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ADB:Mellin, Karl Albert Ferdinand

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Artikel „Mellin, Karl Albert Ferdinand“ von Gustav Friedrich Hertzberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 308–311, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mellin,_Karl_Albert_Ferdinand&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:13 Uhr UTC)
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Mellin: Karl Albert Ferdinand M., seiner Zeit ein sehr einflußreicher und lange in weiten Kreisen hochgeschätzter städtischer Oberbeamter, gehört zu den vielen interessanten Persönlichkeiten, wie sie uns in den altpreußischen Städten namentlich in jenen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begegnen, wo die neuen Verfassungsformen allmählich durchdrangen und ihre Wirkung ausübten, die auf Grund der preußischen Städteordnung vom 19. November 1808 ins Leben getreten sind. M. war der Abkömmling einer sehr angesehenen Familie; seinem Vater, der uns nachher als Domprediger und Consistorialrath in Magdeburg begegnet, ist er am 3. December 1780 zu Züllichau geboren worden.

Der reich und vielseitig begabte junge Mann war ganz besonders tüchtig für das Bauwesen veranlagt; auf diesem Gebiete hat er denn auch seine Laufbahn begonnen. Wir treffen ihn dabei frühzeitig in der Stadt Halle a. S., die er dann auch nicht wieder verlassen hat. M. begegnet uns seit dem 31. Mai 1796 (wie man das damals nannte) als sog. königl. Bauconducteur und war auf den Francke’schen Stiftungen in Halle seit 1801 bei verschiedenen baulichen Geschäften thätig. Hier traten seine großen Fähigkeiten in der Art hervor, daß er schon im J. 1802 zu einer weit höheren Stellung gelangte. Kurz vorher nämlich war auf Antrieb der königlichen Provincialregierung zu Magdeburg eine durchgreifende Neugestaltung des städtischen Bauwesens in der Stadt Halle in Angriff genommen worden; der Rath der Stadt hatte sich dabei entschlossen, seine Mitglieder durch einen geschulten, wirklich technisch gebildeten Baubeamten zu ergänzen. Diese Wahl fiel am 24. August 1802 auf M. Dieser erhielt mit dem Titel als Stadtbaumeister und Rathmann Sitz und Stimme im Rathe und ein jährliches Gehalt von 600 Mark. Die Wahl wurde (auf Grund einer königlichen Cabinetsorder vom 1. November 1802) von der Magdeburger Kammer unter dem 16. Januar 1803 mit der Maßgabe bestätigt, daß M. nicht nur in Bausachen, sondern auch in allen übrigen Angelegenheiten im Magistratscollegium Sitz und Stimme haben, und daß das hallische Bauamt in seiner bisherigen Gestalt mit der Einführung des neuen Stadtbaumeisters aufgehoben werden sollte.

M. hat sich auf seinem Gebiete während der nächsten Jahre viele Verdienste erworben; bei den engen Grenzen, in denen sich damals der Rath bewegen durfte und bei der Kargheit der ihm für Bausachen damals zu Gebote stehenden Mittel bedurfte es großer Findigkeit und geschäftlicher Gewandtheit, um hier etwas Achtbares zu leisten. Mellin’s Ansehen ist allmählich in der Art gewachsen, daß er nachmals – als infolge des unglücklichen Krieges mit Frankreich 1806/7 die Stadt Halle vom Staate der Hohenzollern getrennt, dem Napoleonischen Königreich „Westfalen“ zugetheilt, und die alte Verfassung der Stadt aufgehoben worden war, – bei der Bildung einer neuen nach französischem Muster geordneten sog. Municipalität als einer der drei Adjuncten oder Beigeordneten (adjoints) dem am 6. Juli 1808 durch königliches Decret eingesetzten „Maire“ Leopold Friedrich Streiber zur Seite gestellt worden ist. Hatte er bereits in den harten Nothjahren seit dem 17. October 1806, seit dem Einrücken der Franzosen in Halle, durch sein rühriges, geschäftsgewandtes, findiges Wesen sich sehr nützlich gezeigt, so ist er in der schwierigen „westfälischen“ [309] Zeit durch solche Eigenschaften seinen Mitbürgern noch nützlicher geworden; in gefährlichen Tagen, wie namentlich im Jahre 1809, verstand er es auch, die Franzosen sehr geschickt zu überlisten.

