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ADB:Reyher, Andreas

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Artikel „Reyher, Andreas“ von Max Berbig in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 322–325, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reyher,_Andreas&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:53 Uhr UTC)
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Reyher: Andreas R., hervorragender Pädagog des 17. Jahrhunderts, geboren in dem Dorfe Heinrichs bei Suhl am 4. Mai 1601, † als Rector des Gymnasiums in Gotha am 2. April 1673. Sein Vater war der „Weinführer“ Michael Reyher, seine Mutter, Ottilie, die Tochter des Schultheißen Wolfgang Albrecht in Heinrichs. Besonders die letztere wußte durch ihre tiefe Frömmigkeit schon frühzeitig religiösen Sinn und festes Gottvertrauen in dem Gemüthe des Knaben zu wecken. Anfangs besuchte dieser die Schule seines Heimathsortes, von 1614 ab aber die in dem benachbarten Suhl, damit er so viel im Rechnen und Latein lerne, um dermaleinst ein tüchtiger Weinhändler werden zu können. Infolge der raschen Fortschritte aber, die der Knabe in der Schule machte, gab der Vater diesen Plan wieder auf, beschloß, den Sohn studiren zu lassen und sandte ihn 1616 auf das Gymnasium in Schleusingen. Hier ward er in die Tertia aufgenommen, rückte aber schnell vor und erlangte am 16. August 1621 die Erlaubniß zum Besuche einer Universität. Er widmete sich in Leipzig dem Studium der Theologie und Philologie, sah sich aber infolge seiner ungünstigen finanziellen Lage genöthigt, nebenbei viel Privatunterricht zu ertheilen. Diese Uebung im Unterricht sollte ihm jedoch später sehr zu statten kommen. Bereits im J. 1624 ward er von der philosophischen Facultät zum Baccalaureus gewählt und 1627 erlangte er die Magisterwürde. Jetzt schon hielt er philologische und philosophische Privatvorlesungen; am 19. März 1631 aber erfolgte seine öffentliche Habilitation. Nachdem er früher bereits vielfach disputirt und 1629 auch 25 Tafeln in Folio zur Einführung in die griechische Sprache herausgegeben hatte, veröffentlichte er von 1630 bis 1632 nun auch Tabellen in gleichem Format zur Logik, Ethik, Physik, Politik und Oekonomik. Durch diese Arbeiten wurde er in weiteren Kreisen bekannt und erhielt daher 1632 einen Ruf, das Rectorat der Schule in Schleusingen zu übernehmen. Er folgte demselben und ward am 10. December jenes Jahres in sein neues Amt eingeführt.

Hier hatte er mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen; denn die nachtheiligen Wirkungen des dreißigjährigen Krieges machten sich immer mehr bemerklich. Ein Einfall der Kroaten 1634, darauffolgende Pest und Hungersnoth erhöhten die üble Lage. Die Zahl der Schüler des Gymnasiums verminderte sich rasch; unter den wenigen Zurückbleibenden riß die größte Zuchtlosigkeit ein; den Lehrern konnte kein Gehalt mehr gezahlt werden. Trotzdem harrte R. unverdrossen aus, bewahrte sich eine außerordentliche Arbeitsfreudigkeit und suchte dem Uebel so viel als möglich zu steuern. Zunächst bewirkte er durch neue Schulgesetze eine Besserung der Schulzucht, sodann begann er eine Umänderung des gesammten Unterrichtsbetriebes nach den Reformvorschlägen eines Ratke, Evenius und Comenius anzubahnen und trat 1634 in einer Schrift: „Palaeomathia sive Ratio docendi discendique genuino antiquior“ besonders für die als Neuerungen verdächtigten Lehren Ratke’s ein. Evenius sprach seine Freude über diese Schrift in einem Gedichte aus, das er am 29. April 1634 an R. sandte und machte wahrscheinlich später auch Herzog Ernst auf den tüchtigen Pädagogen aufmerksam. Schriftstellerisch war damals R. noch insofern thätig, als er eine „Synopsis Grammaticae Graecae“ und eine „Philosophia universalis“, auch „Margarita philosophiae“ genannt, herausgab. In seinen persönlichen Verhältnissen trat während seines Schleusinger Aufenthalts eine Aenderung dadurch ein, daß er sich 1633 mit Katharina Abesser, einer Tochter des Superintendenten M. Sebastian Abesser in Suhl, vermählte.

