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ADB:Kaufmann, Leopold

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Artikel „Kaufmann, Leopold“ von Paul Kaufmann. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 84–88, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kaufmann,_Leopold&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:07 Uhr UTC)
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Kaufmann: Leopold Ernst K., geboren in Bonn am 13. März 1821, entstammte einer alten, im städtischen und kurfürstlichen Dienste verdienten Bonner Patricierfamilie. Sein Vater Franz Wilhelm August Nepomuk Kaufmann war während der französischen Herrschaft Bürgermeister in dem bei Bonn gelegenen Adendorf gewesen. Später lebte er in Bonn litterarischen Studien, die ihn auch zu dem Weimarer Kreise in Beziehung brachten. Er starb schon früh, zwei Jahre nach der Geburt seines Sohnes Leopold. Die Vorfahren der Mutter Kaufmann’s, Josephine v. Pelzer, bekleideten einflußreiche Aemter im kurpfälzischen und kurkölnischen Dienste und im Kölner Stadtregiment. Der Großvater Kaufmann’s, der kurkölnische Geheimrath Jakob Tillmann v. Pelzer[WS 1], ist durch die Veröffentlichung von Hermann Hüffer: Rheinisch-Westfälische Zustände zur Zeit der französischen Revolution (Bonn 1873) weiteren Kreisen bekannt geworden.

Im Kaufmann’schen Elternhause war die reizvolle rheinische Cultur des 18. Jahrhunderts weiter gepflegt worden. Die Erinnerungen an die Tage der kurfürstlichen Herrschaft, in welchen sich in dem höheren Beamtenthum eine vielseitige geistige Bewegung entwickelt hatte, waren noch lebendig. Der neuen preußischen Regierung, deren strammes, bisweilen engherzig büreaukratisches Wesen von dem milden Regiment des Krumenstabes nicht wenig abstach, gelang es nur langsam, das volle Vertrauen der rheinischen Landeskinder zu erwerben. Für das geistige Leben der Rheinlande war die Errichtung der Friedrich-Wilhelm-Universität von weittragender Bedeutung. Sie brachte in die culturell aufnahmefähigen Bonner Kreise neue, werthvolle Bildungselemente. Auch in dem Kaufmann’schen Hause fanden sich die alte und neue Zeit harmonisch vereinigt. Zu dem bunten Kreise hervorragender Männer, welche die edle, feingebildete Mutter Kaufmann’s bei sich versammelte, gehörten u. a. der Universitätscurator v. Rehfues, die Professoren v. Bethmann-Hollweg, v. Münchow, E. M. Arndt, die Theologen Ignaz Ritter, Heinrich Klee und der Kunsthistoriker Ernst Förster. Auch Berthold Auerbach war häufiger Gast des Hauses. Die Mutter Kaufmann’s hat ihn zu seinen Schwarzwälder Dorfgeschichten angeregt. Eine musikalisch begabte Tante, die den Unterricht Ludwig van Beethoven’s genossen hatte, machte K. mit den Werken ihres Lehrers bekannt. Ernst v. Schiller, zweiter Sohn des Dichters, der eine nahe Verwandte Kaufmann’s geheirathet hatte, führte den Knaben in die deutsche Litteratur ein. Der ältere Bruder Kaufmann’s, der als Dichter und Bearbeiter des Cäsarius von Heisterbach bekannte Alexander Kaufmann, hatte sich den rheinischen Dichtern angeschlossen, die sich als „Maikäferbund“ um Gottfried Kinkel vereinigt hatten. Der Verkehr mit diesen frischstrebenden jungen Männern brachte auch Leopold Kaufmann [85] manche Anregung. Die geistvolle Gattin Kinkel’s hatte die musikalische Ausbildung Kaufmann’s übernommen. Durch den Verkehr mit den verwandten Malern Karl und Andreas Müller und ihren Freunden auf der Düsseldorfer Kunstakademie bildete K. sein feines Verständniß für die bildende Kunst aus, das er in späteren Jahren vielseitig zu bethätigen Gelegenheit fand. Eine nahe Beziehung zu altpreußischen Kreisen vermittelte der Pathe Kaufmann’s, der aus Fontane’s Wanderungen durch die Mark Brandenburg bekannte Graf Leopold v. Schlaberndorf aus Gröben. Er war während der Freiheitskriege schwer verwundet in dem Kaufmann’schen Hause verpflegt worden. Zwischen dem Grafen und der Familie Kaufmann hatte sich hieraus ein enges Freundschaftsverhältniß entwickelt.

