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ADB:Castell, Franz Ludwig Graf Schenk von

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Artikel „Schenk v. Castel, Franz Ludwig“ von Paul Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 766–771, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Castell,_Franz_Ludwig_Graf_Schenk_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 23:29 Uhr UTC)
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Schenk v. Castel (Kastell) *): Franz Ludwig Sch. v. C., Reichsgraf und Gerichtsherr, vulgo „Malefizschenk“ zu Oberdischingen in Oberschwaben im jetzigen württembergischen Oberamte Ehingen, daselbst geboren am 25. August 1736 und † am 21. Mai 1821. Einem uralten ursprünglich von einer Burg bei Konstanz a. B. stammenden, im J. 1681 durch Leopold I. wegen seiner Verdienste um Kaiser und Reich gegraften schwäbischen – mit dem gleichnamigen fränkischen Hause nicht verwandten und nicht zu verwechselnden – Geschlechte, aus welchem viele geistliche Würdenträger und auch Kriegsleute hervorgegangen, angehörig, hatte er die im J. 1694 – nach andern 1661 oder 1662 – an seine Familie gekommene Herrschaft Dischingen im J. 1764 von seinem Bruder übernommen und seinen Sitz hier aufgeschlagen und den damals noch ganz unbedeutenden Ort mit vielem Aufwand hauptsächlich durch herrschaftliche Bauten in ein gewisses Ansehen gebracht. Noch ziemlich in dieses Jahrhundert hinein hatte der in einer angenehmen, durch viele Alleen verschönerten Gegend gelegene Flecken ein vornehmes kleinresidenzmäßiges Aussehen: eine schöne neue Ortsstraße, ein Schloß mit einem großen, ehemals prächtigen Schloßgarten, ein schloßartiges Amts- und Kanzleigebäude, schöne Gotteshäuser, unter welchen sich besonders die bei dem Schlosse stehende, nach griechischem [767] Geschmack in Rotundenform mit vier Vorsprüngen gebaute, die Figur eines Kreuzes bildende Pfarrkirche zu Mariä Himmelfahrt und hl. Cyrillus auszeichnete und andere Gebäude zierten den Ort, von welchen indeß das schöne neue Schloß im J. 1807, wie man sagt, von entsprungenen Gaunern aus Rache angezündet, eingeäschert und Ruine wurde; sämmtliche Bauten fast ganz das Werk des unternehmenden baulustigen Grafen Ludwig. Das, was ihn aber hauptsächlich bekannt und zu einer vielgenannten und gefürchteten, in Schwaben und darüber hinaus heute unter dem Namen des „Malefizschenk“ (auch „Henkersgraf“) im Volksmunde fortlebenden – sagen wir es geradezu – historischen Persönlichkeit machte, war seine criminalistische Thätigkeit. In den 1760er Jahren erging nämlich, als die beiden Kreiszuchthäuser zu Ravensburg und Buchloe bei dem in Schwaben stark überhandnehmenden Gaunerwesen entfernt nicht mehr ausreichten, ein Schreiben der Stände des schwäb. Kreises mit der öffentlichen Anfrage, ob Jemand zur Erbauung einer Frohnfeste, d. h. eines weiteren Zucht- und Arbeitshauses und deren Verwaltung und Bewachung geneigt wäre. Auf diesen Nothschrei der schwäb. Stände hatte sich kein anderer und geringerer gemeldet, als der Reichsgraf Sch. v. C., großentheils, wie man wol sagen darf, aus purer Liebhaberei, aber auch aus herrschsüchtigem Ehrgeize, sowie infolge eines inneren Dranges, aus den engen, seinem dynastischen selbstherrlichen Geiste längst nicht mehr genügenden Schranken seines Wirkungskreises herauszutreten, und da dies in anderer Weise damals nicht ging, auf dem sich ihm gerade öffnenden Felde der Criminaljustiz in richtigem Instincte, daß hier etwas nicht in Ordnung sei und etwas, ohne noch über das Nähere desselben im Klaren zu sein, geschehen müsse, eine Rolle zu spielen und etwas zu leisten. So kam denn der auch staatsrechtlich merkwürdige Vertrag zwischen dem schwäb. Kreis und seiner Person zu Stande: der Kreis bezahlte die Kosten für den Aufbau und die Einrichtung des neuen großen Zuchthauses in der Grafenresidenz zu Dischingen und leistete zu dessen Unterhaltung, Verwaltung sowie für