ADB:Rudolf, Johann Rudolf
[1] Johann Rudolf R. (Rodolff), reformirter Theolog des 17.–18. Jahrhunderts, geb. am 4. Oct. 1646 zu Zofingen im Kt. Aargau, † am 18. September 1718 in Bern. – Sein Vater war Moriz Rodolff, Raths- und Gerichtsherr zu Zofingen, seine Mutter Veronika geb. Schaerer. Er besuchte die Schule seiner Vaterstadt, wo ein durch die Kriegsnoth aus der Pfalz vertriebener Deutscher Namens Joh. Pauli sein Lehrer war. Dann studirte er Philosophie und Theologie zu Bern, bestand 1671 sein Examen pro ministerio „cum admiratione“, machte eine Reise durch Deutschland, England und Frankreich, wo er insbesondere auf der Akademie zu Saumur länger verweilte. Nach seiner Rückkehr in die Heimath wurde er 1675 Pfarrer zu Seen und verheirathete sich mit Susanne Seiter aus Aarau. Schon nach einem halben Jahre wurde er Professor der Ethik und der hebräischen Sprache zu Bern, 1688 Professor der katechetischen, 1697 der elenchtischen, 1700 der didaktischen Theologie, 1716 Antistes oder Decan des Berner Capitels. Als Mann von ebenso großer Frömmigkeit als Gelehrsamkeit, insbesondere aber von strengster Rechtgläubigkeit im Sinne der helvetischen Consensusformel, besaß er großes Ansehen und Einfluß auf die Geistlichkeit wie auf den Rath und suchte diesen zu benützen zur Aufrechthaltung und Verschärfung des Symbolzwangs und zur Abwehr arminianischer, socinianischer und pietistischer Abweichungen, damit nicht, wie er vorsorglich warnte, „durch Preisgebung der Außenwerke dem Latitudinarismus die Thore der Festung geöffnet würden“. Nicht zufrieden mit der Forderung des bisherigen „Associations- und Prädikanteneids“ suchte er auch der damals in der Schweiz wie in Deutschland um sich greifenden pietistischen Bewegung durch ein neues Symbol entgegenzutreten. Er entwarf zu diesem Zweck 20 Thesen, worin er den abweichenden Meinungen der Pietisten und Separatisten scharf formulirte orthodoxe Sätze entgegenstellte und suchte diese auf einer 1699 nach Bern berufenen außerordentlichen Synode als neue regula fidei oder als orthodoxia ecclesiae Bernensis continuata zu öffentlicher Anerkennung zu bringen. Die Synode unter dem Vorsitz des damaligen Decans Bachmann erkannte zwar die Sätze Rodolphi’s als schriftmäßig an; die Majorität der Synode aber wie der Rath fand es doch bedenklich, ein solches neues Glaubensgesetz aufzustellen, um nicht die Libertät allzusehr einzuschränken und neue Spaltungen zu veranlassen. [36] So scheiterte dieser letzte Versuch zur Verschärfung des Symbolzwangs in der reformirten Kirche des Kantons Bern, und bald, noch in den letzten Lebensjahren Rodolphi’s, erhoben sich besonders vom Waadtlande her neue Conflicte, in welchen mit der Consensusformel auch das alte orthodoxe System einen entscheidenden Stoß erlitt. R. starb noch vor dem Entscheidungskampf nach kurzem Unwohlsein, nachdem er noch am Tage vor seinem Tode ein schönes Bekenntniß seiner unerschütterlichen Glaubensgewißheit abgelegt hatte. - Von seinen Schriften sind besonders zu nennen eine „Ethik in zwei Büchern“ (1. Aretologie, 2. Eudämonologie) unter dem Pseudonym Philaretus, Amsterdam 1696; eine zweite Aufl. in Bern; eine „Erklärung des Katechismus“, Bern und Franeker 1697/8; ins Deutsche übersetzt 1711; ferner ein lateinischer Dialog über die von den Pietisten aufgeworfene Frage über die Theologie der Unwiedergebornen, Bern 1704, deutsch Zürich 1710; eine „Theologia christiana s. credenda de Deo“ 1714; außerdem verschiedene philosophische und theologische Dissertationen und ein Band deutscher Predigten, nach seinem Tode herausgegeben, Bern 1719, 4°.
Rodolphi:- Vgl. Leichenrede von G. Altmann, Bern 1718. – Bibliotheca Bremensis, Cl. II, 2, S. 352; Cl. IIIb2, S. 361 ff. – Jöcher III, 2162. – Hottinger, Helvet. Kirchengesch. IV, 258 ff. – Schweizer, Centraldogmen II, 75 ff. – Gaß, Gesch. der prot. Dogmatik III, 269. – Linder, Die reformirte Kirche in der Schweiz im Kampf mit dem Pietismus, in der Zeitschr. f. histor. Theologie 1869, S. 292 ff. – Tholuck, Akad. Leben d. 17. Jahrh. S. 341 ff.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 35. Z. 19 v. o.: Die Namensform Rodolphi ist nicht zulässig. Das seit 1598 in Zofingen (Aargau) eingebürgerte Geschlecht, welchem der Berner Decan angehört, schreibt sich Rudolf (nach älterer Weise Rudolff) und erlosch 1806 in dem einen Zweige mit seinem Enkel Samuel Rudolf R., Professor der lateinischen Sprache und der Geschichte an der Akademie in Bern. Der Decan nennt sich in seinen lateinischen Schriften Rodolphus, offenbar mit Anlehnung an das französische Rodolphe, und hieraus erklärt sichs, daß er auch in Nachschlagewerken bisweilen unter dem Namen „Rodolf“ erscheint. – Zu den Quellen ist als die letzte und zuverlässigste nachzutragen: F. Trechsel, Joh. Rud. Rudolf, Professor und Dekan. Ein Theologenbild der alten Schule – in: Berner Taschenbuch auf das Jahr 1882, hrsg. von Emil Blösch, 31. Jahrg., Bern 1882 (81), S. 1–98. [Bd. 29, S. 776]