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ADB:Plüddemann, Martin

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Artikel „Plüddemann, Martin“ von Richard Sternfeld in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 81–85, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pl%C3%BCddemann,_Martin&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:16 Uhr UTC)
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Plüddemann: Martin P., Musiker, Componist und Musikschriftsteller, geboren am 29. September 1854 in Kolberg, † am 8. October 1897 zu Berlin. Sein Vater war Schiffsrheder und Consul. In einer musikalischen Familie aufgewachsen, die auch Beziehungen zu Karl Löwe, dem großen Balladenmeister, hatte, erhielt der Sohn die Erlaubniß, sich der Musik zu widmen, [82] und ging 1871 nach Leipzig, wo er bei dem Thomascantor E. Fr. Richter studirte und sich in kleinen Compositionen, besonders von Liedern, versuchte. Die entscheidende Richtung erhielt sein Leben durch die Bekanntschaft mit den Werken Richard Wagner’s. Seine Tante Helfriede Plüddemann in Berlin, eine kunstsinnige Frau, die auch den Neffen förderte, hat die erste Verbindung zwischen diesem und dem Meister hergestellt, denn Wagner schrieb ihr am 23. November 1872: „Das beigelegte Blatt Ihres Neffen behalte ich als ein rührendes Zeichen dafür, daß mein Leben und Schaffen auch eine Generation finden wird, der es zu gutem Eigen angehört“. 1875 machte dann P. in Berlin die persönliche Bekanntschaft Wagner’s. Nach den Festspielen von 1876 schrieb er eine Broschüre „Die Bühnenfestspiele in Bayreuth, ihre Gegner und ihre Zukunft“, worüber Wagner zwei Mal im Januar 1877 an den Verfasser sich äußerte: „Meine Frau gab mir ihr Urtheil dahin ab, daß sie Ihre Arbeit für die beste und vernünftigste halte“, und ferner: „Ich habe endlich nun auch Ihre Broschüre gelesen und mich sehr darüber gefreut. Ihr dort oben an der Ostsee zeichnet Euch immer durch vielen gesunden Verstand aus, was dann bei tiefer Eindrucksfähigkeit eine vortreffliche Wirkung hervorbringt.“ Im Sommer 1878 war P. eine Woche in Bayreuth, wobei er täglich mit dem Meister in anregendster Unterhaltung verkehrte; dann besuchte er ihn 1880 in Neapel und hat später (in Kürschner’s Wagner-Jahrbuch S. 89, 1886) die unvergeßliche Geburtstagfeier (22. Mai), die er dort in der Villa d’Angri miterleben durfte, interessant geschildert. Noch einmal hat er dann zur Feder gegriffen, um die Bedeutung der Wagner’schen Kunst, nicht nur in musikalischer, sondern auch in ethischer Beziehung, mahnend zu würdigen, in einer Schrift „Aus der Zeit – für die Zeit“ (F. Reinboth, Leipzig), die in Form von Aphorismen die edelsten und feinsten Bemerkungen enthält und in jeder Zeile beweist, daß der Schüler, philosophisch und künstlerisch, sich mit dem echten Geiste des Meisters durchdrungen hatte. – Inzwischen hatte die Laufbahn Plüddemann’s die entscheidende Wendung erhalten. In den siebziger Jahren war es sein Streben gewesen, Sänger zu werden, wozu ihn tüchtige Studien bei Fr. Schmitt und J. Hey befähigt hatten; eine kleine Schrift „Die ersten Uebungen der menschlichen Stimme“ gibt von seiner pädagogischen Begabung Zeugniß. Als aber P. durch eine Erkältung seine Stimme verlor, schritt er auf dem schon früher betretenen Wege des musikalischen Schaffens weiter. Er begann mit Liedern, ging dann aber ums Jahr 1880 zu den Stoffen über, deren Bearbeitung ihm seine eigentliche Begabung erschloß, zu poetischen Erzählungen und Balladen. Immer inniger hat er sich nun diesem sonst wenig bearbeiteten Felde zugewandt. Daneben bemühte er sich, eine äußere Lebensstellung zu erlangen, aber mit wenig Erfolg. In den achtziger Jahren leitete er die Singakademie in Ratibor, 1889 ließ er sich als Gesanglehrer in Graz nieder, wo er