ADB:Nägeli, Hans Franz
Hans Rudolf erhielt auf der Hochschule zu Paris eine gelehrte Bildung, wurde dann Mitglied des Großen und des Kleinen Rathes der Republik, Landvogt in dem erst 1476 im Kriege gegen Karl den Kühnen eroberten Bezirke Aelen im Rhonethal, und nachher (1506–1509) auch in Thun. Er zeichnete sich auch als Krieger aus; sieggekrönt zog er 1521 in Mailand ein, als die Schweizer die Lombardei eroberten und Maximilian Sforza wieder als Herzog einsetzten; kam jedoch schon im folgenden Jahre in dem furchtbaren Blutbade bei Bicocca um. In Aelen wurde sein Sohn Hans Franz geboren; in Thun brachte derselbe seine Jugend zu. Auch er erhielt eine sorgfältige Erziehung, so daß er deutsch, französisch und lateinisch mit der nämlichen Gewandtheit schrieb. Nachdem er in den italienischen Feldzügen mitgekämpft und kriegerische Erfahrungen erworben hatte, wurde er schon 1522 in den Großen Rath aufgenommen, dann zum Landvogt in Burgdorf und 1529 zum Mitglied der Regierung erwählt. Seit dieser Zeit war er fast ohne Unterbrechung zugleich Vertreter seines Kantons bei den eidgenössischen Tagsatzungen. Im März 1531 führte er ein bernisches Heer, welches den Graubündnern gegen die Angriffe des abenteuerlichen Castellans von Musso, J. J. Medici Hülfe brachte, und es fiel ihm in Folge dessen die ehrenvolle Aufgabe zu, den Friedensvertrag zur Sicherung des Thales von Veltlin mit dem Herzog von Mailand abzuschließen. Als im Herbst des nämlichen Jahres der religiöse Bürgerkrieg in der Schweiz – der sogen. zweite Kappelerkrieg – zum Ausbruche kam, hatte N. mit 2000 Mann die Berner Grenze gegen das katholische Wallis zu decken. Das Jahr 1533 brachte dem noch jungen Manne die Ernennung zum Seckelmeister oder Vorsteher der Staatsfinanzen, eine Würde, die in der Reihe der Magistraturen als die zweithöchste galt. Bald aber wurde ihm eine großartigere Aufgabe gestellt: die Befreiung von Genf und die Eroberung des Waadtlandes. Wie die Stadt Genf, so gehörte bis dahin auch das Ufer des Genfersees bis zum Neuenburger See, der schönste und fruchtbarste Theil der heutigen Schweiz, noch zum Herzogthum Savoyen. Im Laufe des 15. Jahrhunderts warf das mächtig sich ausdehnende Bern seine Augen auf die natürliche Grenze der Eidgenossenschaft gegen Westen, und schon der Ausgang des Burgunderkrieges brachte diese Gegend mit französisch sprechender Bevölkerung in die Gewalt der Berner; im Friedensschlusse traten sie jedoch alles, mit Ausnahme des eben erwähnten kleinen Bezirkes Aelen an den früher stets in traditionellem Bundesverhältniß stehenden Nachbar wieder ab. Der Kampf der Stadt Genf um ihre politische und religiöse Freiheit, der durch die Reformationsbewegung angeregte Versuch, zu gleicher Zeit das geistliche Joch ihres Bischofs und die weltliche Herrschaft der savoischen Herzoge von sich abzuschütteln, änderte die Sachlage, da Bern die Genfer in diesem Bestreben eifrigst [220] unterstützte. Im August 1535 entschied sich Genf zur Reformation; allein eine zahlreiche Partei von Unzufriedenen verband sich jetzt mit den Savoyarden; sammelte sich in einer nahe gelegenen Burg Peney, schnitten der Stadt alle Zufuhr ab und brachten sie in eine höchst gefährliche Lage. Nachdem zuerst eine Schaar Freiwilliger aus Bern und Biel, worunter auch todesmuthige Frauen, den Bedrohten zu Hülfe geeilt war, entschloß sich Bern im December 1535 zum Krieg mit dem Herzog. Der listige Versuch des Königs Franz I. von Frankreich, Genf für sich zu gewinnen, beschleunigte diesen Entschluß wie dessen Ausführung, obwohl die Berner einen gleichzeitigen Angriff der katholischen Eidgenossen besorgen mußten. Am 22. Januar 1536 waren 6000 Mann gerüstet und gesammelt und wurden von dem Reformator Berchtold Haller feierlich zum Auszug geweiht. Hans Franz N. wurde mit deren Führung betraut. Am 24. Januar wurde die Grenze überschritten, und ohne ernstlichen Widerstand zu finden, da die Freunde der neuen Lehre auch im Waadtlande die Berner freudig begrüßten, eilten die Berner gerades Weges nach Genf. Am 2. Februar schon zogen sie als Befreier in die schwer bedrängte, fast ausgehungerte Stadt und wurden mit ungeheurem Jubel begrüßt. Für