das nöthige Personal Beiträge und Graf S. übernahm quasi im Accord und Abstrich vollständig selbständig auf eigene Gefahr und Rechnung die Bilanz und Administration des Ganzen. Das Zuchthaus, zu welchem noch vier Blockhäuser für Kranke und zu Isolirzwecken aufgeführt wurden, ward in den 1770er Jahren in Hufeisenform und nach den damaligen neuesten Erfahrungen groß und schön, aber auch bombenfest gebaut und nicht minder zweckmäßig und reinlich eingerichtet. Seine Gefängnißeinrichtung bezeichnete für die damalige Zeit, wo das Gefängnißwesen fast allenthalben noch auf einer tieferen Stufe stand, einen entschiedenen Fortschritt. In erster Linie war es zur Aufnahme und Verwahrung von durch Gerichte des Kreises rechtskräftig abgeurtheilten und nach Dischingen zur Strafverbüßung bezw. Strafvollstreckung, namentlich der Todesstrafe, deren Execution der „Malefizschenk“ persönlich dirigirte, abgeführten Verbrechern bestimmt. Dabei blieb es aber nicht, vielmehr war der Graf alsbald von Anfang an bestrebt, auch die Aufspürung, Verfolgung, Einfangung, Inquisition und Untersuchung durch eigens hierzu angestellte Beamte, und zwar unentgeltlich auf eigene Kosten, Aburtheilung und Justification, somit den ganzen Strafproceß von Anfang bis zu Ende von den mit ihm verbundenen Reichsständen in die Hand zu bekommen, wobei allerdings die schwereren Fälle einer Juristenfacultät zur Urtheilsfällung bezw. Bestätigung übergeben werden sollten. Ebenso suchte er in ziemlich ungenirter autokratischer Weise, wol um das Gebiet gemeinsamer Maßregeln gegen das Verbrecherthum, welches der Obrigkeit immer mehr über den Kopf zu wachsen drohte, möglichst weit zu erstrecken und dabei seiner Anstalt durch die vermehrte Anzahl der Insassen weitere Vortheile zuzuwenden, seinen Wirkungskreis über die Grenzen Schwabens und sogar des hl. römischen Reiches deutscher Nation [768] auszudehnen; er ging später mit einer Reihe von Schweizerkantonen Justiz- und Auslieferungsverträge ein. Obwol dies Alles weit über die ursprüngliche Abmachung mit dem Kreise hinausging und vom staatsrechtlichen Standpunkt aus die schwersten Bedenken erregen mußte, so ließ man ihn in den damaligen schwierigen Zeiten, wo sich die Ohnmacht der einzelnen kleinen Dominien so recht zeigte und man eines Mannes wie der Malefizschenk, der sein ganzes Leben in den Kampf gegen das Verbrecherthum gestellt, froh sein mußte, einfach gewähren. Außerdem war das Dischinger Institut, um das Maaß voll zu machen, noch eine Art Correctionshaus für lästige und unerträgliche, oft auch geistig nicht ganz richtige Glieder der menschlichen Gesellschaft und eine Unterkunfts- und Erziehungsstätte für die Kinder dort eingesprochener Züchtlinge. Im Einzelnen beruhte die Einlieferung von Verbrechern in seine Anstalt jederzeit auf besondern Verträgen, „Conventionen“ oder „Associationen“ mit den einzelnen Ständen (Reichsstädten, Fürsten, Grafen, Abteien, Kantonen), worin die gegenseitigen, insbesondere die finanziellen Verpflichtungen auf das allergenaueste bestimmt waren. Solche „Conventionen“ hatte der Graf im Verlaufe der Zeit z. B. mit den schweizerischen Kantonen Zürich, Schaffhausen, Schwyz und Appenzell a. Rh. abgeschlossen. So war nach und nach aus kleinen Anfängen eine große Strafanstalt, größer wie die schwäbischen Schwesteranstalten, mit oft über 100 Züchtlingen und gegen 50 Delinquenten entstanden; man hatte bald gespürt, welch kräftige, energische Hand da die Zügel führte. Der Graf, noch in den besten Mannesjahren, war schon äußerlich eine gewaltige mit scharf und grimmig blickenden Augen, einer wahren Donnerstimme und einer rothen Geiernase, ein Grand-Seigneur vom alten Schlag, voll von Esprit, Muth, Entschiedenheit und beispielloser Energie, welchem das Imponirende des Herrschers wie angeboren war. Ernst, volleifrig und wie ein selbstbewußter Souverän faßte er seine Aufgabe auf; seine natürliche Vorliebe für die Beschäftigung mit dem