in einem Kreis von feinsinnigen Kennern Verständnis für sein Schaffen fand; so konnte er, der bisher vergeblich auf einen Verleger gewartet hatte, 5 Hefte seiner Balladen auf Subscription herausgeben. Auch durch Concerte in Graz und andern Städten wirkte er für seine Balladen. Doch gelang es ihm nicht, sich eine materielle Existenz zu schaffen; so siedelte er 1894 nach Berlin über, ohne daß er hier festen Fuß fassen konnte. Zwar begannen sich bedeutende Interpreten seiner Balladen anzunehmen, so Eugen Gura und besonders Paul Bulß, der nicht nur die bekannteste der Plüddemann’schen Balladen, „Siegfrieds Schwert“, sondern auch eine so anspruchsvolle Composition, wie den „Taucher“, öfters öffentlich vortrug. Aber ihr Eintreten war doch nicht nachhaltig genug. Dazu kamen Zerwürfnisse Plüddemann’s mit der Berliner Musikkritik, von der er sich verkannt [83] und todtgeschwiegen glaubte; leicht gereizt und aufbrausend, von stolzem und starkem Selbstgefühl war er nicht der Mann, sich zu beugen, sich in die Welt zu schicken, um die Gunst Einflußreicher zu werben und mit kluger Berechnung seinen Weg zu machen. Ein nervöses Leiden steigerte sich und raffte den erst 43jährigen Mann dahin. Am 12. October 1897 wurde er auf dem alten Matthäikirchhofe bestattet. Wie sich vorher der Wagner-Verein und der Löwe-Verein seiner Werke angenommen hatten, so versuchte es ein Plüddemann-Verein, nach seinem Tode für ihn zu wirken. Auch andere erfreuliche Erscheinungen zeigten, daß P. in kleineren Kreisen sich Achtung und Verehrung erworben hatte. In den Bayreuther Blättern (für die P. als Mitarbeiter mehrere Beiträge über E. T. A. Hoffmann, zuletzt noch 1892 einen größeren Aufsatz über Karl Löwe geliefert hatte) widmete ihm L. Schemann einen gehaltvollen Nachruf; im Grazer Tageblatt (11. October 1897) schrieb Fr. v. Hausegger warme Worte der Erinnerung. Vom Charakter Plüddemann’s sagt dieser Freund: „Sich stets in Gegensätzen bewegend, hier kühn hoffend, wo nicht’s zu erhoffen war, dort trostlos verzweifelnd, wo der Hoffnung Ziel nahezu erreicht schien, stets bewegt von drängendem Verlangen, sich in seinem Wesen erkannt zu finden … Wo seine menschliche Schwäche war: in einer gewissen Widerstandsunfähigkeit den Einflüssen des Lebens gegenüber, wußte er selbst; seine Stärke fand er in verdientem Maaße nicht anerkannt. An diesem Widerspruche litt er die furchtbarsten Qualen; an ihm ist er zu Grunde gegangen … Heftig konnte er werden und ungerecht, selbst geqen seine Freunde; rasch war er aber wieder versöhnt, und mit tausendfacher Güte und Liebe vergalt er zugefügtes Unrecht.“

Plüddemann’s Werke sind folgende: Außer den drei ersten Balladen (1883) erschienen acht Bände von Balladen und Gesängen; fünf davon hat P. selbst herausgegeben und mit ausführlichen Vorreden versehen, welche Anweisungen über den Stil der Ballade und den Vortrag der einzelnen Stücke enthalten; drei erschienen nach seinem Tode, alle im Verlage von Alfr. Schmidt in München. I. 8 Balladen (1889), II. 4 Lieder und 7 Balladen (1891), III. 6 Balladen (1892), IV. 5 Balladen (1893), V. 5 Balladen (1893), VI. 5 Balladen von Th. Fontane, VII. 5 Balladen von L. Giesebrecht, VIII. 6 Balladen. Also 50 Balladen, wozu noch kamen: 1 Heft mit 13 Gesängen für Sopran, davon die ersten sechs: Altdeutsche Lieder; 1 Heft von 6 Liedern für mittlere Stimme; „Schlichte Weisen“ (3 Lieder für mittlere Stimme); 4 Gesänge für mittlere Stimme; 6 altdeutsche geistliche Lieder; 1 altdeutsches Lied. Außerdem einige Männerchöre (altdeutsche Liebeslieder u. a.), dann 3 altdeutsche Lieder für gemischtes Quartett, 6 altdeutsche geistliche Volkslieder für gemischtes Quartett. Endlich ein zur „Gedächtnißfeier“ für Rich. Wagner nach Motiven des „Nibelungenrings“ componirtes, 1885 in München aufgeführtes Chorwerk.

