ADB:Sack, Karl Heinrich
Sack: Karl Heinrich S., Dr. theol., geboren am 17. October 1789 zu Berlin, gehörte einer der angesehensten Theologen- und Predigerfamilien Berlins an, deren Häupter gegenüber der ihre Hauptvertreter in der preußischen Hauptstadt zählenden rationalistischen Geistesrichtung und seichten Aufklärung als ihre eigenthümliche Aufgabe erkannten, das Christenthum von Seiten seines Offenbarungscharakters und seiner moralischen Wahrheiten mit dem popular-philosophischen Zeitgeist in Einklang zu bringen.
Sack’s Vater war der Berliner Oberhofprediger und spätere Bischof Samuel Gottfried Sack, welcher sämmtlichen königlichen Kindern zur Zeit Friedrich Wilhelm’s II., sowie auch dem nachmaligen König Friedrich Wilhelm IV. den Religionsunterricht [154] ertheilte. Sein Großvater war der Oberhofprediger August Heinrich Wilhelm Sack[WS 1], dessen Wirksamkeit sich über die ganze Regierungszeit Friedrich’s II. erstreckte und von dem Bestreben geleitet war, im Gegensatz gegen den deistischen Unglauben und gegen die um sich greifenden, besonders von den höheren Ständen begünstigte Freigeisterei das positive Christenthum als die vollendete Offenbarungsreligion zu vertreten. Von mütterlicher Seite war er der Enkel des Berliner Propstes an St. Nikolai, Johann Joachim Spalding, der gleich seinem Zeitgenossen und Verwandten Sack dem frivolen, irreligiösen Wesen der Zeit mit hohem sittlichen Ernst entgegentrat, aber das Christenthum aus religiösem Interesse mit der Zeitbildung möglichst zu versöhnen suchte, um dadurch, wie er meinte, einen festen Grund und Boden zur Vertheidigung desselben gegen die Angriffe des freigeisterischen Unglaubens zu gewinnen. Schon von seiner frühesten Kindheit und Jugend an von dieser religiösen und theologischen Richtung beeinflußt, bezog S. mit seinem älteren, dem Studium der Theologie sich widmenden Bruder Friedrich die Universität Göttingen, um die Rechte zu studiren. Er wich damit von der Familientradition ab, weil er, der damals erst sechzehnjährige, bei seiner peinlichen Gewissenhaftigkeit es nicht für recht hielt, Theologie zu studiren, wenn er in seinem religiösen Denken und Empfinden noch in mancherlei Zweifel und Unklarheit sich befand. Jedoch überwand er diese Bedenken bald. Aber Göttingen mit der damals dort herrschenden Theologie bot ihm keine innere Anregung. Es fehlte an Geist und Leben. Von einer tieferen Einführung in das Wesen des Christenthums als des durch Jesum Christum für die sündige Welt geoffenbarten Heils und neuen Lebens war nicht die Rede. Ein neues religiöses Leben ging ihm erst nach seiner Rückkehr nach Berlin (1810) auf, als er, wie viele gleich ihm gerichtete Geister, den mächtigen Einfluß Schleiermacher’s auf sein Herz und Gemüth erfuhr. Als Freund des Sack’schen Hauses hatte dieser schon früher persönlich einen tiefen Eindruck auf den Jüngling gemacht, der nun, durch seine Predigten und Vorlesungen angezogen und begeistert, in ein inniges Verhältniß zu dem geliebten und verehrten Lehrer trat und einer der treuesten und gelehrigsten Schüler dieses Meisters wurde. Dieses Verhältniß war auch dadurch nicht gestört worden, daß Sack’s Vater mit Schleiermacher über dessen „Reden über die Religion“ wegen des pantheistischen Elementes in denselben in Differenz gerathen war, die er in einem an Schleiermacher gerichteten Sendschreiben öffentlich hatte zum Ausdruck kommen lassen. Schleichermacher hatte dieses Sendschreiben freundlich aufgenommen und in seiner Antwort darauf bezeugt, daß er darin nur den Ausdruck reiner Liebe zur Wahrheit und zu seiner Person gefunden habe. S. empfing durch das fortdauernde freundschaftliche Verhältniß Schleiermacher’s zu seinem Elternhause und durch den Verkehr mit dem Kreise hervorragender Männer, dessen Mittelpunkt Schleiermacher war und welchem u. A. auch der spätere Minister Eichhorn angehörte, der Sack’s Schwager wurde, immer reichere geistige Anregung. Aber auch