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ADB:Pfefferkorn, Johannes

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Artikel „Pfefferkorn, Johannes“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 621–624, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pfefferkorn,_Johannes&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:44 Uhr UTC)
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Band 25 (1887), S. 621–624 (Quelle).
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Pfefferkorn: Johannes P., geb. 1469 (die Angabe 1476 bei Böcking und Kracauer beruht auf einem Rechenfehler), † nach 1521 (Erscheinungsjahr seiner letzten Schrift), vor 1524 (vgl. Schade, Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit III, 126). Er war von Geburt Jude, führte als Jude den Vornamen Josef, stammte vielleicht aus Nürnberg, wo er wenigstens eine Zeit lang lebte und übte das Schlächter- (Metzger-) Handwerk in der böhmischen Stadt Tachau. Dort wurde er des Diebstahls bezichtigt, nach Zahlung einer Geldsumme vom Grafen von Gutenstein aus der Haft entlassen, er führte einige Jahre ein Wanderleben, in welchem er laut seiner Selbstanklage in späteren judenfeindlichen Schriften, auch Wucher trieb und trat 1505 in Köln mit Frau, Kindern und einigen Freunden zum Christenthum über. Seine Frau Anna wird in den „Dunkelmännerbriefen“ stark verspottet und wegen eines unsittlichen Verhältnisses mit Ortuin Gratius, dem „Poeten“ der Kölner verdächtigt; einer seiner Söhne Laurentius, wird von ihm genannt und als Magister bezeichnet. P. selbst lebte seit seiner Taufe bis zu seinem Tode in Köln und war, wenigstens seit 1513, Spitalmeister daselbst. Er hatte sich als Jude nur eine geringe Bildung angeeignet – allerdings versucht er in seiner selbstlobenden Mannier seine Gelehrsamkeit zu preisen –, seine Kenntnisse des Hebräischen waren höchstens mittelmäßig, lateinisch verstand er nicht, im deutschen Ausdruck war er ungewandt. Ueber seine moralischen und geistigen Eigenschaften zu urtheilen ist sehr schwer, weil seine Gegner, die fast ausschließlich über ihn berichteten, absichtlich Beschuldigungen aller Art auf ihn häuften und weil er selbst, in Folge seines Hangs zur Uebertreibung und Selbstbeweihräucherung, kein unverdächtiges Zeugniß liefert. Die unter seinem Namen erschienenen lateinischen Schriften bez. Uebersetzungen hat er nicht verfaßt; seine Angabe, er habe die Evangelien ins Hebräische übersetzt oder übersetzen wollen, darf man nicht ohne Weiteres abweisen; zu der Annahme, er sei an der Autorschaft seiner deutschen Schriften [622] gar nicht oder nur in geringem Maße betheiligt, hat man durchaus keinen Grund. Die mannigfachen Anklagen gegen seine moralische Führung nach und theilweise vor seiner Taufe sind nicht zu beweisen – wieweit der Haß seiner Gegner ging, zeigt sich in dem Berichte, er sei 1514 zu Halle wegen verschiedener Verbrechen verbrannt worden – auch die Beschuldigung, er habe aus schlechten Motiven die Taufe angenommen: aus eitler Prahlerei, oder um Verfolgungen der Juden zu entgehen, oder geradezu um Geld zu erlangen scheint mir unhaltbar und noch weniger wird man sagen dürfen, er sei, nachdem er einmal die Taufe angenommen, ein schlechter Christ gewesen. Thatsache ist nur, daß P. ein Fanatiker war, der seine verderblichen Ziele mit allen Mitteln zu erreichen strebte, ein Mann größter Leidenschaftlichkeit, der seine Gegner, von denen er nicht eben zart behandelt wurde, mit allerlei Fechterkünsten zu bekämpfen und zu vernichten strebte. Der Traum seines Lebens aber war die Bekehrung aller seiner ehemaligen Glaubensgenossen zum Christenthum und die Vernichtung der Bücher der Juden, welche das größte Hinderniß der allgemeinen Bekehrung bildeten. Um diesen Traum zu verwirklichen, schrieb P. eine Anzahl Schriften und entfaltete eine große praktische Wirksamkeit. Die letztere bleibt hier unerörtert, soweit es sich um die eigentliche Confiscation der Bücher handelt, weil Pfefferkorn’s übrigens ganz erfolglose Thätigkeit nur die eines Beauftragten ist. (Der Gegenstand ist überdies ganz neuerdings von Kracauer in der unten anzuführenden Schrift genau nach den Quellen dargestellt worden.) Die schriftstellerische Arbeit muß aber erörtert werden.

Schon die erste Schrift: „der Judenspiegel“ 1507 stellt das Programm auf, daß sich in den späteren Schriften immer mehr verschärfte: Wegnahme der Bücher der Juden, Verbot des Wuchers, ferner der auf sie zu übende Zwang, christliche Predigten zu besuchen. Schon in dieser Schrift gibt er den Juden erbitterte Feindschaft gegen das Christenthum schuld, leugnet aber ihre ernste und innerliche Anhänglichkeit an ihren angestammten Glauben.

