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ADB:Mejer, Johann Wilhelm

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Artikel „Mejer, Johann Wilhelm“ von Otto Mejer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 204–207, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mejer,_Johann_Wilhelm&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:38 Uhr UTC)
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Mejer: Johann Wilhelm M. (sprich Meier), juristischer Praktiker und Schriftsteller, geb. zu Osterode am Harz am 23. Septbr. 1789, † zu Göttingen am 18. Septbr. 1871. Wenn der Geschäftsmann zu loben ist, der bei umfänglicher, mit redlichstem Fleiße getriebener Berufsthätigkeit keine Mühe scheut, auch mit den Fortschritten seiner Wissenschaft in lebendigem Zusammenhange zu bleiben, zugleich deren sittlichen Grundgedanken nachgeht, und dabei sich ein offenes Gemüth und eine echte Begeisterung bewahrt für jedes Große und Schöne, so hat M. vor Vielen dies Lob verdient. Aus hannoverscher Beamtenfamilie stammend – einer seiner Großoheime war Münchhausens frühester Gehülfe bei Gründung der Göttinger Universität – wurde er, nachdem er schon im fünften Jahre den Vater verloren hatte, von der Mutter als einziger Sohn in großer wirthschaftlicher Einschränkung in der Bergstadt Clausthal erzogen und eine hiermit verbundene Isolirtheit wurde erhöhet, als er bald von einem schweren Fußleiden befallen ward, das zwar mit der Zeit geringer wurde, aber ihn doch bis über seine akademischen Studienjahre hinaus an freier Bewegung hinderte. Die Mittel zum Studium gewährte ein zu rechter Zeit ihm zufallendes kleines Lehen; so ging im Herbst 1809 der gut vorbereitete Schüler, der in den Leiden seiner Jugend sich gewöhnt hatte, seine lebhafte Seele, abstrahirend von der ihn beschränkenden Wirklichkeit, mit Idealen zu erfüllen, um die Rechte zu studiren nach Göttingen. Von den Juristen hörte er hier besonders Hugo und Göde, eignete sich die damals bereits in Einzelbeobachtungen ausgehende Methode des Ersteren gewissenhaft an, wurde aber persönlich mehr von Göde angezogen, welcher verstand, die ethischen Grundgedanken der Rechtsordnung geistreich zur Geltung zu bringen. Mehr Einfluß jedoch als beide hatte auf ihn der [205] Philosoph Bouterwek, jener zu Jacobi neigende Nach-Kantianer, Aesthetiker und Kenner der neueren Litteratur. Bei ihm fand der in seiner idealisirenden Abgeschlossenheit aufgewachsene Jüngling sich zuerst orientirt in der Welt, hörte alles, was Bouterwek las, und lebte sich mit unbedingter Hingebung in dem hier überlieferten Gedankenkreise ein. Daß das gewonnene Litteraturinteresse der Concentration auf das Rechtsstudium einigermaßen Eintrag that, war für M. kein Schade. Aber in anderer Hinsicht wurde dies Maß der Schule für ihn verhängnißvoll: denn indem er mit dem Lehrer sich allen von der Romantik her befruchteten Geistesströmungen innerlich abwandte, verschloß er sich das Verständniß für die Bahn, auf welcher die historische Rechtswissenschaft sich damals über den Standpunkt, bis zu dem Hugo sie gebracht hatte, erhob. So konnte er, als er mit der Absicht, akademischer Lehrer zu werden, seinen Aufenthalt zu Göttingen bis in das Jahr 1814 verlängerte, nicht zum Entschlusse in der Wahl wissenschaftlich-litterarischer Aufgaben gelangen, und gerieth ins Zögern und Schwanken. Auch daß Beziehungen, die er damals zu dem Kreise von Bunsen, Lachmann und ihren Freunden gewann, keine engeren wurden, stand mit jener antiromantischen Stimmung in Zusammenhang. Von der Conscription und dem Zuge nach Rußland war M. durch seinen Gesundheitszustand befreit gewesen: jetzt wurde er durch ihn gehindert, mit in den Freiheitskrieg zu gehen, vielmehr gezwungen, Heilung und Erholung in der Heimath zu suchen. Hier ergriff er, in der Absicht, nach Göttingen zurückzukehren, sobald die durch den Krieg leer gewordene Universität sich wieder gefüllt haben