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ADB:Judith

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Artikel „Judith, zweite Gemahlin Kaiser Ludwigs des Frommen“ von Bernhard von Simson in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 655–658, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Judith&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:40 Uhr UTC)
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Judith, zweite Gemahlin Kaiser Ludwigs des Frommen, welcher sich mit ihr nach dem im October 818 erfolgten Tode seiner ersten Gattin Irmingard im Winter 818/819 (nach einer Nachricht, im Februar 819) zu Aachen vermählte. Sie war die Tochter des Grafen Welf aus dem alten Hause der Welfen; ihre Mutter Eigilwich, welche später als Wittwe die Abtei Chelles bei Paris erhielt, gehörte einem vornehmen sächsischen Geschlechte an. Ihre Brüder hießen Konrad und Rudolf; ihre Schwester Hemma vermählte sich 827 mit ihrem jüngsten Stiefsohne Ludwig. – Es war wol hauptsächlich ihre überall einstimmig gepriesene, außerordentliche Schönheit, durch welche J. die Wahl des Kaisers, der eine große Anzahl von Töchtern edler Häuser bei der Brautschau in Augenschein genommen hatte, auf sich lenkte. Diese Schönheit wurde dadurch noch anziehender und bestrickender, daß sich mit ihr Anmuth, Liebreiz und Neigung zu Frohsinn und Scherz verbanden. Die Kaiserin war aber auch eine geistig hervorragende Frau, lebhaft und aufgeweckt, voll Sinn für Wissenschaft und Kunst und von ungewöhnlicher Bildung. Wir erfahren z. B., daß sie die Orgel spielen konnte, und die Förderung, welche Karl der Große wissenschaftlichen Bestrebungen hatte [656] angedeihen lassen, fand, soweit wir sehen können, weit mehr durch sie als durch ihren schwachen und trüben Gemahl eine Fortsetzung. Zum großen Theil lag die Veranlassung hierzu für J. auch in ihrer eifrigen Fürsorge für die Erziehung ihres Sohnes. So kam der Dichter Walahfrid Strabo in ihre Dienste, welcher an der Unterweisung Karls theilnahm und von der schönen und geistvollen Frau in hohem Grade angezogen worden zu sein scheint. Bischof Frechulf von Lisieux dedicirte der Kaiserin den zweiten Theil seiner Weltchronik, damit sie dieselbe zum Unterricht ihres Sohnes verwende. Raban widmete ihr seine Commentare zu den Büchern Judith und Esther. Auch Servatus Lupus trat zu ihr in nähere Beziehungen. – Von der größten Bedeutung wurde Ludwigs zweite Ehe aber für die Geschicke des Frankenreichs. Der beherrschende Einfluß, welchen J. nach der Natur beider Persönlichkeiten auf den Kaiser gewinnen mußte, drückt sich auch in den Urkunden, namentlich in späterer Zeit aus, in den Gunstbeweisen, welche sie erwirkte oder selbst empfing. So erhielt sie die Abtei St. Salvatore in Brescia. Man wandte sich an sie auch in politischen oder kirchlichen Angelegenheiten. Am 13. Juni 823 gebar die Kaiserin zu Frankfurt a. M. Karl (den „Kahlen“), nachdem sie ihren Gemahl, wie es scheint, schon früher mit einer Tochter, der nachmals mit dem Markgrafen Eberhard von Friaul verehelichten Gisla, beschenkt hatte. Wenn nun hiermit, um an ein Wort von Leibniz anzuknüpfen, eine verzehrende Fackel im Reiche der Franken entbrannte, so lag die Schuld daran nur halb an J., zur anderen Hälfte an den verhängnißvollen Umständen. Durch das Reichstheilungs- und Hausgesetz vom J. 817 war über das Reich und seine Zukunft verfügt; man darf es aber als natürlich anerkennen, daß die Kaiserin trotz dieses Gesetzes ihrem Sohne neben seinen Stiefbrüdern aus Ludwigs erster Ehe einen Antheil am Reiche zu verschaffen suchte. Zum entschiedenen Vorwurf