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ADB:Kleist von Nollendorf, Friedrich Heinrich Graf

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Artikel „Kleist von Nollendorf, Friedrich Graf“ von Ferdinand Freiherr von Meerheimb in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 124–127, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kleist_von_Nollendorf,_Friedrich_Heinrich_Graf&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:43 Uhr UTC)
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Kleist v. Nollendorf: Friedrich Heinrich Ferdinand Emil Graf K. von Nollendorf, wurde am 9. April 1762 in Berlin geboren. Er stammte aus einer der ältesten Familien des Landes, 58 Offiziere seines Namens waren im siebenjährigen Kriege geblieben. Der Vater, Dietrich Adrian v. K., Dechant des Domstiftes Brandenburg, war in Stavenow in der Priegnitz geboren; die Mutter, Louise geb. v. Schwerin, wurde von dem Manne geschieden und heirathete in zweiter Ehe den Oberst du Trossel. Die Gemahlin des Feldmarschalls war ein Fräulein v. Retzow aus Möllow im Havellande – die Familie v. Retzow ist ausgestorben. K. wurde als Kind im elterlichen Hause erzogen und kam im 12. Jahre als Page an den Hof des Prinzen Heinrich von Preußen, des Bruders Friedrichs des Gr. Im 15. Jahre trat er beim Ausbruch des baierischen Erbfolgekrieges als Offizier in das Infanterieregiment v. Bülow. Nach dem Frieden besuchte K. die Militärschule in Berlin, die damals unter Tempelhoff’s Leitung stand, und gehörte zu den vorzüglichsten Schülern, sodaß er schon 1790 bei der Vermehrung der Armee, in Aussicht eines Krieges mit Oesterreich, zum Quartiermeisterlieutenant ernannt wurde. In dieser Stellung blieb er in Potsdam bis 1793 und wurde dann dem Fürsten Hohenlohe als Generalstabsoffizier beigegeben; durch seine Thätigkeit, seine kaltblütige Entschlossenheit und seinen militärischen Scharfblick erwarb er sich dessen volles Vertrauen. Das Gefecht bei Oberursel (bei Homburg) wurde durch seine persönliche Einwirkung glücklich entschieden, und er erhielt dafür den Orden pour le mérite. Ende 1793 wurde K. Adjutant des Feldmarschall Möllendorf, als dieser das Commando über die Rheinarmee übernahm. Hier leistete er die wichtigsten Dienste. Durch seine ernste Pflichttreue und seinen persönlichen Muth, wie durch seine seltene Bescheidenheit erwarb er sich die Liebe und Freundschaft des vortrefflichen Möllendorf, die dieser ihm lebenslänglich bewahrte. 1799 erhielt er als Major das Commando der combinirten Grenadierbataillone der Regimenter Arnim und Kunheim in Berlin; hier wie in aller Stellung gewann er durch seine Milde und Güte, wie durch seine Gerechtigkeit und Pflichttreue die Liebe und das unbeschränkte Vertrauen seiner Untergebenen. 1803 ernannte der König Friedrich [125] Wilhelm III. K. zu seinem vortragenden Generaladjutanten; an dem unglücklichen Feldzuge 1806–7 nahm er als Oberst Theil; nach der Schlacht bei Auerstädt wurde er zu Napoleon geschickt, um die von Bertrand überbrachten Friedensvorschläge zu beantworten. Als diese Mission, den ungemessenen Forderungen des Kaisers gegenüber, erfolglos geblieben, folgte er seinem Könige nach Preußen. K. hatte schon im Beginn des Feldzuges in Erfurt die eröffneten Operationen für gefährlich und nachtheilig gehalten, aber er war nicht in der Stellung, dem Feldherrn gegenüber deren Aenderung durchzusetzen. Auch mag ihm, wie so vielen tüchtigen Soldaten jener Zeit, die Schulgelehrsamkeit eines Massenbach oder Phull imponirt haben. Die Gallerie preußischer Charaktere (von Massenbach und Buchholz) nennt ihn einen Mann ohne Studium und Gelehrsamkeit, der sich mehr durch Ordnungsliebe und Pünktlichkeit, als durch Umfassungskraft und Geschicklichkeit im Impulsiren ausgezeichnet habe; er sei mehr ein militärischer Geschäftsmann, als ein wirklicher Militär gewesen. Wie ungerecht das Urtheil ist, hat K. 1813 und 14 bewiesen, freilich war er kein Genie, aber ein unterrichteter, sehr fleißiger und gewissenhafter Mann, von seltener Unerschrockenheit, klarem, praktischem Blick, von wohlwollendem, gütigem Herzen und ehrenhaftester Gesinnung. Er suchte Haugwitz vor Beginn des Krieges, wie in demselben Buche erzählt wird, wiederholt zu bestimmen, alle Mißverständnisse mit Schweden auszugleichen, – hier hatte er doch eine Initiative, selbst in politischer Hinsicht, ergriffen.