Spitzbubenthume zeitigte unleugbar in ihm großen Chic und Findigkeit auf dem Gebiete des Fahndungs- und Inquisitionswesens und der gesammten Criminalpolizei; prompt, anstellig, unablässig und unverdrossen, exact und expedit waltete er seines Amtes, ohne je ein reiner Kanzleimann zu werden; im Gegentheil war er, die auch in ihm schlummernde diplomatische Ader nicht verleugnend, stets klug, berechnend, unter Umständen conciliant, immer eminent praktisch, dabei auch ökonomisch und seine Interessen nicht aus dem Auge verlierend und hatte er sich so nach und nach zu einem ganz exquisiten Geschäftsmann ausgebildet, wie er seinesgleichen in Süddeutschland höchstens an seinen würdigen Mitarbeitern auf dem Felde der Anti-Gaunerei, an dem badischen Hofrath Fr. A. Roth zu Emmendingen und dem württembergischen Oberamtmann Georg Jakob Schäffer von Sulz hatte. Nicht selten griff er selbst unmittelbar in den Gang seiner Justiz ein und zog, furchtlos wie er war, hin und wieder mit seinen Leuten, vor allen mit seinen zwei Haupthäschern, dem Lautenbacher und „Baireutherle“ persönlich auf die Streife, drang in die Raub-, Diebs- und Hehlernester mit der größten Bravour und Unerschrockenheit ein und packte dann und wann selbst mit seiner nervigen gefürchteten Faust zu; wenn er so wie der Blitz in einer Verbrecherhöhle erschien, kam er mit seinen fuchsrothen Haaren allen bösen Gewissen wie der leibhaftige Satanas vor. Seine Leidenschaft, sich zu einer Geißel des Räuberunwesens im Lande zu machen, es bis in seine geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen und nicht zu ruhen, bis er der Verbrecherhydra den Kopf zertreten, ermattete selbst in seinen zunehmenden Jahren nicht. Einmal im Frühsommer 1800 nach dem für die Oesterreicher unter Kray gegen St. Cyr unglücklichen Treffen bei Meßkirch und Biberach passirte ihm, was ihm schon im J. 1796 eines Tages gedroht, das große Mißgeschick, daß die Franzosen [769] in seinen Ort und Burgfrieden eindrangen, plünderten und die in den Blockhäusern verwahrten Sträflinge dem darob entsetzten Gerichtsherrn zum Tort und Trotz laufen ließen, welche dann nur noch zum Theil mit schwerer Mühe wieder beigebracht werden konnten. Das machte ihn indeß nicht muthlos und noch bis in sein hohes Alter hinein hauste er, schließlich mehr oder weniger thatsächlich wenigstens Generaljustizherr in Oberschwaben geworden, von seiner mit Criminallust geschwängerten Zwingburg in der alten Weise fort. In seinen alten Tagen traf den Gewaltigen, dessen Stimme immer noch wie Donner hallte, ein harter Schlag, das große Herzeleid der Mediatisirung und Unterstellung seiner übrigens nie souverän gewesenen Herrschaft unter die Krone Württemberg. Napoleon räumte nämlich nach und nach mit allen kleinen Herrschaften im schwäbischen Kreise auf, um Baden, Baiern und vorzugsweise Württemberg damit zu vergrößern; und so wurde auch der Malefizschenk – er mochte wollen oder nicht – auf Grund der rheinischen Bundesacte im J. 1806 aus einem deutschen Reichsgrafen ein Vasall des neuen, ihm von früher her schon sehr unsympathischen Königs von Württemberg, und damit war auch das Schicksal seiner Justizherrlichkeit so gut wie besiegelt, denn ein Monarch wie König Friedrich I., seinem Wesen und Charakter nach vielfach dem Malefizschenk ähnlich, hätte niemals einen solchen Eingriff in seine Justizhoheit geduldet. Er wollte zwar nicht daran glauben, und vermeinte, in nicht geringer Selbsttäuschung befangen, „daß selbst die um sich greifenden höheren Mächte sein Institut in besondern Schutz nehmen werden“. Es sollte indeß anders kommen und ihm auch der härteste Schlag nicht erspart bleiben. Schon im J. 1807 wurde zum Theil auf eine Denunciation hin die Verwaltung seiner Criminaljustiz von Seiten der Krone Württemberg einer Untersuchung unterzogen; und wie ein Blitz traf ihn das Jahr darauf ein Rescript seines nunmehrigen Souveräns, welches ihm nicht nur alles Recht absprach, der