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ADB:Landolt, Salomon

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Artikel „Landolt, Salomon“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 592–594, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Landolt,_Salomon&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:08 Uhr UTC)
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Landolt: Salomon L., „Landvogt von Greifensee“, geb. am 10. Decbr. 1741, † am 26. Novbr. 1818. – Obschon eine der ursprünglichsten und kernhaftesten Erscheinungen aus einer zwar der Rechnung nach noch nicht, aber thatsächlich durch die gänzliche Aenderung vieler Lebensverhältnisse entfernt hinter uns liegenden Zeit, war L., wiewohl ein so vollendeter Meister in persönlicher Schilderung, wie David Heß, ihn vorgeführt hatte, etwas zurückgeschoben gewesen: da weckte Gottfried Keller vor kurzen Jahren in einer Dichtung mit Wahrheit unvergleichlich mischenden Novelle den alten „Landvogt L.“, wie er für mehrere Geschlechter Zürichs fast sprichwörtlich gewesen war, neu zum Leben auf. So wie vor mehr als einem Jahrhundert Hottinger in seinen Briefen Selkof’s (vgl. Bd. XIII. S. 197) L. beschrieb, steht er vor den Augen eines nun viel weiteren Leserkreises: „Ein Mann von stählernem Sinn und ächtem Schweizerherzen. Freyheit und Vaterland liebt er über Alles und würde sich eher die Haut über die Ohren abziehen lassen, als er eine unedle That beginge. Er ist Alles, was er ist, von Natur; aber sein Urtheil ist gesund und seine Laune unerschöpflich“. – L. stammte aus einem angesehenen bürgerlichen Geschlechte, aus welchem in seiner eigenen Zeit zwei Glieder als Bürgermeister an der Spitze des zürcherischen Staatswesens standen; doch war für seine Jugendentwickelung die Beziehung zu der Familie seiner ausgezeichnet begabten Mutter, Anna Margarethe Hirzel, von viel größerer Bedeutung. Bei seinem Großvater, dem General in holländischem Dienste, Salomon Hirzel (vgl. Allg. d. B., Bd. XII. S. 485), und seinen Oheimen brachte L. an deren verschwenderischem Hofhalte auf Schloß Wülflingen viele Zeit als Knabe zu und empfing da eine eigentlich militärische Schulung; andererseits ist es ein glänzendes Zeugniß seiner sittlichen Kraft, daß er in diesem wilden Jagdjunkerleben nicht zu Grunde ging. Einsichtiger Rath vermochte die Eltern, den feurigen jungen Mann, da ihn nur die Mannigfaltigkeit seiner Anlagen, die sehr große Lebhaftigkeit des Temperaments von der Wahl eines bestimmten Berufes bisher abgehalten hätten, 1764 auf die Militärschule nach Metz zu senden; aber auch hier fand er sich, außer daß er seine künstlerischen Anlagen bei dem Maler Le Paon weiter ausbildete, nicht an seinem Platze, so daß er nach Paris reiste und auch da in erster Linie bei Le Paon arbeitete. Nach etwa drei Jahren kam er, durch viele Erfahrungen bereichert, aber ohne Kenntnisse für ein specielles Fach, nach Zürich zurück. Erst als er aus einer kleinen Schaar Freiwilliger, die er geschickt gesammelt und geübt, den Kern des Scharfschützencorps gebildet und 1770 vor einem Kreise Sachverständiger mit seinen Leuten auf einer Musterung sich bewährt hatte, war eine Seite seines Berufes entschieden: er erhielt den obrigkeitlichen Auftrag, eine Jägercompagnie zu schaffen, und bei der vorzüglichen Gestaltung dieser den localen Bedürfnissen ganz angepaßten neuen Waffengattung konnte jetzt L. seine ausgezeichnete