Als im Herbst 1813 nach der Schlacht bei Leipzig die Stadt Halle wieder unter preußische Herrschaft zurückkehrte, und die neuen „westfälischen“ Formen städtischer Verfassung zunächst nur erst leicht umgebildet, die alten deutschen Amtstitel wieder hergestellt wurden, erhielt M. neben Streiber (der seit dem 28. October 1813 als Bürgermeister und – provisorisch – für den damals sehr ausgedehnten „Stadtkreis“ Halle als Stadtkreisdirector, seit dem 1. October 1816 als Oberbürgermeister und als Landrath fungirte) die wichtige Stellung als Rathsdirigent. Im J. 1818 wurde dann mit einem Theile des Westfälischen Nachlasses vollständig aufgeräumt; die „Mairie“ wurde abgeschafft, und zunächst trat an die Spitze der Verwaltung der (seit dem Herbst 1817) mit den Nachbarstädten Neumarkt und Glaucha verschmolzenen, neuen sogenannten Gesammtstadt Halle seit dem 27. Juni 1818 ein vorläufig neu organisirtes Magistratscollegium. Streiber blieb Oberbürgermeister; M. aber, der 1817 das Amt als Stadtbaumeister aufgegeben hatte, wurde jetzt „Erster Stadtrath und Bürgermeister“. Noch höher sollte M. etwa zehn Jahre später steigen. Seit alter Chef Streiber schied gegen Ende des Jahres 1827 infolge tödlicher Erkrankung aus seinem Amte, und M. wurde interimistisch mit der obersten Leitung der Geschäfte betraut, deren Umfang allerdings bald nachher dadurch beschränkt worden ist, daß durch die königliche Cabinetsorder vom 29. März 1828 der Stadtkreis Halle aufgelöst und seine ländlichen Theile mit dem Saalkreise verbunden wurden. Trotzdem war die Machtstellung Mellin’s in der Stadt Halle, die nur durch die collegiale Verfassung des Magistrats beschränkt wurde, sehr imposant und übertraf jene der Rathsmeister der älteren Zeiten sehr erheblich, – zumal auch der noch aus westfälischer Zeit stammende „Municipalrath“, auf den vorläufig die Zuständigkeit der seit 1808 in Preußen so genannten Stadtverordneten übertragen war, allmählich von 31 bis auf 13 Mitglieder zusammenschmolz.

Die Jahre seit seiner Berufung an die Spitze des Magistrats bis später zu dem Jahre 1831 waren die glänzendsten in Mellin’s amtlichem Leben. Der vielseitig veranlagte Mann (der u. a. auch Presbyter bei der Domgemeinde und bald nach seiner Anstellung in Halle auch Docent an der Universität geworden war), war reich an bedeutenden Ideen im Interesse der Weiterentwicklung der ihm anvertrauten Stadt; man darf wol sagen, daß ihm in dieser Beziehung nur sein jüngerer College Ludwig Wucherer nahe kam. Nicht wenige der Schöpfungen der späteren Zeit in Halle sind in ihren Keimen bereits durch M. angeregt worden. An Streiber’s Seite mit Wucherer und anderen tüchtigen Männern hatte er schwere Aufgaben zu lösen. Die Gewinnung der Mittel zu möglichst baldiger Abschüttelung der in der französischen Nothzeit hoch aufgethürmten Schuldenlast; die Arbeiten zur Vereinigung der Städte Glaucha und Neumarkt mit Halle; die Pflege des auf Halle gerade damals ungeheuer schwer lastenden Armenwesens, an dessen Spitze er stand; der Neuaufbau des städtischen Schulwesens, gehörten zu den schweren Problemen eines hallischen Stadtpolitikers dieser Zeit. Ganz auf seinem alten Arbeitsgebiet blieb M., als er im October d. J. 1816 damit begann, die gewaltigen, militärisch aber jetzt längst schon nutzlosen Festungswerke abbrechen zu lassen, die die Stadt seit dem späteren Mittelalter umgaben. Er strebte dahin, der alten Stadt mehr Licht und Luft, bessere gesundheitliche Zustände, viele neue Zugänge und neue Verkehrswege zu schaffen, wie er auch sonst vieles zur Förderung des Verkehrs seiner Stadt gethem hat. Auch die Verschönerung [310] der Stadt, für die er viel Sinn hatte, sollte dabei zu ihrem Rechte kommen. Bis weit in das vierte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ist er in dieser Richtung thätig gewesen; namentlich der jetzige Franckeplatz verdankt ihm seine Entstehung; im großen sind namentlich die starken Bollwerke der Thore damals abgebrochen worden. Freilich kannte M. (wie manche andere namhafte Bürgermeister und hochgefeierte Wohlthäter ihre Städte) als ein echter „Utilitarist“ jener Zeit keinerlei Schonung auch besserer Alterthümer oder gar Pietät. Schöpferisch dagegen trat er auf, als er es der Stadt möglich machte (1824 bis 1826) ein neues, schönes, vortrefflich eingerichtetes Hospital zu erbauen.

