisten langten somit beim Donatismus, der Wiedertäuferei und Quäkerei an. Wenn die Pietisten dem Predigtamt da, wo es durch gottlose Menschen verwaltet werde, die heilsame Kraft abschnitten, so sei das donatistisch. Bei der Lehre vom geistlichen Priesterthum komme es ihm verdächtig vor, daß sie es nicht gern ein königliches, sondern fast durchgehendes ein geistliches nenneten; er fürchte, daß, wie bisher durch Ausübung des geistlichen Priesterthums dem Predigtamt Eingriff geschehe, man auch vorhabe, mit [35] der Zeit gegen die Obrigkeit nach dem Vorbild der Wiedertäufer zu wüthen. Doch genug an Beispielen von solchen boshaften Insinuationen, wie sie der erste Theil noch mehr enthält. Der zweite Theil handelt von der Freigeisterei, den Fanaticis, dem Chiliasmo, der heil. Schrift und Erleuchtung, dem Enthusiasmo; der dritte Theil vom Gesetz und Evangelium, von Glauben und Werken, Rechtfertigung und Heiligung, Wiedergeburt, Buße, Beichte und Mitteldingen. Spener schrieb gegen den ersten Theil seine „eilfertige Vorstellung“ von 1696, gegen den zweiten und dritten seine „völlige Abfertigung“ 1698 und erklärt hierin, es ferner mit dem Schreiben gegen Schelwig auf sich beruhen lassen zu wollen. Dieser antwortete darauf mit seiner „saft- und kraftlosen Abfertigung Herrn D. Speners“ 1698, einer Zusammenstellung von angeblich 150 Irrlehren Spener’s. Seine Rechnenkunst ließ seinen Amtsgenossen, den Diakonus Bücher an der Katharinenkirche in Danzig, nicht ruhen; er schrieb einen Lutherus antipietista und konnte noch mehr Spener’sche Ketzereien, 195 an Zahl, nachweisen. S. überbot diesen Bundesgenossen gegen den Pietisms und rechnete in seiner Schrift „Synopsis controversiarum sub pietatis praetextu motarum“ (Danzig 1701) dem Spener’schen Pietismus 264 Irrlehren nach. Man sollte es kaum glauben, daß V. E. Löscher in seinen „Unschuldigen Nachrichten“ 1701 diese Schrift mit Beifall begrüßt, daß Professoren sie ihren Vorlesungen zu Grunde legten und den Studirenden empfahlen. Spener und seine Anhänger werden als novatores heterodoxi et fanatici gebrandmarkt, die in öffentlichen Aemtern nicht zu dulden seien; die collegia pietatis werden als schädliche, sittenverderbliche Zusammenkünfte hingestellt, die zu verbieten seien; die Pietisten werden als kirchenfeindliche Menschen geschildert, die von aller kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden müßten.

Als seine Hauptgegner traten Joh. Wilh. Zierold, Professor und Pastor zu Stargard, und Joachim Lange in Halle gegen ihn auf. Jener schrieb gegen ihn eine „Synopsis veritatis divinae opposita synopsi Schelwigii“ zur Vertheidigung des Pietismus. Dieser ging gegen ihn angriffsweise vor in seinen „Aufrichtigen Nachrichten“, 1706, und in seiner „Idea et anatome theologiae pseudoorthodoxae“, Frankfurt 1707. Er suchte ihm 28 Irrthümer der schlimmsten Art nachzuweisen; er klagte ihn an, „daß er die Kraft des 3. Artikels wahrhaftig verleugne und als fanatisch verwerfe; er bezeichnete seine Theologie als eine grundverderbliche, ja als einen Weg zur Hölle“. Als Vertheidiger Schelwig’s trat unter Anderm Valentin Ernst Löscher in seinen „Unschuldigen Nachrichten von Altem und Neuem“ (1706–1710, Leipzig) hervor. Aber wie stechen gegen den Ton der Feindseligkeit und Rohheit, der sich in der Schrift Schelwig’s vernehmen läßt, die gleichfalls den Pietismus bekämpfenden Schriften Löscher’s ab! Es gehört hierher sein Timotheus Verinus, fünf Vorstellungen, die in den Jahrgängen von 1711 und 1712 der „Unschuldigen Nachrichten“ abgedruckt sind. S. wollte außer einer Anzahl von Disputationen über verschiedene Lehrpunkte, in denen er den Pietismus in seiner, der Löscher’schen Art völlig entgegengesetzten Weise angriff, noch eine geschichtliche Darstellung des pietistischen Streites, annales pietisticos, herausgeben. Er kam aber nicht mehr dazu. Er starb am 18. Januar 1715. Ausgerüstet mit nicht geringen geistigen Fähigkeiten, mit einer staunenswerthen Arbeitskraft und einem hervorragenden Scharfsinn, ermangelte er doch bei seinem Eifer für das reine Lutherthum derjenigen Gesinnung und Herzensstellung, auf welche der Pietismus drang. Die unwürdigen Waffen, deren er sich im Kampfe bediente, und die ungeistliche Führung dieser Waffen haben am meisten zu der Vergiftung des Streites zwischen dem orthodoxen Lutherthum und dem Pietismus, durch welche der ohnehin kranke Leib der Kirche in die heftigsten Convulsionen hineingerissen wurde, beigetragen.

[36] Eph. Praetorius, Athenae Gedanenses, Leipzig 1713, S. 127 ff. (mit einem ausführlichen Verzeichniß seiner zahlreichen Schriften). – Walch, Religionsstreitigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirche I, 602 ff., 739 ff., V, 159. – V. E. Löscher, Unschuld. Nachrichten, 1706 ff. – Vgl. Engelhardt, Löscher, S. 135. – Hoßbach, Ph. J. Spener, a. versch. Orten. – E. Schnaase, Geschichte der evangel. Kirche Danzigs, Danzig 1863. – G. Löschin, Gesch. Danzigs II, 47. – Schmidt, Geschichte des Pietismus, 1863, S. 227 ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schütz