gereicht ihr jedoch die ebenso hartherzige als ränkevolle Art und Weise, in der sie dies Ziel auf Kosten ihrer jüngeren Stiefsöhne verfolgt hat. J. hegte nämlich anfangs den Wunsch und kam auf diesen Gedanken trotz aller Wechselfälle und wiederholten Empörungen Lothars auch immer wieder zurück, in dem ältesten ihrer Stiefsöhne einen Beschützer und Verbündeten ihres Sohnes zu gewinnen. Deshalb machte man jetzt Lothar zu Karls Pathen und bewog ihn sich durch einen Eid zu verpflichten, daß er in die Ueberlassung eines Reichstheils an Karl willigen und denselben in dessen Besitz schützen wolle. Aber sogleich, nachdem dem erst 6jährigen Karl auf dem Wormser Reichstage im J. 829 ein solcher Antheil (Alamannien nebst dem Elsaß, Currätien und einem Theile von Burgund) vom Vater verliehen worden war, kam es zum Bruch. Die Stiefbrüder Karls waren darüber erbittert, auch Lothar, der jetzt unter der Kaiserin feindlichen Einflüssen stand. Es waren zwei früher mächtige Große, Graf Matfrid von Orleans und Graf Hugo von Tours, Lothars Schwiegervater, welche aus dem Grunde oder vielleicht auch nur unter dem Vorwande eines durch ihre Saumseligkeit und Muthlosigkeit schimpflich verfehlten Zuges nach der spanischen Mark abgesetzt worden waren und Lothar nun zum Werkzeuge ihrer Rache erkoren. Auch schien man schon befürchtet zu haben, daß die letzten Absichten der Kaiserin dahin zielen möchten, ihren Sohn zum eigentlichen Nachfolger ihres Gemahls zu machen. Lothar wagte zwar noch nicht offen sein Gelöbniß zurückzunehmen und dem Geschehenen zu widersprechen, aber man fand sich doch veranlaßt, ihm die Mitregentschaft, welche ihm seit einigen Jahren auf Grund des Gesetzes von 817 eingeräumt war, zu entziehen und ihn wieder nach Italien zu schicken, vielleicht in der Absicht, ihn künftig auf dies Unterkönigreich zu beschränken. Da der Hof indessen bei der wachsenden Gährung unter den Großen und den immer greller hervortretenden allgemeinen Mißständen im Reiche durchaus einer kräftigen Stütze bedurfte, so wurde der Graf Bernhard von Barcelona [657] als Kämmerer an denselben berufen. Dies Amt war mehr nur die Form, unter welcher Bernhard die Zügel des Reichs übernehmen sollte; auch die Obhut über den jungen Karl wurde ihm übertragen. Allein die Hoffnungen, welche J. auf den kecken Grafen gesetzt, wurden vollkommen getäuscht; Bernhard’s unbesonnenes und rücksichtsloses Auftreten diente vielmehr nur dazu, alsbald die offene Empörung herbeizuführen. Die Gegner haben Bernhard und J. überdies eines ehebrecherischen Verhältnisses geziehen – eine Beschuldigung, welche die ihr entgegengesetzten entschiedenen Ableugnungen zwar nicht widerlegen, die aber auch keineswegs als sichere Thatsache gelten darf. Andere Behauptungen gehen insofern noch weiter, als sie die Kaiserin beschuldigen, ihrem Gemahl, als dieser alterte, vielfach untreu geworden zu sein, während selbst von dieser Seite zugestanden wird, daß ihr Verhalten während der ersten Zeit der Ehe zu keinem Tadel Anlaß gegeben habe. Bei der Empörung im J. 830 wurde J. in ein Kloster in Poitiers gesperrt; auch ihren Brüdern erging es ähnlich. Nachdem jedoch Ludwig die Herrschaft wieder gewonnen hatte, legte sie auf dem Aachener Reichstage im Februar 831, wo kein Kläger gegen sie aufzutreten wagte, den Reinigungseid ab und wurde in ihre Rechte als Gattin und Kaiserin wiedereingesetzt, da Papst und Bischöfe entschieden hatten, daß ihr erzwungener Eintritt ins Kloster dem nicht entgegenstehe. Namentlich von jetzt an, wo Judith’s alter Einfluß sich von Neuem und sogar in gesteigertem Grade geltend machte, sehen wir die