ADB:Poppe, Johann Heinrich
Kästner mathematische, unter Lichtenberg physikalische, unter Beckmann technologische und staatswirthschaftliche Studien; zumal dieser letztere Lehrer hat auf Poppe’s ganze spätere Richtung den nachhaltigsten Einfluß geübt. Die stete Geldnoth veranlaßte ihn, mit kleinen schriftstellerischen Versuchen hervorzutreten, und als er für seine 1797 gedruckte „Geschichte der Uhren“ das Honorar von 24 Thalern erhielt, fühlte er sich äußerst glücklich. Der erste Erfolg ermuthigte ihn, zwei Jahre später sein „Wörterbuch der Uhrmacherkunst“ erscheinen zu lassen, eine gute Compilation, die auch durch ihre Rücksichtnahme auf die in Deutschland noch wenig bekannten hervorragenden Leistungen der französischen Feinmechaniker verdienstlich war. Wissenschaftlich höher steht entschieden seine 1800 von der philosophischen Facultät Göttingens mit der großen Medaille ausgezeichnete Preisschrift, welche ursprünglich lateinisch geschrieben war, in den Buchhandel (Nürnberg 1802) aber in deutscher Sprache unter dem Titel gelangte: „Ausführliche Geschichte der Anwendung aller krummen Linien in mechanischen Künsten und in der Architektur“. Diese Monographie, die ihrem Autor u. a. auch die Würde eines schwarzburg-sondershausischen Rathes eintrug, ist dem Fürsten Primas gewidmet, der denn auch die Dedication annahm, in einem uns noch erhaltenen Briefe aber in feinsinniger Weise den Verfasser auf die Mängel hinwies, welche dessen Behandlung des Gegenstandes noch anhafteten. Auch die um eben diese Zeit entstandene „Ausführliche Geschichte der theoretisch-praktischen Uhrmacherkunst“ darf als eine gediegene Arbeit gelten. 1803 promovirte P., habilitirte sich bald darauf an der heimischen Hochschule und hielt vor einem großen Auditorium Vorträge über mathematische Geographie.
Poppe: Johann Heinrich Moritz von P., Mathematiker und Technologe, geboren am 16. Januar 1776 in Göttingen, † am 21. Februar 1854 in Tübingen. Von Jugend auf durch seinen Vater, der die Stelle eines Universitätsmechanikers bekleidete, für die praktische Mechanik begeistert, besuchte P. das Lyceum seiner Vaterstadt und trat nach der Confirmation als Gehilfe seines Vaters in dessen Werkstätte ein, da die Mittel zum akademischen Studium sich nicht aufbringen zu lassen schienen. Der Umstand jedoch, daß 1794 sämmtliche junge Hannoveraner, einzig die Studirenden ausgenommen, zum Waffendienste herangezogen wurden, trieb ihn schließlich doch der schon aufgegebenen Laufbahn zu, und mit Eifer betrieb er nun unterVon 1804–1818 wirkte P. in Frankfurt a. M. als „Lehrer“ und, etwas später, als „Professor“ der Mathematik, Physik und Naturgeschichte am dortigen Gymnasium. Seit 1805 verheirathet, wurden ihm während seines Frankfurter [419] Aufenthaltes vier Kinder, drei Töchter und ein Sohn[WS 1], geboren, welch letzterer ebenfalls Mathematiker ward und noch heute in hohem Alter zu Frankfurt lebt. P. rechnete diese Jahre seines Lebens zu seinen glücklichsten und erfolgreichsten; er begründete das gewerbliche Schulwesen, welches noch jetzt den Stolz der alten Reichsstadt bildet und wirkte sehr viel gutes als ständiger Secretär der gleichfalls durch seine Anregung entstandenen „Gesellschaft zur Beförderung nützlicher Künste“. Nur die Zeit der Befreiungskriege erwies sich als eine für solch friedliche Bestrebungen sehr ungünstige, und einmal, als während der Hanauer Schlacht die Baiern von Sachsenhausen aus das rechte Mainufer beschossen, wäre durch eine in Poppe’s Studirzimmer eingedrungene Kugel dessen Thätigkeit beinahe ein frühes Ziel gesetzt worden. Einen Ruf nach Wien als Vorstand des technologischen Cabinets lehnte er ab, den Ruf nach Tübingen dagegen nahm er an und wirkte daselbst von 1818–1841, indem er über Technologie, Maschinenkunde, Mathematik und Experimentalphysik las. Im genannten Jahre trat er, hauptsächlich durch die zunehmende Schwäche des Gehörs hiezu bewogen, in den Ruhestand, wenige Jahre zuvor hatte ihm die bezügliche Ordensdecoration noch den Personadel gebracht. Seine Feder ließ P. auch nach seinem Rücktritt vom Lehramte nicht feiern, vielmehr gingen gerade noch aus dieser Ruhezeit des geschäftigen Mannes viele umfangreiche Werke hervor.
