ADB:Hirzel, Salomon (Staatsmann)
Hans Kaspar H. (s. den Art.), wurde H. gleich demselben infolge des Aufenthaltes des Vaters in Cappel bis 1740 auf dem Lande erzogen. Nachdem der ältere Bruder sich zum Studium der Theologie nicht hatte entschließen können, wandte sich auch H. auf Breitinger’s und seines früheren Erziehers Simler Antrieb hin, gegen den anfänglichen Wunsch des Vaters, von der Bestimmung zur Theologie ab und den Staatsgeschäften zu, dem Vorgange des Vaters und Großvaters folgend. H. studirte zu Halle zumeist unter Nettelblatt und Böhmer, machte dann eine Reise über Berlin und durch Frankreich und stieg, nach Zürich zurückgekehrt, in der Uebung der Canzleiarbeiten nach damals gewohnter Weise zum Anspruch auf höhere Functionen empor. 1753 erhielt er als unterer Rathssubstitut die erste Beförderung zum Gehülfen des zweiten Staatsschreibers. Schon als Zögling der höheren Schulen war H. in einem wissenschaftlichen Vereine mit ähnlich strebenden Jünglingen zu Basel in Correspondenz getreten, und dadurch, daß nunmehr 1760 bei der dritten Säcularfeier der Basler Hochschule mit dem Basler Staatssecretär Iselin (s. den Art.), die alte Freundschaft erneuerte, dadurch, daß nach seinen eigenen spätern Worten „von Freude über die neue Aussicht einer freundschaftlichen Tagsatzung die Herzen überströmten und unter diesem Gedanken mit wehmüthiger Zärtlichkeit von einander geschieden wurde“, war der erste Grund zur Helvetischen Gesellschaft gelegt, deren Constituirung freilich das Verdienst des älteren Bruders (s. den Art. Hans Kaspar H.) war, 1762, nachdem 1761 erst ein engerer Kreis von Freunden zu „der Lustpartie im sokratischen Verstande“ in Bad Schinznach sich eingefunden hatte. Iselin’s und Hirzel’s Absicht, „Allem den Schein eines witzigen Muthwillens zu geben und unter dieser Bedeckung Entwürfe zu machen, die dem Vaterlande gewiß nützlich sein müssen“, ist bekanntlich in diesen Zusammenkünften gleichstrebender Freunde erreicht worden, und es bleibt Hirzel’s Verdienst, zuerst von Zürich aus zu der Veranstaltung dieser Anregungen die Hand geboten zu haben. Seine damalige Denkensart zeigt am treffendsten sein 1761 erschienenes politisches Drama im Bodmer’schen Geschmacke: „Junius Brutus“, als Dichtung nicht gelungen, aber der rühmliche Ausdruck jugendlich feuriger opferbereiter patriotischer Stimmung. 1762 Vorsteher der Staatscanzlei, erwarb H. nun auch seine für seine späteren historischen Studien unentbehrliche Kenntniß des Archives. 1768 wurde er Mitglied des kleinen, 1773 des geheimen Rathes und 1785 erhielt er als Standesseckelmeister eine der höchsten Rangstufen seines heimischen Staatswesens. Einsicht, Redlichkeit, Ueberzeugungstreue, republikanische Einfachheit zeichneten ihn als Staatsmann aus; dagegen trat zeitweise auch bei ihm das dem Bruder anhaftende erregte Wesen zu Tage. Auch ihn entfernte das J. 1798 von den öffentlichen Geschäften, in die er erst 1803 mit der Mediation als Mitglied des Großen Rathes für einige Jahre wieder eintrat. Er beschäftigte sich nun nur noch mit eifrigen wissenschaftlichen, besonders historischen Studien, auch hierin früheren Anregungen, vorzüglich von Bodmer’s Seite, folgend. Neben alljährlichen Beiträgen zu den allerdings nach der damaligen Behandlungsweise wissenschaftlicher Bedeutung nahezu entbehrenden Neujahrsblättern – Decennien hindurch verfaßte er bis 1790, wieder 1804–15, den Text der Gaben von der Stadtbibliothek –, welche er 1806 als „Edle Züge aus der Schweizergeschichte“, gesammelt herausgab, waren von ihm biographische Arbeiten erschienen, 1782 „Denkmal Isaak Iselin’s“, 1804 [499] „Angedenken meines Bruders und meiner Freunde Ulrich und Schinz“ (Antistes Ulrich, † 1795, war ein Altersgenosse und steter Jugendfreund des Verfassers), 1805 „Denkmal Heinrich Kilchsperger’s, gewesenen Bürgermeisters in Zürich“ (gestürzt 1798 durch die Revolution). Sehr ehrenvoll war für die eingehenden Studien des greisen Forschers das lateinische Werk größeren Umfanges: „Disquisitio de Magistratus in urbe Tigurina in reformationis opere praestito officio“, von 1810. Allein nun sammelte der hochbetagte Mann früher zusammengebrachte Materialien noch zu einer zusammenhängenden historischen Darstellung, die als „Zürcherische Jahrbücher“ in 5 Bänden bis 1819 erschien. Nichts weniger als altersschwach, ist das Werk eine Leistung, die alle Anerkennung verdient. In der Einleitung kürzer gehalten, bietet dasselbe vom zweiten Buche, von 1335 an, eine nach Jahren geordnete, bis 1515 reichende Geschichte Zürichs, die, aus vielfach neuem ungedrucktem Material aufgebaut, allerdings durch für die Vaterstadt mitunter zu optimistische Auffassung der Kritik Blößen bietet. Am 92. Geburtstage dedicirte H., „der älteste Bürger der Stadt“, sein Werk der zürcherischen Regierung, sprach aber die Hoffnung darin aus, auch noch die Reformationszeit schildern zu können: „Der Trieb zur Arbeit, dieses Vergnügen meines Lebens, ist noch nicht ausgelöscht“. Aber mochte auch der Geist frisch bleiben, nur vier Monate später brach die körperliche Kraft. Ein ehrwürdiger Zeuge einer vergangenen Zeit, starb H. noch in diesem 92. Lebensjahre.
Hirzel: Salomon H., Staatsmann und Geschichtschreiber, geboren am 13. Mai 1727, † am 15. Novbr. 1818. Der jüngere Bruder des Philanthropen- Vgl. ein Neujahrsblatt der Stadtbibliothek von 1822, sowie H. Escher in der Allgem. Encyklopädie (a. a. O. S. 41 u. 42).