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ADB:Pfaff, Christoph Matthäus

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Artikel „Pfaff, Christoph Matthäus“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 587–590, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pfaff,_Christoph_Matth%C3%A4us&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 05:31 Uhr UTC)
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Pfaff: Christoph Matthäus P., einer der gelehrtesten und angesehensten protestantischen Theologen des 18. Jahrhunderts, Kanzler der Universitäten Tübingen und Gießen, geb. am 25. December 1686 in der Christnacht zu Stuttgart, † am 19. November 1760 in Gießen. – Als Sohn des damaligen Predigers an der St. Leonhardskirche in Stuttgart, nachmaligen Tübinger Professors Johann Christoph P. (s. d. Art.) und seiner Frau Anna Maria geb. Aulber, einer Enkelin des schwäbischen Reformators Matthäus Aulber (s. A. D. B. I, 178), gehörte er schon durch seine Geburt zweien der geachtetsten schwäbischen Theologenfamilien an. Ausgezeichnet durch eine glückliche und vielseitige Begabung und frühreife Geistesentwicklung, genoß er zuerst den Unterricht des in seinem Geburtsjahre errichteten Stuttgarter Eberhardsgymnasiums, seit 1697 den der anatolischen Schule in Tübingen und wurde schon im dreizehnten Lebensjahre, 1699, ins Tübinger Stift aufgenommen. Neben dem Studium der Theologie, in welcher sein Vater, Förtsch, Reuchlin und Jäger seine Lehrer waren, beschäftigte er sich besonders mit biblischer Philologie und orientalischen Sprachen, hielt als 16jähriger Student 1702 eine Rede im Stift in samaritanischer Sprache, wurde am 6. September 1702 Magister, vollendete im 18. Lebensjahr sein Universitätsstudium, bestand 1704 mit Glanz die theologische Prüfung, wurde Vicar in Lustnau und 1705 im neunzehnten Lebensjahre Repetent in Tübingen. Herzog Eberhard Ludwig von Würtemberg (1677–1733), der ihm frühe seine besondere Gunst zuwandte, verlieh ihm ein ansehnliches Reisestipendium, zunächst zu dem Zweck, um in orientalischen Sprachen und Kirchengeschichte sich weiter auszubilden. Er weilte zuerst 1706 längere Zeit in Halle und Hamburg, wo er bei Joh. Heinrich Michaelis und S. Edzardi dem Studium der rabbinischen Litteratur sich widmete. Dann besuchte er Lübeck, Rostock, Greifswald, Dänemark, Holland und England, wo er besonders in Oxford und Cambridge längere Zeit verweilte und auf Bibliotheken wie im persönlichen Verkehr mit den ausgezeichnetsten Gelehrten reiche Wissensschätze sammelte. Kaum war er von dieser dreijährigen Studienreise nach Hause zurückgekehrt (1709), so wurde er vom Herzog zum Begleiter und Reiseprediger des würtembergischen Erbprinzen Friedrich Ludwig (geb. am 14. December 1698, † am 23. November 1731) ausersehen. Nachdem er in Stuttgart die Ordination zum Predigtamt empfangen, traf er mit dem Prinzen in Lausanne zusammen und begleitete ihn zunächst nach Turin, wo er drei Jahre verweilte am Hof des damaligen Herzogs von Savoyen Victor Amadeus II. Neben allen Zerstreuungen eines glänzenden Hoflebens fand P. doch auch Zeit zu wissenschaftlichen Studien auf italienischen Bibliotheken; insbesondere gelang es ihm, unter den wenig beachteten Schätzen der Turiner Bibliothek einige ungedruckte patristische Stücke (von Irenäus, Lactanz und Chrysostomus) aufzufinden, die er später theils selbst herausgab, theils andern Gelehrten mittheilte. 