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ADB:Sauerwein, Johann Wilhelm

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Artikel „Sauerwein, Johann Wilhelm“ von Rudolf Jung in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 718–720, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sauerwein,_Johann_Wilhelm&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:01 Uhr UTC)
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Sauerwein: Johann Wilhelm S. wurde am 9. Mai 1803 als Sohn eines Schneidermeisters in Frankfurt a. M. geboren. In einer privaten Quartierschule und dann in der neugegründeten städtischen Weißfrauen-Schule erhielt er mit den Knaben seines Alters und Standes den Unterricht der Volksschule, trat aber 1817 auf Veranlassung des Pfarrers Anton Kirchner, des Geschichtsschreibers seiner Vaterstadt, in das städtische Gymnasium über, um sich zum Studium der Theologie vorzubereiten; diesem widmete er sich 1822–1825 in Heidelberg. Die nächsten Jahre hielt er sich als Predigtamts-Candidat in seiner Vaterstadt auf, wurde aber bald ebenso wie sein Alters-, [719] Studien- und Gesinnungsgenosse Friedrich Funck (s. d. A.) durch einen eigenartigen Vorfall der pfarramtlichen Laufbahn entfremdet: er soll bei der Aufführung einer Localposse in seiner elterlichen Wohnung mitgewirkt haben, und deshalb soll ihm von der vorgesetzten geistlichen Behörde die Zulassung zum Examen verweigert worden sein. Wahrscheinlicher ist, daß er, der inzwischen Mitarbeiter an mehreren Frankfurter Blättern geworden war, das Leben des freien Litteraten der amtlichen Wirksamkeit vorzog; denn als Theologe hatte er entschieden seinen Beruf verfehlt. Mit seinen Landsleuten Funck und Freyeisen trat er in die politisch-litterarische Bewegung zu Anfang der 30er Jahre ein; anscheinend nicht ohne Zögern, denn noch 1831 bewarb er sich mehrfach unter Berufung auf seine Eigenschaft als Candidat der Theologie um ein Lehramt am Gymnasium. Seine litterarische Thätigkeit – sie läßt sich kaum mehr im Einzelnen nachweisen – an den verschiedenen gegen den Bund gerichteten Zeitungen und Zeitschriften, die in Frankfurt und Umgebung in rascher Folge erschienen, unterdrückt wurden und dann sofort unter einem neuen Namen auflebten (Volkshalle, Eulenspiegel, Zeitschwingen u. s. w.), zog ihm zunächst am 9. Juli 1832 die polizeiliche Verwarnung zu, sich der Angriffe gegen den Bund zu enthalten. Ein Artikel in der in Hanau erschienenen Volkshalle: „Wie haben die Deutschen die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni aufgenommen?“ brachte ihm eine Anklage ein, weil er diese Beschlüsse als Ungerechtigkeit und Bedrückung bezeichnet und Aufruhr gegen den Bund gepredigt habe; gegen das auf vier Wochen Gefängniß lautende Urtheil legte er Berufung ein und erzielte seine Freisprechung, weil sein Vertheidiger Reinganum (s. d. A.) nachweisen konnte, daß der Artikel die kurfürstlich-hessische Censur passirt hatte. Es ist ihm in den für seine Gesinnungsgenossen so gefährlichen ersten 30er Jahren gelungen, ohne polizeiliche oder gerichtliche Strafe durchzukommen. Seine Betheiligung an der politischen Bewegung läßt sich schwer feststellen; er war nicht der starre radicale Unentwegte wie sein Freund Funck, er war der liebenswürdige, lebensfrohe Dichter und Humorist unter den Gefährten. Aller Wahrscheinlichkeit nach stammen von ihm das Lied „Fürsten zum Land hinaus“ und der „Sturmgesang“ (Wie wir Dich beklagen, deutsches Vaterland!); die handschriftlich im Frankfurter Stadtarchiv befindliche Brückenauer Colleg-Zeitung zeigt auf jeder Seite den Verfasser S. als Schalk und auch in seinen zahlreichen politischen Brochüren aus jener Zeit ist der humoristische Zug nicht zu verkennen, der sich manchmal schon im Titel ausspricht („Christkindchen“, „Pfeffernüsse“ u. a.). Aber auch ihm wurde schließlich der Boden in seiner Vaterstadt zu heiß; im März 1834 entfernte er sich aus Frankfurt, angeblich weil er dort keine Anstellung noch sonstigen hinreichenden Erwerb finden könne. Auf eine auswärtige Anzeige hin, daß S. der Verfasser und Verbreiter einer 1831 erschienenen Broschüre „Der 1. Mai“ sei, erließ die Frankfurter Polizei einen Steckbrief. S. war inzwischen über Liesthal nach Bern gereist, kam nach längerem Aufenthalt daselbst im Sommer 1835 nach Paris, kehrte aber dann, als sich auch hier die Hoffnung auf eine Stellung oder auf Verdienst aus litterarischer Arbeit als trügerisch erwies, wieder nach Bern zurück. Er fand 1836 eine Anstellung als Professor der deutschen und englischen Sprache in St. Marcellin (Isère), die er bis zu seiner schweren Erkrankung Anfang 1844 bekleidete. Im Krankenhaus in Lyon suchte er vergebens Heilung und kehrte im August 1844, schwer an Rückenmarkslähmung leidend, in seine Vaterstadt zurück. Hier stellte er sich der Behörde zur Untersuchung wegen des ihm zur Last gelegten Vergehens, aber das Gericht verzichtete auf die Verfolgung der Sache und ließ S. unbehelligt. Nach langem Siechthum starb er in Frankfurt am 31. März 1847. – Sein Andenken lebt in seiner Vaterstadt [720] fort, aber nicht das Andenken an seine politische, sondern an seine localhumoristische litterarische Thätigkeit. In seinen Possen und dramatischen Scenen „Der Amerikaner“, „Der Gräff, wie er leibt und lebt“, „Frankfurt, wie es leibt und lebt“ u. a. hat er prachtvoll humoristische Schilderungen des kleinbürgerlichen Lebens in seiner Vaterstadt gegeben. Zahlreiche Auflagen zeugen von der Beliebtheit, deren sich diese Humoresken noch heute bei seinen engeren Landsleuten erfreuen; die Arbeit an ihnen war ihm ein Trost während der Verbannung aus seiner heißgeliebten Vaterstadt.

Criminal-Acten des Frankfurter Stadtarchivs. – Frankfurter Hausblätter, Neue Folge 1880–82, Bd. I, Nr. 12; Bd. II, Nr. 11. – J. Proelß, Friedrich Stoltze und Frankfurt a. M. (Frankfurt 1905). – Askenasy, Die Frankfurter Mundart und ihre Litteratur (Frankfurt 1904).