Durch seine unermüdliche Thätigkeit und durch den Kummer über das Geschick seines Vaterlands, war seine Gesundheit so angegriffen, daß er nach dem Frieden von Tilsit längeren Urlaub erbitten mußte und erhielt. Schon 1808 konnte er wieder das Commando der niederschlesischen Brigade übernehmen und wurde zum Generalmajor ernannt. Als Chazot 1809 nach Schill’s unglücklichem Unternehmen die Commandantur von Berlin niederlegte, wurde K. Commandant von Berlin und kam wieder in die unmittelbare Nähe seines Königs. Er gehörte durchaus der patriotischen Partei an, die nur für die Befreiung des Vaterlandes von dem französischen Druck arbeitete, und die Erhebung mit allen Kräften vorbereitete. Aber klar und besonnen, wie immer, war er gegen ein zu frühzeitiges Losschlagen, was 1809 wie 1811 das Verderben Preußens herbeigeführt haben würde. Ebensowenig wollte er 1812 in russische Dienste treten, um gegen Frankreich fechten zu können, er focht als Befehlshaber der preußischen Infanterie in Kurland unter Grawert, dann unter York mit großer Auszeichnung; die treffliche Haltung der preußischen Truppen in jenem Kriege, die auch Macdonald rühmend anerkannte, wird wesentlich ihm verdankt. Auf der Bahn der Ehre und Pflicht ging er mit unerschütterlicher Sicherheit und Festigkeit voran, und auf ihn, wie auf einen Leitstern, richteten sich im Momente der Gefahr, wie in verwickelten Verhältnissen, alle Blicke. Nach Beendigung des Feldzuges wurde er Generallieutenant und erhielt den rothen Adlerorden erster Klasse. Napoleon hatte ihm den Orden der Ehrenlegion verliehen. Er hat ihn nie getragen, und hing ihn, ohne alle Ostentation, wie immer, einer Gypsbüste des Kaisers um, die sich zufällig in seinem Zimmer befand.

1813 erhielt K. beim Ausbruch des Krieges das Commando über ein kleines preußisch-russisches Corps, mit dem er am 17. April Wittenberg zu überrumpeln suchte und am 28. ein kleines Gefecht bei Halle hatte. Während der Schlacht von Groß-Görschen (2. Mai) stand er mit nur 5000 Mann in Leipzig, hielt es bis zum Abend gegen den weit überlegenen Vicekönig von Italien und zog sich erst spät Abends wieder an die alliirte Armee heran. Besonders zeichnete er sich in der Schlacht bei Bautzen aus; mit nur zwei Regimentern hielt er auf den Höhen von Burk bis zum Abend das Corps Marmont fest und [126] verwehrte ihm das Debouchiren über die Spree – erst als seine Truppen sich verschossen, verließ er seine Stellung auf Graf Wittgenstein’s besonderen Befehl. Ein Bataillon Württemberger hatte er gefangen genommen. Damals erhielt er das eiserne Kreuz erster Klasse. Als preußischer militärischer Bevollmächtigter schloß K. den Waffenstillstand von Poischwitz (4. Juni) ab, ward während desselben zum commandirenden General des zweiten Armeecorps ernannt und marschirte Anfang August mit ihm und den Garden von Schlesien nach Böhmen, um zur Hauptarmee unter Schwarzenberg zu stoßen. Bei Dresden (26.–27. Aug.) focht er auf dem rechten Flügel und wußte auf dem schwierigen Rückzuge nach Böhmen seine gesammte Artillerie und alle Trains mit sich zu führen. Am 29. Abends erhielt er den Befehl vom Oberfeldherrn Barclay, am anderen Morgen durch das Defilé des Geyersberges zu gehen, und sich den bei Culm kämpfenden Russen anzuschließen. Durch Wagen und Geschütze waren die engen Wege, die hier übers Gebirge nach Böhmen führen, verstopft und so entschloß sich K., auf den Rath seines Generalstabschefs, Oberst Grolmann, quer über das Gebirge auf die neue Teplitzer Straße zu marschiren, die ihn gerade in den Rücken des kämpfenden Corps von Vandamme führte. Dieser Entschluß, dessen Gefahren K. wohl erkannt hatte, führte den glänzenden Sieg von Culm herbei, dessen moralischer Eindruck auf die Verbündeten noch schwerer wog, als die taktische Bedeutung. Hätte Napoleon, wie er versprochen, Vandamme unterstützt, so konnte K. im Rücken angegriffen werden, während er im Gefechte war. Als sich Kleist’s Truppen noch in Marschformation befanden, stürzten die mit den Russen kämpfenden Franzosen, die sich im Rücken bedroht sahen, auf sie zurück, die französische Cavallerie ritt die preußische Artillerie nieder, K. selbst war in Gefahr gefangen zu werden, aber sein Corps hielt in so schwierigen