1712 kehrte er mit seinem Prinzen über Mailand und Innsbruck nach Stuttgart zurück, um sofort im folgenden Jahre [588] eine neue Reise nach Holland und Frankreich anzutreten. Schon während derselben, im J. 1714 wurde er vom Herzog zum Professor der Theologie in Tübingen ernannt, trat aber seine Stelle erst nach seiner Rückkehr nach Würtemberg im J. 1717 an und erwarb sich in demselben Jahr die theologische Doctorwürde. Nach dem indessen erfolgten Tod des Professor J. A. Hochstetter trat er als dritter Ordinarius neben seinem Vater und dem Kanzler Jäger in die Facultät ein, jedoch mit Dispensation von dem mit dieser Stelle sonst verbundenen Predigt- und Pfarramt (s. Weizsäcker S. 99). Im J. 1720 wurde er von der Universität zum Rector gewählt und in demselben Jahr nach dem Tode seines Vaters († am 6. Februar 1720) und des Kanzlers Jäger († im April) zum ersten theologischen Professor, Propst und Kanzler der Universität ernannt. Beim Antritt dieses Amtes hielt er eine Rede, in welcher er die damals herrschenden Mißbräuche des Universitätslebens in drastischer Weise schildert und Vorschläge zur Besserung macht unter dem Titel „De universitatibus scholasticis emendandis et pedantismo literario ex iisdem eliminando“, Tübingen 1720 (auch in deutscher Uebersetzung; Auszüge daraus bei Klüpfel, Geschichte der Universität Tübingen, S. 146, 186). Einige Jahre später erst entschloß er sich, in den Ehestand zu treten mit einer Augsburger Patricierstochter Maria Susanna v. Rauner: die Ehe blieb kinderlos.

In Tübingen entfaltete P., ein Theolog von umfassender Gelehrsamkeit und allgemeiner Bildung, von imponirender Gestalt und vornehmen Manieren, von großer Gewandtheit im mündlichen Vortrag wie in schriftlicher Darstellung, fast vierzig Jahre lang eine außerordentlich reiche und vielseitige akademische und litterarische Wirksamkeit. Seine inhaltsreichen und formgewandten, frei vorgetragenen und gern gehörten Vorlesungen (vgl. die Ankündigung Pfaff’s für das Jahr 1722 bei Weizsäcker S. 111) wie seine schriftstellerischen Arbeiten erstreckten sich fast über des ganze Gebiet der theologischen Wissenschaft: er las über Exegese, Polemik, Dogmatik, Moral, Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Pastoral- und Casualtheologie, theologische Methodologie und Litterärgeschichte. Auch an äußeren Zeichen der Anerkennung fehlte es ihm nicht: so wurde er 1724 durch kaiserliches Diplom zum Comes Palatinus, 1727 von seinem Herzog zum Abt des Klosters Lorch und Mitglied des würtembergischen Landtags, 1731 zum Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften ernannt und stand mit den ausgezeichnetsten Gelehrten des In- und Auslandes, mit Katholiken und Reformirten wie mit Lutheranern im brieflichen Verkehr.