Allmählich ist aber Me1lin’s Stellung in Halle doch schwankend, endlich unhaltbar geworden. Es trafen dabei Gründe tiefer liegender Art mit mancherlei persönlichen Verschuldungen zusammen. Die Zeit war gekommen, wo auch die Bürger jener preußischen Städte, die die Verfassung des Jahres 1808 noch nicht besaßen, immer abgeneigter wurden, unter der Herrschaft eines gewissen „intelligenten Absolutismus“ zu leben, wie ihn M. thatsächlich ausübte: es war bekanntlich dieselbe Klippe, an der sein Zeitgenosse, der glänzende Magdeburgische Bürgermeister Franke nicht lange nachher scheitern mußte. Die Ergänzung des noch immer bestehenden Gemeinderaths (13. October 1828) durch neue Wahlen bis auf 20 Mitglieder besserte die zu herber Kritik und vielseitigem Mißtrauen, namentlich gegen M., allmählich geschärfte Stimmung nicht. Es war auch nicht zu leugnen, daß der vielverdiente, rührige Mann bei leutseligen, ja gemüthlichen Verkehrsformen doch auch mit großer Schlauheit eine Neigung zu einer gewissen Gewaltsamkeit verband, die ihm manche persönliche Gegner geschaffen hat. Die vielen Neuerungen unter seiner Herrschaft verstimmten Viele. Auch gegen die städtische Finanzleitung wurden mancherlei Bedenken mündlich und in der Presse erhoben. Mellin’s persönliche Stellung war es dabei recht übel, daß er sich finanziell wiederholt in schwieriger Lage befand und oft mit lästigen Schulden zu kämpfen hatte.

Nun geschah es, daß die königliche Staatsregierung durch Cabinetsorder vom 28. April 1831 die Einführung der sogenannten revidirten Städteordnung vom 17. März 1831 auch für die Städte der Provinz Sachsen verfügte. Die neue, am 9./12. October d. J. gewählte Versammlung der (27) Stadtverordneten gab der Verstimmung gegen M. in der Stadt, die namentlich in den mittleren und niederen Schichten der Bürgerschaft herrschte, dadurch den herben Ausdruck, daß sie bei der Bildung des neuen Magistrats den bisher übermächtigen Chef der Verwaltung völlig überging und statt seiner der königlichen Staatsregierung drei andere Candidaten (Justizrath Dryander, Rechtsanwalt Fiebiger und Landgerichtsrath Belger) vorsch1ug. Da diese jedoch die Annahme dieser Wahl ablehnten, da ferner von verschiedenen einflußreichen Seiten ein starker Druck auf die Versammlung ausgeübt wurde, so setzten in wiederholter Wahl am 24. März 1832 Mellin’s Freunde seine Aufnahme in die Liste der drei zu präsentirenden Candidaten durch. M. wurde von Seiten der Staatsregierung am 8. August 1832 unter Verleihung des Titels als „Oberbürgermeister“ für seine 12jährige Amtsthätigkeit bestätigt.