höchsten Staatsgewalt zuwider eigenes Gericht zu führen und ihm die sofortige Auflösung des Zuchthauses und Einstellung jeder Art von Justizthätigkeit, insbesondere allen und jeden ferneren Verkehres mit auswärtigen Behörden aufgab, sondern sogar noch eine Untersuchung wider denselben wegen der „wirklich schreienden Ungerechtigkeiten und über alle Begriffe gehenden Unordnungen, Willkürlichkeiten und Verzögerungen“ bei seiner Criminaljustizverwaltung einleiten ließ, in der Folge auch die Wegführung der Gefangenen und Suspension der Beamten anordnete – ein Disciplinarproceß, welcher nach vielen, auch mit Familienzerwürfnissen verquickten Kränkungen und Widerwärtigkeiten für den Grafen und nach dessen mannhafter und energischer „Defension“ im Sande verlief, sich in der Hauptsache als eine unbegründete Anklage und mehr wie eine persönliche Rancune ausnahm und bloß mit einer allerdings dem Verklagten sehr schmerzlichen und schier unerträglichen Kostenverfällung und allerdings zum nicht geringen Leidwesen der meisten mit ihm in geschäftlicher Verbindung gestandenen Herrschaften, welche die Aufhebung eines so nützlichen Instituts nicht wollten begreifen können, mit dem definitiven Ende der ganzen Justizherrlichkeit des Grafen endete und wobei es dem König allem nach in der Hauptsache darum zu thun war, dem nicht leicht nachgebenden Grafen ein für allemal seinen königlichen Standpunkt klar zu machen, für die Zukunft jedes Selbständigkeitsgelüste gründlich zu verleiden und ihn gehörig zu demüthigen. Nur mit schwerem unauslöschlichem inneren Groll fand er sich in das Unvermeidliche und in das Aufhören seiner Lieblingsschöpfung; er lebte noch über ein Jahrzehnt, nachdem ihm seine Gemahlin Philippine, geb. v. Hutten, welche ihm 7 Kinder geschenkt, im J. 1813 im Tode vorausgegangen, auf seinen Gütern, sah noch die neue und eine ganz andere Zeit kommen und hörte [770] stets gern von den ferneren Schicksalen „seiner“ Gauner, that diesem und jenem – vom sündigen Nachwuchs derselben auch noch immer manches Gute, hatte doch das Interesse für sie in Wahrheit den Hauptinhalt seines langen und so seltsamen Lebens gebildet. Ueberhaupt war dieser Mann nach dem Ausspruche zuverlässiger Zeitgenossen nicht der Blutmensch, für den er meistens gilt und es war, wie er manchmal bewies, aus seinem Wesen durchaus nicht alle Humanität und Milde gewichen; wenn er auch im großen Allgemeinen bei seinem Strafsystem der Abschreckungstheorie, wie es eigentlich Zeit und Umstände erheischten, huldigte, so hatte er doch den Besserungszweck nie ganz außer Acht gesetzt. Bei einer halbwegs gerechten Würdigung seines Wesens und Wirkens hat man sich vor allem die Zeit, in welcher er lebte und für welche eigentlich ein Mann wie er nöthig war, und die damaligen Rechts-, Staats- und Sittenzustände vor Augen zu halten. In ihm verkörperte sich so recht die hinwegsterbende Energie des 18. Jahrhunderts, zu dessen originellsten Kraftmenschen und „Gewaltigen“ er jedenfalls gehörte; er ist eine überaus markante und in seiner Art gewissermaßen großartige Persönlichkeit, quasi die Verkörperung der hoch- und nothpeinlichen Carolina, welche rücksichtslos ihre Bahn dahinschritt, die Vergangenheit sowie Gegenwart an ihren gefährlichsten und schlimmsten Feinden rächte, die Zukunft, soweit es an ihr war, sicher zu stellen suchte. Originell ist die von ihm, wenn auch aus Liebhaberei getroffene Wahl seines Lebensberufes, beständig mitten unter dem Auswurf der Menschheit zu leben und tagtäglich mit demselben zu verkehren; großartig erscheint er darin, wie er diesem seinem Beruf nachkommt, ja, wie er in demselben ganz aufgeht, sein Vermögen, sein Leben dafür einsetzt, hat er doch darüber sein eigenes Schloß verloren und hundert Todesgefahren bestanden und seine Familie, welche ihren tiefen Widerwillen gegen die Beschäftigung ihres Hauptes nie verwinden konnte, vernachlässigt. Er war beinahe der einzige von allen