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ADB:Rapp, Johann Georg

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Artikel „Rapp, Johann Georg“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 286–290, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rapp,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:45 Uhr UTC)
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Rapp: Johann Georg R., Stifter der Harmonistensecte, geboren zu Iptingen (O. A. Maulbronn, Württemberg) am 1. November 1757, † zu Economy im Staate Ohio, Nordamerika, am 7. August 1847. Der Sohn eines unvermöglichen Landmannes, besuchte R. die Schule seines Dorfes, erlernte dann das Leineweberhandwerk, ging einige Jahre auf die Wanderschaft, ließ sich um [287] 1780 wieder in seinem heimathlichen Dorfe nieder und trat 1783 mit Christine Benzinger von Friolsheim in die Ehe, welcher zwei Kinder entsproßten, Johann, geb. 1783 und Rosine, geb. 1786. Schon einige Jahre vor seiner Verheirathung wurde er von religiösen Bedenken gequält, in der pietistischen Privatversammlung, welche im Dorfe bestand, fand er die gesuchte Befriedigung nicht, er faßte den Entschluß, sich ganz Christo zu übergeben und seit 1782 hatte er in sich die Gewißheit, Christum gefunden zu haben; er ging nicht mehr zur Kirche, nahm am Abendmahl nicht Theil und fing auch an, in seinem Hause Privatversammlungen zu halten, auch verweigerte er den bürgerlichen Huldigungseid. Eine stattliche, kräftige Gestalt mit „prodigiösem Blick“ und natürlicher Beredtsamkeit, mit unverkennbarem Herrschertalent begabt, gewann R., vom Volke Räpple genannt, bald Einfluß unter seinen Heimathgenossen und erregte weit und breit Aufsehen. Die evangelische Bevölkerung Württembergs, besonders das Landvolk, befand sich damals in ziemlicher religiöser Unruhe und Aufregung; der Pietismus war tief in dieselbe eingedrungen, andererseits machte sich von außen und im Lande selbst der Rationalismus besonders in der Einführung eines neuen rationalistisch gefärbten Gesangbuchs geltend, durch Bengel waren chiliastische Ideen weit verbreitet, der Stoff zu sectirerischen und separatistischen Richtungen war reichlich vorhanden. R. gab an, seine theologischen Ansichten aus der Bibel und Luther’s Schriften geschöpft zu haben, die Einwirkungen von Jak. Böhme und Bengel lassen sich nicht verkennen, auch Joh. Michael Hahn (s. A. D. B. X, 364 ff.), mit welchem er einmal zusammentraf, hatte, wenn auch nur vorübergehend, Einfluß auf ihn; im Unterschiede von diesem letzteren aber, welcher das Band mit der Landeskirche möglichst zu erhalten suchte, huldigten R. und seine Anhänger bald starken separatistischen Neigungen. Die Achtung vor dem Geistlichen und seinem Amt wurde schnöde bei Seite gesetzt, die kirchlichen Ordnungen mißachtet, Taufe, Confirmation und Abendmahl verschmäht, am Sonntag gearbeitet, selbst die Trauerfeierlichkeiten wurden anders gehalten. Die Kinder wurden nicht in die Schule gesandt und alle Aufforderungen, den Gottesdienst zu besuchen. blieben erfolglos. Verweise und leichte Freiheitsstrafeu, welche gegen R. und seine hervorragendsten Anhänger angewandt wurden, blieben erfolglos; die Drohung, aus dem Lande verwiesen zu werden, nahm R. ziemlich gleichmüthig hin, „man müsse dann 3–4000 Personen hinausjagen“. In der That hatte sein Anhang in den verschiedensten Gegenden sehr zugenommen, aus den Dörfern der Nachbarschaft (Wiernsheim, Gärtringen, Ehningen, Nufringen), aber auch aus entfernteren Orten (Schnaid[1], Winterbach etc.) strömten die Leute zu den von R. gehaltenen Versammlungen; die Fremden wurden über Nacht bei den Einheimischen einquartirt, Liebesmahle gehalten, Opfergelder erhoben für die Armen und zur Bestreitung gemeinsamer Ausgaben. Allmählich constituirten sich seine entschiedenen Anhänger zu einer Art Gemeinde, wenigstens stellten sich mehrere hundert unter seine Aufsicht. Im J. 1803 wanderte er mit denselben nach Amerika aus, um dort ungehindert von staatskirchlichen Beschränkungen eine eigene Gemeinde zu gründen, welche dem Ideale der ersten Christengemeinde sich möglichst nähern sollte. Mit großer Umsicht und praktischem Geschick wurde diese Auswanderung betrieben. Rapp hatte, durch ein Buch über Louisiana angeregt, bei der französischen Regierung über die Auswanderung dorthin sich