Im J. 1840 bezog K. die Bonner Universität. Er schloß sich besonders an die juristischen Professoren Böcking und Walter an. Neben dem juristischen Studium wurden Musik und schöngeistige Interessen gepflegt. Die Musik brachte K. mit Franz Liszt und Felix Mendelssohn in Beziehung und führte ihm in dem späteren conservativen Politiker Andrae-Roman und dem als Componisten vielgesungener Studentenlieder bekannt gewordenen Pastor Justus Lyra neue Freunde zu. Ende 1843 bestand K. das Auscultatorexamen und begann in Koblenz, wo er auch sein militärisches Dienstjahr absolvirte, mit seinem Freunde v. Ernsthausen, dem späteren Oberpräsidenten von Westpreußen, den juristischen Vorbereitungsdienst. 1848 trat K. als einer der ersten jungen rheinischen Justizbeamten in den preußischen Verwaltungsdienst, trotzdem der durch die Entwicklung der politischen Verhältnisse tief verstimmte Graf Schlaberndorf den Uebertritt zur Regierung dringend widerrathen hatte. Alsbald nach dem Regierungsreferendarexamen im Sommer 1848 wurde K. die Verwaltung der Bürgermeisterei Unkel am Rhein übertragen. Der dortige Bürgermeister hatte der auch in den Rheinlanden die Behörden überraschenden politischen Erregung weichen müssen. K. kannte rheinische Denkungsart und wußte durch maßvolle Klugheit die Bevölkerung bald zu beruhigen. Ende September 1849 kehrte er zur Regierung nach Koblenz zurück. Im April 1850 wurde ihm die Verwaltung des Landrathsamts Zell an der Mosel übertragen. Durch sein umsichtiges und entschlossenes Verhalten bei einer im Kreise Zell geplanten Demonstration der Demokraten zog K. die Aufmerksamkeit des Ministers v. Manteuffel auf sich, der bei einem Besuch der Rheinlande im Herbst 1850 dem jungen Beamten eine aussichtsvolle Laufbahn im Staatsdienste prophezeite. Der Weg Kaufmann’s nahm aber schon bald eine andere Wendung.

Im October 1850 wurde K. fast einstimmig zum Bürgermeister seiner Vaterstadt Bonn gewählt. Nachdem er noch an der Mobilmachung des Jahres 1850 theilgenommen, wurde er am 10. Mai 1851 in sein neues Amt eingeführt. Er hat es bis zum Jahre 1875 bekleidet. Sein Wirken in dieser Stelle zeigte die Durchführung eines klaren, den Verhältnissen der Gegenwart sowie den berechtigten Rücksichten auf die Zukunft der Stadt entspringenden Programms. Es galt, mit bescheidenen Mitteln möglichst viel zu leisten. Das Armenwesen und die Schulfrage lagen K. besonderes am Herzen. Auch die würdige Ausgestaltung des schönen Bonner Friedhofs beschäftigte ihn lebhaft. Der Errichtung kunstvoller Grabdenkmäler und der würdigen Erhaltung der Gräber großer Todten galt seine Sorge. An erster Stelle seien genannt die Ruhestätten der Gattin Friedrich v. Schiller’s und Robert Schumann’s. Fortdauernde Aufmerksamkeit widmete K. der Pflege der Musik in der Stadt Bonn. Seiner Initiative waren auch das große Musikfest zu Ehren des hundertjährigen Geburtstages Beethoven’s im J. 1871 und die [86] Schumannfeier im J. 1873 zu danken. Eine sorgsam ausgewählte Bibliothek, gute Hausmusik, eine kleine, aber vortreffliche Sammlung Dürer’scher Holzschnitte und alljährliche Reisen boten K. Erholung nach seinen Amtsgeschäften. Eine Quelle vielseitiger Anregung bot ihm auch das meist aus Mitgliedern der Universität bestehende Bonner „Freundeskränzchen“. Die Professoren Dahlmann, Welcker, Bluhme und v. Bethmann-Hollweg hatten zu den Gründern dieser Vereinigung gehört. Die Vorträge, welche K. in diesem Kreise hielt, betrafen Gegenstände der Kunst, der rheinischen Geschichte und Schulfragen. Sie zeichneten sich durch sorgfältige Ausarbeitung und künstlerische Form besonders aus.