Politik des Kaisers gegen seine beiden jüngeren Söhne aus erster Ehe gerichtet; besonders gegen Pippin, welcher an der Empörung von 830 den Hauptantheil gehabt hatte und wol auch nach Persönlichkeit und Machtstellung die wenigste Rücksicht zu erfordern schien. Man suchte sich der Person und des Reichs desselben zu bemächtigen, Aquitanien wurde (832) an Karl verliehen, aber das damalige Unternehmen gegen Pippin endigte kläglich. Bei der großen Katastrophe vom J. 833 auf dem „Lügenfelde“ bei Colmar wurde die Kaiserin zuerst nach den Zelten des jüngeren Ludwig gebracht, dann nach Tortona in Italien in Gefangenschaft geschleppt, jedoch im folgenden Jahre von den Anhängern des Kaisers, die Grund hatten zu fürchten, daß ihr Leben von den Feinden bedroht sei, befreit. Walahfrid schildert in einem sehr anziehenden Gedichte, wie ein gewisser Ruodbern mit größter Hingebung unter vielen Schwierigkeiten und Gefahren heimlichen Verkehr zwischen der gefangenen Fürstin und ihrem Gemahl vermittelte und ihre Befreiung vorbereitete. Dann ließen der Bischof Ratold von Verona (der seine Treue gegen den Kaiser schon bei einer früheren Gelegenheit bewährt hatte), der Markgraf Bonifacius von Tuscien, Pippin, ein Sohn des Königs Bernhard von Italien u. A. die Kaiserin befreien und brachten sie nach Aachen in die Arme ihres Gemahls –, „ein erwünschtes Geschenk“, wie der Geschichtschreiber Nithard sich ausdrückt. Im J. 837 wagte man Karl wieder einen Reichstheil zu überweisen, welcher die gesegnetsten Provinzen umfaßte. Während dann dem jüngeren Ludwig der größte Theil seiner Länder abgesprochen wurde, Karl nach seiner Wehrhaftmachung auch noch die Herrschaft in einem Theile Neustriens erhielt und Pippin gegen Ende des J. 838 starb, erfolgte 839 zu Worms die schon früher angebahnte, aber wieder rückgängig gewordene Aussöhnung mit Lothar und damit die vollständige Rückkehr zu Judith’s alter Politik, welche durch die Theilung des Reichs (mit Ausnahme von Baiern) zwischen Lothar und Karl besiegelt wurde. Auch Aquitanien mit seinen Nebenländern war hiermit wieder Karl zugewiesen worden und J. begleitete nebst ihrem Sohn den Gemahl, als derselbe nach Aquitanien zog, um seinen Enkel Pippin II. dieses Reiches zu berauben. Der Kaiser sandte beide nach Poitiers voraus, während er sich vergeblich bemühte die Anhänger Pippin’s zu unterwerfen und sich dann ebenfalls zum Winter nach jener Stadt zurückzog. Als ihn im [658] nächsten Jahre die abermalige Erhebung Ludwigs des Deutschen trotz seiner Krankheit zu einem neuen Zuge gegen denselben nöthigte, ließ er die Kaiserin und Karl mit einer Heeresabtheilung in Poitiers zurück. So war J. von ihm fern, als er am 20. Juni 840 auf der Rheininsel bei Ingelheim starb. In dem Kriege zwischen den Söhnen Ludwigs des Frommen tritt die Kaiserin noch einmal hervor; sie stieß im Sommer 841 vor der Schlacht bei Fontenoy mit den nördlichen Aquitaniern in Chalons an der Marne zu Karl. Sie starb am 19. April 843 zu Tours und wurde auch dort im Martinskloster bestattet. Ihr Ende war kummervoll; es macht einen tragischen Eindruck, wenn man liest, daß diese Mutter, deren Leben aus rastlosen Bestrebungen und schweren Leiden um ihres Sohnes willen bestanden hatte, zuletzt von eben diesem Sohne all ihres Besitzes beraubt worden war, mochte derselbe das auch nur aus Noth gezwungen gethan haben.

Simson, Jahrbücher des fränkischen Reichs unter Ludwig dem Frommen, I. II. Leipzig 1874, 1876. Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reichs, I. Berlin 1862. Ebert, Allgem. Geschichte der Litteratur des Mittelalters im Abendlande, II. Leipzig 1880.