ADB:Rüchel, Ernst von
von Saldern (s. d.), stand; R. gehörte daher zu den Officieren, welche dieser 1776 nach Magdeburg nahm, um sie durch den Ingenieurmajor von Fallois in den Kriegswissenschaften unterrichten zu lassen. 1773 zum Fähnrich, 1774 zum Secondlieutenant befördert, wurde er nach der Rückkehr in seine Garnison Regimentsadjutant; [435] bald darauf trat er in gleicher Eigenschaft zum Chef des Regiments, dem General von Knobelsdorf, über, welchen er in den baierischen Erbfolgekrieg begleitete. Knobelsdorff befehligte hier ein eigenes Corps, wodurch R. Gelegenheit erhielt, einen Einblick in die Leitung der Operationen zu thun; für seine Person gab ihm das Treffen bei Gabel Gelegenheit zur Auszeichnung. Nach der Heimkehr wurde ihm die Sorge für die Schule übertragen, in welcher zu Stendal die jüngeren Officiere und die Officieranwärter unterrichtet wurden, wobei er sich Saldern’s Zufriedenheit in solchem Grade erwarb, daß dieser des Königs Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.
Rüchel: Ernst Friedrich Wilhelm Philipp v. R., preußischer General der Infanterie, wird vielfach und nicht mit Unrecht als das Urbild des Officiers der alten Armee, wie sie im Jahre 1806 war, angesehen und daher in erster Linie für das Mißgeschick mit verantwortlich gemacht, welches jene damals ereilte. Am 21. Juli 1754 zu Zizenow im Kreise Belgard in Hinterpommern als der Sohn eines früheren Officiers, des Hauptmanns a. D. v. R., geboren, sollte er, nachdem seine drei Brüder im siebenjährigen Kriege gefallen waren, Prediger werden; den dringenden Bitten des Sohnes nachgebend, gestattete der Vater demselben indessen sich dem Soldatenstande zu widmen. Am 14. Januar 1767 ward er in das Cadettencorps zu Berlin aufgenommen. Eltern, welche es irgend vermochten, gaben ihren Söhnen dort eine Zulage; Rüchel’s Vater aber war so unzufrieden mit dem Lebenswege, welchen der seinige gewählt hatte, daß er eine solche verweigerte; als er sie später anbot, lehnte Ernst Philipp, so nennt sich R. in seiner Selbstbiographie (s. unten), die Annahme ab. Das gleiche Streben nach Unabhängigkeit legte er bei seinem Studium an den Tag, indem er, die durch den Unterricht gezogenen Schranken mißachtend, die Gegenstände desselben nach eigenem Gutdünken wählte. Lebendigkeit und Frische der Auffassung zeichneten ihn schon früh aus. 1771 kam er aus dem Cadettencorps als Fahnenjunker zum Infanterrieregiment von Stojentin (Nr. 27), welches in Stendal in Garnison stand. Der Commandeur, ein Major von Rüchel, war sein naher Verwandter; da dieser ihn sehr streng behandelte, nahm das Verhältniß zwischen beiden bald einen unerfreulichen Charakter an. Um so besser gestaltete sich dasjenige, in welchem er zu dem Chef der magdeburgischen Inspection, dem GeneralIm J. 1781 erhielt er den Befehl, nach Potsdam zu kommen. König Friedrich II. hatte eine lange Unterredung mit ihm. Am Schlusse derselben sagte er: „Ich werde Ihn bei mir behalten.“ „Als Lieutenant oder Capitän“? fragte R. „Als Capitän“, sagte der König, nachdem er ihn groß angesehen hatte. Er gefiel dem Monarchen, welcher ihn auf seinen Reisen mitnahm, ihn durch den Ingenieurgeneral Graf d’Heintze unterrichten ließ, sich persönlich seiner Fortbildung annahm und ihn vielfach gebrauchte. Noch größer war die Gunst, welche des Königs Nachfolger Friedrich Wilhelm II. ihm zuwendete. 1787 ernannte er ihn zum Major, 1788 ertheilte er ihm den Auftrag, das gesammte adelige Militärbildungswesen im Staate neu zu ordnen, 1790 sandte er ihn, als Krieg mit Oesterreich drohte, nach Schlesien, um bei der Aufstellung eines Beobachtungscorps in der Nähe von Glatz mitzuwirken. Die Art und Weise, wie er der letzteren Aufgabe sich entledigt hatte, gab dem König, als er selbst nach Schlesien kam, Veranlassung, R. neben anderen Gnadenbezeugungen den Orden pour le mérite zu verleihen und ihn zum Generalquartiermeister zu ernennen. Fortan wurde er bei der Beschlußfassung über alle das Heer betreffenden Neuerungen zu Rathe gezogen; die von ihm ausgearbeiteten Pläne wurden den Bestimmungen über die Officier-Wittwencasse, über die Invalidencompagnien und über die für Soldatenkinder zu gewährenden Unterstützungen zu Grunde gelegt. 