würde, die Gelegenheit, seine reiche allgemeine Bildung durch Unterrichtgeben zu verwerthen, und arbeitete daneben zwei nachher in den Jahren 1817 und 1818 erschienene Schriften: „Aphorismen über Religion, Kirche und Staat“ und „Anleit zur Rechtserlernung, die Schul- und Universitätsstudien umfassend“, aus, in denen beiden von Göde stammende Anregungen ersichtlich sind. Er hatte sich damit an Aufgaben gewagt, denen er noch nicht gewachsen war, und so haben diese beiden Bücher ihn bald selbst nicht befriedigt. Seine Lehrerbeschäftigung aber hielt ihn von Semester zu Semester in der Bergstadt fest, bis er im Sommer 1817 sich entschloß, vorläufig überhaupt dort zu bleiben, Advocat zu werden und sein Haus zu begründen. Indeß hielt er die Idee, demnächst in den akademischen Lehrberuf einzutreten, noch lange Zeit fest, auch als eine schnell wachsende Praxis und die Uebernahme des Lehrauftrages für allgemeine Rechtskunde, Bergrecht, Forstrecht und deutschen Styl an der 1821 erweiterten Clausthaler Berg- und Forstschule die Ausführung mehr und mehr in die Ferne rückte, und er durch dies neue Amt vorläufig vielmehr ein „Praktisches Handbuch des Styls der deutschen Prosa“ zu publiciren veranlaßt wurde. Seine forst- und bergrechtlichen Vorträge arbeitete er mit Sorgfalt aus, jedoch auf solche dem öffentlichen Rechte näher liegende Disciplinen sich auch selbständig forschend und schriftstellerisch einzulassen, lag außerhalb seiner Neigung. Diese blieb auf das Civilrecht beschränkt, und ihr entsprach es, daß er nach Albrecht Schweppe’s Tode durch dessen Verleger veranlaßt wurde, die vierte Auflage des „Römischen Privatrechts in heutiger Anwendung“, welche Schweppe als Handbuch bearbeitet aber unvollendet gelassen hatte, fortzusetzen: er gab 1831 das Obligationenrecht, 1832 das Familienrecht, 1833 das Erbrecht heraus, und legte die Erfahrung seiner Anwaltspraxis in diesen Arbeiten nieder. Daneben schrieb er eine Anzahl Aufsätze über Desiderien der hannoverschen Rechtsentwickelung, und nicht wenige Recensionen für die Göttinger gelehrten Anzeigen. Die litterarischen Hülfsmittel lieferte ihm eine mit Sorgfalt gesammelte und vermehrte Bibliothek, die für den damals bücher- und verkehrsarmen Ort nicht unbedeutend war. Für diesen Ort wurde M. noch nach einer andern Seite als anregende [206] Kraft wichtig: vermöge seiner Begeisterung für Poesie und schöne Litteratur war er bald für alle in solcher Richtung sich bewegenden dortigen Interessen der Mittelpunkt. Nicht nur unterrichtend, wozu er immer bereit war, Bücher verbreitend, und in den Formen gesellschaftlicher Unterhaltung betrieb er diese Dinge lebhaft und unermüdlich, sondern von 1822–1825 und wieder in den Jahren 1831 und 1832 gab er auch locale Unterhaltungsblätter heraus, durch die er belehrend und noch mehr auf Bildung des Geschmackes zu wirken bestrebt war, und in die er auch mancherlei eigene poetische Hervorbringungen niederlegte. Schon seit früher Zeit war dabei Goethe ihm nicht ein Dichter, sondern der Dichter, zugleich der niemals genug zu studirende deutsche Weise, den man alle Zeit zur Hand haben müsse, bei dem in allen höchsten Dingen maßgebende Antwort sich finde. Die Art dieser Verehrung, deren charakteristischer Ausdruck war, daß, als M. ein paar Jahr lang den Harzer Quartkalender herausgab, er den 28. August mit Johann Wolfgang benannte, blieb aber von jeder Abschweifung ins lediglich Aesthetische fern, vielmehr durch und durch ethisch. Sie hatte ihre Begleiterin in einer mit wachsendem Eifer betriebenen freimaurerischen Thätigkeit, die M. bis an sein Ende festgehalten hat. Da ihm auf die Länge das Gebirgsklima nicht zusagte, verlegte er 1844 seinen Wohnsitz nach Goslar: seine allmälig groß gewordene Praxis, die auch das Herzogthum Braunschweig umfaßte, band ihn nicht an Clausthal. Er galt mit Recht für einen ausgezeichneten Anwalt, namentlich Vertheidiger: seine praktischen Arbeiten waren