ADB:Luscinus, Othmar
Wimpheling unterrichtet, ging 1508 nach Paris, wo er Lateinisch bei Fausto Andrelini, Griechisch bei Hieronymus Aleander hörte, dann nach Löwen, Padua und Wien, wo er Theologie und canonisches Recht studirte, theoretische und praktische Musikstudien trieb, bereiste Griechenland und Kleinasien, ohne über diese Reisen einen Bericht zu hinterlassen und kehrte nach kurzem Aufenthalte in Augsburg, wo er Peutinger besuchte, in Konstanz, wo er die Freundschaft mit Johann v. Botzheim erneuerte, in Speier, wo er Reuchlin kennen lernte, nach Straßburg zurück (1514). Hier wurde er Organist an der St. Thomaskirche, Lehrer und Priester, verlor aber nach einigen Jahren sein Amt und vermochte auch eine ihm in Aussicht gestellte Präbende trotz einer zu diesem Zwecke unternommenen Reise nach Rom nicht zu erlangen. Diese Zurücksetzung erzeugte in ihm einen Haß gegen die der Wissenschaft feindlichen Geistlichen, den er lebhaft ausdrückte. Die gewonnene Muße aber verwandte er zu einer reichen schriftstellerischen und Lehrthätigkeit; er führte als erster das Studium der griechischen Sprache in Straßburg [656] ein, veröffentlichte zu diesem Zwecke griechische Lehrbücher, Beispielsammlungen, Uebersetzungen aus dem Lucian, welchen letztern Schriftsteller er trotz der bekannten antiheidnischen Gesinnung des Wimpheling’schen Kreises geistreich und muthig zu vertheidigen wußte; unter den Elsässern jener Zeit schrieb er das reinste Latein. Dabei versäumte er nicht einen kleinen Tractat über die Grundbegriffe der Musik („Institutiones musicae“, 1515) und ein juristisches Handbuch („Summa Rosellae“, 1516) zu veröffentlichen und erwarb sich auf einer Reise nach Italien (1518) die juristische Doctorwürde. Wenn er nun auch später der Jurisprudenz nicht ganz untreu wurde, so zeichnete er sich vornehmlich durch drei anderweitige Veröffentlichungen aus: 1) durch seine theologischen: Eine Einleitung zu dem Commentar des Halberstädter Bischofs Haymo zu den Paulinischen Briefen (1518), in welcher er die Scholastik verdammt und das Studium der nicht durch sophistische Spielereien getrübten Bibel verlangt und seine Erklärung und Uebersetzung der Psalmen (1524), in welcher er den Anspruch erhebt die „Bibel durch die Bibel“ zu erläutern; 2) durch seinen Dialog: „Grunnius sophista“ (1522), ein Gespräch zwischen Nisobarbarus und Grunnius, in welchem er durch den ersteren die Nothwendigkeit und Glückseligkeit der Humanitätsstudien in sehr energischer Weise gegen den letzteren vertheidigen läßt, der in der Unwissenheit den naturgemäßen Zustand der Menschen erblickt; 3) durch seine Anekdotensammlung: „Loci ac sales mire festivi“ (1524). Im Gegensatze zu anderen Schwankerzählern jener Zeit hat er mehr die Unterhaltung seiner Leser im Auge und verfolgt weniger eine satirische Tendenz. Er ist in seinen Schwänken Gelehrter, der für Gelehrte schreibt; daher bedient er sich zahlloser Anspielungen auf das Alterthum, entlehnt Geschichten und Beispiele aus griechischen und römischen Schriftstellern der classischen Zeit. Doch bezeugt er seine Zugehörigkeit zum Wimphelingischen Kreise dadurch, daß er mehr als die anderen Humanisten die patristischen Schriftsteller berücksichtigt und die Bibel häufiger citirt. Indessen schöpft er auch aus den Neueren: Bebel’s Facetien, Pauli’s Schimpf und Ernst werden vielfach von ihm benutzt. Dagegen tritt mündliche Ueberlieferung, persönliche Erfahrung, eigene Erfindung fast völlig zurück; nur wenige Persönlichkeiten aus dem humanistischen Lager werden genannt, nur gelegentlich wird von ihm angespielt auf Vorgänge seines Lebens. Den übrigen humanistischen Erzählern ähnelt er durch seinen Kampf gegen die Sophisten, worunter er die unwissenschaftlichen Theologen versteht, durch seine Polemik gegen die Astrologen und die von ihnen aufgestellten Prognostiken. Seine Volksthümlichkeit, die trotz seiner gelehrten Tendenz bestehen kann, zeigt er durch die Lust, mit der er dem gesunden Menschenverstand gegenüber der eingebildeten Gelehrsamkeit zum Siege verhilft, in den vielfachen moralischen Nutzanwendungen, die oft recht seltsam mit den von ihm mit Vorliebe erzählten Zoten contrastiren. Religiöse Fragen berührt er wenig: Bibelworte müssen manchmal zu Schwänken herhalten; religiöse Grundsätze, z. B. daß der Glaube ohne Werke nichts nütze, behandelt er nicht ohne einen Anflug von Frivolität, doch betont er gelegentlich mit Ernst und Entschiedenheit seine Zugehörigkeit zur christlichen Religion. – Durch diese schriftstellerische Thätigkeit, der noch eine Reihe Gelegenheitsschriften und Uebersetzungen zuzurechnen sind, suchte er sich zu betäuben und die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen von der Reformation abzulenken. Bei aller Verehrung für Luthers Gelehrsamkeit und bei aller Verachtung der ungebildeten Priester vermied er es nämlich, obwol er selbst Prediger, seit 1524 in Augsburg, war, Partei zu nehmen; erst 1528 trat er, wenn auch nur ein einziges Mal, gegen die Lutheraner auf und mußte dieses Auftreten mit einer kurzen Haft büßen. In Folge dieses Schicksals begab er sich nach Freiburg, wo er, Reisen nach Marseille und Mainz abgerechnet, bis zu seinem Tode lebte. Von Hutten, mit dem er [657] früher befreundet war, scheint er kurz vor dessen Tode sich getrennt zu haben; auch mit Erasmus kam er in Mißhelligkeiten, aber ohne seine Schuld. Er war ein höchst begabter Mensch, der aber theils durch seine eigene Unbeständigkeit, theils durch die Ungunst der Verhältnisse keinen Wirkungskreis fand, in welchem er seine Fähigkeiten entfalten konnte.
Luscinius: Ottmar L. (Nachtigall), geb. in Straßburg 1487, † in Freiburg 1537, ein freier selbständiger Geist, von bewunderswerther Vielseitigkeit, aber freilich ohne sonderliche schöpferische Kraft. Er wurde zuerst von- Vgl. Am Ende, Versuch einer Lebensbeschreibung O. L.’s bei Strobel, Miscellaneen litter. Inhalts, Nürnb. 1781, Bd. IV, S. 3 ff.; Ch. Schmidt, Hist. litt. de l’Alsace (Paris 1879), Bd. II, S. 124–208 und S. 412 bis 418 ein Verzeichniß seiner 32 kleinen Schriften und Ausgaben, und H. A. Lier, O. H. Joci ac sales im Archiv für Litteraturgeschichte, Bd. XI (1882), S. 1–50.