1792 begleitete er den König in den Krieg gegen Frankreich; nach der Einnahme von Longwy (23. August) ward er als Vertreter Preußens zum Landgrafen Wilhelm von Hessen-Kassel gesandt, welcher sein im Felde stehendes Armeecorps in Person befehligte. Als nach dem unglücklichen Ausfalle des Zuges in die Champagne der Landgraf sich von Luxemburg aus nach Hause begeben hatte, blieb R. bei dem Generallieuteuant v. Reinhard, welcher das Commando übernommen hatte. Es handelte sich jetzt darum, Coblenz früher zu erreichen als die schon in Mainz stehenden Franzosen dahin gelangen könnten; daß es glückte, ward besonders R. gedankt, welcher dafür außer der Reihe zum Oberstlieutenant befördert wurde. Von hier wurde er nach Gießen gesandt, von wo die dort befindlichen Truppen dem weiteren Vordringen des bereits in Frankfurt stehenden Custine entgegentreten sollten; die Dienste, welche er bei der am 2. December durch die Hessen ausgeführten Rückeroberung der letzteren Stadt leistete, wurden vom Könige durch Verleihung einer Amtshauptmannschaft belohnt. Am 1. Januar 1793 ward er in seiner Reihe Oberst. Während des Winters 1793–1794 beschäftigten ihn Sendungen an die mitteldeutschen Höfe und die Sorge für die Vertheidigung des rechten Rheinufers; bei der im Frühjahr 1793 stattfindenden Belagerung von Mainz befehligte er eine eigene Heeresabtheilung; die Dienste, welche er hier leistete, wurden nach der Einnahme der Stadt durch seine außerordentliche Beförderung zum Generalmajor anerkannt. Binnen sechs Jahren war er vom Hauptmann zum General aufgestiegen. Er befehligte jetzt eine Brigade, nahm mit derselben zunächst an der Belagerung von Landau Theil, bestand, als diese am 27. December aufgehoben war, am 2. Januar 1794 ein glückliches Rückzugsgefecht [436] bei Frankenthal und bewährte sich bei allen Vorfällen des letzten Feldzugsjahres sowohl als umsichtiger Führer wie als tapferer Soldat; namentlich leistete er in der Schlacht von Kaiserslautern am 23. Mai vorzügliche Dienste. Nach beendetem Kriege führte er ein ihm inzwischen verliehenes Infanterieregiment in dessen Garnison Anclam, übernahm von neuem die Oberleitung des militärischen Bildungswesens, bereiste die Häfen der Ostsee, welche in Vertheidigungszustand gesetzt werden sollten, und hatte eine diplomatische Sendung nach St. Petersburg auszuführen. Am 30. Januar 1796 wurde er als Commandeur des Regiments Garde, als Commandant der Stadt und als Inspecteur der dortigen Infanterieinspection nach Potsdam berufen. Noch größer wurden Rüchel’s Ansehen und Einsicht nach dem Tode König Friedrich Wilhelm’s II. Der Nachfolger desselben, König Friedrich Wilhelm III., welcher ihn in den Rheinfeldzügen kennen gelernt und ihn bereits 1798 zum Generalinspecteur sämmtlicher Cadettencorps und der École militaire ernannt hatte, deren Leitung thatsächlich schon lange seiner Hand anvertraut gewesen war, zog ihn vielfach, namentlich bei den Berathungen über grundsätzliche Aenderungen im Heerwesen, zu Rathe, und legte auf seine Meinung großen Werth. Am 30. Mai 1797 war er Generallieutenant geworden, 1802 wurde ihm der Schwarze Adlerorden zu Theil, 1805 aber ward er in einer Art von Ungnade, durch den Einfluß der franzosenfreundlichen Partei, nach Königsberg versetzt. Eine Cabinetsordre vom 17. August ernannte ihn zum Gouverneur der Stadt, sowie von Pillau und Memel, und zum Generalinspecteur der ostpreußischen Infanterie; er erhielt damit den militärischen Oberbefehl in der ganzen Provinz