erkundigt, erhielt aber die Nachricht, daß die Colonie an die Vereinigten Staaten verkauft sei. Von holländischen Kaufleuten berathen, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die nördlichen Staaten. Im Juni 1803 reiste er mit seinem Sohne und einigen Anhängern über Amsterdam nach Baltimore, wo er den dortigen Deutschen predigte, zwar keine Anhänger aber Leute gewann, welche ihn mit Rathschlägen und Geldmitteln unterstützten. Nachdem er Maryland und Pennsylvanien [288] durchzogen, kaufte er im Butlerbezirk dieses Staates, acht Stunden von Pittsburg entfernt, 6000 Acres uncultivirtes Land für die neue Ansiedlung. Auf die Nachricht davon verließen 700 seiner Anhänger Württemberg, nachdem sie ihre Güter verkauft hatten, und zogen, von Rapp’s Adoptivsohn Friedrich Reichert geführt, über Amsterdam nach Amerika; eine Abtheilung landete im Juni 1804 in Baltimore, die andere im September in Philadelphia. R. geleitete sie in ihre neue Heimath und nun begann eine eifrige Thätigkeit der Colonisten. R. verstand in ausgezeichneter Weise, sein Organisationstalent und seine Herrschergabe geltend zu machen; in dem Gesellschaftsvertrag, welcher am 15. Februar 1805 geschlossen wurde, vermochte er seine Anhänger, ihr sämmtliches Vermögen, 20 000 Dollars, in eine Gemeinschaftskasse zusammenzuwerfen. Die Gemeinde, deren geistlicher Vorsteher R. und deren weltlicher Vorsteher Reichert war, lebte in vollständiger Güter- und Arbeitsgemeinschaft; die Gemeinde sollte ein Abbild der ersten Christengemeinde sein, die Niederlassung nannte R. nach Apostelgeschichte Cap. IV V. 32 Harmony. Ein Theil der Anhänger Rapp’s, unzufrieden mit der harten Arbeit und Rapp’s dictatorischer Herrschaft, verlangte das hergegebene Vermögen zurück und gründete, als sie dies durch richterlichen Spruch erhalten, unter der Führung von J. Heller die Colonie Blumenthal, die andern hielten treu zu ihrem Führer, in welchem sie einen Propheten Gottes verehrten. Mit eiserner Beharrlichkeit und schwäbischem Fleiße überwanden sie die ungeheuren Schwierigkeiten der ersten Cultivirung des Landes, bald war die Colonie eine blühende, ja wohlhabende; R. verstand den Seinen eine eigenthümliche Liebe zur Natur und deren Geschöpfen einzuflößen (vgl. Römer VIII, 19 ff.), mit Sorgfalt und Fleiß wurden die besten Thiere und Pflanzen ausgewählt, die neuesten und besten Maschinen angeschafft und nachgeahmt und überraschende Erfolge erzielt. Trotz dieses Aufblühens verkaufte R. im J. 1815 die Ansiedlung um 100 000 Dollars wegen des Mangels an guten Verkehrswegen und zog mit den Seinen in den Staat Indiana, wo er am Wabash Neu-Harmony im Poseybezirk gründete. Nur wenige waren in der alten Heimath zurückgeblieben, die andern begannen aufs Neue den Kampf mit der Wildniß und mit demselben Erfolg wie das erste Mal. Das heiße Klima, verbunden mit den Anstrengungen der Arbeit, raffte aber eine ziemliche Anzahl der Ansiedler dahin, eine neue Schaar Einwanderer, 117 Mann stark, ihrem Vaterlande Württemberg in dem Hungerjahre 1817 entfliehend, ersetzte die Lücke nicht völlig. 1824 verkaufte R. Neu-Harmony an den schottischen Socialisten Robert Owen um ½ Million Dollars und kehrte wieder nach Pennsylvania zurück, wo er, 6 Stunden von Alt-Harmony entfernt, die Stadt Economy gründete (mit Rücksicht auf die 3. Einwohnung Gottes in der Welt, die des h. Geistes, so genannt). Das äußerliche Gedeihen blieb bei dem Fleiße der Harmoniten und der trefflichen Leitung Rapp´s nicht aus; die Colonie, auf einem Hügel gelegen, mit schmucken Häusern, umgeben von trefflich bestellten Feldern und Weinbergen, im Besitz aller nothwendigen Fabriken und Gewerbebetriebe stellte eine Musterwirthschaft dar, kaum hat je eine deutsche Ansiedlung mehr geleistet und ein besseres Beispiel gegeben. R. hielt untaugliche und störende Elemente von seiner Gemeinde fern; so wurde ein Graf Leon (sein eigentlicher Name war Bernhard Müller, später nannte er sich Proli), der sich für den Gesalbten Gottes ausgab und 1831 mit 60 Begleitern aus Frankfurt kam und eine Zeitlang Aufnahme in der Gemeinde gefunden hatte, als es Zwistigkeiten gab, mit Geld abgefunden. R. selbst blieb bis zu seinem Tode der Vater und Herrscher seiner Gemeinde, sein Wille als der eines göttlichen Gesandten galt als unumstößliches Gebot; Mittwochs und Sonntags zweimal predigte R. in der Kirche, sonst versammelte man sich Abends bei ihm zu gemeinsamer [289] Unterhaltung, welche mit Gebet und Gesang begonnen und geschlossen wurde. Dreimal im J. war großes Liebesmahl im Museum. 