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ADB:Puchelt, Ernst Sigismund

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Artikel „Puchelt, Ernst Sigismund“ von Ernst Landsberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 137–139, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Puchelt,_Ernst_Sigismund&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 21:48 Uhr UTC)
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Puchelt: Ernst Sigismund P., Jurist, ist zu Leipzig am 8. November 1820 geboren, kam jedoch, anläßlich der Berufung seines Vaters als Professor der Pathologie an die Universität Heidelberg, jung nach Baden, wo er bis 1871 geblieben ist. – Früh und glänzend legte er die Studienlaufbahn zurück, promovirte 1842 summa cum laude und erhielt seine erste Staatsanstellung 1849 in Wertheim als Bezirksamtsassessor. Von da kam er 1851 als Assessor an das Hofgericht zu Konstanz, 1852 an das des Mittelrheinkreises zu Bruchsal, dem er, 1856 zum Hofgerichtsrathe befördert, bis 1864 als Civilist und Criminalist angehörte. Die neue Gerichtsverfassung führte ihn am 1. October 1864 als Kreisgerichtsdirector nach Baden-Baden, von wo er 1868 in gleicher Eigenschaft nach Heidelberg versetzt wurde, um aber schon 1869 als Kreis- und Hofgerichtsdirector nach Karlsruhe zu wandern. Dort wurde er im Frühjahr 1871 auch Präsident der juristischen Prüfungscommission. Dann aber eröffnete sich ihm ein weiterer Wirkungskreis, indem er an das Bundes-, später Reichs-Oberhandelsgericht im Juli 1871 berufen wurde. Er gehörte diesem Gerichte bis zur neuen Gerichtsverfassung, dann dem Reichsgerichte seit dessen erstem Beginn, dem 1. October 1879, an, und zwar bei letzterem zunächst im I. Strafsenate, sodann und bis zu seinem Lebensende im II. (rheinischen) Civilsenate. Nach längerem Leiden ist er in dieser Stellung, zu Leipzig, am 6. Februar 1885 gestorben.

Während seiner ganzen, stets angestrengten und erfolgreichen, von competenter Seite immer gleichmäßig gerühmten richterlichen Thätigkeit hat P. unausgesetzt auch eine rege litterarische Schaffenskraft an den Tag gelegt, durch Zeitschriften-Artikel und -Begründung wie durch große Commentare, Monographien und sonstige umfassende Werke. Zunächst brachten, seit 1852, die „Annalen der badischen Gerichte“ kleinere und größere Beiträge aus seiner Feder, dann trat er als eifriger Mitarbeiter in das „Archiv für Handels- und Wechselrecht“ des Dr. Busch ein; 1868 aber erschien sein umfassender Commentar über das Badische Strafgesetzbuch nebst einem Ergänzungsbande über die Badischen Nebenstrafgesetze und unmittelbar darauf erfolgte durch ihn die Begründung der „Zeitschrift für französisches Civilrecht“, jenes glücklich gedachte und erfolgreiche Unternehmen, das sich besonders die Vergleichung der rheinpreußischen, rheinbairischen, rheinhessischen und badischen Jurisprudenz zur Aufgabe setzte und dadurch der Zersplitterung des deutsch-französischen Rechts vorbeugte. Er hat bis zu seinem Tode diese Zeitschrift (in ihren ersten 15 Bänden) redigirt und in ihr zahlreiche Beiträge (der erste Band rührt ganz von ihm her) veröffentlicht. So war er der gegebene Mann, um nach Anschütz die weitere Herausgabe des leitenden Handbuches des Französischen Civilrechts von Carl Salomo Zachariae von Lingenthal (1. Ausgabe 1808) zu übernehmen und er hat diese Aufgabe (6. Aufl. Heidelberg 1875) mit Pietät, [138] Fleiß und Scharfsinn, wenngleich ohne tiefer einzuschneiden noch fortzuarbeiten, gelöst. Vorher aber noch hatte er inzwischen seinem badisch-landesrechtlichen criminalistischen Werk, als das badische durch ein Reichs-Strafrecht abgelöst wurde, einen Commentar hierzu, 1871, folgen lassen, der mit Glück die erste Einführung dieses, aus dem Preußischen Strafgesetzbuch bekanntlich hervorgegangenen, Reichsgesetzes nach Süddeutschland vermittelte. Ja, während aller dieser Leistungen, während er gleichzeitig nach Leipzig übersiedelte und sich in die dortigen Verhältnisse einarbeitete, erstand noch ein drittes, wohl sein Hauptwerk: der Commentar zum Deutschen Handelsgesetzbuche.