und eine um so wichtigere Stellung, als ein Krieg mit Rußland nicht unwahrscheinlich war, mußte aber aus allen seinen ihm liebgewordenen Beziehungen scheiden. Die Kriegsgefahr im Osten schwand bald; um so lieber folgte R. einem Befehle des Königs, welcher ihm, als zu Anfang des Winters die Betheiligung Preußens an dem österreichisch-russischen Bündnisse gegen Frankreich in sicherer Aussicht zu stehen schien, den Oberbesehl einer im Hannoverschen sich sammelnden Heeresabtheilung übertrug. Von Gotha aus unterbreitete er damals dem Könige einen Plan, dem im Süden Deutschlands stehenden Napoleon in den Rücken zu fallen. Aber die Betheiligung am Kampfe unterblieb und R. ging in Gemäßheit besonderen Befehls nach Berlin. Er nahm seine ostpreußischen Dienstgeschäfte von hier aus wahr, und ward daneben viel zu anderen Geschäften gebraucht. So gehörte er zu der vom Könige zusammenberufenen Versammlung, deren Mitglieder, durch Preußens hülflose Lage gezwungen, ein Protocoll unterzeichneten, welches sich für Anerkennung des berüchtigten, von Haugwitz auf eigene Verantwortung zu Paris mit Frankreich abgeschlossenen Vertrages aussprach. „Nie,“ sagte er später, „habe er mit schwererem Herzen seinen Namen unter ein Schriftstück gesetzt.“ Die Erniedrigung, welche in demselben Ausdruck fand, konnte den Krieg nicht abwenden. R. zog mit trüben Ahnungen in den Kampf, er stimmte keineswegs ein in das vielfach laut werdende Freudengeschrei, die Briefe an seine Gattin beweisen es. Er war an die Spitze eines abgesonderten Corps gestellt worden, welches aus den in Hannover und in Westfalen stehenden Truppen gebildet wurde. Am Morgen des 14. October stand er mit 15 000 Mann am Webichtholze bei Weimar. Hier empfing er den Befehl, mit denselben auf das Schlachtfeld von Jena zu rücken. Es war zu spät, und nicht unberechtigt ist die Frage, ob ihm nicht möglich gewesen wäre, früher zur Stelle zu sein. Auf dem Wege dahin begegnet er bei Capellendorf der zurückfluthenden Masse der geschlagenen Armee Hohenlohe’s. Vergeblich suchte er dem Vorbringen der siegestrunkenen Franzosen Einhalt zu thun; als er seine Truppen zum Angriff auf Groß-Romstädt ordnete, streckte ein Schuß in die Brust ihn schwer verwundet nieder. Er wurde nach seinem Gute Hasseleu (jetzt [437] Haselau geschrieben) im hinterpommerschen Kreise Regenwalde, geschafft, konnte aber schon in der ersten Hälfte des December die ihm übertragenen Geschäfte als Generalgouverneur von Preußen und bei der Bereitstellung der dort behufs Fortsetzung der Feindseligkeiten zu bildenden Truppen übernehmen. Rüchel’s Ruf hatte durch das Unglück, welches über den Staat Friedrich’s des Großen hereingebrochen war und durch den Zusammenbruch der alten Armee, mit der er selbst so innig verwachsen war, nicht gelitten; beim Könige stand er in hohem Ansehen. Als am 10. December Beyme den Auftrag erhielt, einen Entwurf für die Ausbildung des Ministeriums auszuarbeiten, waren er und der General Zastrow die Männer, welche neben Stein dasselbe bilden sollten; Stein’s Weigerung, mit Zastrow und dem zum Schriftführer ausersehenen Beyme zusammenzuarbeiten, brachte den Plan zum Scheitern (M. Lehmann, Scharnhorst, II, Berlin 1887), und Napoleon’s Machtwort forderte nach dem Frieden von Tilsit, daß R. die kurz zuvor übernommene Leitung des Kriegsministeriums wieder abgeben solle. Er erbat nun seine Entlassung, welche er am 11. Juli 1807 als General der Infanterie erhielt und hat fortan bis zu seinem am 13. Januar 1823 erfolgten Tode in ländlicher Abgeschiedenheit, aber, namentlich in den Jahren der Vorbereitung für den Befreiungskrieg, in regem Verkehr mit den Edelsten und Besten unter den Vorkämpfern desselben, zu Hasseleu gelebt. An den Feldzügen selbst theilzunehmen, wie er es wünschte, ward ihm nicht vergönnt. Er war der Letzte seines Stammes (vgl. R.-Kleist).
