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ADB:Pohl, Karl Ferdinand

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Artikel „Pohl, Karl Ferdinand“ von Eusebius Mandyczewski in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 370–373, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pohl,_Karl_Ferdinand&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 20:35 Uhr UTC)
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Band 26 (1888), S. 370–373 (Quelle).
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Pohl: Karl Ferdinand P., verdienstvoller Musikschriftsteller, geb. am 6. September 1819 zu Darmstadt, † am 28. April 1887 zu Wien, entstammte einer deutschen Musikerfamilie aus Kreibitz in Böhmen. Hier war sein Großvater, der Tischler Ferdinand P., Begründer einer Glasharmonikafabrik. Sein Vater, Karl Ferdinand P., Virtuos auf der Glasharmonika, war als junger Mann nach Darmstadt gezogen und kurfürstlich hessischer Kammermusiker geworden. Seine Mutter war eine Tochter des Capellmeisters und Claviercomponisten Beczwarzowski aus Berlin. Nach absolvirten Elementar- und Gymnasialstudien kam P. zu Jacob Felsing in Darmstadt, bei dem er in der Absicht sich zum Kupferstecher auszubilden Optik, Perspective und Freihandzeichnen lernte. Felsing, der in späteren Jahren Professor, Hofkupferstecher und Mitglied der königlichen Akademie der bildenden Künste in Berlin wurde, ließ ihn unter Anderem den aus seiner Officin hervorgegangenen Stich „die Aussetzung Moses“ nach dem Gemälde von Chr. Köhler in Düsseldorf ausführen. Da P. in diesem Berufe keine Befriedigung fand, reiste er 1841 nach Wien und widmete sich hier mit großem Eifer ernsten Studien in der Theorie der Musik unter Simon Sechter. Nach einem Jahre hatte er bereits alle einschlägigen Disciplinen überwältigt und lebte fortan als Musiklehrer in Wien. Im J. 1848 erhielt er die Organistenstelle an der neu erbauten protestantischen Kirche in der Vorstadt Gumpendorf, welche er bis zum J. 1853 innehatte. Gesundheitsrücksichten zwangen ihn [371] dieselbe aufzugeben und seine Thätigkeit auf den Unterricht und, da es für den Ruf eines Musiklehrers vortheilhaft war, auf die Composition zu beschränken. Aus dieser Zeit stammen seine Compositionen für Orgel, für Clavier, für Gesang, von denen einzelne, namentlich Lieder, eine gewisse Beliebtheit erlangten und des öfteren zu öffentlicher Aufführung kamen. Gedruckt wurden: 12 Präludien und ein Postludium für die Orgel, op. 1; zwölf Präludien für die Orgel (S. Sechter gewidmet), op. 2; sechs Lieder (G. Meyerbeer gewidmet), op. 3; Trauermarsch für Clavier zu vier Händen, op. 4; Waldlied, op. 5; Serenade für Clavier zu vier Händen (I. Moscheles gewidmet), op. 6; Caprice über ein Nachtwächterlied, für Clavier (Pohl’s bekannteste Composition), op. 7; „An die Heimathberge“ (ein der Sängerin Betty Bury gewidmetes Lied), op. 8; Nocturne für Clavier, op. 9; „Der tolle Wilm“, Ballade von Pfeiffer (L. Spohr gewidmet), op. 10; „Nacht am See“, Lied von Leibke (J. Staudigl gewidmet), op. 11; Erinnerung an Gmunden, op. 12; zwei Lieder: „Wenn die Reb’ im Safte schwillt“ von Geibel und „Märzveilchen“ von Anderson (Fr. Lachner gewidmet), op. 13; drei Clavierstücke: „Gondellied“, „Bei der Wiege“, „Rhapsodie“, op. 14; „die Braut“, Lied von Bowitsch (für das Album Ihrer Majestät der Kaiserin). Von den Arrangements für Clavier zu vier Händen, deren P. eine ziemlich große Anzahl geliefert hat, erschienen fünf Fugen aus den Clavierssuiten von Händel. Ungedruckt blieben die gleichartigen Arrangements von J. S. Bach’s sechs Orgelpräludien und Fugen, J. S. Bach’s Passacaglia für Orgel, W. Fr. Bach’s acht Clavierfugen, Eberlin’s Es-moll–Fuge, Mozart’s Fuge aus der