Verhältnissen tapfer Stand und durch sein rechtzeitiges Eintreffen war der Sieg entschieden. Als der König ihm noch auf dem Schlachtfelde den schwarzen Adlerorden umhängen wollte, sagte der immer bescheidene Mann: „Ew. Majestät glauben in mir einen Sieger zu begrüßen, aber ich habe meine gesammte Artillerie eingebüßt“, worauf der König treffend erwiderte, schon der Entschluß, auf Nollendorf zu marschiren, verdiene diese Auszeichnung. Am 16. October stand K. am linken Flügel der Armee und hatte die Stellung zwischen Cröbern und Markkleeberg gegen des Feindes weit überlegene Angriffe festzuhalten, am 18. erstürmte er Probsthaida und Güldengossa und trug dadurch wesentlich zur Entscheidung bei. Nach der Schlacht wurde ihm die Blokade von Erfurt übertragen. Als er durch die Convention vom 20. December in den Besitz der Stadt und Festung – mit Ausnahme des Cyriaks- und des Petersberges – gekommen, überließ er die Fortsetzung der Operationen dem General v. Jagow und trat am 6. Januar 1814 den Marsch nach Frankreich an; er stieß am 10. Febr. bei Vertus zu Blücher’s Armee. Schon am 12. wurden die vereinzelten Corps derselben von weit überlegenen Kräften unter Napoleons Führung angegriffen, und in den ruhmvollen, aber unglücklichen Tagen von Bauxchamps, Champaubert und Etoges war es neben den glänzenden Thaten der Cavallerie, namentlich unter Wrangel, nur die Standhaftigkeit von Kleist’s Infanterie, welche die Niederlage abwandte. Am Abend der Schlacht bei Laon (9. März) griff K. im Verein mit dem York’schen Corps Marmont an und sprengte dessen Corps, das bei diesem Ueberfall 36 Geschütze verlor. Vor Paris kämpfte K. (30. März) bei Villette und zog am anderen Tage mit den Monarchen als Sieger in die feindliche Hauptstadt ein. In der Erinnerung an seinen Antheil am Siege bei Culm wurde er nach dem Frieden zum Grafen K. von Nollendorf ernannt und ihm als Dotation die Domäne Stetterlingenburg bei Halberstadt verliehen. Auch wurde er in die kleine Zahl der Großritter vom eisernen Kreuz aufgenommen und zum General [127] der Infanterie befördert. Er begleitete den König nach England und erhielt dann den Oberbefehl über das dritte deutsche Bundescorps, das in den neu eroberten Provinzen am linken Rheinufer zurückblieb, mit dem Hauptquartier Aachen. In schwieriger Stellung, auch dem sächsischen Corps gegenüber, in dem eine gegen Preußen feindliche Stimmung herrschte, zeigte er die versöhnende Milde seines Charakters und sein unbestechliches Gerechtigkeitsgefühl. Im Frühjahr 1815 erkrankte er; das ihm übertragene Commando über die Truppen am rechten Ufer des Rheins mußte er deshalb wieder aufgeben. Ein Commando in der Feldarmee war ihm auch deshalb nicht übergeben worden, weil er als viel älterer General nicht unter Gneisenau stehen sollte, der thatsächlich, als Blücher’s Generalstabschef, die obere Leitung hatte. Nach dem Frieden erhielt K. das Generalcommando des vierten Armeecorps in Magdeburg. Seine zunehmende Kränklichkeit zwang ihn, 1820 seinen Abschied zu erbitten, den er als Generalfeldmarschall erhielt. Von nun an lebte er in Berlin mit seiner Familie, wurde 1822 in den Staatsrath berufen und König Friedrich Wilhelm III. hatte die Absicht, ihn 1823 zum Vorsitzenden des Staatsministeriums zu ernennen, um durch ihn, dem er volles Vertrauen schenkte, einzelnen Uebelständen aus der letzten Zeit von Hardenberg’s Verwaltung herrührend, abzuhelfen. Die allgemeinste Verehrung, deren K. sich erfreute, seine strenge Rechtlichkeit, seine wohlwollende Milde und seine Einsicht rechtfertigen diese Wahl durchaus. Aber schon am 17. Febr. 1823 entschlief der Feldmarschall nach kurzem Krankenlager und wurde in der Berliner Garnisonkirche neben seinem Ahnherrn, dem 1749 verstorbenen Feldmarschall K., beigesetzt. Er hinterließ nur einen Sohn, den verstorbenen, in Ostpreußen angesessen gewesenen Grafen Hermann v. K., Vater zweier Söhne.

Der Feldmarschall Graf K. von Nollendorf war im Privatleben wie im öffentlichen ein Mann von fleckenloser Reinheit des Charakters, wohlwollend, einfach und bescheiden, treu und herzlich. Seine großen Verdienste haben König und Vaterland dankbar anerkannt, er darf das Musterbild eines preußischen Edelmannes und Offiziers genannt werden.