Ein Rückblick auf den geschilderten Lebensgang zeigt den General von R. als einen hochgebildeten und tapferen Soldaten, als einen pflichttreuen und gewandten Officier. Dabei war er freigebig und uneigennützig, wohlwollend und energisch. Der Rede war er in hohem Grade mächtig, doch riß ihn die Leichtigkeit, mit welcher er sprach, zuweilen hin, Dinge vorzubringen und Behauptungen aufzustellen, welche eine sachliche Kritik nicht ertragen können. Weniger verstand er die Feder zu führen. Es spricht für ihn, daß Männer wie Blücher und Scharnhorst zeitlebens seine Freunde blieben und ihn hochschätzten. Wir haben eine Menge von zeitgenössischen Urtheilen über ihn, von denen keins ihn verdammt oder geradezu ungünstig beurtheilt. Namentlich die jüngeren Officiere waren seine begeisterten Anhänger. Sie betrachteten ihn als den Nachfolger des großen Königs in der Feldherrenlaufbahn; als der Lieblingsjünger desselben ist er sein Johannes genannt worden. Blücher rechnete ihn unter die kraftvollsten Diener des Königs (Wigger, Feldmarschall Blücher von Wahlstatt, Schwerin 1878, S. 315); dem General v. Hüser, welcher ihn 1805 kennen lernte, macht er den Eindruck eines sehr tüchtigen und bedeutenden Mannes: „er hatte etwas Imposantes und alle seine Befehle waren bestimmt und sachgemäß“ (Denkwürdigkeiten aus dem Leben des General v. Hüser, Berlin 1877, S. 48), General v. Reiche (Memoiren des General v. Reiche, herausgegeben von L. v. Weltzien, Leipzig 1857, I, S. 150) kennzeichnet ihn als entschieden, ehrgeizig, tapfer, Soldatenfreund, uneigennützig, aber auch als eitel und dünkelhaft und als einen grimmigen Franzosenfeind. Wenn R. wirklich gesagt hat, was ihm in den Mund gelegt wird: „Meine Herten, solche Generale wie den Herrn v. Bonaparte hat der König mehrere“, so hat er damit in vorderster Stelle sich selbst gemeint. König Friedrich Wilhelm III., welchem er eine Zeitlang sehr nahe stand, schätzte ihn außerordentlich. „Preußen hat nicht Viele, welche ihm gleich kommen“, soll er noch in späteren Jahren gesagt haben (Preußische Jahrbücher, Februar 1881, S.117), und Minutoli (Beiträge zu einer künftigen Biographie Friedrich Wilhelm’s III., Berlin 1843, S. 28) erzählt, daß der König stets seine Umsicht und seine schönen militärischen Kenntnisse anerkannt habe. Dabei muß auffallen, daß ihm nach dem Jahre 1807 nie wieder Gelegenheit gegeben ist, [438] von diesen Eigenschaften Gebrauch zu machen. Minutoli selbst beurtheilt ihn weniger günstig: „Besaß auch R. keine tiefen Kenntnisse in den verschiedenen Zweigen der militärischen Wissenschaften, so ersetzte er diese durch einen scharfen Verstand, durch vielen Geist und eine gewisse Anmuth in Ton und Haltung“ (a. a. O. S. 87); an einer anderen Stelle (S. 28) nennt er ihn einen „zwar absonderlichen, aber doch sehr bedeutenden Mann“. Eine Schattenseite seines Charakters war eine große Heftigkeit, welche ihn nicht selten zu unangemessenem Betragen hinriß; durch seine glänzende Laufbahn und durch die hohen Stellungen, welche er bekleidete, gefördert, verleitete sie ihn sogar dem König Friedrich Wilhelm III. gegenüber zuweilen die schuldige Achtung aus dem Auge zu lassen; Graf Henckel von Donnersmark erzählt in „Erinnerungen aus meinem Leben“ (Zerbst 1846) mehrere Beispiele. Buchholz erkennt in der Galerie preußischer Charaktere (Germanien 1808) wenigstens die Energie seines Gemüthes an; Clausewitz (Kriegsarchiv des Großen Generalstabes A. c. 9, II) schlägt sein Denkvermögen nicht allzu hoch an, rühmt aber andere soldatische Gaben: die Lebhaftigkeit seines Geistes, die Vehemenz seines Charakters, seine kühne Zuversicht, seine Fähigkeit sich zu begeistern, seine Offenheit und seine ausgezeichnete Tapferkeit. Von Clausewitz rührt die Bezeichnung von R. als einer aus lauter Preußenthum gezogenen concentrirten Säure. Eine seiner hervorstechenden Eigenschaften war sein Franzosenhaß, leider führte ihn derselbe zu einer Unterschätzung des Gegners. Er war kein Feind der Neuerungen, aber er hielt in starrer Beschränkung an den althergebrachten Formen der preußischen Taktik und an den Ueberlieferungen der Friedericianischen Kriegführung fest. Darin liegt der Schuldantheil, welcher beim Zusammenbruche der Monarchie auf seine Rechnung fällt.
- Genealogisch-militärischer Kalender auf das Jahr 1797, bei Joh. Fr. Unger. – Militär-Wochenblatt, Berlin 1839, Nr. 16. – Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine, Berlin 1878, Mai- und Junihefte (enthält eine bis 1797 gehende Selbstbiographie und einige wichtige Briefe). – C. Frhr. v. d. Goltz, Roßbach und Jena, Berlin 1883. – Eine sogenannte militärische Biographie des General von R., welche der Romantiker Friedrich Baron de la Motte-Fouqué (Berlin 1828) schrieb, ist ohne geschichtlichen Werth.