Menschenkenntniß, seine Gewandtheit, zu befehlen, anzuordnen, an sich zu fesseln, darlegen. Es gelang ihm, die Kunst des Schießens durch seine Anregung sehr zu vervollkommnen, auch andere kantonale Regierungen zur Nachahmung des in Zürich aufgestellten Musters zu veranlassen. Aber dazwischen hinein fiel 1776 ein Ritt nach Berlin, von heute auf morgen unternommen, nach den anregenden Erzählungen preußischer Besucher über Friedrichs des Gr., [593] des von L. längst bewunderten Siegers, großartige Potsdamer Musterungen; das vom Könige unterzeichnete Erlaubnißschreiben, der Revue beizuwohnen, für L. eine heilige Reliquie, war eines der wenigen Besitzthümer, die der Greis ein halbes Jahrhundert später hinterließ. Die frische Erscheinung des schönen jungen Mannes verfehlte nicht, auf Friedrich einen Eindruck zu machen, sodaß ihm dieser vorschlug, ein Freicorps aus Schweizern im preußischen Dienste zu errichten, und auch Zieten gewann den jungen Offizier lieb; aber der Gedanke eines Eintritts in die preußische Armee kam nicht zur Erfüllung, und so kehrte L. nach mehreren Monaten, in denen er eindringlichste Kenntnisse der Militäreinrichtungen gesammelt hatte, in die Heimath zurück. Diese originelle Reise gab aber auch in Zürich seiner Person eine größere Beachtung, sodaß ihn seine Zunft 1777 als Mitglied des Großen Rathes erwählte und die Regierung ihm 1778 mit dem Range eines Oberstlieutenants die Führung des gesammten Jägercorps übergab. Ebenso gelang es L., im gleichen Jahre 1778, als eine furchtbare Ueberschwemmung das Dorf Küßnach am Zürichsee verderblich heimgesucht hatte, in der von ihm übernommenen Polizeileitung weite Kreise von seiner hervorragenden Befähigung, organisatorisch zu gebieten, von neuem zu überzeugen. Aber erst 1780 erhielt er nun, durch die auf sechs Jahre sich erstreckende Zuweisung der Landvogtei Greifensee – dieser Landestheil entspricht jetzt ungefähr dem mittleren Abschnitte des zürcherischen Bezirkes Uster – eine ausreichende Gelegenheit, seine Thatkraft und Einsicht zu beweisen. Als Repräsentant der besten Seiten eines patriarchalisch durchgreifenden Regierungssystems, rücksichtslos streng, wo es nöthig war, von fröhlichem Verständnisse für die Bedürfnisse ländlicher Kreise erfüllt, durch rationelle Anregungen auf landwirthschaftlichem Boden wohlthuend wirksam, so verstand es L., sich da einen geradezu populären Namen zu schaffen; besonders haben sich manche Richtersprüche aus seinem Munde, die wie vorzüglich erfundene Anekdoten sich ausnehmen und doch ganz der Wahrheit angehören, lebendig erhalten. Als er dann von 1795 an eine entsprechende Function in einem anderen Theile des zürcherischen Gebietes, der Landvogtei Eglisau, am Rheine gelegen, deren Territorium zumeist auf der jenseitigen nördlichen Seite des Flusses selbst lag, übernahm, wurden die ohnehin weniger günstigen Verhältnisse durch die aufsteigenden revolutionären Bewegungen noch mehr erschwert, was zwar nicht ausschloß, daß L. auch hier, zumal da er ruhiger geworden war, weniger rasch durchgriff, eine sehr gedeihliche Thätigkeit eröffnete. Schon seit dem Herbste 1792 war L., indem er das nach der verbündeten Stadt Genf wegen deren Bedrohung von der französischen Republik gelegte zürcherische Contingent befehligte, mit der drohenden Erschütterung näher bekannt; jetzt vermehrte die Unsicherheit der Zustände während Moreau’s Rückzug 1796 die Schwierigkeiten in dem von L. verwalteten