Sein theologischer Standpunkt war nicht derjenige der strengen lutherischen Orthodoxie, deren Lehrsätze er in vielen Punkten modificierte und abschwächte oder doch nur „cum mica salis“ annehmen wollte. Vielmehr zeigt sich bei ihm deutlich, zumal in seiner früheren Zeit, ein Einfluß des Spener’schen und würtembergischen Pietismus, in dessen Kreisen er aufgewachsen war, so besonders in seinem theologischen Hauptwerk, den „Institutiones theologiae dogmaticae et moralis“ 1719, sowie in dem mehr populär und erbaulich gehaltenen „Kurzen Abriß vom wahren Christenthum“ 1720 und „Herzenskatechismus“ 1720. In späteren Jahren aber verräth er, da sein Forschungstrieb und Untersuchungsgeist ihn mehr zu Thomasius als zu den Halle’schen Pietisten hinzog, eine immer stärkere Hinneigung zur Aufklärung, obgleich er die von Leibnitz und Wolf ausgegangene, in Tübingen durch Bilfinger und Conz repräsentirte Richtung von seinem mehr empiristisch-skeptischen Standpunkt aus bekämpft hat. Er wird daher von den Einen zu den Pietisten, von den Andern zu den Aufklärern, von den Dritten zu den sogenannten Uebergangs oder Vermittlungstheologen des 18. Jahrhunderts gerechnet. Ritschl sieht in ihm einen Repräsentanten des „weltförmigen Pietismus“. Seine Zeitgenossen meinen: er „inklinire am meisten [589] zum Skeptizismus und Libertinismus, zum Galantismus und Singularismus“. Jedenfalls haben die pietistischen Eindrücke seiner Jugend bei ihm sich mehr und mehr verloren, und er hat dem Standpunkt der Aufklärung theoretisch und praktisch immer stärker sich angenähert: „die gefährliche Union von Fleisch und Geist hat bei ihm“, wie sein Zeitgenosse und Landsmann J. J. Moser sich ausdrückt, „einen schlimmen Ausgang genommen“. Aufsehen erregte P. neben seinen kirchengeschichtlichen und theologischen Arbeiten besonders durch zweierlei: fürs erste durch seine kirchenrechtlichen Anschauungen als Vertreter (nicht Urheber) des sogenannten Collegialsystems, d. h. derjenigen kirchenrechtlichen Theorie, welche in den Kirchen freie, dem Staat nicht unterworfene Vereine (collegia) sieht, welche die kirchenregimentlichen Rechte (jura in sacra) durch einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag (ein sogenanntes Unions- oder Subjectionspactum) dem Landesherrn übertragen haben (s. seine Schrift: „De originibus juris ecclesiastici“, Tübingen 1719; „Institutiones juris eccles.“ 1727; „Akademische Reden über das protestantische Kirchenrecht“ 1742), und mehr noch durch seine unionistischen Neigungen und Bestrebungen, d. h. die zunächst von seinem Collegen und Schwager, dem Tübinger Professor J. C. Klemm, ausgegangenen, aber von P. (besonders in seiner Schrift „Alloquium irenicum ad Protestantes“ 1720 und in einer Reihe von weiteren Schriften und Correspondenzen) befürworteten Vorschläge zu einer wenigstens theilweisen Vereinigung der Lutheraner und Reformirten, – Vorschläge, die von Seiten protestantischer Höfe und Staatsmänner vielfach gebilligt, sogar von den Vertretern der evangelischen Kirche auf dem Regensburger Reichstag, dem sogenannten Corpus Evangelicum, empfohlen, von der Mehrzahl protestantischer und besonders lutherischer Theologen aber (Cyprian, Löscher, Weismann, Reinbeck, Wernsdorf, Balthasar, Neumeister u. a.) aufs entschiedenste bekämpft wurden und die jedenfalls nach der damaligen Lage der Verhältnisse zu keinem praktischen Resultat führen konnten (s. besonders Pfaff’s gesammelte Schriften, so zur Vereinigung der protestantischen Kirchen abzielen, Halle 1723; Cyprians Briefwechsel mit Chr. M. Pfaff in Vereinigung der evangelischen und reformirten Religion 1721 und die übrige Litteratur zur Geschichte der kirchlichen Unionsversuche).