immer klarer und bestimmter wurde ihm Christus, statt als bloßer Tugendlehrer, als Erlöser der Welt und Schöpfer eines neuen Lebens der Mittelpunkt seines inneren Lebens. Wie an dem Aufschwung des religiösen Lebens, der unter dem Druck und der Noth der Fremdherrschaft in Verbindung mit der Erhebung unseres Volkes zur Wiedererkämpfung seiner Freiheit immer allgemeiner und kräftiger sich geltend machte, so nahm der junge Theologe auch an dieser Erhebung mit patriotischer Begeisterung Theil und zog in den Reihen der Vielen, die dem Aufruf des Königs an sein Volk 1813 Folge leisteten, als freiwilliger Jäger mit in den Krieg. Mit dem eisernen Kreuz geschmückt kehrte er von den beiden ersten Feldzügen der Freiheitskriege zurück. Zum zweiten Mal zog er mit seinem Bruder Friedrich, nachdem er mit diesem vom Vater die [155] Ordination empfangen hatte, 1815 dem wiedergekehrten Feind des Vaterlandes entgegen.
Von großer Bedeutung wurde es für seine religiöse Weiterbildung und für seine theologische Vertiefung, daß er bald nach seiner Rückkehr aus dem Feldzuge in das einst von König Friedrich Wilhelm I. in Berlin begründete Domcandidatenstift eintrat. Denn es fiel ihm damit ein Reisestipendium zu, welches er zu einer ein und ein halbes Jahr dauernden Theologenreise durch Deutschland, Holland und England verwendete. Nach der Rückkehr von dieser Reise entschloß er sich schnell, zur Verwerthung des reichen Ertrages dieser Reise sich an der Berliner Universität als Privatdocent der Theologie zu habilitiren. Aber schon im J. 1818 folgte er einem Ruf als Professor der Theologie an die neu gestiftete Universität in Bonn. Der Umfang seiner mit Liebe und Begeisterung begonnenen akademischen Thätigkeit hinderte ihn nicht, bereits nach einem Jahre noch dazu das Pfarramt an der in Bonn neu begründeten evangelischen Gemeinde zu übernehmen. In der geistlichen Besorgung dieser kleinen Gemeinde und der Zusammenschließung ihrer Glieder zu einem festen, lebendig bewußten, evangelisch-kirchlichen Gemeindeleben sah er sich seit 1823 durch seine Gattin, eine Enkelin von Fr. H. Jacobi und Matth. Claudius, kräftig unterstützt. Sie stand ihm, seine pastorale Wirksamkeit ergänzend, als Leiterin eines Kreises von gleichgesinnten christlichen Frauen und Jungfrauen mit ihrer hervorragenden Begabung für die Organisation der Werke barmherziger Liebe treu zur Seite. Neue fruchtbare Anregungen empfing er für seine theologische und kirchliche Wirksamkeit, als C. J. Nitzsch nach Bonn berufen worden war. Mit ihm, sowie mit Friedrich Lücke, verband ihn bald ein inniges, auf gleichem evangelischen Glaubensgrunde ruhendes und für das ganze Leben geschlossenes Freundschaftsverhältniß. Mit jenen beiden Theologen vertrat er im akademischen Lehramt die neue lebendige gläubige Theologie. Nitzsch war zugleich mit den Functionen eines Universitätspredigers betraut worden. Mit ihm vertrat er auf der Kanzel die positive evangelische Glaubenswahrheit. S. konnte Nitzsch gleichsam als zweiten Geistlichen der evangelischen Stadtgemeinde neben sich betrachten, da in die Gottesdienste derselben die Universitätspredigten eingereiht waren und die gottesdienstliche Stätte, die Capelle im Universitätsgebäude, für beide dieselbe war. Das innige amtsbrüderliche und collegialische Verhältniß zwischen beiden Männern war für das evangelische Glaubensleben, sowie für die äußere und innere kirchliche Einheit der Doppelgemeinde der römisch-katholischen Kirche gegenüber von großem Segen. Durch Nitzsch’s Eintritt wurde erst die Einrichtung von Nachmittagsgottesdiensten für die evangelische Stadtgemeine ermöglicht, indem er neben seinen Universitätspredigten die Unterstützung Sack’s für jene Gottesdienste freiwillig übernahm und so gleichsam dessen Pfarrvicar wurde. Andererseits rühmt Nitzsch in dem Briefwechsel mit seinem Vater in Wittenberg wiederholt das brüderliche und weitherzige Entgegenkommen seines Amtsgenossen S.