den Feldherrn N. war es ein Ehrentag, wie er nur selten einem Krieger zu Theil wird. Dieser wollte indessen nicht dabei stehen bleiben, wenige Tage später setzte er seinen Marsch fort, besetzte das südliche Ufer des Genfersees, erstürmte die als uneinnehmbar betrachtete Grenzfestung l’Ecluse in den Schluchten der Rhone und zwang das ganze Waadtland, der Stadt Bern als ihrem neuen Oberherrn zu huldigen. Schon am 1. März war N. wieder in Bern. Ein zweiter noch kürzerer Feldzug brachte noch in dem nämlichen Monat auch den dem Bischof von Lausanne als weltliches Gebiet zugehörigen Theil der Waadt, mit seiner schönen Residenzstadt, in die Hände der Berner, sowie das feste Schloß Chillon, wo der edle Bonnivard im Kerkergewölbe gefunden und befreit ward. Durch Klugheit, Energie und ungewohnte Schnelligkeit der Bewegung hatte N. das Unterthanenland der Stadt Bern beinahe verdoppelt, fast ohne einen einzigen Mann zu verlieren; die Stadt Calvins war befreit und ging ihrer bedeutungsvollen Zukunft entgegen, und das Waadtland war für immer ein Theil der Schweiz geworden. Es war nur eine verdiente Anerkennung, als N. im Jahre 1540 durch das Zutrauen seiner Mitbürger als Schultheiß an die Spitze des Staates gestellt wurde. Noch im Sommer 1536 war er mit einer Sendung an den König von Frankreich beauftragt und sodann zum zweiten Male nach Genf geschickt worden, um das Resultat seines kriegerischen Sieges auch diplomatisch zu sichern. Es galt vorzüglich französischen Umtrieben entgegenzuwirken. Schließlich häuften sich indessen die Schwierigkeiten, welche die katholischen Kantone der Eidgenossenschaft, in Verbindung mit Spanien und Savoyen, den Bernern zu bereiten verstanden, so sehr, daß der Schultheiß N. selbst es für zweckmäßig erachtete, den einen Theil der Eroberung aufzugeben, um den andern um so fester zu halten. Am 22. October 1564 kam unter der etwas zweideutigen Vermittelung Frankreichs ein Vertrag zu Stande, vermöge dessen Bern das Südufer des Genfersees, die beiden Landvogteien Thonon und Ternier, an Savoyen wieder abtrat, wogegen der Besitz des Waadtlandes staatsrechtlich anerkannt und gewährleistet wurde. N. selbst wirkte beim Abschluß des Vertrages mit. Im Jahre 1555 nahm er das durch Kauf erworbene Hochthal von Saanen für Bern in Besitz, und blieb, auch nachdem er 1567 die Schultheißenwürde niedergelegt, einer der einflußreichsten und geachtetsten Staatsmänner, bis er am 3. Januar 1579 starb. N. war Besitzer der schönen Herrschaft Bremgarten bei Bern, der halben Herrschaft Münsingen und anderer Güter. Aus seinem späteren Leben ist die vielfach romantisch ausgeschmückte Begebenheit bekannt, [221] wie (1567) sein tödtlich mit ihm verfeindeter Amtsgenosse, der Jahr um Jahr mit ihm alternirende Schultheiß Johannes Steiger, die Hand seiner schönen Tochter und – zur Freude des ganzen Landes – die Freundschaft ihres Vaters gewonnen hat. Geist und Charakter Nägeli's vererbte sich weit weniger auf seine etwas leichtsinnigen Söhne, als auf seine Töchter, die sich mit den hervorragendsten Bernern ihrer Zeit vermählten. Sein Harnisch wurde sammt demjenigen seines Pferdes im Zeughause aufbewahrt und ist jetzt im historischen Museum von Bern aufgestellt.
Nägeli: Hans Franz N. von Bern, Staatsmann und Krieger (1496–1579), stammte aus einem edeln Geschlechte des Aargaus. Burkhart N. verlegte 1436 seinen Wohnsitz nach Bern und gelangte bald zu Ansehen und Reichthum; sein Sohn- R. v. Sinner. H. F. N. im Berner Taschenbuch. Jahrgang 1873 (S. 1–114). – Hidber, Waadtland wird Schweizerisch durch die Berner und den Bernischen Feldhauptmann N. (Berner Neujahrsblatt für 1861) mit Bildniß. – Lüthi, Berns Politik in der Reformation von Genf und Waadt. Bern 1885. – Tillier. Berner Geschichte Bd. III. – Vulliemin, Histoire de la conféderation Suisse. – Originalacten des Berner Staatsarchivs. – Speciell für die zuletzt erwähnte Begebenheit: „Ritter Hans und Ritter Franz“, Gedicht im Schweiz. Museum 1790 (S. 135–143). – Neujahrsblatt der Stadt Zürich 1806. – Hirzel, Edle Züge aus der Schweizergeschichte. Basel 1806. – Schuler, Thaten und Sitten der Eidgenossen 1838. Abthl. II (S. 275–277).