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ADB:Holtzmann, Adolf

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Artikel „Holtzmann, Adolf“ von Wilhelm Scherer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 16–18, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Holtzmann,_Adolf&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:44 Uhr UTC)
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Holtzmann: Adolf H., Linguist und Germanist, geb. am 2. Mai 1810 zu Karlsruhe, wo sein Vater Professor am Lyceum war, † am 3. Juli 1870 als Professor der deutschen Litteratur und des Sanskrit an der Universität Heidelberg. Er studirte zuerst, seit 1828, Theologie in Halle und Berlin, wohin ihn Schleiermacher zog; bestand im Juni 1831 in Karlsruhe das theologische Examen und wurde Vicar in Kandern. Aber sein Sinn stand auf Sprachwissenschaft. Mit Staatsunterstützung studirte er seit 1832 von neuem, hörte in München Sanskrit bei Othmar Franck, arbeitete unter Schmeller’s Leitung auf der Bibliothek und besuchte in Paris die Vorlesungen von Eugène Burnouf. Eine beabsichtigte Reise nach England wurde dadurch vereitelt, daß ihn Großherzog Leopold von Baden im November 1837 als Erzieher der Prinzen Karl und Wilhelm berief. Die Professur in Heidelberg erhielt er 1852. Seine wissenschaftlichen Leistungen sind von sehr ungleichem Werthe. Die Abhandlung über den griechischen Ursprung des indischen Thierkreises (Karlsruhe 1841), griff mit Erfolg in die schwierigen chronologischen Fragen der indischen Litteraturgeschichte ein. Auch an der Entzifferung der persischen Keilinschriften hat er sich mit Glück betheiligt („Beiträge zur Erklärung der persischen Keilinschriften“, erstes Heft, Karlsruhe 1845 und Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, 1851–54). Seine „Indischen Sagen“ (Karlsruhe 1845–47, zweite Aufl. Stuttgart 1855), poetische Uebersetzungen aus den indischen Epen, sind eine geschmackvolle, vortreffliche Arbeit und verdienten auch als Beiträge zu einer Kritik dieser Epen Beachtung, aber ein Aufsatz „Vyâsa und Homer“ aus dem J. 1852 (Zeitschr. f. vgl. Sprachf., Bd. I.) kündigte auf Grund einer unmöglichen [17] Etymologie, durch welche der griechische Homeros dem indischen Abstractum samâsa „Zusammenfassung“ gleichgestellt wurde, der ganzen neueren Theorie des Epos Krieg an. In der indogermanischen Urzeit sollten die Epen auf der gemeinschaftlichen Arbeit von Sängern und Gelehrten beruht haben: Sängern, die einzelne Stücke aus dem Sagenschatze herausgriffen; Gelehrten, welche den Zusammenhang des Sagenschatzes bewahrten. Und Epen, wie das Nibelungenlied und die Ilias, sollten sich bei vorurtheilsloser Betrachtung nicht als größere Gebilde aus früheren kleineren Bestandtheilen, sondern als kleinere Ueberreste früherer größerer und vollkommenerer Werke zu erkennen geben. Dieser wissenschaftliche Traum setzte sich in den „Untersuchungen über das Nibelungenlied“ (Stuttgart 1854) fort, welche die Art von Kritik am Nibelungenlied bekämpfen wollten, die der Verfasser selbst am indischen Epos geübt hatte. H. gebrauchte dabei den Kunstgriff, die kritische Frage in eine bloße Handschriftenfrage zu verwandeln und versuchte diese mit höchst mangelhafter sprachlicher und methodischer Vorbereitung einem gewiegten Kenner wie Lachmann gegenüber im Handumdrehen zu lösen. Der Werth des Buches stand in keinem Verhältnisse zu dem siegesgewissen Tone, mit dem es auftrat, und zu dem tendenziösen Beifalle, den es fand. Es genügt jetzt, das unter gleichem Titel erschienene Werk von Karl Bartsch zu vergleichen, um zu sehen, daß sich von Holtzmann’s Schrift nichts, aber auch gar nichts als bleibendes wissenschaftliches Resultat bewährt hat und daß man ihm im besten Falle nur das Verdienst zuschreiben kann, eine Anregung zu erneuerter Diskussion gegeben zu haben. Als geschickter und gewandter, nur allerdings nicht vornehmer Schriftsteller bewährte sich H. übrigens auch bei dieser Gelegenheit, namentlich in der Broschüre: „Kampf um der Nibelunge Hort gegen Lachmann’s Nachtreter“ (Stuttgart 1855). In der Frage selbst war er völlig verblendet, glaubte einen Kampf der Freiheit gegen die Unterdrückung, einen Kampf der Productivität gegen die Sterilität zu führen und besann sich schließlich nicht mehr auf die elementaren Gewohnheiten philologischer Technik, so daß ihm die Aufnahme von Lachmann’s Conjecturen in den Text des Nibelungenliedes als eine Art Verbrechen erschien („Germania 7, 196). Er selbst hat das Gedicht 1857 und in einer Schulausgabe 1858 und 1863, die zugehörige „Klage“ 1859 herausgegeben. In seiner Ausgabe des „Großen Wolfdietrich“ (Heidelberg 1865) verkannte er das Verhältniß der Handschriften ebenso wie die kritisch herstellbare ältere Sprachform. Seine Versuche, den heil. Pirminius zu einem althochdeutschen Schriftsteller zu machen und den Dichter des Annoliedes zu entdecken (Germania 1, 470; 2, 1–48) sind gescheitert. Seine Schrift „Kelten und Germanen“ (Stuttgart 1855) wollte diese Völker als identisch erweisen und war so haltlos, daß sie keiner Widerlegung bedurfte. Willkürliche Combinationslust und Sucht nach Paradoxien, großer Glaube an den eigenen Scharfsinn und seltene Abhängigkeit von uncontrollirten Vorurtheilen haben ihn wiederholt auf Irrwege geführt. Auch seine Arbeiten über deutsche Grammatik sind nicht frei von Paradoxien. Und auch diese hat er hartnäckig festgehalten. Aber dennoch liegt auf diesem Gebiete seine eigentliche Bedeutung für die deutsche Philologie. Seine Ausgabe des althochdeutschen Isidor (Carolsruhae 1836), seine kleinen Schriften über den Umlaut (1843) und über den Ablaut (1844), weniger seine grammatischen Beiträge zur „Germania“, bezeichnen entschiedene Fortschritte unserer Erkenntniß; und die „Altdeutsche Grammatik“ (Bd. I. Abth. 1, Leipzig 1870; Abth. 2, Leipzig 1875) wäre gewiß sein Hauptwerk geworden, hätte ihn nicht der Tod an ihrer Vollendung gehindert. Die aus seinem Nachlasse herausgegebenen „Germanischen Alterthümer“ (Leipzig 1873), „Deutsche Mythologie“ (Leipzig 1874) und „Die ältere Edda“ [18] (Leipzig 1875), können dagegen nicht als Förderungen der Wissenschaft angesehen werden.

Nekrologe in der Augsb. Allgem. Zeitung, 1870, Beil. 188; Germania, 16, 242 (Bartsch); Zeitschr. f. d. Phil., 3, 201 (Martin).