Wollte P. die Durchführung seines Programmes durch die Obrigkeit erreichen, so mußte er diese und seine nunmehrigen Glaubengenossen überhaupt von der Lächerlichkeit und Verderblichkeit der jüdischen Anschauungen und Gebräuche und von der Christenfeindschaft der Juden überzeugen. Das erstere versuchte er in der „Judenbeichte“ 1508 und im „Osternbuch“ 1508; das letztere im „Judenfeind“ 1509. Die beiden ersteren Schriften sollen die Thorheit der an den großen jüdischen Herbst- und Osterfeiertagen gebräuchlichen Ceremonien zeigen, die nur dann einen Sinn hätten, wenn sie „geistlich“ gedeutet würden, weil sie dann mit christlichen Lehren harmonirten. Die letztere, aus deren Einleitung und Widmung zuerst die nahe Verbindung Pfefferkorn’s mit den Kölner Mönchen hervorgeht, sucht die Christenfeindschaft der Juden zu erweisen aus ihrer täglich erneuten Verspottung Christi und der Christen, aus ihrem Wucher, aus ihrer zum Schaden ihrer Mitmenschen geübten Beschäftigung mit der Arznei. Die Verbindung mit den Kölnern hatte für P. den großen praktischen Werth, daß er durch sie der Kunigunde, der Schwester des Kaisers Maximilian, und durch diese dem Kaiser selbst empfohlen wurde. Von Letzterm erhielt er (August 1509) den gewünschten Befehl, die Bücher der Juden zu confisciren, schritt zu dessen Ausführung, wurde aber bald an der Befriedigung seiner Confiscationsgelüste durch Uriel von Gemmingen, den Erzbischof von Mainz gehindert, der nun (Nov. 1509) seinerseits die Leitung der ganzen Angelegenheit vom Kaiser übertragen erhielt. Um trotz dieses ersten Mißerfolges den Kaiser und alle Stände des Reichs für sich zu gewinnen, veröffentlichte P. eine Schrift und ließ handschriftlich eine andre cursiren. Die erstere: „In lob vnd eer dem allerdurchleuchtigsten Maximilian“ ist dazu bestimmt, den Kaiser bei dem begonnenen [623] Unternehmen festzuhalten und in der Ausführung zu stärken, alle Gründe, die man zu Gunsten der Juden anführen könnte, zu entkräften und die Vorwürfe zurückzuweisen, die man etwa gegen seine, Pfefferkorn’s Persönlichkeit, erheben möchte. Die letztere, ein „Ausschreiben an alle Geistliche und Weltliche“, gleichfalls eine Ermunterung zur Fortsetzung des löblichen Werkes, war besonders für die auf dem Augsburger Reichstag versammelten Fürsten und Herren bestimmt und sollte ein Gegengewicht bilden gegen Geld und Ueberredung der jüdischen Abgeordneten aus Frankfurt. Beide Schriften hatten keine unmittelbare Einwirkung; durch neue persönliche Unterhandlung beim Kaiser bewirkte P. ein neues an den Erzbischof von Mainz gerichtetes Mandat (Juli 1510), das diesen beauftragte, von vier Universitäten und einigen Privatpersonen, darunter Reuchlin, Gutachten über die Angelegenheit einzuholen und P. den Befehl gab, diese Gutachten dem Kaiser zu überbringen. Als Bote hatte er kein Recht, die ihm übergebenen Gutachten zu lesen, als Vertrauensmann und als Beamter keines, das ihm anvertraute Gut zu benutzen, er beging daher ein doppeltes Unrecht, als er in seinem „Handspiegel“ 1511 Reuchlins Gutachten bekämpfte, welches freilich seine bücherfeindlichen Pläne völlig zu vernichten drohte. P. denuncirt Reuchlin wegen seines Gutachtens als Judengönner, spricht ihm Kenntniß des jüdischen Schriftthums ab, greift ihn persönlich heftig an und beharrt in seinen Angriffen gegen die Juden und ihre Literatur. Reuchlin wies in seinem „Augenspiegel“ die gegen ihn erhobenen Angriffe des „gemeinen und ehrlosen Bösewichts“, wie er seinen Gegner mit Vorliebe nennt, zurück, von welchen ihn zwei hauptsächlich erbittert hatten, nämlich der, er sei von den Juden bestochen und der andere, er habe die unter seinem Namen ausgegangenen Schriften nicht verfaßt. Die große geistige Bewegung, die von dem „Augenspiegel“ ausging, der Streit zwischen Humanisten und Antihumanisten kann hier nicht erzählt werden, nur Pfefferkorns weitere Thätigkeit ist hier kurz darzustellen.