Dieser sah sich von seinem Freunde und Collegen auch bei der weiteren Ausgestaltung des kirchlichen Gemeindelebens kräftig unterstützt. Schon im Jahre 1816 hatte sich thatsächlich im Sinne des königlichen Erlasses vom J. 1817 die kirchliche Union in Bonn vollzogen. S. ließ sich nun die Ausbildung der auf dieser Unionsgrundlage ruhenden gottesdienstlichen Einrichtungen im Gegensatz gegen widerstreitende Bestrebungen angelegen sein. Zu dem eingeführten bergischen Gesangbuch arbeitete er, um den Mängeln desselben einigermaßen abzuhelfen, einen Anhang von Liedern aus, die er dann vorzugsweise bei den Gottesdiensten singen ließ. Diese behielten zwar den einfachen, vorherrschend reformirten Charakter. Aber der Idee der Union entsprechend wurden hinter [156] dem üblichen Eingangsgebet die Perikopen der lutherischen Kirche eingefügt und S. trat dafür ein, daß auch Crucifix und Lichter auf dem Altar unbestritten ihre Stelle erhielten. Das heilige Abendmahl wurde ganz nach unirtem Ritus gefeiert. Bei allen solchen Einrichtungen erfreute sich S. nicht bloß des Beirathes und der Mitwirkung seines Amtsgenossen Nitzsch, sondern auch der Zustimmung des Presbyteriums und der Zufriedenheit der Gemeinde. Dazu kam, daß er mit zahlreichen bedeutenden Männern in freundschaftlichem Verkehr stand, die seiner Wirksamkeit auf dem Katheder und der Kanzel hohe Achtung zollten.
Dennoch sah er seine Lebens- und Schaffensfreude getrübt, indem er sich in seiner Doppelwirksamkeit nicht voll und ganz befriedigt fühlte. Mit einer angeerbten Neigung zur Schwermuth verband sich ihm das peinigende Gefühl, daß er, wie er meinte, bei seinem Doppelamt weder den ihm als Professor noch als Pastor obliegenden Pflichten, so wie es sein sollte, nachkommen könne. Auch trug er schwer daran, daß seine Ehe kinderlos blieb. Mit übertriebenen peinlichen Anforderungen, die er im Ernst christlicher Heiligung an sich stellte, steigerte sich in ihm das ängstliche Gefühl der Unzufriedenheit mit seinem amtlichen Wirken. Namentlich drückte ihn, daß er durch die Arbeit, die sein geistliches Amt von ihm forderte, in seinen wissenschaftlichen Arbeiten gehemmt wurde. Um diesen alle Zeit und Kraft widmen und allein seinem akademischen Amt leben zu können, gab er im J. 1834 das geistliche Amt auf.