Um jedoch den immer trauriger werdenden Verhältnissen in Schleusingen zu entgehen, nahm R. 1640 einen Ruf als Rector an das Gymnasium zu Lüneburg an und reiste – Frau und Kinder einstweilen zurücklassend – [323] dorthin ab. Er fand jedoch auch in Lüneburg unerquickliche Zustände, und als er im August nach Schleusingen zurückkehrte, um seine Familie zu holen, war er sehr erfreut, als ihm Herzog Ernst von Sachsen-Gotha, der jetzt unter dem Namen der „Fromme“ bekannt ist, das Rectorat des Gymnasiums in Gotha antrug. Der Rath zu Lüneburg wollte ihn zwar nicht wieder entlassen, allein der Herzog erklärte, R. habe seine Demission in Schleusingen nur unter der Bedingung erhalten, daß, wenn das dortige Gymnasium wieder hergestellt würde, er seinen Dienst daselbst wieder aufnehmen oder, wenn die Obrigkeit ihm innerhalb des Landes andere Gelegenheit mache, er sich derselben nachachten wolle, deshalb möge es der Rath geschehen lassen, daß R. in des Herzogs Diensten bleibe: die Lüneburger mußten wohl oder übel nachgeben; am 26. December 1640 traf R. mit seiner Familie in Gotha ein und wurde am 11. Januar 1641 feierlich in sein Amt eingeführt. Hier fand er ein reiches Arbeitsfeld; denn Herzog Ernst richtete es so ein, daß R.’s pädagogische Begabung und praktische Befähigung sowohl dem höheren als auch dem niederen Schulwesen zu Gute kamen. Gleich bei seinem Regierungsantritte hatte er eine allgemeine Schulvisitation veranstaltet und diese hatte ein überaus trauriges Bild von den Schulverhältnissen ergeben. Vielfach hatte aller Unterricht infolge des Krieges aufgehört, wo aber noch Schule gehalten wurde, geschah es von Lehrern, die, um leben zu können, nebenbei ein Handwerk treiben mußten. Mechanisches Auswendiglernen war die Hauptsache des Unterrichts; die Schulzucht wurde mit barbarischer Roheit gehandhabt. Nun hatte Herzog Ernst sich schon als Prinz lebhaft für die pädagogischen Bestrebungen Ratke’s interessirt und mit Freuden den segensreichen Einfluß beobachtet, welchen die in dessen Sinne von dem Generalsuperintendenten Johannes Kromayer in Weimar verfaßten Schulordnungen, von denen besonders die von 1619 und 1629 einer Verbesserung der Volksschule galten, ausübten. Er veranlaßte jetzt R., auf Grundlage jener weimarischen Schulordnungen eine solche für das Herzogthum Gotha auszuarbeiten, die im J. 1642 unter dem Titel: „Special- und sonderbarer Bericht, Wie nechst Göttlicher verleyhung die Knaben und Mägdlein auff den Dorfschaften und in den Städten die vnter dem vntersten Haufen der Schul-Jugend begriffene Kinder im Fürstentumb Gotha kurtz vnd nützlich vnterrichtet werden können und sollen. Auf gnädigen Fürstl. Befehl auffgesetzt Vnd gedruckt zu Gotha bey Peter Schmieden. Im Jahre 1642.“ Dieses Buch, welches in seiner zweiten Auflage im J. 1648 den Titel „Schulmethodus“ erhielt, bildete hinfort die Grundlage für den gesammten Volksschulunterricht des Herzogthums und hat Geltung gehabt bis zum Jahre 1780. Das wichtigste Unterrichtsfach war die Religion: der Katechismus lieferte fast ausschließlich den Stoff für die Uebungen im Lesen, Schreiben und selbst im Singen. Nachdem das Lesen in dem „Syllabenbüchlein“ gelernt worden war, wurde ein von R. bearbeitetes „Lesebüchlein“ benutzt; diese genannten Bücher waren ebenfalls Nachahmungen weimarischer Schulbücher. Beim Rechenunterrichte wurde seit dem Jahre 1653 Reyher’s „Arithmetica oder Rechenbüchlein“ angewandt. Besonderes Gewicht wurde auf den Unterricht im Singen gelegt. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr der Methodus sodann im J. 1657 durch Reyher’s Schrift: „Kurzer Unterricht von natürlichen Dingen und etlichen nützlichen Wissenschaften“, die sich nicht an ein weimarisches Vorbild anlehnte, durch welche aber der Unterricht in den Realien in die Volksschulen Gothas eingeführt wurde. Unendliche Schwierigkeiten stellten sich R. bei der Durchführung der Bestimmungen des „Methodus“, z. B. bei der Einführung der allgemeinen Schulpflicht, entgegen; allein er war nicht der Mann, sich dadurch abschrecken zu lassen, und es gelang seiner unermüdlichen Thätigkeit und Ausdauer mit der thatkräftigen Unterstützung [324] des Herzogs Vorbildliches für ganz Deutschland zu schaffen, so daß die Zeitgenossen sagten: Herzog Ernst’s Bauern seien frömmer und gelehrter, als in anderen deutschen Ländern die Edelleute.