Wissenschaftlich bedeutendere Leistungen hat allerdings die Tübinger Periode nicht mehr zu Tage gefördert, vielmehr gehören diejenigen Arbeiten von P., welche auf wirklichen Gehalt Anspruch machen können, ausschließlich der Göttinger und Frankfurter Zeit an. Der Aufforderung Dalbergs, ein „deutscher Montucla“[WS 2] zu werden, ist P. leider nicht nachgekommen, seine wackere Preisschrift über die Curven blieb ohne Nachfolger, und die „Geschichte der Mathematik“ (Tübingen 1828) wäre sogar besser ungeschrieben geblieben. Wohl aber lieferte er in jüngeren Jahren noch zwei tüchtige Concurrenzschriften; seine Anleitung, bei Unglücksfällen Hilfe zu leisten und solche zu vermeiden, ward von einem österreichischen Philanthropen hoch belohnt und auf dessen Anordnung in sieben neuere Sprachen übersetzt, und die „Commentatio de incremento et progressibus literarum mechanicarum seculo duodevigesimo“ erhielt 1805 den Preis der Jablonowskischen Societät in Leipzig. Seine „Volksgewerbelehre“ erlebte 1850 noch eine sechste, 1856 eine siebente Auflage und documentirte allein schon durch diesen Umstand ihre große Brauchbarkeit, wie denn der Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes in Böhmen das Werkchen, ins Tschechische übersetzt, an alle Handwerksmeister, die darnach Verlangen trugen, unentgeltlich vertheilen ließ. Aehnlichen Zwecken suchte die mehrfach aufgelegte „Volksnaturlehre“ mit gutem Erfolge zu entsprechen. Auch die „Geschichte der Technologie seit der Wiederherstellung der Wissenschaften“ (3 Bände, Göttingen 1811) ward von den Zeitgenossen beifällig aufgenommen. Allein mehr und mehr verlor P. die Fühlung mit der aufstrebenden Wissenschaft; in Tübingen fehlte ihm, der nur ungerne Reisen unternahm, jede auf Autopsie beruhende Kenntniß der Fortschritte, welche gerade damals die Maschinentechnik machte, und seine Theilnahme als Jurymitglied bei den von der landwirthschaftlichen Centralstelle bewirkten Preisvertheilungen vermochte nur ungenügenden Ersatz zu bieten. Auch war das technologische Cabinet der Hochschule nur mit einer ganz geringen Dotation versehen. Auf diese Weise isolirt, widmete sich P. zuletzt ausschließlich der populärwissenschaftlichen Schriftstellerei, und so mußte es kommen, daß nach dem übereinstimmenden Urtheile von Volz und Karmarsch nur wenige unter den 149 Bänden, die P. allmählich producirte und auf deren Einzelaufführung wir uns hier selbstverständlich nicht einlassen können, über das Niveau des Ephemeren sich erhoben. Aber es ist wol zweifellos, daß an diesen Verirrungen des rastlosen [420] Litterators mehr die Umstände die Schuld trugen, die ihm eine Wirksamkeit an der richtigen Stelle versagt hatten, und wenn man der geistigen Frische seiner Jugendarbeiten sich erinnert, wird man es immerhin begreiflich finden, daß Poppe’s Name durch lange Jahre mit Ehren in Deutschland genannt, und daß dessen Träger im Laufe der Jahre Mitglied von nicht weniger als 15 gelehrten und gemeinnützigen Gesellschaften wurde.
- Autobiographie in Heydens Galerie berühmter und merkwürdiger Frankfurter, Frankfurt a. M. 1861, S. 244 ff. – Nekrolog von Volz in der Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, 10. Jahrgang, S. 373 ff. – Karmarsch, Geschichte der Technologie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, München 1872, S. 873 ff. – Private Mittheilungen aus Tübinger Universitätskreisen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Adolph Poppe (1813–1894), Lehrer der Technologie und Mathematik in Frankfurt am Main; veröffentlichte zahlreiche Beiträge in Dingler’s „Polytechnischem Journal“.
- ↑ Jean-Étienne Montucla (1725–1799), französischer Mathematik-Historiker.