Er hatte bereits 1829 den „Versuch eines Handbuchs der christlichen Apologetik“ herausgegeben, den er seinen Vorlesungen zu Grunde legte. Als zweite Auflage dieser Schrift erschien 1841 seine „Christliche Apologetik“. Schleiermacher hatte bereits in der kurzen Darstellung des theologischen Studiums § 43 dieser Wissenschaft durch Anweisung eines sicheren Ortes in dem Organismus der theologischen Wissenschaften eine feste Grundlage gegeben und ihrem Inhalt bestimmte Grenzen gezogen. Auf dieser Grundlage unternahm S. einen neuen Aufbau der Apologetik. Er unterscheidet mit Schleiermacher Apologetik und Apologie als Theorie und Praxis. Der Apologetik, die es mit dem Wesen des Christenthums als eines einheitlichen Ganzen zu thun hat, stellt er die Aufgabe, den christlichen Glauben nach seinem Grund und Wesen gegenüber dem principiellen und systematischen Widerspruch, der von nichtchristlicher Geistesrichtung dagegen erhoben wird, als Wahrheit zu rechtfertigen. Dagegen hat nach seiner Darstellung die nur aus praktischem Bedürfniß entsprungene und nur praktischen Zwecken dienende Apologie das Christenthum gegen einzelne bestimmte Angriffe und Einwürfe, wie sie zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Seiten gemacht worden, zu vertheidigen, und also je nach den veränderten Verhältnissen auch eine andere Stellung einzunehmen und sich dem entsprechend andere Aufgaben zu stellen. Zwar muß er anerkennen, daß wegen des beiderseitigen Inhaltes und Objectes jener Unterschied kein absoluter sein kann. Aber wenn Schleiermacher, der die Apologetik sammt der Polemik als philosophische Theologie an die Spitze des theologischen Studiums stellt, ihr die Aufgabe zuweist, das eigenthümliche Wesen der christlichen Religion im Verhältniß zu anderen Religionen aus dem ethischen Begriff religiöser Gemeinschaft zu rechtfertigen, so hat S. das hohe Verdienst, unter diesem Gesichtspunkt der Apologetik zuerst eine wirklich wissenschaftliche Gestaltung im Unterschiede von dem praktischen Charakter der Apologie gegeben zu haben. Er hatte auf diese Aufgabe schon hingewiesen in der kleinen Schrift: „Idee und Entwurf der christlichen Apologetik“, Bonn 1819, mit der er die im Winterhalbjahr 1819 bis 1820 zu haltenden apologetischen Vorlesungen ankündigte. Unter Bezugnahme auf Schleiermacher’s bedeutsame Aeußerungen bezeichnet er schon hier die Apologetik als die neue Wissenschaft von der Vertheidigung oder von den Beweisen [157] des Christenthums oder als die Wissenschaft, „in welcher gleichsam die erste Theologisirung von Ideen und Kenntnissen zum Zweck einer Wissenschaft des Christenthums enthalten sein müsse“. Unter dem von Schleiermacher festgestellten Gesichtspunkt sucht er dann in seiner Darstellung der wissenschaftlichen Apologetik nicht, wie Pelt (Theol. Encyklop. § 63) thut, eine neue sogenannte theologische Principienlehre aufzustellen, oder ihr bloß wissenschaftlich principiellen Inhalt zu geben, sondern mit diesem zugleich den concreten Inhalt des Wesens des christlichen Glaubens und Erkennens nach seinem Grund und Ursprung im Gegensatz gegen seine principielle Bestreitung zu vertheidigen. Die christliche Apologetik ist ihm hiernach „die theologische Disciplin von dem Grunde der christlichen Religion als einer göttlichen Thatsache“. Im Anschluß an S. und Schleiermacher bezeichnet der katholische Theolog v. Drey (Apolog. 1838) die Apologetik in wesentlich gleicher Weise als „wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums in seiner Erscheinung“.
Was nun die Darstellung der Apologetik im einzelnen betrifft, so geht S. zunächst auf allgemein religionsphilosophische und religionsgeschichtliche Sätze zurück und stellt in einem vorausgehenden allgemeinen Theil drei leitende Begriffe für die Apologetik auf: Positivität, Heil, Vollendung. Dann weist er ihr die Aufgabe zu, zuerst allgemein die Idee der Religion, sodann speciell die christliche als göttlich positive Religion, als das Heil des sündigen Menschengeschlechts und als die Vollendung des Lebens zu erörtern, und hierbei die Zusammenstimmung der Idee des Christenthums mit dem religiös angelegten menschlichen Wesen, und dann die Wirklichkeit des Christenthums