Zum Inhalt springen

ADB:Lehmann, Christian (Historiker)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Lehmann, Christian“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 616–618, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lehmann,_Christian_(Historiker)&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:43 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 51 (1906), S. 616–618 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Christian Lehmann in der Wikipedia
Christian Lehmann in Wikidata
GND-Nummer 124638368
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|616|618|Lehmann, Christian|Viktor Hantzsch|ADB:Lehmann, Christian (Historiker)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=124638368}}    

Lehmann: Christian L., Geschichtschreiber des Erzgebirges, wurde am 11. November 1611 zu Königswalde bei Annaberg in Sachsen als Sohn des dortigen Pfarrers geboren. Als dieser im Sommer des folgenden Jahres nach dem Bergstädtchen Elterlein berufen wurde, folgte ihm die Familie dahin. Der Knabe wurde anfangs im Elternhause unterrichtet. Der Vater leitete ihn seit früher Jugend an, ein ausführliches Tagebuch zu führen und sich Auszüge aus allen gelesenen Büchern anzulegen. Auch unternahm er mit ihm häufige Fußwanderungen durch das Gebirge und machte ihn dabei auf Naturmerkwürdigkeiten und geschichtliche Erinnerungen aufmerksam. 1622 kam der Sohn auf die Fürstenschule zu Meißen. Drei Jahre später schickte ihn sein Vater nach Halle, wo er sich als Currendaner seinen Lebensunterhalt verdienen mußte. Nachdem er hier die Pest glücklich überstanden hatte, zog er 1628 nach Guben in der Niederlausitz. 1631 floh er vor den kriegerischen Wirren nach Stettin, Wo er im Paedagogium regium illustre seine Schulbildung zum Abschluß brachte. Im folgenden Jahre nahm er eine Stellung als Hauslehrer bei einem Pfarrer zu Löckenitz in Pommern an. Nachdem er sich kurze Zeit mit theologischen Studien beschäftigt hatte, wurde er 1633 nach Hause berufen. Sein Vater war durch die vielfältigen Drangsale, die er in den letzten Jahren bei den fast unausgesetzten Durchzügen der Schweden und der Kaiserlichen, namentlich bei dem Einfall des Generals Holck 1632 erlebt hatte, so krank und schwach geworden, daß er sich vom Oberconsistorium in Dresden seinen Sohn als Substituten ausbat. Seine Bitte wurde gewährt, und beide wirkten fünf Jahre hindurch gemeinsam unter großen Mühen und Gefahren in Elterlein. Um sich und die Ihrigen vor den Plünderungen und unmenschlichen Mißhandlungen der verwilderten Soldaten zu retten, mußten sie oft wochenlang, auch im strengsten Winter, trotz bitterer Kälte und äußersten Mangels an Kleidung und Lebensmitteln, in Wäldern und Höhlen zubringen und sich hier gegen die Anfälle der gewaltig überhandnehmenden Bären und Wölfe wehren. Trotz dieses sorgenvollen Lebens verheirathete sich der Sohn 1636 mit Euphrosyne Kreusel, der Tochter des Stadtrichters in Elterlein, die ihm in 51jähriger Ehe zehn Kinder schenkte. Zwei Jahre später wurde er, da sein Vater inzwischen wieder einigermaßen zu Kräften gekommen war und die Gemeinde wegen allzugroßer Armuth einen Substituten nicht mehr erhalten konnte, als Pfarrer nach dem nahen Städtchen Scheibenberg berufen. Diese neue Stellung brachte ihm wiederum viele Beschwerden und Mühseligkeiten. Der Verkehr mit den entfernten Filialen war wegen der umherstreifenden Räuberbanden und wilden Thiere oft mit Lebensgefahr verbunden. Auch mußte er infolge der kriegerischen Unruhen wiederholt flüchten und sich in den umliegenden Wäldern verbergen. Mehr als einmal wurde er mit Weib und Kindern von den feindlichen Soldaten in rohester Weise mißhandelt. Auch durch Pest, rothe Ruhr und Hungersnoth hatte er viel zu leiden. Ebenso stellten sich infolge ungenügender Ernährung Milz- und Hämorrhoidalbeschwerden bei ihm ein, gegen die er fünfmal die Brunnencur in Karlsbad mit gutem Erfolge gebrauchte. Nach der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges begann sich seine Lage zu bessern. Als Ruhe und Sicherheit einigermaßen wiedergekehrt waren, unternahm er während der günstigen Jahreszeit so oft als möglich theils allein, theils mit seinen heranwachsenden Söhnen oder mit Amtsgenossen Wanderungen durch sein geliebtes Erzgebirge, um dasselbe in jeder Hinsicht gründlich kennen zu lernen. Allmählich begann er seine im Laufe der Jahrzehnte gesammelten Aufzeichnungen zu mehreren umfangreichen Werken über dieses Gebirge zu verarbeiten, von denen er aber aus Bescheidenheit und Armuth bei seinen Lebzeiten keins im Druck erscheinen [617] ließ. 1669 bemerkte er eine bedenkliche Abnahme seiner Kräfte. Er litt häufig an Ohnmachten und Schwindelanfällen, so daß er seine Amtsgeschäfte nicht mehr allein verrichten konnte. Auf seine Bitte ordnete ihm deshalb das Oberconsistorium seinen zweiten Sohn Johann Christian als Substituten bei. Diese Erleichterung wirkte allmählich so günstig auf seinen Gesundheitszustand ein, daß er seit 1675 der Unterstützung nicht mehr bedurfte. Der Sohn wurde deshalb als Diakonus nach Annaberg versetzt, und der Vater verwaltete trotz seines vorgerückten Alters noch volle 13 Jahre hindurch sein Amt allein. Leider wurden ihm die letzten Lebensjahre durch Streitigkeiten mit einigen seiner Gemeindeglieder getrübt, die ihm Vernachlässigung seiner Amtsgeschäfte infolge seiner häufigen ausgedehnten Wanderungen vorwarfen, doch wies das Oberconsistorium die gegen ihn vorgebrachten Klagen als unbegründet zurück. Nachdem er sein goldenes Ortsjubiläum gefeiert und 56 Jahre im geistlichen Amte zugebracht hatte, starb er zu Scheibenberg am 11. December 1688. Er war ein schwächlicher und fast immer kränklicher, deshalb schwermüthiger und in sich gekehrter Mann von großer Einfachheit und Mäßigkeit, erfüllt von unauslöschlicher Liebe zu seiner erzgebirgischen Heimath und von einem unermüdlichen Sammelfleiß. Sein Bildniß in Oel gemalt hängt noch heute neben der Kanzel in der Kirche zu Scheibenberg. Ein zweites in Kupferstich ziert das Vorsetzblatt seines gedruckten Werkes „Historischer Schauplatz“. Sein Grabmal, das ihn nebst seiner Gattin lebensgroß in erhabener Arbeit darstellt, befindet sich auf dem Friedhof seiner Gemeinde. Von seinen drei Söhnen, die er trotz völliger Mittellosigkeit studiren ließ, starb der älteste, Theodosius, 1696 als Consistorialpräsident zu Merseburg, der zweite, Johann Christian, 1723 als Superintendent zu Freiberg, der jüngste, Immanuel, 1698 als Archidiakonus zu Görlitz. Seine Töchter verheiratheten sich, soweit sie nicht frühzeitig starben, sämmtlich mit Geistlichen.

Neben der Erfüllung seiner Berufspflichten entfaltete L. in seinen Mußestunden eine umfassende schriftstellerische Thätigkeit, die sich durchaus auf seine Heimath, das Erzgebirge bezog. Dieses nach allen Seiten hin gründlich kennen zu lernen und für die Nachwelt zu beschreiben war für ihn Lebenszweck. Er wanderte nicht nur selbst unermüdlich in dem Gebirge umher, sondern zog auch bei seinen Amtsbrüdern, bei Bergleuten, Bauern, Kräutersammlern, Waldarbeitern und anderen Gebirgsbewohnern Erkundigungen ein und durchforschte die in Frage kommende Litteratur. Als Ergebniß seiner Bemühungen hinterließ er zwölf meist umfangreiche Manuscripte, die sich leider nur zum Theil bis auf die Gegenwart erhalten haben. Alle seine noch vorhandenen Arbeiten verrathen wahrhafte, wenn auch zum Mysticismus neigende Frömmigkeit, umfassende, jedoch kritiklose Gelehrsamkeit, scharfe Beobachtungsgabe, liebevolles Versenken in die Eigenart der Heimath und ihrer Bewohner, aber auch starke Neigung zum Aberglauben. Sie sind eine bisher noch lange nicht genügend ausgeschöpfte Quelle zur Ortsgeschichte, Volkskunde und Mundartforschung. Die Darstellung ist klar, gewandt, volksthümlich, nicht selten von treuherzigem Humor durchweht und durch zahlreiche eingestreute Gedichte und Anecdoten belebt. Das bedeutendste Werk ist 1. sein Historischer Schauplatz derer natürlichen Merckwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober-Ertzgebirge, eine ausführliche Beschreibung dieses Gebietes in orographischer, hydrographischer, climatischer, mineralogischer, pflanzen-, thier- und anthropo-geographischer Hinsicht. Es wurde von den drei Söhnen des Verfassers durch zahlreiche Anmerkungen vermehrt und 1699 von dem überlebenden Johann Christian in Leipzig zum Druck befördert. Es bildet einen stattlichen Quartband von über 1000 Seiten mit vielen Kupferstichen und Holzschnitten. Eine [618] zweite nahezu unveränderte Ausgabe erschien ohne den Namen des Autors 1747 wiederum in Leipzig. Das Buch ist als eine wichtige Fundgrube für die Culturgeschichte und Volkskunde des 17. Jahrhunderts noch heute von hohem Interesse. – Die übrigen Schriften Lehmann’s, über welche beglaubigte Nachrichten vorliegen, sind folgende: 2. Historia civilis et topogrgraphica des Erzgebirges, mit einer großen Uebersichtskarte und vielen Ansichten von Städten und Schlössern, jetzt anscheinend verloren. – 3. Kriegs-Chronik der Teutschen, 1677 abgeschlossen, Originalmanuscript in der kgl. Bibliothek zu Dresden, ein starker Folioband von 758 eng beschriebenen Seiten, wichtig durch ausführliche, zumeist auf eigenen Erlebnissen des Verfassers beruhende Schilderung der Kriegsereignisse im Erzgebirge während des Dreißigjährigen Krieges. – 4. Res memorabiles ecclesiasticae oder Kirchenhistorie des Erzgebirges, blieb unvollendet und ist jetzt verloren. – 5. Historia metallica oder Berg-Chronik, eine Geschichte und Beschreibung des erzgebirgischen Bergbaues, besonders der Silbergruben, nebst einer Sammlung von Bergsagen, gleichfalls verloren. – 6. Historia moralis oder Moral-Chronik von allerhand ernsthaften und lustigen Fällen, so im Gebirge observiret worden, eine Sammlung von Sagen, Spukgeschichten und Schwänken, ebenfalls verloren. – 7. Centuria epistolarum oder 100 deutsche Episteln von lauter gebirgischen Historien, auch nicht mehr zu ermitteln. – 8. Annales de rebus variis, Aufzeichnungen über ungewöhnliche Witterungsverhältnisse, merkwürdige Naturerscheinungen, Unglücksfälle, Wunderzeichen, Erdbeben und andere bemerkenswerthe Vorgänge, gleichfalls verschollen. – 9. Collectanea, vermischte Notizen zur Geschichte, Topographie und Naturgeschichte des Erzgebirges, Manuscript in der Ponickauschen Sammlung der Universitätsbibliothek zu Halle, theils von Lehmann’s eigener Hand herrührend, theils Briefe an ihn umfassend. – 10. Nachrichten über das Bergstädtlein Scheibenberg, 1679 abgeschlossen, in dem von L. dictirten und von seiner Hand corrigirten Entwurf im Besitze der Stadtbibliothek zu Leipzig, dazu auszugsweise handschriftlich in der Universitätsbibliothek zu Halle und im Privatbesitz in Elterlein erhalten, gedruckt in den Sächsischen Provinzialblättern 1801, X, 481–503. – 11. Descriptio Nigromontana, eine Geschichte und Beschreibung der Stadt Schwarzenberg in 364 lateinischen Hexametern, 1731 von Schöttgen und Kreysig in ihrer Diplomatischen und curieusen Nachlese der Historie von Obersachsen, V, S. 529–546 veröffentlicht. – 12. Apologia, ein Actenstück von Lehmann’s eigener Hand im Pfarrarchiv zu Scheibenberg, betreffend seine Streitigkeiten mit einigen ihm feindlich gesinnten Gemeindegliedern.

J. Pöschel, Eine erzgebirgische Gelehrtenfamilie, Leipzig 1883. – H. Rösch, Christian Lehmann’s Historischer Schauplatz (Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung 1883, S. 152–154, 157–159). – J. Pöschel, Christian Lehmann’s Schriften und ihre Bedeutung für das sächsische Obererzgebirge (ebendort 1883, S. 569–574). – Derselbe, Zur Literatur über den Aberglauben (ebendort 1884, S. 406–416, 421–424). – H. Rösch, Glückauf! Ein Jahrbuch für das Erzgebirge, I (1884), S. 60–70, 99–124, 125–132; II (1886) S. 48–55. – L. Lonner, M. Christian Lehmann (Glückauf, Organ des Erzgebirgsvereins, VIII (1888), S. 97–99, 105–108; XIV (1894), S. 133–138). – J. Pöschel, Ueber Mag. Christian Lehmann’s Kriegschronik, Grimma 1889.