Zum Inhalt springen

ADB:Kunth, Karl Sigismund

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Kunth, Karl Sigismund“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 394–397, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kunth,_Karl_Sigismund&oldid=- (Version vom 17. Dezember 2024, 02:03 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Kuntz, Carl
Band 17 (1883), S. 394–397 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Karl Sigismund Kunth in der Wikipedia
Karl Sigismund Kunth in Wikidata
GND-Nummer 115674667
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|17|394|397|Kunth, Karl Sigismund|Ernst Wunschmann|ADB:Kunth, Karl Sigismund}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=115674667}}    

Kunth: Karl Sigismund K., geb. zu Leipzig am 18. Juni 1788, starb als Professor der Botanik zu Berlin am 22. März 1850. Vorgebildet auf der Leipziger Rathsschule, konnte K. wegen der Mittellosigkeit seines Vaters das akademische Studium nicht ergreifen und mußte es schon als Glück betrachten, daß sein, dem fleißigen und talentvollen Jünglinge wohlwollender Oheim, der preußische Geheimrath Kunth, ihn 1806 nach Berlin berief, woselbst er ihm eine Anstellung bei dem königlichen Seehandlungsinstitute verschaffte. Mäßige Beschäftigung, sowie das Wohlwollen seiner Vorgesetzten machten es K. leicht von den vielen wissenschaftlichen Hülfsmitteln der Großstadt Gebrauch zu machen, wodurch es ihm bald gelang, die Lücken seiner Ausbildung in autodidaktischer Weise auszufüllen. Ganz besonders aber war es der Umgang mit dem Berliner Botaniker Willdenow, der ihn mit Leidenschaft das Studium der Botanik ergreifen ließ und bald zu einem der ausgezeichnetsten Schüler dieses Meisters machte. Eine Flora von Berlin, in der die Pflanzen nach Linné’schem System geordnet sind, war Kunth’s erster schriftstellerischer Versuch. Sie erschien in erster Auflage 1813, in zweiter 1838 zu Berlin unter dem Titel: „Flora Berolinensis s. enumeratio plantarum circa Berolinum sponte crescentium“. Ein unerwarteter, für das Leben entscheidender Erfolg lohnte Knuth’s eifriges Streben. Nachdem nämlich A. v. Humboldt von seiner großen, in den Jahren 1799–1804 mit Aimé Bonpland gemeinschaftlich unternommenen Reise nach Südamerika zurückgekehrt war, galt es für die Bearbeitung der reichen Pflanzenschätze, die jene Forscher mitgebracht, die geeignete Persönlichkeit zu gewinnen. Zuerst unternahm Willdenow, einer Einladung Humboldt’s nach Paris folgend, die Bearbeitung; trat dieselbe aber bald an K. ab, da er schon nach wenigen Monaten Paris zu verlassen genöthigt war. Humboldt acceptirte den ihm aufs wärmste empfohlenen [395] K. um so lieber, als dessen jugendliche Empfänglichkeit, sowie seine umfassendere Ansicht über organische Entwicklung ihn für die Lösung der gestellten Aufgabe geeigneter erscheinen ließ, als den streng specifisch unterscheidenden Willdenow, dem allgemeinere Gesichtspunkte in der Beurtheilung natürlicher Verwandtschaftsverhältnisse ferne lagen. So kam denn K., 25 Jahre alt, im J. 1813 nach Paris, woselbst er bis 1829 in unermüdlicher Thätigkeit unter stetig wachsendem Ansehen verblieb. Was er während der 16 Jahre seines dortigen Aufenthaltes geleistet, beweisen seine großen, epochemachenden monographischen Arbeiten, die weiter unten erwähnt werden sollen. Schon 1816 wurde K. zum correspondirenden Mitgliede der Akademie der Wissenschaften zu Paris ernannt und erst 1829 verließ er die französische Hauptstadt, der er soviel verdankte, um einem Rufe als ordentlicher Professor der Botanik nach Berlin zu folgen. Zugleich erhielt er das Amt eines Vicedirectors des botanischen Gartens. Ueber 20 Jahre segensreichen Wirkens für die Wissenschaft, wie für die ihm unterstellten Institute verlebte er in Berlin. Zum letzten Male besuchte er Paris und seine botanischen Freunde daselbst im J. 1837. Nicht lange darauf stellten sich rheumatische Schmerzen ein, die eine Schwächung des Gehörs zur Folge hatten und nach und nach die sonst feste Gesundheit des Mannes untergruben. Eine im J. 1845 nach Oberbaiern und Salzburg zum Zwecke der Erholung unternommene