als Verwirklichung der gemeinmenschlichen religiösen Ideen nachzuweisen (2. A. S. 24 ff.). Noch bestimmter bezeichnet er in letzter Hinsicht in der Recension der Apologetik von Delitzsch (1869) in den Studien und Kritiken 1871, S. 326, die Apologetik als die Wissenschaft von der Vertheidigung der absoluten Wahrheit des Christenthums, sowohl nach seinem göttlichen historischen Grunde, wie nach seinem Kern- und Mittelpunkt. Seine Methode ist die, daß die wesentlich philosophisch-religionsgeschichtliche und biblisch-dogmatische Beweisführung vom Idealen zum Realen, von der Idee der Religion oder der Philosophie der Offenbarung zum Nachweis der Unzulänglichkeit der außerchristlichen Religionen, und dem gegenüber zum Nachweis des geschichtlichen Offenbarungscharakters der christlichen Religion fortschreitet. Hiernach wird in einem allgemeinen Theil die Fähigkeit des Christenthums, „sich mit dem Menschlichen wahrhaft und ganz zu einigen, weil es göttlich ist“, sodann in einem besonderen Theil das Thatsächliche des Christenthums als aus göttlichem Grund hervorgegangen und dadurch dasselbe als Religion im vollkommenen Sinn des Wortes nachgewiesen. Es erhellt hieraus, wie neben der historischen Beweisführung durch die Geltendmachung der natürlichen Prädisposition alles Menschlichen für das Christenthum das für die Apologetik unumgänglich erforderliche sujectivpsychologische Element zu seinem Recht kommt. In gleicher Weise stellt S. auf diesem Wege die Absolutheit der christlichen Religion vor allen übrigen Religionen ins rechte Licht und zeigt, daß über die in ihr erreichte Stufe hinaus keine höhere mehr nöthig und möglich sei. Demnach gehen Sack’s frühere Auffassung der Idee der Apologetik als „der Wissenschaft von der Vertheidigung des Christenthums“ und dieser späteren Darstellung derselben als der „theologischen Disciplin von dem Grunde der christlichen Religion als einer göttlichen Thatsache“ nicht auseinander (Pelt a. a. O. S. 406). Vielmehr enthält die letztere die nähere Bestimmung darüber, in welcher Beziehung, wie und wodurch die Apologetik die Wissenschaft von der Vertheidigung des Christenthums sei.
[158] Das zweite Werk, welches ihn neben der Apologetik einen bleibenden ehrenvollen Namen in der Geschichte der neueren Theologie sichert, ist die „christliche Polemik“, Hamburg 1838, in welcher er in gleicher Weise wie in der Apologetik die Gedanken Schleiermacher’s darüber weiter gebildet und in eigenthümlicher, geistvoller Weise durchgeführt hat. Nach Schleiermacher (a. a. O. § 24, 41) hat die Polemik die Aufgabe, die krankhaften Richtungen innerhalb des Christenthums und des Protestantismus erkennen zu lehren. Sie hat es mit der Nachweisung und Bekämpfung der Krankheiten der Kirche zu thun, welche aus zurücktretender Lebenskraft (Indifferentismus), oder geschwächtem Gemeinschaftstrieb (Separatismus), – als Häresie oder Schisma – hervorgehen. Dem entsprechend ist nach S. die Polemik derjenige Theil der philosophisch-kritischen Philosophie, der die den christlichen Glauben gefährdenden und die Reinheit der christlichen Kirche trübenden Irrthümer nach ihrem Zusammenhange erkennen und widerlegen lehrt. Es handelt sich um Aufdeckung und Abweisung des kirchlichen Irrthums, der in dem Schein von Wahrheit besteht, welchen die Kirche, insofern sie nicht ganz bei Christo bleibt, in ihrer Mitte durch die in der Welt wirksame Lüge entstehen läßt. Die Kirche soll sich durch Bestreiten dieser Lüge in der Wahrheit erhalten und auf die Reinigung und Bewahrung ihrer Glieder vor dem Irrthum bedacht sein. Die besonderen Formen, in denen der Irrthum oder Krankheitsstoff zur Erscheinung kommt, sind nach Sack’s Darstellung: der Indifferentismus im Naturalismus und Mythologismus, der Litteratismus im Empirismus und Orthodoxismus, der Spiritualismus im Rationalismus und Gnosticismus, der Separatismus im Mysticismus und Pietismus, der Theokratismus im Hierarchismus und Cäsareopapismus. Den Unterschied zwischen Apologetik und Polemik bestimmt S. dahin, daß jene mit ihren Gegnern nur das allgemein Menschliche, diese mit ihren Gegnern noch einen gewissen christlichen Glaubensgrund gemein habe. „Die Dogmatik“, sagt er treffend, „setzt Freundschaft, die Apologetik Feindschaft, die Polemik Verstimmung voraus.“ Er hatte in diesen beiden Hauptwerken, wie sich aus der Darlegung ihres Hauptinhaltes und der darin befolgten Methode ergibt, eine feste Stellung auf dem Grunde der geoffenbarten Wahrheit, wie sie das Wort Gottes in der heiligen Schrift bezeugt, eingenommen. Ausdrücklich hat er sich darüber in seiner Schrift: „Vom Worte Gottes, eine christliche Verständigung“, Bonn 1825, ausgesprochen. Er weist darin nach, daß der Schriftglaube in seiner Grundfestigkeit theils auf der Gewißheit von dem nothwendigen und unmittelbaren Zusammenhange der Schriften mit dem, was die Apostel Christi überhaupt gewesen und gewirkt, und wodurch die Weltgeschichte ihre neue Richtung erhalten hat, theils auf der geistigen Erfahrung, die wir sowohl von der innigen Vereinigung, als von dem Unterschiede der Schrift und des Wortes machen, ruhe. Vgl. Nitzsch, System der christlichen Lehre, § 42. Diese Stellung zur heiligen Schrift und diese Auffassung von ihrer principiellen normativen Geltung und ihrer grundlegenden Bedeutung für die Kirche wurde von ihm bald darauf in Gemeinschaft mit Nitzsch und Lücke in einer apologetisch-polemischen Schrift gegen Dr. Delbrück: „Drei theologische Sendschreiben an Dr. Delbrück“, Bonn 1827, näher erörtert und begründet. Dieser hatte nämlich in einer Streitschrift die Brauchbarkeit der heiligen Schrift als Grundlage der evangelischen Kirche bestritten und an ihrer Stelle als solche die altkirchliche Glaubensregel, eine in der patristischen Litteratur des 3. und 4. Jahrhunderts in verschiedenen Formeln auftretende Zusammenfassung der Hauptpunkte des christlichen Bekenntnisses, in Vorschlag gebracht. Gegen die Ansicht führte S. den durchschlagenden Nachweis, daß die Kirche allerdings nicht unmittelbar auf die Schrift gegründet sei, aber noch weniger auf die Glaubensregel, sondern auf das in der apostolischen Verkündigung [159] enthaltene Wort Gottes, welches sich um seiner Reinerhaltung willen dann in der heiligen Schrift fixirt habe. Von diesem Standpunkt aus trat S. später auch für die historische Wahrheit des apostolischen Zeugnisses über die Person und das Werk Jesu im Gegensatz gegen das Leben Jesu von D. Strauß ein. In seiner Schrift: „Bemerkungen über den Standpunkt der Schrift: Das Leben Jesu von Strauß“, Bonn 1836, wies er die Unvereinbarkeit des Mythus mit dem lebendigen geschichtlichen Monotheismus nach.
Unter verschiedenen in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten sind besonders zwei Abhandlungen wegen ihrer Bedeutung für die zweckmäßige Behandlung der Dreieinigkeitslehre in der kirchlichen Praxis hervorzuheben. Die eine betrifft „die katechetische Behandlung der Lehre von der Dreieinigkeit“ (Stud. u. Krit. 834, 1). Nach Nitzsch’s Urtheil gehört sie zu dem Vorzüglichsten, was für die Erkenntniß der praktischen Bedeutung und einer wirklichen Lehr- und Denkbarkeit dieser Lehre geleistet worden sei. Syst. § 81. Die andere Abhandlung, zu gleichem Zweck verfaßt und von derselben Bedeutung, betrifft „die Behandlung der Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit in der Predigt“ (Stud. u. Krit. 1850, 4). Um ein Stück neuester Kirchengeschichte hat sich S. durch seine Schriften über den Entwicklungsgang der schottischen Kirche verdient gemacht. In amtlichem Auftrage unternahm er Anfang der vierziger Jahre auf Veranlassung des damaligen Cultusministers Eichhorn, seines Schwagers, eine wissenschaftliche Reise nach Schottland. Hier machte er sich mit der Geschichte und dem Wesen der presbyterianischen Verfassung der schottischen Kirche und insbesondere mit der Entstehung und Gestaltung der freien schottischen Kirche eingehend bekannt. Den wissenschaftlichen Ertrag seiner Reise legte er in dem ungemein gründlichen und lehrreichen Werk über „Die Kirche in Schottland“, Heidelberg 1844, 45, 2 Thle., nieder. Einen ergänzenden Nachtrag dazu bildete auf Grund weiterer Beschäftigung mit der Entwicklung und Ausgestaltung der freien schottischen Kirche sein späterer Aufsatz „über die äußeren Verhältnisse der freien Kirche in Schottland“ (Deutsche Zeitschrift von D. K. F. Th. Schneider[WS 2], 1857, Nr. 3).