Aber nicht bloß diese unionistischen und irenischen, auf Abschwächung der confessionellen Gegensätze zwischen Lutheranern und Reformirten wie zwischen Protestanten und Katholiken und auf allgemeine religiöse Toleranz gerichteten Anschauungen und Bestrebungen waren es, welche den Ruf und die Wirksamkeit des durch seine vielseitige Gelehrsamkeit und durch seine akademischen Erfolge hochberühmten Theologen beeinträchtigten. Es kamen noch schlimmere Dinge hinzu, die seinen guten Ruf untergruben und zuletzt seine Tübinger Stellung unmöglich machten. Er galt, trotz des pietistischen Anstrichs, den er sich zu geben wußte, in seiner Umgebung als ein weltsinniger Lebemann, als genußsüchtig und geizig, rechthaberisch und unverträglich; ja ein sittlicher Fehltritt, dessen er sich nach dem Tode seiner Frau († 1755) schuldig machte, nöthigte ihn schließlich Tübingen zu verlassen (vgl. darüber die Angabe Oetinger’s in einem Brief an den Grafen Castell bei Ehmann, Oetinger’s Selbstbiographie S. 611; Ritschl S. 59). Schon seit längerer Zeit schwebten Verhandlungen zwischen P. und dem hannoverschen Minister von Münchhausen, der ihn nach Mosheims Tod für das Kanzleramt und eine theologische Professur in Göttingen zu gewinnen suchte. P. war im November 1755 bereit, den Ruf anzunehmen, da zerschlugen sich plötzlich die Verhandlungen, entweder weil P. Forderungen gestellt, auf die man in Hannover nicht eingehen konnte, oder, nach anderen wahrscheinlicheren Nachrichten, weil man dort aus zuverlässiger Quelle, durch einen Brief J. Moser’s an den Hofrath Scheid in Hannover, ungünstige [590] Nachrichten über P. erhalten hatte (s. Büsching III, 287; Ritschl S. 60; die dort erwähnte Angabe von Frank stammt aus H. E. G. Paulus’ Reisejournal und beruht auf bloßem Hörensagen). Obgleich sich diese Aussicht zerschlagen, verließ P. dennoch Tübingen, wo er für das Sommersemester keine Vorlesungen mehr angekündigt hatte, am 9. Februar 1756, nicht ohne dort durch die Gründung eines Stipendium Pfaffianum theils für Studirende, theils für Stadtarme, sein und seiner verstorbenen Frau Gedächtniß verewigt zu haben, und übersiedelte in der Absicht, sich ins Privatleben zurückzuziehen, nach Frankfurt am Main. Unterwegs aber erhielt er ganz unvermuthet (oder, wie er selbst meint, „durch eine wunderbare göttliche Fügung“) von dem Landgrafen Ludwig von Hessen einen Ruf nach Gießen als Professor der Theologie, Generalsuperindentent, Director der theologischen Facultät und Kanzler der Universität. Er folgte demselben, obwol schon siebenzigjährig, und bekleidete seine neue Stellung noch 4 Jahre lang bis zu seinem am 19. November 1760 infolge eines Schlagflusses erfolgten Tod (vgl. über diese Zeit Ritschl S. 60).

Die schriftstellerische Thätigkeit Pfaff’s war eine kolossale; die wichtigsten seiner Schriften sind bereits genannt; ein vollständiges Verzeichniß derselben siehe bei Meusel, Lexikon X, S. 353–373; Jöcher-Rotermund V, 2154; Hirsching S. 80–98. Nachrichten über sein Leben geben: Chr. P. Leporin, Nachr. von Pfaff’s Leben und Schriften, 1726. – J. J. Moser, Lexikon der jetztlebenden Theologen II, 642 ff. – Rathlef, Geschichte jetztlebender Gelehrter II, 302 ff. – Büsching, Beiträge Bd. III. – Hirsching, Handbuch Bd. VII, 2, 73 ff. – Strieder, Hess. Gelehrten-Geschichte X, 322 ff. – H. Döring bei Ersch u. Gruber und Gel. Theol. des 18. Jahrh. Bd. III. – Gesch. der Universität Tübingen von Bök, Eisenbach, Klüpfel, Weizsäcker. – Römer, Würtemb. Kirchengesch. – Frank, Gesch. der prot. Theol. II, S. 216 ff. – Gaß, Gesch. der prot. Dogmatik III, S. 74 ff. – Ritschl. Geschichte des Pietismus, Bd. III, S. 42 ff. – Pressel und Klüpfel in der Protest. Real-Encyklopädie, 1. u. 2. Aufl., Bd. XI, 450 und 554 ff.