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ADB:Loos, Cornelius (2. Artikel)

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Artikel „Loos, Cornelius Callidius“ von Sigmund Ritter von Riezler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 67–69, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Loos,_Cornelius_(2._Artikel)&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 10:34 Uhr UTC)
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Loos *): Cornelius Callidius L. (Losaeus), geboren zu Gouda als Sohn eines eifrigen und gelehrten Katholiken, des Jan Cornelis L. Auf Titeln seiner Schriften nennt er sich: Cornelius Loos Callidius, dann wieder: Cornelius Callidius Chrysopolitanus (nach seiner Heimath Gouda). Beim Abschlusse seiner Gymnasialstudien in Löwen 1564 errang er den zweiten Platz. Aus der Zeit dieses Abschlusses läßt sich folgern, daß sein Geburtsjahr ungefähr 1546 zu setzen ist. Nachdem er in Löwen auch Theologie studirt hatte, begab er sich nach Mainz, wo er die theologische Doctorwürde erlangte. Nach einem Aufenthalt in seinem Vaterlande kehrte er infolge der dort ausgebrochenen religiösen Wirren nach Mainz zurück, wo er nun einige Jahre blieb und seine meisten Schriften verfaßte. Diese zeigen ihn als entschiedenen Gegner der Reformation, durch die er den wahren Glauben getrübt und nichts als Verwirrung und Unheil hervorgerufen sah. Für die 89 Lebensbilder deutscher und niederländischer Schriftsteller, die er 1581 herautsgab, sind außer wenigen Neutralen nur gute Katholiken und Vertreter der Gegenreformation gewählt, wie schon der Titel des Werkes besagt: „Illustrium Germaniae scriptorum catalogus, quo doctrina simul et pietate illustrium vita et operae celebrantur, quorum potissimum ope literarum studia Germaniae ab anno 1500. usque 81. sunt restituta et sacra fidei dogmata a profanis sectariorum novitatibus et resuscitatis veteribus olim damnatis haereseon erroribus vindicata“. L. hat diese Schrift „seinem besonderen Patron“, dem Mainzer und Lütticher Domherrn Arnold v. Bucholtz, Propst von Bingen, gewidmet. In der Schrift: „De tumultuosa Belgarum rebellione sedanda … consultatio“ (Luxemburgi 1579) fordert L. unbarmherzige Strenge gegen die Aufständischen und ruft den König von Spanien zum Krieg auf, zu dem er die Hülfe des Kaisers und Reichs sowie des Papstes, aber nicht Frankreichs, suchen möge. Dann erhielt L. eine Professur an der Universität Trier, verlor aber dieses Amt, als er sich durch eine Schrift gegen den Hexenwahn mit den kirchlichen Autoritäten in Widerspruch setzte und, um den Hexenprocessen Einhalt zu thun, auch an den Clerus und Rath von Trier Zuschriften im Sinne seines Buches richtete. Sind doch in Trier in den Jahren 1587 bis 1593 nicht weniger als 368 Personen wegen Hexerei verbrannt worden, [68] darunter der Stadtschultheiß und frühere Rector der Universität Dietrich Flade! Schon waren einige Bogen der Loos’schen Schrift gedruckt, als ein Verbot der Behörde an den Kölner Buchdrucker erging und der päpstliche Nuntius Octavius Frangipani als Commissar eine Untersuchung gegen L. einleitete. Er ließ den muthigen Theologen, der es gewagt hatte, dem kirchlichen Aberglauben seines Zeitalters Fehde anzukündigen, im Kloster Sanct Maximin in Trier gefangen setzen und zwang ihn am 15. März 1592 in diesem Kloster, vor ihm, dem Abte und vielen anderen Zeugen einen in 16 Artikeln formulirten Widerruf zu beschwören. Ein Vorgang, der für die Beurtheilung der Hexenprocesse von höchster Wichtigkeit ist, da besonders an ihm jene clericale Auffassung scheitern muß, wonach diese Processe nicht von der kirchlichen Autorität getragen und gefördert worden seien. Seiner Professur entkleidet und, wie es scheint, aus Trier ausgewiesen, begab sich L. nach Brüssel. Dort waltete er einige Zeit als Vicar an der Kirche Notre Dame de la Chapelle. Aber zwischen seiner kirchlichen Devotion und seiner vernünftigen Ueberzeugung war eine Versöhnung nicht möglich. Da er sich nicht an seinen erzwungenen Widerruf hielt und, wie es scheint, seine Agitation gegen die Hexenprocesse wieder aufnahm, wurde er als rückfällig aufs neue in den Kerker geworfen. Nach langer Haft befreit, sah er sich zum dritten Male von einer Anklage bedroht, als ihn der Tod am 3. Februar 1595 weiterer Verfolgung entzog. Nach dem Jesuiten Delrio hinterließ er jedoch „bedauerlicherweise“ nicht wenige Anhänger seiner „Albernheit“ in Menschen, die der Physiologie und der soliden Theologie nicht genügend kundig seien. „Mögen diese wissen, wie leichtsinnig und gefährlich es ist, dem Urtheil der Kirche die Delirien des Ketzers Weier vorzuziehen!“