Weiter ist hervorzuheben seine lebendige gewissenhafte Theilnahme an den allgemeinen Angelegenheiten der preußischen Landeskirche. Als König Friedrich Wilhelm IV. im J. 1846 die erste preußische Generalsynode nach Berlin zusammenberief, gehörte auch S. zu ihren Mitgliedern. In allem Wesentlichen stimmte er mit seinen Freunden zusammen. Es ist hier besonders die Stellung, die er zur Bekenntnißfrage einnahm, wegen ihrer allgemeinen Bedeutung hervorzuheben. Er gehörte bei den Verhandlungen über die Verpflichtung der Geistlichen auf die Bekenntnißschriften zu denen, welche die Nothwendigkeit einer Lehramtsverpflichtung, und zwar nicht bloß einer formalen, sondern materialen, d. h. einer Verpflichtung auf die Substanz des kirchlichen Bekenntnisses, forderten. In letzterer Beziehung hob er mit Anderen den Unterschied des Fundamentalen und Nichtfundamentalen hervor und machte geltend, daß diese Unterscheidung selbst ausdrückliche symbolische Lehre sei. Demgemäß forderte er schon für die Gegenwart die Aufstellung des Consensus auch im Dissensus, wenngleich er die umfassende Darlegung des Consensus in allem Fundamentalen in Uebereinstimmung mit Twesten nicht als eine von der Gegenwart, sondern erst von der Zukunft zu lösende Aufgabe betrachtete. Unter dem gleichen Gesichtspunkt der Unterscheidung zwischen dem den Consensus bildenden Fundamentalen und dem Nichtfundamentalen erklärte er sich in Bezug auf die Ordination der Geistlichen dafür, daß der Ordinand das apostolische Glaubensbekenntniß als sein Bekenntniß zu sprechen, aber zugleich im Anschluß daran ein zu formulirendes Bekenntniß zu den evangelischen Grundlehren abzulegen habe.
[160] Infolge seiner Theilnahme an der Generalsynode erfolgte 1847 seine Berufung als Consistorialrath nach Magdeburg. Mit der ihm eigenen peinlichen Gewissenhaftigkeit trat er dort in die Mitarbeit am Kirchenregiment ein. Er hatte den Ruf dorthin freudig begrüßt. Aber bald kam ihm schmerzlich zum Bewußtsein, welch theures Gut er, der mit allen seinen geistigen Interessen und seiner wissenschaftlichen Arbeit im akademischen Lehramt aufgegangen war, mit diesem Amt daran gegeben hatte. Er fand in den Formen der kirchlichen Verwaltungsarbeit ein ihm bis dahin ganz fremdes Element und fühlte sich darin wenig befriedigt. Namentlich fühlte er sich in seinem irenischen Gemüth empfindlich verletzt einerseits durch das zuchtlose Gebahren des zunächst in der Provinz Sachsen seine letzte Kraft im Lichtfreundthum[WS 3] zusammenraffenden vulgären Rationalismus, andererseits durch die scharfen Gegensätze, die in der sächsischen Provinzialkirche in fortschreitender Steigerung zwischen Confession und Union hervortraten. Im Gegensatz gegen den einseitigen Confessionalismus, der die in der preußischen Landeskirche auf Grund des königlichen Erlasses vom Jahre 1817 und der das Bekenntniß ausdrücklich wahrenden königlichen Declaration vom Jahre 1834 zu Recht bestehende Union bekämpfte und im Gegensatz gegen den kirchlichen Liberalismus, der im Widerspruch mit der Geschichte und dem Recht der Union diesem Wort eine dem Bekenntniß beider Kirchen widerstreitende Bedeutung beilegte und auf eine bekenntnißlose Kirche lossteuerte, gehörte S. zu den unermüdlichen Verfechtern der positiven Union, für welche er nicht bloß in dem Verwaltungsbereich des Kirchenregiments, sondern auch als Schriftsteller mit Eifer und Nachdruck eintrat. Hierher gehören seine Abhandlungen „über die rechtliche Stellung der Union“ in der Deutschen Zeitschrift, 1850, Nr. 11–13, und „über die Union in Preußen nach ihrer neueren kirchlichen Beziehung“, ebendort Nr. 14, 15, 32–34. – Vollends wurde ihm das Leben in Magdeburg schwer gemacht durch die schmerzlichen Erfahrungen, die ihm die auch dort tobenden Stürme des wüsten Revolutionsjahres 1848 brachten, und namentlich durch die Anfeindungen, die er, der Mann des eisernen Kreuzes vom Jahr 1813, als treuer Vorkämpfer für das Königthum von Gottes Gnaden zu erleiden hatte.