1827 gab R. ein von ihm zusammengestelltes „Harmonisches Gesangbuch“ heraus, welches ziemlich viele von ihm verfaßte Lieder enthält, deren manche geschmacklos und verworren chiliastische und mystische Ideen ausdrücken. Hand in Hand mit dem wachsenden Wohlstand der Gemeinde ging ihre Abnahme an Mitgliedern; 1807 hatte R. die Ehe als wider Gottes Willen verboten, bei der Wiederkunft Christi, welche er auf den August 1829 weissagte, werden nur die Ehelosen bestehen. Da das Verbot strenge durchgeführt wurde, und kein Zuzug von Außen die durch den Tod entstandenen Lücken ersetzte, verminderte sich die Gemeinde immer mehr. 1811 starb Rapp’s Sohn Johannes, 1834 sein Adoptivsohn Friedr. Reichert, am 7. August 1847 starb R. selbst nach kurzer Krankheit, nachdem er seine Geistes- und Körperkräfte frisch bis an sein Ende sich bewahrt und auch sein Ansehen bei seiner Gemeinde nicht abgenommen hatte. Auf dem als Obstgarten angelegten Kirchhofe wurde er begraben, ohne daß ein Leichenstein seine Ruhestätte bezeichnet. Von seiner Familie lebt nur noch seine Enkelin Gertrud, seine Gemeinde besteht nur noch aus ca. 70 Personen, alle in hohem Alter, das aus mehreren Millionen bestehende Vermögen, das R. zuerst auf seinen Adoptivsohn, dann auf sich eintragen ließ, ist jetzt auf den Namen des dritten Vorstehers (Jak. Henrici, der zweite hieß Romelius Backer) eingetragen, im Hinblick auf die kommende Auflösung der Gemeinde ist ein Erbschaftsproceß eingeleitet.

R. ist eine ebenso eigenthümliche als interessante Persönlichkeit; dem schwäbischen Pietismus entsprungen und dessen Anschauungen von der Weltflucht, von der baldigen Wiederkunft Christi, von der Nothwendigkeit der Privatversammlungen, theilend, gehörte er doch nicht zu den Stillen im Lande, sondern schritt, seiner geistigen Bedeutung nur zu sehr bewußt, zum Separatismus; eine bestimmte religiöse oder sociale Gesammtanschauung läßt sich nicht nachweisen außer der einen, daß er sich als Gesandten Gottes ansieht und demgemäß seinen Willen als den Willen Gottes proclamirt. Mit dem naiven Selbstbewußtsein eines Propheten spricht er sich auch alles Eigenthum seiner Gemeinde zu und herrscht über sie mit einer absoluten Macht, welche manchem als Tyrannei erscheinen mochte. Das Ansehen, welches er sich ein halbes Jahrhundert lang bei den Seinen ungeschmälert zu erhalten wußte, die großartigen Erfolge, welche er mit Harmony und Economy erzielte, sind die unwiderleglichen Beweise seiner Thatkraft, seines bedeutenden Verstandes, seines Willens und seiner gewaltigen imponirenden Persönlichkeit; er glaubte an sich und seine Sendung und wußte durch die begeisternde Macht seiner Rede diesen Glauben auch seinen Anhängern beizubringen und bei ihnen zu erhalten. Ohne irgend einer socialistischen Theorie zu huldigen, suchte er das Ideal einer Gemeinde in der Nachahmung der christlichen Urgemeinde zu verwirklichen, aber in dem Verbot der Ehe, in der Absonderung von andern zeigt sich die Beschränktheit seines Standpunktes, ebenso wie das Ansammeln großer materieller Schätze (die Angaben wechseln zwischen 5 und 12 Millionen Dollars), den vorsichtigen schwäbischen Bauern kennzeichnet, welcher sich für alle Fälle einen Nothpfennig zurücklegt. Freilich stimmt die stets erwartete baldige Wiederkunft Christi schlecht damit zusammen und gerade wegen dieser Vereinigung von ungleichartigen Elementen ist R. und seine Gemeinde in der Entwicklung der religiösen Idee ohne Bedeutung, in der Geschichte des Socialismus ein eigenthümliches, ebenso schnell verschwindendes Phänomen, als es aufgetaucht war.

Die ausführlichste, aus den Originalacten geschöpfte Schilderung Rapp’s gibt Rauscher, Des Separatisten G. Rapp Leben und Treiben, in Theologische Studien aus Württemberg VI, 1885. Sonst vergleiche Grüneisen, Zeitschrift [290] für historische Theologie, 1841 und Palmer, Die Gemeinschaften in Württemberg. – Wagner, Geschichte der Harmoniegesellschaft in Nordamerika, 1833. – Löher, Geschichte der Deutschen in Amerika, 1847.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 287. Z. 17 v. u. l.: Schnaith (st. Schnaid). [Bd. 29, S. 776]