Er predigte während der Messe (11. September 1511) in Frankfurt vor dem Volke wider die Juden und ihre Gönner und veröffentlichte (1512) ein Pamphlet „Brantspiegel“, welches die gänzliche Vertilgung der Juden anräth und die heftigsten Beschimpfungen Reuchlins, freilich zur Abwehr der von diesem wider ihn ausgestoßenen Beleidigungen, enthält. In diesem Privatstreite zwischen zwei so ungleichen Männern gebot der Kaiser inzwischen Stillschweigen (Juni 1513); die Angelegenheit der Judenbücher war zu Ungunsten Pfefferkorn’s beendet, der durch den „Augenspiegel“ erregte Schriftenkampf und der wider denselben geführte Proceß dauerte fort. Eine directe Veranlassung sich in jenen literarischen Kampf zu mischen hatte P. nicht. Zwar von gelegentlichen Schmähungen wider den „getauften Juden“ hatte es in den von den Humanisten an ihren Meister gerichteten Briefen nicht gefehlt, – aber es ist fraglich, ob er von denselben rechtzeitig Kunde erhielt. Wider das Verbot des Kaisers veröffentlichte er (1514) eine neue Streitschrift gleichmäßig gegen die „treulosen Juden“, wie gegen den „alten Sünder“ Reuchlin „Sturmglock“, welche hauptsächlich dazu bestimmt war, die unterdeß gegen den „Augenspiegel“ gefällte Entscheidung der Pariser Universität in deutscher Sprache zu verbreiten.

Die Humanisten nahmen an dem Feinde ihres Meisters erbitterte Rache; Hutten schrieb ein Gedicht in welchem er fingirte, P. sei wegen schmählicher Verbrechen zu Halle hingerichtet worden; und der erste Theil der „Dunkelmännerbriefe“ (1515) höhnte ihn mit den Kölnern überhaupt und erlaubte sich kecke, wahrheitswidrige Verspottungen seiner Privatverhältnisse. P. versuchte diese Angriffe in der „Beschyrmung“ (1516) abzuwehren, von der gleichzeitig eine dem Deutschen in vielen Punkten gleiche lateinische Bearbeitung erschien: [624] Defensio contra famosas epistolas (Letztere, neugedruckt von Böcking, Opera Hutteni vol. VI). Die eigentliche Vertheidigung ist matt und der Versuch, Reuchlin zum Verfasser der Briefe zu stempeln, geistlos und verfehlt; der Werth der Schrift besteht in dem reichen Urkundenmaterial zur Geschichte des Reuchlin’schen Streites, das sie enthält. Gleichfalls durch urkundliches Material, aber mehr für P. selbst und sein früheres Leben ausgezeichnet ist das nach dem zweiten Theil der Dunkelmännerbriefe und zur Entkräftung der in demselben vorgebrachten Angriffe veröffentlichte „Streitpuechlyn“ (1517), das hauptsächlich seine persönliche Ehre reinwaschen, die Wahrheit seines Christenthums bezeugen soll, aber aufs Neue Reuchlin angreift, und gelegentlich auch Erasmus befehdet, was dieser sehr empfindliche Kämpfer nicht ungeahndet ließ. An den „Lamentationes“ der schwachen Erwiderung der Kölner auf die Epistolae obsc. vir. war P. nicht betheiligt; für die „Dunkelmänner“ ergriff nun Hochstraten das Wort und P. schwieg. da der neue Handel ihn, den Erreger des alten, nichts weiter anging. Nur einmal noch erhob er seine Stimme, als am 28. Juni 1520 die endgültige päpstliche Entscheidung gegen Reuchlins „Augenspiegel“ gefallen, Reuchlin zu ewigem Stillschweigen und zu Bezahlung sämmtlicher Kosten verurtheilt worden war. Da, in dem Wahne, einen großen persönlichen Triumph über seinen alten Gegner errungen zu haben, veröffentlichte er seine letzte Schrift: „Ein mitleydliche claeg“. Der Beklagte war natürlich Reuchlin, ferner seine Schüler und Gönner, unter denen nun auch Luther erscheint; P. ist der Triumphirende, der in stolzem Selbstbewußtsein alle seine Freunde und Beschützer aufzählt, alle wider ihn ausgesprochenen Beschuldigungen vollkommen zurückgeschlagen zu haben, der als glänzender Sieger aus dem lang dauernden Kampfe hervorzugehen vermeint. Das Urtheil der Nachwelt aber hat diese Selbsttäuschung des eitlen Fanatikers nicht bestätigt.

L. Geiger, Joh. Pfefferkorn in Abr. Geiger’s jüd. Zeitsch. f. Wiss. u. Leben VII, 1869, S. 297–309; – ders. Joh. Reuchlin, Leipz. 1871, passim und die dort angeführten Schriften. – J. Kracauer, Die Confiscation der hebräischen Schriften in Frankf. a. M. 1508 und 1510 in: Zeitschr. f. d. Gesch. der Juden in Deutschland, 1886, I, S. 160–176, 230-248. – Für das Bibliographische vgl. Böcking, Index scriptorum causam Reuchl. spectantium in Opera Hutteni VII (suppl. vol. II) p. 53 ff. und K. Goedeke, Grundr. 2. Bearbeitung I, S. 451–454.