durch scharfe Auffassung, durch Klarheit und durch eine gewisse Vornehmheit ausgezeichnet, die sich sowohl im Tone, als darin äußerte, daß sie jede Vertretung einer Sache, welche er für sittlich nicht sauber erachtete, ausschloß. Eine Anzahl Defensionsschriften hat er 1843 unter dem Titel: „Beispiele aus der Criminalpraxis, vorzüglich vom Standpunkte der Vertheidigung, aus den Acten dargestellt“, herausgegeben. Gleichzeitig allerdings bedingte ein Theil der Gesinnungen, denen jene Behandlung der Praxis entsprang, einen Mangel, in Folge dessen er, obwohl hülfreich und uneigennützig, doch kein Mann des Volkes wurde. Für das Volksmäßige als solches hatte M. von seiner Jugendbildung her kein Verständniß, weder für Volkspoesie, noch für Volkssagen, noch für Volkssitten, noch für Volksbedürfnisse und für Volksforderungen. Einen Mißbrauch der Regierung hätte er nie vertheidigt, aber stets war er vorauszusetzen geneigt, daß an der oberen Stelle das bessere Wissen und das bessere Recht sei; stets betonte er die Ordnung gegenüber der Freiheit. So war es seinen Wünschen entsprechend, daß er, als in Hannover die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens eingeführt wurde, in den Staatsdienst gezogen ward. Zu Ende 1849 erhielt er eine Anstellung bei der Staatsanwaltschaft, 1852 wurde er Obergerichtsrath zu Osterode, welche Stelle er bis zur Aufhebung dieses Obergerichtes (1859) bekleidete. Dann zog er, jetzt ein Siebenziger, die Pensionirung dem Wartegelde vor, siedelte bald nachher nach Göttingen über, und hat hier die letzten Jahre seines Lebens befriedigt genossen. Die Arbeitsfreudigkeit seiner Jugend hatte ihn ins Alter begleitet: noch immer war er mit der frühesten Morgenstunde an Einzelforschungen auf dem Gebiete der römischen Rechtsgeschichte, die in der Weise Hugo’s zu cultiviren, von jeher seine Lieblingsbeschäftigung gewesen war. Gelangten sie zu keinem Abschlusse, so gaben sie doch seinen ernstlichen Bemühungen immer wieder anziehenden Stoff. Daneben entstanden mancherlei Recensionen, die Herausgabe eines Bouterwek-Jacobi’schen Briefwechsels, sowie verschiedenes Freimaurerische. Dann hörte M. mit großem Antheil und nicht minder großer Pünktlichkeit eine Reihe juristischer und philologischer Vorlesungen; beglückt, in seinen alten Tagen wenigstens auf den Bänken wieder zu sitzen, vor denen als Lehrer zu stehen, ihm versagt geblieben [207] war. Auch seine liebevolle Freude an der Poesie hatte sich erhalten: er schrieb noch und veröffentlichte (1870) einen anonymen Roman: „Glückauf im Fürstenhause“, in welchem er einige Züge aus seinem Leben und mehr von Dem niederlegte, was der lehrhafte Greis nicht ungesagt lassen wollte, bevor er abgerufen werde. Daß ein Achtzigjähriger dies Buch geschrieben hat, merkt man ihm nur an wenigen Stellen an. Es war ein Geschenk Gottes, aber es war auch das Ergebniß einer gewissenhaften Selbstzucht, das dem so Hochbejahrten der ganze Idealismus seiner Jugend frisch geblieben, daß er keinem geistigen Interesse abgestorben war. Niemals hatte er sich Trägheit nachgesehen, weder körperliche noch geistige; er hielt für die Pflicht des gebildeten Mannes, allezeit sich mit würdigen, hochgegriffenen Gedankenaufgaben zu beschäftigen: so blieb er stets bereit, auf die höchsten Fragen einzugehen. Ohne solche Fragen war er nie: niemals beruhigte er sich in einer derartigen Aufgabe, bevor er ein Resultat gewonnen hatte, das ihn befriedigte; durch und durch war er eine suchende Seele. Er erlahmte hierin auch nicht, als, nachdem er den Krieg von 1870 noch mit vollem Antheile erlebt und noch die Freude gehabt hatte, einen Enkel aus demselben wiederkehren zu sehen, er von schwerer, schmerzhafter Krankheit befallen ward. Jede erträgliche und nicht allzumatte Stunde brachte er am Arbeitstische zu; als er das nicht mehr vermochte, beschäftigten ihn die Gedanken an seine letzte Arbeit noch auf dem Krankenlager. Er entschlief darin.