Grenzbezirke, dessen Polizei er zwar von seinem Amtsantritte an schon trefflich neu eingerichtet hatte, und L. selbst commandirte den einen Flügel der von ihm längst gewünschten Grenzbesetzung. Endlich aber sank mit der Revolution von 1798 das Amt selbst, das er bekleidete, in dem er bis zuletzt, auch vom öffentlichen Vertrauen geehrt, seine Pflicht, wie ein Mann, erfüllt hatte, in sich zusammen. Daß die in neufränkischer Weise verbrämte helvetische Freiheit in ihm den schärfsten Kritiker fand und seinen schneidenden Witz herausforderte, ist nicht zu betonen nothwendig; es muß ihm eine Genugthuung für manche unangenehme Erfahrung gewesen sein, als er, im September des Jahres vor das neue Bezirksgericht Bülach wegen spöttischer Reden über den Freiheitsbaum vorgefordert, für die zu erlegende Buße seinen Richtern vor nicht geringer Zuhörerschaft die eigene Auffassung der Dinge in unverhüllter Weise darlegte. Auch ökonomisch schwer geschädigt, kehrte L. auf das schon nach dem Abgange von Greifensee angekaufte [594] einfache Landgut in Enge bei Zürich zurück, und so kam es, daß er 1799 zwischen der ersten und zweiten Schlacht bei Zürich mitten in den Kriegsereignissen sich befand und bei seinen freundschaftlichen Beziehungen zu Hotze (s. den Art.) sehr häufig als Freiwilliger sich an den kleinen Gefechten gegen die Franzosen betheiligte, daß aber auch nach der Niederlage der Russen seines Bleibens nicht mehr war. Er verweilte nun einige Zeit mit der gleichfalls flüchtigen Familie seines Freundes Escher von Berg in Schwaben und kehrte erst im Sommer 1800, als sich die Aufregung etwas beschwichtigt hatte, nach Zürich zurück. Mit einem größeren Eifer, als je vorher, warf er sich auf die Malerei – er vermochte durch den Verkauf von Bildern auch seiner knapp gewordenen Lage etwas aufzuhelfen –, und vorzüglich alle jene kriegerischen Schauspiele, die er in der letzten Zeit gesehen, dienten jetzt dem gedankenreichen Schilderer soldatischen Lebens; auch einiger politischen Thätigkeit nahm er sich nach Einführung der Mediationsverfassung wieder an. Aber nun starb dem Unverheiratheten die „Frau Marianne“, seine treue Haushälterin, welche, noch origineller als ihr Herr, eine vor der Schleierung aus dem Kloster in Tirol entlaufene Nonne, nachherige Marketenderin im preußischen Heere, „ein weiblicher Husar“, über 20 Jahre die Oekonomie trefflich besorgt hatte, und L. entschloß sich 1809, sein Besitzthum zu verkaufen. Er zog in größere Entfernung von Zürich, zu Verwandten, und kam nur noch selten auf längeren Besuch nach Zürich geritten. Endlich wählte er bei einem Freunde, damaligem Oberamtmann zu Andelfingen, seinen Wohnsitz, und in dessen schön gelegenem Amtssitze verlebte er vom Sommer 1818 an seine letzten Monate, heiteren, freien Sinnes, mit seinem feinen künstlerischen Verständnisse der Reize der Natur sich erfreuend, bis mit den fallenden Blättern die Kraft ganz sank und, nach seinem Wunsche, in einer Nacht der ruhige Schlummer zum Todesschlafe wurde. – Der zürcherischen Künstlergesellschaft voran, zu deren Stiftern neben Martin Usteri, Ludwig Heß, Konrad Geßner (s. d. Art.), Heinrich Freudweiler (vgl. Bd. XII. S. 274), seinen Freunden, L. 1787 gezählt hatte, widmete David Heß das im Eingange erwähnte „nach dem Leben ausgemalte Charakterbild“ (Zürich 1820), ein ganz classisches Büchlein, welches des in seiner Art einzigen Mannes durchaus würdig ist (vgl. Bd. XII. S. 276).