Loos’ hohe historische Bedeutung liegt darin, daß er als der erste litterarische Bekämpfer des Hexenwahns und der Hexenprocesse im katholischen Lager gepriesen werden darf. Diese Rolle erforderte ein ebenso seltenes Maß von Muth wie von Unabhängigkeit des Urtheils. Auf protestantischer Seite ist 1563 der Calvinist Johann Weier, ein Arzt, mit dem Buche: De praestigiis daemonum in diesem gefährlichen und rühmlichen Kampfe vorausgegangen. In Loos’ Schrift (S. 74) wird ein berühmter Mediciner X., ein Mann von ausgebreiteter Belesenheit, citirt, der fast die ganze Maschinerie des Hexen- und Zauberwesens auf Sinnestäuschung, Melancholie und Illusion zurückgeführt habe. Diese Stelle sowie der erwähnte Ausspruch Delrio’s können darauf gedeutet werden, daß L. durch Weier’s Buch beeinflußt oder angeregt wurde. Doch vertritt er theilweise aufgeklärtere und folgerichtigere Ansichten als sein Vorgänger. Die Schrift von L. ist betitelt: „De vera et falsa magia“ und war in vier Bücher getheilt. Von diesen haben sich die beiden ersten in einer Handschrift, die früher dem Trierer Jesuitencolleg gehörte, in der Trierer Stadtbibliothek (Nr. 1479) erhalten. Der Amerikaner Burr hat zuerst darauf aufmerksam gemacht (s. seinen Bericht in The Nation 1886, Nr. 11 und sein Buch: The Fate of D. Flade). Von dem Inhalt der beiden verlorenen Bücher geben die Titel der 12 Tractate des 3. Buches und der 3 Tractate des 4. Buches, die der vorausgeschickte Index der ganzen Schrift nennt, nur eine schwache Vorstellung.

Als eifrigen Gegner der Reformation verräth sich L. auch in diesem Werke. Die verhängnißvolle Bedeutung des Hexenhammers, dessen Hauptwirkungen er erst durch seine neueren Auflagen hervorgebracht glaubt, hat er richtig durchschaut, die Nichtigkeit und Abscheulichkeit dieses Buches treffend gebrandmarkt, aber in der Vorrede seiner Schrift, wo dies geschieht, stellt er den Hexenhammer in eine Entwicklungsreihe mit der Bewegung eines Wiclef [69] und Huß, die Schisma und Glaubensstreitigkeiten in die Kirche hineingetragen hätten, eines Luther und Calvin. Wenn er den Zusammenhang construirt, durch dies alles sei der wahre Glaube entstellt worden, entsprach dies sicher seiner Ueberzeugung, läßt aber auch die Absicht durchblicken, auf seine Glaubensgenossen von vornherein günstigen Eindruck zu machen. Von der Hexenbulle des Papstes Innocenz VIII. ist keine Rede. Wie schon der Titel seiner Schrift zeigt, glaubt L. an die Möglichkeit von Zauberei. Diese und ebenso die Existenz von Dämonen lehre die hl. Schrift; sie zu leugnen widerstreite dem katholischen Glauben. Alles aber, was von Thaten und Bekenntnissen der Hexen behauptet wird, sei Fälschung und Traum, und die Obrigkeiten, die Hexen hinrichten lassen, begehen Justizmord. Kein göttliches Gesetz erkenne die nächtlichen Zusammenkünfte der Hexen oder der Hexenausfahrten an. Auch einen Teufelsbund gebe es nicht. Daß Dämonen körperliche Gestalt annehmen und in dieser den Menschen erscheinen, lehre die Schrift nur von den guten Engeln, nicht aber von den bösen Geistern. Eine Reihe von Hexengeständnissen wird durchgegangen, um darzuthun, wie lächerlich es sei, derartigen ungereimten Aussagen Glauben zu schenken.