Nicht minder reformatorisch wie auf dem Gebiete des Volksschulwesens wirkte R. auch auf seinem eigentlichen Gebiete, dem des Gymnasialunterrichts. Das Gymnasium zu Gotha war unter Reyher’s Vorgänger M. Johann Weitz arg in Verfall gerathen. R. wies in einer Denkschrift auf die Uebelstände hin und machte Verbesserungsvorschläge. Der Herzog ging trotz der beschränkten Mittel darauf ein. Es wurden zwei neue Classen eingerichtet und die Zahl der Lehrer von sieben auf elf erhöht. Wie in der Volksschule, so sollte fortan auch für alle Unterweisung der Gymnasiasten die Religion die Grundlage bieten. Für den Unterricht in der lateinischen Sprache bearbeitete R. drei neue Bücher: „Puerilia latine legendi rudimenta“, „Vocabularium Grammaticum“, „Latino-Germanicum“, und eine lateinische Grammatik. Für die Lectüre gab er den Cornelius Nepos, Curtius, ein „Fasciculum Epistolarum Ciceronis, orationes Ciceronis selectas“, und die „Flores des Plautus“ heraus. Zur Benutzung bei den Uebungen im lateinischen Aufsatz erschienen von R. „Fasciculum phrasicum ex Terentio, Cicerone et Plauto“, „Theatrum Romano-Teutonicum“ und „Regulae sermonis Latini elegantioris“. Der Unterricht im Griechischen begann in Quarta. Zuerst benutzte man Reyher’s „Puerilia Graece legendi rudimenta, pro discipulis quarti ordinis in illustri quod Gothae est Gymnasio edita“, dann eine von R. bearbeitete Grammatik. Die Lectüre, welche in Secunda begann, erstreckte sich auf Homer, Aesop’s Fabeln, Theognidis Sententiä und Reden des Isokrates. Für den Unterricht im Hebräischen gab R. ebenfalls ein Lesebuch und eine Grammatik heraus, und für den Unterricht in allen drei Sprachen diente seine: „Grammatica Harmonica generalis linguarum Hebraicae, Graecae, Latinae et Germanicae“. Ebenso verfaßte er Lehrbücher für die in den oberen Classen des Gymnasiums betriebenen philosophischen und mathematischen Fächer. Da jedoch viele Schüler das Gymnasium verließen, ohne den ganzen Cursus durchgemacht zu haben, um sich einem Gewerbe oder dem Handelsstande zu widmen, so richtete R. für diese zwei sogenannte „deutsche Classen“ ein, in denen die für das praktische Leben wichtigen Kenntnisse gelehrt wurden. Er schuf dadurch eine mit dem Gymnasium vereinigte Realanstalt. Auch führte er jährliche öffentliche Examinas ein und machte dem Uebelstande ein Ende, daß jeder Schüler nach Gutdünken das Gymnasium verlassen konnte, um die Universität zu beziehen. Auf seinen Wunsch verordnete Herzog Ernst, daß der Generalsuperintendent in Gemeinschaft mit dem Rector und dem Lehrercollegium über die Reife eines Schülers für den Universitätsbesuch zu entscheiden habe.