Die politischen Kämpfe der Conflictszeit haben auch im Leben Kaufmann’s ihre Spuren zurückgelassen. Die Nothwendigkeit der Reorganisation der Armee kannte er an, dagegen nicht die Art und Weise ihrer Durchführung. Er gehörte deshalb auch zu den „verfassungstreuen“ Mitgliedern des Herrenhauses, welche in der Sitzung vom 11. October 1862 gegen den Antrag des Grafen Schwerin stimmten, den Staatshaushaltetat für 1862 in der ursprünglich an das Herrenhaus gelangten Fassung anzunehmen. Andererseits trat er dem Versuch der Fortschrittspartei, das Arndtfest in Bonn im Juli 1865 zu einer Kundgebung gegen die Regierung zu benutzen, mit Entschiedenheit entgegen. Die Presse beschäftigte sich damals lebhaft mit dem – energischen, aber loyalen – Vorgehen des Bonner Oberbürgermeisters. Der deutsch-französische Krieg gab K. Gelegenheit zu ausgedehnter Bethätigung patriotischer Gesinnung. In Bonn wurde damals ein wahrer Wettstreit an außerordentlicher Opferwilligkeit entwickelt.

Im Elternhause Kaufmann’s hatte volle religiöse Duldsamkeit geherrscht, wie es bei dem feingebildeten rheinischen Beamtenstand jener Zeit meistens der Fall war. Die Religion war überwiegend als Herzenssache betrachtet worden, während die dogmatische Grundlage mehr zurücktrat. Später hat sich bei K. der Sinn für kirchliches Leben vertieft. Der Geist der Duldsamkeit aber, welchen ihm das Elternhaus mitgegeben, die Kunst mit Menschen zu verkehren, die religiös auf entgegengesetztem Standpunkte stehen, die Weisheit, tolerant zu sein, ohne indifferent zu werden, haben K. für sein ganzes Leben geziert. In den Kämpfen um das Vaticanum, für die neben München Bonn ein Hauptplatz wurde, und in welchen mehrere nahe Freunde Kaufmann’s, besonders der Universitätsprofessor Dieringer im Vordergrunde standen, beobachte K. eine zurückhaltende Stellung. Im Juli 1874 wurde er von dem Bonner Stadtrath zum dritten Male einstimmig für zwölf Jahre als Oberbürgermeister wiedergewählt. Der Kampf des Staats mit der Kirche war inzwischen lebhaft entbrannt. In Bonn zweifelte man nicht an der Bestätigung Kaufmann’s, der trotz seines kirchlich gerichteten Wesens als bewährter, königstreuer Beamter geschätzt war. Auch der zuständige Regierungspräsident hatte die Bestätigung der Wahl höheren Orts beantragt. Nach halbjährigem Warten wurde K. im Auftrage des Ministers des Innern zu einer Erklärung über seine Stellung zu dem kirchenpolitischen Conflict aufgefordert. Im Verlaufe der Besprechung mit den Kölner Regierungsvertretern wurde K. die Frage vorgelegt, ob er die Nothwendigkeit des kirchenpolitischen Kampfes und die Gerechtigkeit der dieserhalb erlassenen Gesetze anerkenne. Diese Frage vermochte er nicht zu bejahen. Er fügte aber hinzu, daß er in seinem Amte die Gesetze ausführen werde, auch wenn er mit ihrem Inhalt nicht einverstanden sei, solange als er dabei mit seinem Gewissen und seiner Ehre nicht in Conflict kommen würde. Auf die weitere Frage, ob er die Gesetze auch gerne durchführen würde, verweigerte K. eine Antwort. Am 8. Mai 1875 [87] wurde der Wiederwahl Kaufmann’s die Bestätigung versagt. Das Bekanntwerden der im Juli 1875 im Abgeordnetenhause eingebrachten Interpellation Windthorst’s über den „Fall K.“ führte zu heftigen Angriffen und Verdächtigungen gegen den früheren Oberbürgermeister. Seine harmonische Natur verlor auch jetzt nicht ihre Fassung. „Sie wissen“, schrieb er damals an. Gottfried Kinkel, „wie tolerant und wahrhaft freisinnig wir hier am Rhein aufgewachsen sind“. Die Absicht, im politischen Leben weiterhin eine Rolle zu spielen oder eine persönliche Gereiztheit über seine Nichtbestätigung lagen K. fern. Sein Gerechtigkeitssinn aber, welcher die Rechte der Katholiken Preußens durch die Culturkampfgesetzgebung als verletzt erachtete und der Wunsch, für seinen Theil mitzuwirken, diese für Staat und Kirche gleich unerfreulichen Zustände zu beseitigen, bestimmten ihn Ende 1876 ein Mandat zum preußischen Abgeordnetenhaus zu übernehmen. K. trat der Zentrumsfraction bei, zu deren versöhnlichen Elementen er stets gehört hat. Den Schwerpunkt seiner parlamentarischen Thätigkeit verlegte K. in die Commissionsarbeiten. Er war viele Jahre als Vorsitzender der Gemeindecommission durch sein reiches Wissen, seine geschäftliche Gewandheit und sein besonnenes Urtheil geschätzt. Im Plenum ergriff er wiederholt über Fragen der Kunst das Wort. „Die staatlichen Kunstinstitute fanden bei ihm stets verständnißvolle Förderung. Während der Parlamentszeit Kaufmann’s war die Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland ins Leben getreten. Neben Professor v. Hertling und dem späteren Kölner Erzbischof Professor Simar war K. an der Gründung dieser Gesellschaft hauptsächlich betheiligt. Für die Görresgesellschaft hat K. 1881 eine Monographie über Albrecht Dürer verfaßt, die 1887 mit reichem Bilderschmuck Versehen in zweiter, erweiterter Auflage erschien. Eine Reihe culturgeschichtlicher Aufsätze veröffentlichte K. 1884 unter dem Titel: „Bilder aus dem Rheinland“. Es waren gleichsam duftige Aquarellblätter voll Gemüths, scharfer Beobachtungsgabe und Verständniß für die Seele der rheinischen Heimath. Auch dem Historischen Verein für den Niederrhein, dem Sammelpunkt der localhistorischen Bestrebungen im Rheinlande, sowie der von Domcapitular Schnütgen gegründeten Zeitschrift für christliche Kunst stand K. nahe. Eine zweite Vereinsschrift für die Görresgesellschaft lieferte er im J. 1891: „Philipp Veit, Vorträge über Kunst“.