In dem ihm aufgezwungenen Widerruf mußte L. bekennen, daß viele seiner Artikel nicht nur irrig und skandalös, sondern auch der Häresie und des Hochverraths verdächtig seien, daß sie im Widerspruch stehen mit der gemeinsamen Ansicht der theologischen Lehrer, mit den Entscheidungen und Bullen der Päpste und mit der Praxis und den Gesetzen der Obrigkeiten. Er mußte seine „oft und hartnäckig, mündlich und schriftlich wiederholte“ Behauptung widerrufen, die gleichsam den Kern seiner Anschauungen bilde, daß die Hexenausfahrten ein phantastischer Wahn seien. Ebenso: daß die Aermsten nur durch die Bitterkeit der Tortur gezwungen würden, Dinge zu bekennen, die sie nie gethan haben. Er mußte seine Sätze widerrufen, daß auf der harten Folterbank das Blut Unschuldiger vergossen und durch eine neue Alchemie aus Menschenblut Gold und Silber gemacht werde. Damit habe er stillschweigend auch seinen Herrn, den Erzbischof von Trier, der Tyrannei beschuldigt. Widerrufen mußte L. ferner die Sätze, daß es keine Zauberer und Hexen gebe, die Gott entsagen, den Teufel anbeten, Wetter machen und ähnliche Teufelswerke vollbringen; daß die Stelle Exod. 22: „Die Zauberer sollst du nicht leben lassen!“ von solchen zu verstehen sei, die mit natürlichem Gift tödten; daß es keinen Teufelsbund gebe; daß die Teufel nicht menschliche Gestalt annehmen; daß das Leben Hilarion’s, verfaßt von dem hl. Hieronymus, nicht echt sei; daß es keine fleischliche Vermischung zwischen Teufeln und Menschen gebe; daß weder Dämonen noch Menschen Gewitter und Hagel machen können. Endlich (unter Uebergehung einiger Sätze): daß die Päpste in ihren Bullen nicht behaupten, daß der Zauberer derartige Dinge, wie oben erwähnt, vollbringe und daß sie zur Inquisition gegen Zauberer nur ermächtigt hätten, damit sie nicht ebenso „fictae magiae“ beschuldigt würden, wie einige ihrer Vorgänger wirklicher Zauberei beschuldigt wurden. Man sieht also, daß L. darauf ausging, die Päpste von der Beförderung der Hexenprocesse reinzuwaschen, während der päpstliche Commissar selbst ihm diese Auffassung als Irrthum anrechnete.

Die Lebensdaten zum Theil nach Delrio, Disquisitionum magicarum libr. VI. ed. 1606, III, 315 f. und Van der Aa, Biographisch Woordenboek der Nederlanden (1865) XI, 623, wo auch weitere Litteratur und Schriftenverzeichniß. – Ueber den Proceß: Binsfeld, De confessionibus maleficorum et sagarum (ed. 1623), p. 28; Delrio a. a. O., wo das Notariatsinstrument über den Widerruf abgedruckt ist.

[67] *) Zur Ergänzung des Artikels Bd. XIX, S. 168.