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ADB:Natter, Lorenz

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Artikel „Natter, Lorenz“ von Paul Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 286–288, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Natter,_Lorenz&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 12:42 Uhr UTC)
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Natter: Lorenz N., ausgezeichneter Edelsteinschneider und Medailleur, geb. am 21. März 1705 zu Biberach, der ehemaligen oberschwäbischen Reichs-, jetzt würtembergischen Oberamtsstadt, welche schon so viele namhafte, und vom selben Fache um die gleiche Zeit zwei weitere Künstler, Friedrich Dinglinger und Johann Christoph Schaupp hervorgebracht hat, † in St. Petersburg am [287] 27. October 1763, lernte in seiner Heimath zuerst die Goldschmiedekunst, dann zu Bern bei Siegelschneider Joh. Rud. Ochs. „Mit großem Talente begabt, machte er selbst unter mittelmäßiger Anleitung bedeutende Fortschritte, und da er unablässig nach Vollkommenheit strebte, war auch bald sein Ruf als einer der berühmtesten und genialsten Edelsteingraveure gegründet.“ Nachdem er zu seiner Ausbildung noch einige Zeit in Rom zugebracht, kam er vom J. 1732–1735 in die Dienste des kunstsinnigen Großherzogs von Toscana nach Florenz, woselbst er mehrere vorzügliche Arbeiten, insbesondere die von ihm mit ΝΑΤΤΕΡ ἐποῖει bezeichnete Bildnisse des genannten Fürsten und des Cardinals Alexanders Albani ausführte. Da sein immer mehr steigender künstlerischer Ruf ihm von allen Seiten Aufträge über Aufträge zuführte, so verließ er den toscanischen Hof und führte zunächst eine Art Wanderleben. Fortan arbeitete er für die meisten Fürsten Europas, besonders für Wilhelm IV. von Oranien und König Christian VI. von Dänemark, welche beide ihn sehr werth schätzten und fürstlich belohnten. Eine Zeit lang hielt er sich in London auf, wo er u. A. eine Medaille zu Ehren des Sir Robert Walpole – eines seiner Hauptwerke aus dieser Periode – sowie auch eine Gemme mit fünf Lagen, eine „siegende Britannia“, schnitt und woselbst er von der antiquarischen Gesellschaft unter ihre Mitglieder aufgenommen wurde. Hier gab er auch im J. 1754 eine fachwissenschaftliche, jetzt noch geschätzte Abhandlung unter dem Titel „Traité de la méthode antique de graver en pierres fines comparée avec la méthode moderne expliquée en diverses planches“ in englischer und französischer Sprache mit 37 Kupfern (bei Haberkorn in kl. Folio; eine Fortsetzung erschien 1764 und eine spätere Ausgabe 1781) heraus, in welcher er bei der Erklärung der antiken Steine mit Kürze und Präcision sowie ohne Auskramung unnöthiger Gelehrsamkeit verfährt und sich überhaupt als einen gelehrten, namentlich in der Geschichte und Mythologie sehr bewanderten Künstler zeigt. Von England begab er sich nach Holland und darauf nach Kopenhagen, wo er längere Zeit lebte und gleichfalls großen Ruhm erwarb; zeitweilig nahm er auch in Stockholm seinen Aufenthalt. Zuletzt ging er im J. 1763 auf Veranlassung des bekannten kunstverständigen kais. Obersthofmeisters Grafen N. I. Panin nach Petersburg, wohin schon früher sein Ruf und Arbeiten von ihm gedrungen waren, allein er kam schon krank daselbst an und starb bald darauf. Die im kaiserlichen Cabinete daselbst aufbewahrten Werke Natter’s sind in den „Reisen“ von Johann Bernoulli (IV, 248) beschrieben. Eine seiner gelungensten Schöpfungen, der Carneol-Intaglio mit dem Brustbilde van Swietens, befindet sich mit anderen in Wien. – Seine Arbeiten – hauptsächlich geschnittene Bildnisse – wurden vielfach denen der Alten gleichgestellt und sind heutzutage, als meist in festen Händen, in Museen oder fürstlichem Besitz befindlich, von der allergrößten Seltenheit; selbst seine Heimath hat nicht ein einziges Stück von seiner kunstgeübten Hand aufzuweisen. Wenige der Steinschneider, die vor und nach ihm in neuer Zeit sich ausgezeichnet haben, besaßen ein so richtiges Gefühl für die Kunst der Alten; keiner war wie N. in seinen besten Arbeiten so sehr von Allem frei, was man Manier nennt etc.; etwas mehr Schule, namentlich eine längere Ausbildung in Italien und N. wäre einer der berühmtesten Künstler aller Zeiten in seinem Fache geworden. Schon Goethe würdigt in „Winckelmann und sein Jahrhundert“ (II, 100) diesen Künstler und rühmt an seinen Arbeiten Geist und Natürlichkeit in ausgezeichnetem Maße nebst fleißiger Ausführung als die wesentlichsten Verdienste; doch scheint N. im Geschmacke weniger den antiken Mustern als den französischen Bildnißmalern gefolgt zu sein. Nach seinem Tode wurde er da und dort, u. A. auch bei Georg Friedrich Creuzer „zur Gemmenkunde“ (S. 141 und 143) beschuldigt, Gemmen durch von ihm eingegrabene Namen verfälscht zu haben, was keineswegs bis jetzt genügend aufgeklärt ist. N. hatte [288] sich allerdings von früher Zeit an im Nachschneiden alter Gemmen, wo er solche von Bedeutung auf seinen vielen weiten Reisen zu Gesicht bekam, geübt und darin mit der Zeit eine solche Meisterschaft erlangt, daß man Original von Copie kaum mehr unterscheiden konnte; eine seiner täuschendsten und berühmtesten Nachahmungen ist die von der Medusa des Sofikles aus der vormaligen (jetzt im Haag befindlichen) Hemsterhuys-Gallitzin’schen Gemmensammlung. Mehrere von ihm geschnittene Steine tragen allerdings das Zeichen Ὕδρου (Wasserschlange-Natter), was z. B. den bekannten Daktyliothekar Philipp Daniel Lippert (II, 120) verleitete, diese Gemmen für griechische Arbeiten zu nehmen; in der Regel pflegte er seine Producte mit: Natter oder N. zu bezeichnen.

Chr. A. Klotz, Acta literaria I, 2, S. 228. – A. F. Büsching (welcher N. den Praxiteles, wenigstens den Dioscorides der Deutschen nennt und welcher z. Z. des Aufenthaltes von N. in Petersburg das. luth. Pastor war) in seinen „gelehrten Abhandlungen und Nachrichten von und aus Rußland“ I, Art. 10. – Fiorillo, Gesch. d. zeichn. Künste in Großbritannien S. 620 ff. – H. K. E. Köhler, Kleine Abhandlungen zur Gemmenkunde (Gesammelte Schriften, herausgegeben von Lud. Stephani, IV. 1, Petersburg 1851). – Sacken, Kenner etc.