Was Plüddemann’s Gesänge insgesammt auszeichnet, ist Einfachheit und Volksthümlichkeit im besten Sinne. Es war kein Zufall, daß er vom deutschen Volksliede ausging und sich mit fühlsamer Innigkeit in die altdeutschen Weisen geistlicher und weltlicher Art versenkte, auch eine Anzahl davon in feinsinnigem Satze neu herausgab. Dies kommt schon seinen Liedern zu statten, die gewiß nicht an seine Balladen heranreichen, aber doch so viel anheimelnde Melodie bei immer kunstvoller Begleitung aufweisen, daß auch sie stets des Beifalls einer unverdorbenen Zuhörerschaft sicher sind. Als besonders frisch und zart, voller reizender Naturlaute, seien „Herr Walther von der Vogelweide“, dann das „russische Lied“ hervorgehoben.

[84] Wenn endlich noch ein Wort über das Gebiet, auf dem P. sich recht eigentlich bethätigt hat, über seine Balladen, gesagt sein soll, so wird da wohl jeder Beurtheiler auszugehen haben von einem Vergleich mit dem größten deutschen Meister der Balladenmusik, Karl Löwe. Löwe hat diese Gattung im 19. Jahrhundert so frisch und kräftig wie kein Anderer gepflegt; bei Lebzeiten vielfach unterschätzt und vernachlässigt, ist er erst nach seinem Tode, besonders durch die Interpretationskunst nachschaffender Sänger, wie Eugen Gura, in seiner bedeutenden, ja genialen Kunst anerkannt worden. In welcher Hinsicht konnte nun ein Nachfolger Löwe’s die musikalische Ballade weiter ausbauen? Das führt auf den andern Meister, den sich P. zum Vorbild genommen hatte, nicht um seine Dramen zu überbieten, wie es so viel Epigonen fälschlich unternahmen, sondern um seine Ideen und Grundsätze auf die Ballade anzuwenden: auf Richard Wagner. Aber nicht in vorbedachter Theorie that das P., sondern er konnte es gar nicht anders, da Wagner’s Art und Kunst ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Das zeigte sich in dreifacher Weise: im Sprachgesang, in der Bedeutung der Clavierbegleitung, in der Einführung musikalischer Motive – was alles aber wieder zusammenhängt. Ueber Löwe hinaus geht P. in einer nicht nur correcten, dem deutschen Accent stets angemessenen Declamation, sondern in der Kunst, den gesteigerten Ausdruck des Wortes in eine sich völlig anschmiegende Art des Gesanges umzusetzen, der dann alle Arten der musikalischen Sprache umfaßt vom trockenen Recitativ zur geschlossenen Melodie. Diese Melodie selbst ist bei P. gewählter als bei Löwe, der mit der Sorglosigkeit des Genies auch öfters zu banalen Einfällen kam, die heute verpönter sind als in der Zeit seines Schaffens; P. versteht es mit großer angeborener Begabung, einfache, ins Ohr fallende, volksthümliche Melodien zu finden (was gewiß in unsern Tagen eine Seltenheit ist), ohne ins Triviale oder gar Gewöhnliche, Unfeine zu verfallen. Ebenso natürlich ist es, daß unter dem Einflusse Wagner’s seine Clavierbegleitung an Reichthum der Harmonie und Polyphonie sehr gewinnen mußte. Modernere und kühnere Accordverbindungen enharmonischer Verwandtschaft, neuere Art der Melodiebildung auf mehr chromatischer Grundlage, vor allem aber ein regeres