In der glücklichen Lage, die Praxis des Reichsoberhandelsgerichts hierfür unmittelbar aus der Quelle schöpfend zu verwerthen, verfaßte P. die erste Auflage dieses Werkes 1872–1874. Es ist wohl seine selbständigste, bedeutsamste, auch gereifteste und dankenswertheste Production. Sie hat denn auch fortgesetzten und ungetheilten Beifall gefunden, eine 2. Ausgabe (in 2 Bänden) wurde schon nach Jahresfrist nöthig und eine dritte, stark vermehrte und umgearbeitete, namentlich dem neueren Proceßrechte, aber auch sonst allen Fortschritten des deutschen Rechtslebens und der Doctrin Rechnung tragende konnte P. noch unmittelbar vor seinem Tode zum Abschluß bringen. – Zwischen dieser dritten und der zweiten Auflage des Commentars zum Handelsgesetzbuche liegen die Commentare zur Reichs-Civil- (1877) und zur Reichs-Straf- (1881) Proceß-Ordnung, sowie sein Beitrag zu Meibom’s Sammlung von Werken über die deutschen Hypotheken-Gesetze, zu welcher er nämlich 1876 die erste Abtheilung des Bandes „Rheinisch-französisches Privilegien- und Hypothekenrecht“ lieferte, d. i. den allgemeinen Theil, während die zweite, den Partikulärgesetzen gewidmete Abtheilung durch von ihm ausgewählte Bearbeiter hergestellt wurde. Ferner gründete er noch 1876, als Ableger der Zeitschrift für französisches Civilrecht, die „Juristische Zeitschrift für das Reichsland Elsaß-Lothringen“, die von ihm bis zum 10. Bande geleitet wurde.

Damit dürften wohl des ungemein arbeitskräftigen und leistungsfreudigen Mannes Hauptwerke sämmtlich aufgezählt sein. In zahlreichen und überaus verschiedenen Fächern thätig, hat er sich überall tüchtig, häufig scharfsinnig und selbständig, nicht selten als Vermittler und Förderer neuer Rechtsgestaltung, besonders des Reichsrechts, erwiesen. Wenn manche seiner Schriften bald veraltet, manche seiner Commentare bei der ersten Auflage verblieben sind, so hängt das wohl gerade damit zusammen, daß sie das Verdienst hatten, ganz neue, umfassende Gesetze rasch für die Bedürfnisse der Praxis zu bearbeiten. Eben darum aber auch sind diese Commentare nicht bloß Zusammenstellungen von Meinungen Anderer und der Präjudicien, wie bei selbst erfolgreicheren Werken dieser Art so häufig der Fall, sondern Darstellungen eigener Auffassung – mag diese auch nicht immer gerade eine tief schürfende sein. Daneben scheint P. noch Zeit und Stimmung zu gelegentlicher Theilnahme an der politischen Tageslitteratur besessen zu haben, wie er denn als ein Mann von hingebender Vaterlandsliebe geschildert wird; außerdem als ein stets liebenswürdiger und anregender Gesellschafter, fördernd und wirksam im Kreise der Familie, der Freunde und der Berufsgenossen. So wird namentlich seine persönliche Bedeutung für die Gestaltung der inneren Verhältnisse bei dem neugegründeten Reichsgericht gerühmt; und so behalten wir von ihm den Gesammteindruck einer reichen, rastlos thätigen, allseitig – Praxis und Theorie, altes und neues Recht, Nord- und Süddeutschland, Menschen und Dinge – vermittelnden Persönlichkeit.

Nachrufe in der Beilage zu Nr. 48 der Karlsruher Zeitung v. 26. Februar [139] 1885 (aus Reichsgerichts-Kreisen) und zu Beginn von Bd. 16 der Zeitschrift für französisches Civilrecht, von Max Heinsheimer.