Bei den Neuwahlen zum Abgeordnetenhause im J. 1888 nahm K. ein Mandat nicht mehr an, um sich ungestört seinen Studien und der Förderung eines alten Lieblingsplanes, der stilgerechten Wiederherstellung der Bonner Münsterkirche, widmen zu können. K. war seit 1855 mit Elisabeth Michels, der Tochter des als Förderer des Gesellenvaters Adolph Kolping und Gründer des St. Marienhospitals in Köln verdienten Kölner Großkaufmanns Peter Michels verheirathet. Mit dieser geistig angeregten treuen Lebensgefährtin erfreute sich K. eines durch körperliche Beschwerden des Alters kaum getrübten sonnigwarmen Lebensabends in nie ermüdender Sorge für seine Kinder, bei seinen Kunstwerken und Büchern und im stillen Sinnen in der Vergangenheit. 1892 unternahm K. mit seiner Gattin und seinem Jugendfreunde, dem Maler Professor Karl Müller aus Düsseldorf, seine letzte Studienreise nach Italien. Die Aufzeichnungen, welche K. in diesen Jahren über seine Lectüre machte, gehören zum Reifsten, was er geschrieben. Neben kunstgeschichtlichen Werken bevorzugte er besonders die italienische Litteratur. Ende Januar 1898 erkrankte K. an einer Lungenentzündung, der er am 27. Februar 1898 erlag. Noch wenige Tage vor seinem Tode hatte er am Schreibtisch gesessen, auf dem man später Kaufmann’s letzte Niederschrift fand. Es waren einige Verse des von ihm besonders verehrten Uhland:

[88] O Sonn’, o ihr Berge drüben,
O Feld und grüner Wald,
Wie seid Ihr so jung geblieben
Und ich bin worden so alt!

Leopold Kaufmann, Oberbürgermeister von Bonn. Ein Lebensbild von Dr. Franz Kaufmann. Köln 1903. – Leopold Kaufmann, Oberbürgermeister von Bonn. Ein Zeit- und Lebensbild von Rhenanus. Wissenschaftliche Beilage zur Germania Nr. 35, Jahrgang 1903. – Von vergangener deutscher Cultur. Von Professor M. Spahn. Der Tag Nr. 415, Jahrgang 1903. – Zur Geschichte der Familien Kaufmann aus Bonn und v. Pelzer aus Köln. Von Dr. Paul Kaufmann. Bonn 1897. – Aus den Tagen des Kölner Kurstaats. Von Dr. Paul Kaufmann. Bonn 1904.
Paul Kaufmann.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist wahrscheinlich Johann Tilman von Peltzer.