Reise konnte, da K. in München plötzlich erkrankte, nicht fortgesetzt werden und wiewol er von diesem Unfall wieder genas, war doch ein Trübsinn bei ihm eingekehrt, der nicht mehr weichen sollte. Zwar setzte K. mit Ausdauer die begonnenen wissenschaftlichen Arbeiten fort, doch nicht mehr mit der alten Freudigkeit und auch die liebevollste Pflege der Seinen konnte die unheilvolle Stunde nicht verhindern, die ihn in einem Anfalle von Schwermuth Hand an sich selbst legen ließ. Er starb in einem Alter von noch nicht ganz 62 Jahren. Kunth’s Bedeutung für die botanische Wissenschaft erstreckt sich nach zwei Richtungen hin. Einmal liegt sie in den großen Monographien, die als klassische Werke in der systematischen Botanik gelten müssen, sodann aber hat K. in den mit großem Geschick angelegten umfangreichen Herbarien auch späteren Bearbeitern ein werthvolles Material hinterlassen. Freilich hat er das besondere Glück gehabt, daß ihm für seine Arbeiten die besten Quellen zu Gebote standen. Für morphologische Arbeiten und das Studium der Systematik war Paris seiner Zeit ein hervorragend günstiger Ort. K. genoß hier nicht nur des freundschaftlichen Umganges mit den berühmtesten Botanikern des Landes, wie Joseph Jussieu, Richard und Desfontaines, es standen ihm auch die großen Sammlungen des jardin des plantes und die von Benjamin Delessert zur Verfügung, als wären es die seinigen. Eine Reise nach England eröffnete ihm außerdem noch durch die Gunst Robert Browns die Schätze des Londoner Museums. Im Anschluß an die ihm zunächst gestellte Aufgabe, welche ihn nach Paris führte, entstanden zwei wichtige Arbeiten. Die erste war das vom Verleger mit großer Pracht ausgestattete Werk „Mimoses et autres plantes Légumineuses du Nouveau Continent, recueillies par M. M. de Humboldt et Bonpland“. Paris 1819–1824, und die zweite eins seiner bedeutendsten Werke „Synopsis plantarum quas in itinere ad plagam aequinoctialem orbis novi collegerunt A. de Humboldt et A. Bonpland“, Parisiis 1822–1825. Namentlich das letztere Werk gibt von der außerordentlichen Thätigkeit Kunth’s ein beredtes Zeugniß, wenn man erwägt, daß in demselben über 4500, von Humboldt und Bonpland gesammelte Pflanzen, darunter 3600 neue, beschrieben sind, die zusammen 7 Foliobände füllen. Zu den 700 Kupfertafeln, die das Werk begleiten, zeichnete K. selbst sämmtliche Analysen der Blüthentheile. Nach Vollendung dieser 7 Bände erschien bald ein Auszug der Synopsis in 4 Octavbänden, deren letzter nach der Angabe von 4500 Höhenbestimmungen [396] der beschriebenen Arten die Resultate der Humboldt’schen Geographie der Pflanzen darlegt. Eine „distribution méthodique de la famille des Graminées“ hatte K. übernommen, nachdem Bonpland, der selbst die Gräser bearbeitet hatte, Paris verlassen und nach Südamerika zurückgekehrt war. Sie erschien aber erst 1837. Neben diesen Arbeiten und unabhängig von ihnen publicirte er noch zu Paris im J. 1822 eine Monographie „Malvaceae, Büttneriaceae, Tiliaceae, familiae denuo ad examen revocatae characteribusque magis exactis distinctae, addita familia nova Bixinarum“, Paris. 1822. – Nach Kunth’s Uebersiedlung nach Berlin war seine schriftstellerische Thätigkeit eine ebenso umfassende und bedeutende und bewegte sich in derselben Richtung. Nach einigen Vorläufern, als welche ein „Handbuch der Botanik“, Berlin 1831, das auch ins Holländische übersetzt wurde und eine „Anleitung zur Kenntniß sämmtlicher in der pharmacopoea borussica aufgeführten offizinellen Gewächse, nach natürlichen Familien“ (1834) zu bezeichnen sind, erfolgte vom J. 1833–1850 in 5 Abtheilungen die Herausgabe eines umfassenden Werkes unter dem allgemeinen Titel „Enumeratio plantarum omnium hucusque cognitarum secundum familias naturales disposita, adjectis characteribus, differentiis et synonymis“, Stuttgardiae et Tubingae. Der erste, A. v. Humboldt gewidmete Abschnitt, betitelt: Agrostographia synoptica behandelt die Gräser in 2 Bänden, von denen der zweite als Supplement zum ersten 1835 erschienen ist und zu 876 Arten des ersten Bandes mehr oder weniger ausführliche, meist auf die Fruktificationsorgane gerichtete