Es war kein Glück für M. Die fatalen Erfahrungen der letzten Zeit hatten seine frische Zuversicht gestört, ihn innerlich unsicher gemacht. Dazu kam, daß heftige Angriffe der Presse gegen seine Person und seine Amtsführung, wie sie namentlich ein zäher persönlicher Feind, der Rechtsanwalt Dr. Weidemann gegen ihn zu schleudern nicht aufhörte, die erbitterte Stimmung weiter Kreise gegen den alten Herrn beständig wach erhielten. Dazu trat ferner der unausbleibliche Uebelstand, daß die neue städtische Macht auf dem [311] Rathhause in steten Kämpfen (namentlich auf Mellin’s Lieblingsgebieten und über vielerlei Budgetfragen) in oft recht schroffer Art ihre Grenzen gegenüber der Zuständigkeit des Magistrats kräftig festzustellen bemüht war. Auf diesem gefährlichen Boden spielten sich die letzten, für M. höchst unerfreulichen Jahre seiner öffentlichen Thätigkeit ab. Zunächst arbeitete gegen ihn Dr. Weidemann nach Kräften weiter. Der Versuch dieses Mannes, bei einer Ersatzwahl im Herbst 1833 in die Versammlung der Stadtverordneten zu gelangen, war allerdings vom Erfolg gekrönt, blieb aber ohne unmittelbare Wirkungen, weil inzwischen die Versetzung Weidemann’s als Notar und Justizcommissar (Rechtsanwalt) nach Ratibor von Seiten des Justizministers verfügt worden war. Ehe er aber Halle verließ, schleuderte er noch ein böses Geschoß gegen M., indem er in zwei Schriften (die eine war an die Stadtverordneten, die andere an die Regierung in Merseburg gerichtet) alles sammelte, was er gegen M. irgendwie aufzubringen vermochte, ihn der Bestechlichkeit, des Mißbrauches der Amtsgewalt und anderer Amtsvergehen anklagte, und endlich forderte, daß dem alten Bürgermeister das Bürgerrecht entzogen, daß derselbe zur Disciplinar- und Criminaluntersuchung gezogen werden sollte.

Eine langwierige fiskalische Untersuchung gegen M. ist natürlich angestellt worden; zu einem juristischen Ergebniß hat sie aber nicht geführt. Trotzdem wirkte dieser neue Angriff auf die Stimmung in der Versammlung der Stadtverordneten und in der Bürgerschaft sehr ungünstig für M. Seine Stellung war thatsächlich unhaltbar. Mehr aber als die Gegnerschaft Weidemann’s hat ihn denn gerade in dem Urtheil der späteren Hallenser der Umstand geschädigt, daß M., der bereits im J. 1815 durch Unterhandlungen mit der sogenannten Stadtschützengesellschaft einen Theil des alten, von dieser besessenen östlichen Festungsgrabens der Stadt zuerst auf dem Wege der Erbpacht, nachher vollständig erworben hatte, später, nämlich am 1. Mai 1836, dieses sein Grundstück an den Postfiskus verkaufte, der nunmehr hier ein großes Postgebäude aufführen ließ. Manche begleitende Umstände stellten dieses Geschäft schon damals in ein recht unerfreuliches Licht. Die späteren Generationen, die allmählich erkannten, wie stark dadurch bei dem neuen Aufblühen der Stadt die Ausgestaltung ihrer inneren Verbindungsstraßen gehemmt wurde, sahen sich dadurch beständig an diesen bedauerlichsten Schritt Mellin’s erinnert. So ist es gekommen, daß das Bild dieses Mannes immer mehr „nachgedunkelt“ hat; heute ist er allerdings in Halle fast ganz vergessen, – früher schon gedachte Niemand mehr seiner großen Verdienste, und neben manchen derben Uebertreibungen wurden manche seiner Sünden als Zerstörer des Alten, die anderen seiner Zeitgenossen schnell nachgesehen worden sind, lediglich als seine persönliche Verschuldung behandelt.

Als M. im März 1837 bei der Neuwahl eines Abgeordneten zu dem Merseburger Provinziallandtage (einer Stellung, die er bisher inne gehabt hatte), von den Stadtverordneten einfach übergangen wurde, erkannte er, daß es für ihn Zeit sei, zurückzutreten. Am 1. August desselben Jahres trat er in den Ruhestand, – noch wiederholt durch Nachklänge der Ungunst herbe berührt, unter deren Druck er aus dem Amte geschieden war. Freud- und freundlos war sein Alter; fast vergessen ist er erst am 10. Mai 1855 gestorben.