Mediatisirten, welcher einem so gewaltigen Selbstherrscher wie König Friedrich unerschüttert entgegenzutreten wagte und gegen die Mediatisirung auch seiner merkwürdigen Schöpfung sich mit Leib und Füßen sträubte. Seine Fehler: sein herrisches, keinen Widerspruch vertragendes Wesen, sein hochfahrender Stolz, vielleicht auch seine zuweilen allzuwenig objectiv und allzu subjectiv behandelte Gerechtigkeitsliebe, seine übergroße Strenge sollen nicht verschwiegen bleiben. Wenn auch seine Art von Criminaljustiz, wie er sie sich als Ideal dachte, nicht ganz dem, was sie sein sollte, entsprach und die Spitzbubenliebhaberei als eines seiner Hauptmotive sich bei ihm nicht verkennen ließ, und wenn er freilich oft die Gerechtigkeit, wie er dieselbe aufgefaßt und sich zurechtgelegt, auf die äußerste Spitze getrieben hat, so daß sie nicht selten in starre Härte umschlug, wenn er weiter dabei, wie sich nicht in Abrede ziehen läßt, manchmal auf krummen Wegen und in der Wahl seiner Mittel nicht besonders wählerisch und scrupulös zu Werke ging, so gebührt ihm jedenfalls in der Bekämpfung des zur wahren Landplage in Oberschwaben gewordenen Verbrecherthums das Verdienst der Initiative und ist ihm hauptsächlich zuzuschreiben, daß sich dieses Unwesen in den langen Kriegszeiten nicht noch mehr fühlbar gemacht und schließlich, wie zu befürchten stand, nicht gar Alles außer Rand und Band gebracht hat und überragen diese seine unleugbaren Verdienste um das Gemeinwohl jene Schattenseiten bei weitem. – Dieser Mann hat denn auch auf viele seiner Zeitgenossen und seiner nächsten Epigonen, als eine Erscheinung von fast legendenhafter Erhabenheit und fast providentieller Bedeutung, einen mächtigen, geradezu bannenden, fast fascinirenden Einfluß ausgeübt, so namentlich auf einen der namhaftesten schwäbischen Künstler, den Maler Joh. B. Pflug (s. A. D. B. XXV, 678–688). Diesem hatte es der dämonische Graf mit seinem Jauner- und Gaunerschloß ganz besonders angethan. Der Malefizschenk war es, der den [771] Maler bei seinen hellen, fröhlichen Darstellungen aus dem Volksleben auf einen düsteren Hintergrund aufmerksam machte – wir meinen auf das Räuberwesen als böse Hinterlassenschaft der langen Kriegszeiten, welchen Pflug dann mit so tiefem, seinem Verständniß in vielen seiner Gemälde, namentlich in den Darstellungen aus dem „Brigantenleben der schwarzen Vere“ vergegenwärtigte. Auch in seinen Memoiren (I, 177–190; II, 127–187) hat Pflug dem Grafen ein anmuthiges Denkmal gesetzt. Und – auch sonst noch in Schwaben lebt der Malefizschenk im Munde von Land und Leuten fort und wird nicht so bald aus dem Gedächtniß und der noch recht lebhaften Ueberlieferung entschwinden, wie sein ganz einziges Institut Anspruch auf eine bleibende Stelle in den Annalen der Strafrechtspflege hat.

Außer den bereits genannten Pflug’schen Memoiren: M. Planck, Die Frohnfeste zu Dischingen, in den württ. Vierteljahrsheften für Landesgeschichte, I. Jahrg. (1878), S. 156–166, woselbst auch eine Convention mit der Reichsstadt Dinkelsbühl zum Abdruck gebracht ist; zahlreiches noch zu Dischingen liegendes Actenmaterial (die berühmten Criminalprocesse wider den Tiroler Seppel, Elisabeth Gaßner, die schwarze Liesel etc.). Das merkwürdige gemeinnützig-großartige Wirken dieses Mannes harrt immer noch einer eingehenden und sachverständigen Darstellung. – P. Beck, Beiträge zur Geschichte des Gesindels in Oberschwaben, in der bes. Beilage des württ. Staatsanzeigers v. 1877, Nr. 16. Auch der Roman hat sich mit dem Malefizschenk beschäftigt, so W. L., Der Graf Schenk v. Dischingen (Ulm 1863) und Schmidt-Weißenfels, Der Graf v. Schenk, im „Sammler“ (1880, S. 106 ff.) und des letzteren etwas romanhafte Darstellung in der „Gartenlaube“ (Jahrgang 1877, Nr. 23); Cast, Württ. Adelsbuch I, 165–167. – Porträts existiren von S., dagegen haben sich in Kupfer gestochene Bildnisse von ihm nicht auffinden lassen.


[766] *) Zu Bd. XXXI, S. 37.