Neben der Sorge für den Unterricht lag es R. nun besonders ob, der eingerissenen Zuchtlosigkeit unter den Schülern zu steuern. Er arbeitete neue Schulgesetze aus, die den Beifall seiner Vorgesetzten fanden und am 31. Mai 1641 feierlich im Gymnasium vorgelesen wurden, trotzdem aber nur wenig Besserung schufen. Noch 1663 mußte Herzog Ernst ein „Patent wegen des von den jungen Purschen im Gymnasio treibenden Unfugs“ erlassen. Abgesehen von diesem Uebelstande machten Reyher’s Einrichtungen das Gymnasium in Gotha zu einer Musteranstalt, deren Ruf sich weithin verbreitete. Bei seinem Eintritt betrug die Schülerzahl 341; im J. 1661 erreichte sie ihren Höhepunkt mit 724. Die Arbeitslast, die dabei R. zu tragen hatte, war eine große; aber sie drückte ihn nicht. „Ich habe“, so schrieb er 1648 an das Consistorium, „die Zeit meines Lebens zu keiner anderen Funktion als zur Didaktika Beliebung getragen und gedenke darinnen, so lange mir mein lieber Gott Leben und Kraft verleihet, [325] beständig zu verharren.“ Reyher’s Gehalt betrug dabei 300 meißn. Gulden, dazu 10 Klaftern Holz und die Gebühren bei Aufnahme und Entlassung von Schülern.

Da R. so außerordentlich schriftstellerisch thätig war, hatte er mit Hülfe des Factors Peter Schmid schon in Schleusingen eine Buchdruckerei eingerichtet. Diese nahm er mit nach Gotha und Herzog Ernst unterstützte sein Unternehmen durch Verleihung eines Privilegs. Anfangs wurden in den dort gefertigten Drucken die Factoren Peter Schmid und Johann Michael Schall als Drucker bezeichnet; erst später wurde R. als Inhaber der Druckerei genannt. Als Engelhard-Reyher’sche Hofbuchdruckerei besteht Reyher’s Gründung noch heutigen Tags.

Reyher’s Ehe mit Katharina Abesser war mit zwölf Kindern gesegnet, wovon vier jedoch frühzeitig starben; ja, 1657 ward ihm die Gattin selbst durch den Tod entrissen. Er vermählte sich jedoch 1659 wieder mit Anna Blandina Bachof, einer Tochter des Ministraturcollectors Bachof in Gotha, die ihn noch mit drei Söhnen und drei Töchtern beschenkte. Von diesen überlebten ihn jedoch nur zwei Söhne, und 1670 starb ihm auch die zweite Gattin. Drei Jahre später folgte er ihr im Tode nach, tief betrauert von seinem Landesherrn, seinen Mitarbeitern und seinen zahlreichen Schülern. Er kann mit Recht als der Vater des gothaischen Schulwesens bezeichnet werden. Eine Volksschule in Gotha trägt jetzt zum bleibenden Gedächtniß seinen Namen.

Vgl. Dr. Heine, Programm des Gymnasiums zu Holzmünden 1882. – Dr. Weicker, Programm des Gymnasiums zu Schleusingen 1877. – Dr. Chr. Ferd. Schulze, Geschichte des Gymnasiums zu Gotha, 1824. – Dr. W. Boehme, Die pädagogischen Bestrebungen Herzog Ernst’s des Frommen von Gotha, 1888. – Pfarrer Max Mahlmann in Gispersleben, M. Andreas Reyher, der treue Mitarbeiter Herzog Ernst des Frommen, 1901. – Manuscripte Reyher’s im Besitze der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha.