ADB:Josel, Josef (1. Artikel)
[WS 1] „der Schreiber“ nennt sich am Schlusse des Prologs zu einer in jüdisch-deutschen, öfters nur bis zu Assonanzausklang gediehenen Reimversen unternommenen Bearbeitung des auf Wirnt’s von Grafenberg (A. D. B. IX, 562) „Wigalois“ (um 1212) fußenden Volksbuchs der Vertreter dieses Textes vor der Oeffentlichkeit, und er wird, vermöge des voraufgehenden Ausdrucks „gestelt durch“ von den Litterarhistorikern außer W. Wackernagel auch als Verfasser angesehen. Die Entstehungszeit ist in keiner Hinsicht positiv festzulegen, jedoch Koberstein’s Datierung auf das Ende des 17. Jahrhunderts wol zu spät gegriffen, vielmehr dessen Mitte wahrscheinlich, während die Grundform ins 16. zurückreichen dürfte. Der genaue Titel lautet: „Ein schön Maase [in einer Fußnote dazu: ‚Geschicht‘] | Von König Artis Hof. | Wie er sich in seinem Königreich hat thun führen. | Und was er hat gehat vor Manieren. | Und von dem berühmten | Ritter Wieduwilt | dem streitbahren Held | Gar schön in Reim gestelt. Wann ihr wert drinnen leyen [= lesen] | Wert sich euer Hertz erfreuen.“ Bisher ist das Werk, das von Germanisten zuerst G. F. Benecke’s Ausgabe des Original-Wigalois (1819) S. XXIX ff. beachtete, nur aus Joh. Christ. Wagenseil’s „Belehrung der jüdisch-teutschen Red- und Schreibart“ (Königsberg 1699) S. 157–302, bekannt, und daraus wurde der Text in den „Erzehlungen aus dem Heldenalter teutscher Nationen“ (Danzig 1780) S. 375–509 wiederholt. Auf S. 149 des Wagenseil’schen wenig kritisch angelegten Compendiums steht als Haupttitel: „Jüdischer Geschicht-Roman | von dem grossen König ARTURO in Engelland | und dem tapffern Helden Wieduwilt“, worauf S. 151–156 eine Einleitung Wagenseil’s über die Artussage, eine verständnißlose Compilation, folgt, die über unser Gedicht und seine Vorgeschichte kein Wort verliert. Dann steht der Text S. 158–292 auf den geraden Seitenziffern in nichtvocalisirten hebräischen, S. 159–291 auf den ungeraden und S. 293–302 sämmtlich in deutschen Typen. Eine Vergleichung dieser Ummodelung mit dem mittelhochdeutschen [664] Urtext, wozu Friedrich Zarncke in seinem Colleg über die ältere deutsche Litteratur regelmäßig aufforderte, fehlt noch. Die Sprachform weist auf eine Zeit nicht später als den Anfang des 17. Jahrhunderts; specifisch Jüdisch-Deutsches fällt außer den einzelnen, meist anmerkungsweise, und zwar doch wol von Wagenseil, erläuterten Ausdrücken des Prologs (S. 159) und des Schlusses (S. 302) nirgends auf. Letzterer geht aus: „Damit hat das Buch ein End | Daß uns GOtt Méschiach [Fußnote: den Messiam] send. Binchéra [Fußnote: bald] Omen [Fußnote: Amen]“, womit der Ursprung aus jüdischer Feder besiegelt ist.
Witzenhausen: Josel (= Joseph) W.Der Bearbeiter war eben zweifellos ein Jude, namens Josel, für die in volksmäßigem Zuschnitt verballhornte mittelhochdeutsche Epik von der Theilnahme erfüllt, die bei seinen litterarisch interessirten Glaubensgenossen seit dem Mittelalter vielfach zu beobachten ist, und als er ohne schriftstellerische Prätension vor die Oeffentlichkeit trat, fügte er, gleich den allermeisten Israeliten noch ohne Geschlechtsbezeichnung, den Namen seines Geburts- und Heimaths (oder Wohn-)-ortes dem Vornamen hinzu, so wie noch ein Jahrhundert danach Moses Mendelssohn in Berlin anfänglich Moses Dessau hieß (s. A. D. B. XXI, 316); daher eigentlich Josel von Witzenhausen. Wenig früher als Josel begegnet man christlichen Stadtbürtigen sogar akademischen Ranges, die nach derselben Heimath heißen: ‚Wilhelmus Witzenhausen vonn Witzenhausenn‘, im „Wittenberger Ordiniertenbuch 1537–1560. Veröffentlicht von Georg Buchwald“ (1894) S. 34 Nr. 532, unter 19. Sept. 1543 (vgl. ebd. Nr. 425 u. 1291). Das Städtchen, jetzt zum preußischen Regierungsbezirk Kassel gehörig, liegt im nördlichen hessisch-thüringischen Grenzgebiete, am Eichsfeld, ziemlich genau westlich von dem Hauptort des letzteren, Heiligenstadt; bis Hohengandern und Blickershausen im Kreise Witzenhausen reichen die nordwestlichsten Ausläufer des Thüringischen, und die Sprachgrenze geht auf der Hamfirste westlich von Witzenhausen (L. Hertel, Thüringer Sprachschatz, 1895, S. 10 f. u. 31), Umstände, die bei genug vorliegenden gesicherten Materialien aus älterer Zeit sprachlich das merkwürdige Litteraturdenkmal nach Zeit und Gegend bestimmen ließen. Josel kann sehr wol Witzenhäuser sein; die dortige Judengemeinde, nach neuester Volkszählung nur 130 Seelen unter 3240, ist alt und bis heute durch Strenggläubigkeit und Bildungstrieb ausgezeichnet. M. Steinschneider in Ersch-Gruber’s Encyklopädie II, 27, 458 bemerkt: „Vollständige Bibeln lieferten für bedeutendes Honorar des amsterdamer Druckers Athia: Jakutiel Blitz (1676–79) und Josel Witzenhausen (1679), welcher die den Christen anstößigen Stellen und dergleichen in der Uebersetzung des Vorigen (unter Mitwirkung des Bibliographen Sabbatai Baß) verbesserte“.
Zu Josel und seinem Werke vergleiche man: v. d. Hagen u. Büsching, Grundriß z. Gesch. d. dtsch. Lit. S. 144; v. d. Hagen, Gesamt Abenteuer I, p. XXII; Wackernagel-Martin, G. d. d. L. II, 42, § 96 A. 2; Koberstein’s Grundriß5 II, 167 § 209 A. 2. Edward Schröder hat 1891 in einer Sitzung der Marburger Gruppe des Hessischen Geschichtsvereins auf den in Wagenseil’s Handbuch (worüber er sich A. D. B. XL, 482 f. aussprach) eingereihten Roman aufmerksam gemacht, aber nicht die darüber aus den Sitzungsprotokollen in die „Mittheilungen des Hanauer Bezirksvereins des Vereins für hess. Gesch.“ XXXI, gelangte Notiz veranlaßt, wie er mir auf Anfrage mittheilt und ich eigens hervorhebe, weil der wiederum im Anschluß daran, aber ohne Autopsie entstandene Vermerk von J. Elias i. d. Jhrsbericht. f. neuere dtsch. Litteraturg. II. Bd., III, 3, 9 ohne weiteres das 16. Jahrhundert ansetzt: ein Auszug aus der Notiz Ztschrft. Euphorion I, 179; dagegen bietet ein „Lückenbüßer“, E. Schröder’s Ztschrft. f. dtsch. Alterthum 38, 111, wonach Vermerk im Jhrsbericht. über d. Erschngn. auf d. Gebiete d. germ. Philol. XVI, S. 294 [665] Nr. 235, guten Hinweis auf das Interessante der Erscheinung, und es ist daneben verwunderlich, daß Schröder Vrtljhrsschr. f. Litteraturg. V, 486 und 488 beim Erwähnen des Wigalois-Volksbuchs und seiner Neuausgaben von 1653 und 1664 des ehrsamen „Schreibers“ Josel W. nicht gedenkt. Ueber den Ort Witzenhausen s. Fritz Regel, Thüringen, I, 9, 13, 20, 56, 80, 300; II, 18, 188, 621, 628. Bei Rosenberg, Ueber Smlg. deutscher Volks- und Gesellschaftslieder in hebr. Lettern (Berlin. Dissertat. 1888) S. 7 (= Ztschr. f. Gesch. der Juden in Dtschld. II, 234) Anm. 2 heißt es ohne W.’s Namen: „Sehr beliebt und weitverbreitet war ‚König Artus Hof‘, dessen Stoff dem Wigalois des Wirent von Grafenberg entnommen ist. Eine der Fassungen dieses jüdisch-deutschen Epos ist zuerst für weitere Kreise bekannt gemacht worden durch Wagenseil in der ‚Belehrung der Jüdisch-deutschen Red- und Schreibart‘ (Königsberg 1699)“; vgl. meine Bemerkungen Litterbl. f. germ. u. rom. Philol. XI, 367, sowie „Dtsch. Volksldr. a. Oberhessen“, h. v. Böckel S. CXVI u. CLXI. – Nicht zu verwechseln ist Joseph Witzenhausen, Mitarbtr. an M. Mendelssohn’s Ztschr. „Der Sammler“ (Winter u. Wünsche, D. jüd. Litt. s. Abschl. d. Kanons III, 860).
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Über diese Person existiert in Band 50 ein weiterer Artikel.