C-Dur–Phantasie für Clavier und Mozart’s Fuge für zwei Claviere. Von den ungedruckten Compositionen Pohl’s sind zu erwähnen: eine Messe für Männerstimmen a capella in C-moll, in Wien aufgeführt 1851; zwei Männerchöre: „Herbstlied“ von Geibel und „der Spaziergang im Walde“ (ein komisches Gedicht aus den „Fliegenden Blättern“), vier Choralvorspiele für die Orgel, sieben zweistimmige Fughetten für Clavier, endlich die Lieder „Vorfrühling“ von Scheurlin, „Wiegenlied im Herbste“ von Reinick, „Goldene Brücken“ von Geibel und „Verrufene Stelle“. Pohl’s Lieblingsinstrument war zu jener Zeit die Glasharmonika, auf welcher er sich in Wien, wie auch anderwärts öffentlich hören ließ. Alljährlich unternahm er im Sommer Erholungs- oder Studienreisen, nach Deutschland und Italien oder in die Alpenländer. 1858 war er zum ersten Mal in London, welches in der Folgezeit so wichtig für ihn werden sollte; er schrieb hier zwei englische Lieder: „British Feeling“ und „Infants Prayer“ und das Impromptu für Clavier „Moment serein“. Er kehrte über Brüssel nach Wien zurück. Im darauf folgenden Jahre besuchte er Italien. Die Londoner Industrieausstellung vom J. 1862 veranlaßte ihn zu historischen Studien über die Glasharmonika, deren Ergebniß er in der Broschüre „Zur Geschichte der Glasharmonika“ 1862 (Cursory Notices on the Origin and History of the Glass Harmonica, London 1862) niederlegte. So ausgerüstet, besuchte er mit seinem Instrumente die genannte Ausstellung, ohne jedoch besondere Erfolge erreichen zu können. Diesmal kehrte er über Paris nach Wien zurück. Bald machten sich aber seine Londoner Verbindungen fühlbar. Durch E. Pauer bewogen, nahm er im Januar 1863 seinen ständigen Aufenthalt in London, wo er Musikunterricht erteilte und als Correspondent deutscher Musikzeitungen eine ausgedehnte schriftstellerische Thätigkeit begann. Der Schwerpunkt seiner Bestrebungen lag aber in den Nachforschungen über Händel’s, Haydn’s, Mozart’s und Weber’s Aufenthalt in London, die er im British Museum anstellte. Dadurch kam er in Verbindung mit Otto Jahn, der seine Arbeiten mit großem Interesse verfolgte und ihn zur Veröffentlichung derselben ermunterte. Nach deren Vollendung wurde er auf [372] Jahn’s, Köchel’s und seines Freundes Karajan Verwendung nach Wien zurückberufen und im Januar 1866 zum Archivar und Bibliothekar der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ernannt, welche Stelle er bis zu seinem Tode bekleidete. Hier gab er als Frucht seiner Londoner Studien heraus: „Mozart und Haydn in London“ 1867, zwei Bände; ein Werk, das an Genauigkeit und Detailreichthum in der Musiklitteratur seines Gleichen sucht. Durch das Erscheinen dieses Buches veranlaßt, wandten sich die Buchhändler A. E. Glücksberg und M. Bahn (Chefs der Firma Sacco) in Berlin an P. mit dem Antrage, für ihren Verlag ein biographisch-kritisches Werk über Haydn zu schreiben. Nach Abschluß des Contractes ging P. mit wahrem Feuereifer an die Ausführung der ihm lieb gewordenen Idee. Er unternahm zahlreiche Reisen in Oesterreich und Ungarn um Haydn’s Wegen nachzugehen und an den Orten seiner Thätigkeit Forschungen anstellen zu können. Nach jahrelanger Arbeit erschien endlich der erste Band seiner Haydn-Biographie: „Joseph Haydn“, Berlin, A. Sacco Nachfolger, 1875; im J. 1878 ging das Werk in den Verlag von Breitkopf & Hättel in Leipzig über, in welchem auch der zweite Band erschien, 1882. Nicht ohne Grund verzögerten sich Pohl’s Arbeiten an diesem Werke. Seine Stellung als Archivar nahm seine litterarische Thätigkeit auch in Anspruch. Für die Jahresberichte des Conservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde (1867–70) schrieb er eine Biographie J. Weigl’s, eine Biographie S. Sechter’s, einen Aufsatz „Beethoven“ und eine Studie: „Zur Geschichte der Gründung und Entwickelung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und ihres Conservatoriums“. Die letztere war ein Vorläufer seines ausführlichen Werkes: „Die Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates und ihr Conservatorium“, welches 1871 erschien. Als Ergänzung dazu schrieb P. 1872 die Broschüre: „Gebäude und Kunstsammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und ihres Conservatoriums“. Aber nicht nur für die Gesellschaft, in deren Diensten er stand, war der emsige Archivar thätig; auch andere Vereinigungen nahmen, wenn es ihnen auf eine litterarische Kundgebung ankam, seine bewährte Kraft in Anspruch. So entstanden drei Gelegenheitsschriften Pohl’s, welche für die Geschichte des Musiklebens der Kaiserstadt nicht weniger wichtig sind, als die bereits genannten, nämlich die „Denkschrift aus Anlaß des hundertjährigen Bestehens der Tonkünstler-Societät, im J. 1862 reorganisirt als „Haydn, Wittwen- und Waisen-Versorgungsverein der Tonkünstler in Wien“ 1871, im Selbstverlag des Haydn; ferner die „Denkschrift aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien“ 1883, im Selbstverlage des Vereins; endlich die „Festschrift aus Anlaß der Feier des 25jährigen ununterbrochenen Bestandes der im J. 1842 gegründeten philharmonischen Concerte in Wien“ 1885. Gleichzeitig war P. Mitarbeiter mehrerer deutschen und englischen Musikzeitungen, so des „Monthly Musical Record“ und der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“, insbesondere aber der Leipziger „Signale“, für welche er durch 24 Jahre Berichte über das musikalische Leben Wiens lieferte. Für die „Neue Freie Presse“ schrieb er die historischen Studien: „Zur Geschichte der Vorstadttheater Wiens“ (1869) und „Maria Theresia im Schloß Eßterház“ (1872); für die „Grenzboten“ die Artikel: „Zur C-dur–Messe von Beethoven“ (1868) und viele Musikberichte; für die „Wiener Abendpost“ Nekrologe über den Componisten Dessauer (1876) und den Musikforscher Köchel (1877). Außerdem war P. Mitarbeiter an der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ und in hervorragender Weise an George Grove’s Dictionary of Music and Musicians für welches er nicht weniger als 169 biographische Artikel lieferte, die alle auf Quellenstudium beruhen, und sich durch Gewissenhaftigkeit und durch die Beseitigung vielfach verbreiteter Irrthümer über [373] manche deutsche und italienische Tonkünstler auszeichnen. Bei so ausgedehnter, nach vielen Richtungen hin zerstreuter Thätigkeit war es kein Wunder, daß P. sein Hauptwerk, die erwähnte Biographie von Joseph Haydn, nicht vollendete. Der das Werk abschließende dritte Band gedieh nur bis zu den Vorarbeiten, während welcher der Autor von seiner rastlosen Thätigkeit abberufen wurde. P. zeichnete sich im Leben durch unermüdlichen Fleiß, ängstliche Gewissenhaftigkeit und übertriebene Bescheidenheit aus. Güte, Freundlichkeit und Wohlwollen bildeten den Grundzug seines Charakters. Er war stets bereit für Andere zu arbeiten, ohne immer den besten Dank geerntet zu haben. Sein ausgedehntes Wissen, seine reichen Kenntnisse, insbesondere über das alte Wien und dessen künstlerische, litterarische und gesellschaftliche Verhältnisse, machten ihn zu einer lebendigen musikalischen Chronik, die von in- und ausländischen Künstlern und Körperschaften vielfach in Anspruch genommen wurde. Seit 1878 war er Mitglied der k. k. Staatsprüfungscommission für Musik (Abtheilung Musikgeschichte). P. war einer jener seltenen Männer, die Allen sympathisch sind, welche sich ihres Umganges erfreuen. Als er starb, sagte man mit Recht von ihm dasselbe, um das man ihn Zeit seines Lebens beneiden konnte: er hatte keinen Feind.