und ausdrucksvolleres Eingreifen der Begleitung überhaupt, mit ausgedehnterem Zwischenspiele, mit lebendigerer Ausdeutung der Dichtung, mit häufiger Verlegung der Melodie in die Stimmen des Klaviers: das brachte P. für seine Balladen mit. Dann endlich eine planmäßige Einführung und Ausgestaltung eines musikalischen Gebildes, das der Phantasie bei der Conception als adäquat dem Grundgedanken des Gedichtes sich aufgedrängt hat; es durchzieht thematisch das Ganze und wechselt wieder mit andern, nebensächlicheren Motiven, jenachdem es die sinngemäße Gliederung der Dichtung, ihre Stimmungen und Phasen, erfordern. Eignet sich die Ballade durch ihre sagenhaften, geheimnißvollen und schaurigen Elemente, durch das Hineinspielen von Naturvorgängen besonders für die Mitwirkung der Musik, so wird durch motivische Verknüpfungen in der Begleitung die Einheit der Form, die ja in der Dichtung theils epische, theils dramatische Bestandtheile aufweist, hergestellt. Diese Einheitlichkeit und planvolle Anlage findet sich stets bei P., die Grundmotive sind im Rhythmus und in der Melodie sehr plastisch und bezeichnend erfunden. Steht der naivere Löwe durch intuitive Genieblitze weit höher, so waltet bei P. mehr eine besonnene Gestaltungskraft, die aber nichts Gemachtes, Erkältendes hat, sondern sich mit natürlicher, aus dem Herzen strömender Empfindung paart.

Es fehlt hier der Raum, auf einzelne Balladen einzugehen. An so ungeheuer ausgedehnten, wie Schiller’s „Taucher“, scheiterte doch alle Kunst, die [85] sich wohl in Einzelheiten zeigt, während in einfachen, kurzen, wie in Uhland’s „Einkehr“ und „Graf Eberhards Weißdorn“, das Gemüth des Tondichters rein und vollkommen zum Herzen spricht. Ganz wundervoll in Erfindung und Stimmung sind „Volkers Nachtgesang“ und „Biterolfs Heimkehr“. Mehr deklamatorisch ist dann E. v. Kleist’s „Ode an die Preußische Armee“; wie aber dann der Hohenfriedberger Marsch eingeführt wird, anwächst und sich mit der Stimme vereinigt, das macht dieses Werk zu einem der bedeutendsten Plüddemann’s. Ausgezeichnet und packend sind „Der wilde Jäger“, „Das Schloß am See“, „Des Sängers Fluch“: überall echte, ungekünstelte Art, sangbare, aus der Brust strömende Melodie, interessante, aber nie überladene oder ausgeklügelte Begleitung. Daß auch der Humor nicht fehlt, zeigen Stücke wie „Der Kaiser und der Abt“, „St. Peter mit der Geiß“; gerade hier in der schnellen Sprechweise ergeben sich die Vorzüge Plüddemann’s, als des Beherrschers mühelosen „Sprachgesanges“, wie er auch in der „Legende vom Hufeisen“ sich offenbart. – Es wird abzuwarten bleiben, ob Plüddemann’s Gesänge, die in ihrer gesunden, deutschen Art alle Vorbedingungen zu volksthümlicher Verbreitung erfüllen, mehr Boden gewinnen werden; bisher ist dies einerseits durch die plötzliche Popularität Löwe’s, andrerseits durch die modernste Musikentwicklung mit ihrem Hang zum Maaßlosen und Ueberwürzten, verhindert worden.

Rich. Batka, Martin Plüddemann und seine Balladen. Prag, 1896. – L. Schemann in den Bayreuther Blättern 1880, 1896, 1897.