In der Sehnsucht nach einem wissenschaftlichen Stillleben nahm er, 70 Jahre alt, im J. 1860 seinen Abschied. Die Erinnerung an seine in Berlin verlebte Kindheit und Jugendzeit bestimmte ihn, dort seinen Wohnsitz zu nehmen. Aber sein Berlin fand er nicht wieder, er fühlte sich dort wie in der Fremde. Die meist am Rhein verlebte längste Zeit seines Lebens ließ die Sehnsucht dorthin zurück immer stärker in ihm werden. Er lebte zuerst in Neuwied, siedelte aber von dort bald nach Bonn über. Sein Lebensgang vollendete dort seinen Kreislauf, wo er die gesegnetsten Jahre seines Lebens zugebrachte hatte, in einer 16jährigen Altersmuße, in welcher er den Gang der kirchlichen Entwicklung und der theologischen Wissenschaft mit lebhaftem Interesse verfolgte und über wichtige Fragen auf beiden Gebieten in verschiedenen Aufsätzen und Recensionen seine Stimme vernehmen ließ. Unter den wissenschaftlich-theologischen Arbeiten, denen er seine Muße widmete, ragt noch ein werthvoller Beitrag zur homiletischen Wissenschaft hervor; sein Werk über die „Geschichte der Predigt von Mosheim bis Schleiermacher“, 1866 (vgl. s. Abhandlung über „Schleiermacher’s und Albertini’s Predigten“ in den Stud. u. Krit. 1832, 2). Zu seinem Schmerz mußte er die Zeit noch erleben, in der zwar nicht das Wort Gottes, aber das Personal für den Dienst am Wort theuer wurde. Da erließ er angesichts des eintretenden Mangels an geistlichen Kräften in der preußischen Landeskirche noch kurz vor seinem Tode einen Aufruf an die Primaner der Gymnasien, durch welchen er junge Kräfte, die sich dem Kirchendienst widmen sollten, werben wollte.
[161] In der Nacht vor seinem 86. Geburtstage, am 16. October 1875, starb Oberconsistorialrath und Professor a. D. D. K. H. S. zu Poppelsdorf bei Bonn. Als Inschrift für sein Grabdenkmal hat er selbst das Wort bestimmt: „Wer in der Lehre Christi bleibet, der hat beide, den Vater und den Sohn“. Damit hat er das Bekenntniß seines Glaubens, in dem er gelebt, gewirkt und gestorben, abgelegt und die Summa seiner Theologie bezeugt. Er war gleichmäßig im theologischen Lehramt, im praktischen Kirchendienst und in der kirchenregimentlichen Thätigkeit einer der edelsten und würdigsten Repräsentanten der positiv gläubigen Theologie und der positiven, das deutsch-reformirte und lutherische Bekenntniß in seinem beiderseitigen geschichtlichen Gepräge und seiner fundamentalen Einheit wahrenden Union der preußischen Landeskirche.
- Vgl. K. G. Sack in der Neuen Ev. Kirchenzeitung 1875, S. 772 ff. – Beyschlag[WS 4], C. J. Nitzsch, 1872, an verschied. Stellen. – Die Verhandlungen der preußischen Generalsynode v. J. 1846.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Friedrich nicht Heinrich
- ↑ Karl Friedrich Theodor Schneider (1801–1882), evangelischer Theologe und Schulmann
- ↑ Die Lichtfreunde, 1841 gegründete Gesellschaft, die sich gegen die protestantische Amtskirche stellte; siehe Wikipedia: Lichtfreunde
- ↑ Willibald Beyschlag (1823–1900), Protestantischer Theologe