Beschreibungen, nebst einer Reihe darauf bezüglicher Abbildungen enthält. Die zweite Abtheilung kam als Cyperographia synoptica 1837 heraus und ist den Cyperaceen gewidmet, die übrigen drei, nach kurzen Zwischenräumen erschienen, behandeln die übrigen Monocotyledonen. Die fünfte Abtheilung wurde schon während Kunth’s leidendem Zustande verfaßt. Nur ein eiserner Fleiß, ein Besitz umfassender Kenntnisse konnte ein Werk wie das erwähnte zu Tage fördern, das zwar in manchen Punkten durch die spätere Forschung vertieft, in manchen auch wol berichtigt worden ist, das aber seiner Zeit durch die große Fülle des gebotenen Materials eine werthvolle Bereicherung der Systemkunde darstellte. Um so bewundernswerther muß es erscheinen, daß K. nebenher noch Zeit fand, seiner Pflicht als Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wozu er bald nach seiner Rückkehr nach Deutschland erwählt wurde, in vielen in den Akten dieser gelehrten Körperschaft veröffentlichten Arbeiten in umfassender Weise zu genügen. Von jenen Arbeiten seien folgende genannt: „Vier botanische Abhandlungen, gelesen in der Akademie der Wissenschaften den 24. März 1831: 1) Ueber die Verwandtschaft der Gattung Stilbe 2) Ueber eine neue Gattung der Nyctagineen, 3) Ueber die Gattung Sympieza Lichtenst., 4) Ueber die Willdenow’sche Gattung Omphalococca und ferner: „Zwei botanische Abhandlungen, gelesen am 19. Juli 1832: 1) Ueber die Blüthen- und Fruchtbildung der Cruciferen. 2) Ueber einige Aublet’sche Pflanzengattungen“. Auch ein „Lehrbuch der Botanik“, in welchem das von K. sonst weniger beherrschte Gebiet der Physiologie nach den neuesten Entdeckungen ebenfalls mit Sachkunde behandelt ist, beschäftigte den bereits von seinem Leiden heimgesuchten Mann und gelangte 1847 zur Veröffentlichung. Außer durch diese aufgezählten Publikationen machte sich K. um die botanische Wissenschaft auch noch, wie schon oben erwähnt, durch seine großartigen Pflanzensammlungen verdient. Er schuf unter bedeutenden Opfern ein Herbarium, das nicht nur zu den reichhaltigsten gehörte, die je ein Privatmann besessen, sondern auch, da es sehr viele Originalpflanzen enthielt und durchweg sachgemäß nach natürlichen Familien und kritisch untersuchten Geschlechtern und Arten geordnet war, einen großen Schatz unpublicirten Wissens repräsentirte. Nach Kunth’s Tode wurde es, wie es von jeher sein Wunsch gewesen, [397] von der preußischen Regierung angekauft und blieb so seinem Vaterlande erhalten. Es bestand: 1) aus einer allgemeinen Sammlung, 44 500 Arten in 60 000 Exemplaren enthaltend, von denen einen großen Theil die aus dem Pariser Museum stammenden und die meisten (circa 3000) von Humboldt und Bonpland gesammelten Pflanzen, einen anderen Theil die von K. aus dem jardin des plantes getrockneten Pflanzen ausmachen; 2) aus einer Sammlung getrockneter Pflanzen des Berliner botanischen Gartens mit 10 030 Arten; 3) aus einer Sammlung ausländischer Holzarten. Diese Sammlungen, im Ganzen 55 000 Arten enthaltend, legen ebensowol von einem bewundernswürdigen Fleiße Zeugniß ab, der sich auch in den vielen, den Exemplaren beigefügten Analysen offenbart, wie sie zugleich Kunth’s außergewöhnliches Geschick documentiren, unbenannte Pflanzen richtig unterzubringen. Gegenwärtig bilden diese Sammlungen den größten Theil des sogenannten Generalherbars des Berliner botanischen Museums. So hat sich K. ein dauerndes Andenken in der Geschichte der Botanik gesichert. Daß er auch als Mensch von allen, die ihn gekannt, hochgehalten und geschätzt wurde, mögen die Schlußworte des Nekrologs zeigen, mit denen A. v. Humboldt des verstorbenen Freundes gedachte: „Das Andenken meines Freundes wird lange gefeiert werden; nicht blos da, wo sein glänzendes wissenschaftliches Verdienst und sein Einfluß auf den analytisch und systematisch beschreibenden Theil der allgemeinen Pflanzenkunde erkannt werden kann, sondern auch bei denen, welche nach freier, rein menschlicher Ansicht zu schätzen wissen Einfachheit eines gediegenen Charakters, Zartheit der Gefühle und die das Leben verschönernde Anmuth der Sitten.“

Preuß. Staatsanzeiger vom 9. Mai 1851.