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ADB:Hoffmann, Gottlieb Wilhelm

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Artikel „Hoffmann, Gottlieb Wilhelm“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 593–595, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoffmann,_Gottlieb_Wilhelm&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:30 Uhr UTC)
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Hoffmann: Gottlieb Wilhelm H., schwäbischer Pietist und Gründer der Gemeinde Kornthal, geb. zu Ostelsheim bei Calw den 19. Decbr. 1771, gest. zu Kornthal bei Stuttgart den 29. Januar 1846. – Sein Geschlecht leitete er ab von einem evangelischen Prediger Georg oder Matthäus H., der zur [594] Zeit des dreißigjährigen Krieges zu Hirschberg oder Liegnitz in Schlesien um seines evangelischen Bekenntnisses willen hingerichtet wurde, und dessen Wittwe mit ihren Kindern nach Straßburg und Württemberg flüchtete. Von seinem Vater, Pfarrer M. Christian Ludwig H., einem orthodox-lutherischen amtseifrigen Landprediger, mit pedantischer Strenge erzogen, widmete er sich dem Schreiberstand, machte bei einem tüchtigen Geschäftsmann in Calw eine strenge Lehrzeit durch, wurde durch eine besondere, nicht näher bekannte Lebenserfahrung „erweckt“ und schloß sich zunächst den damals in seiner Heimath verbreiteten Pregizerianern, den Anhängern des 1824 in Haiterbach verstorbenen Stadtpfarrers Pregizer, an. Besonderen Einfluß auf ihn übten dann die beiden geistesverwandten Pfarrer, Machtolf in Möttlingen und Flattich in Münchingen, zu dem er durch seine erste Frau auch in ein verwandtschaftliches Verhältniß trat. Das Studium der Schriften Luther’s, Arnold’s, Tersteegen’s, J. Böhme’s, Bengel’s, Zinzendorf’s, Oetinger’s etc., der Verkehr mit Michael Hahn, Dann, Flatt, Hartmann, K. H. Rieger, Jung Stilling, Lavater etc. bestärkte und förderte ihn in seiner frommen Stimmung und Richtung, der er auch in einer 1810 zu Leonberg herausgegebenen Liedersammlung, dem „Leonberger Liederbüchlein“, einen Ausdruck gab. – Kurz vor dem Untergang des heil. römischen Reichs zum kaiserlichen Notarius ernannt und von der Stadt Leonberg zum Amtsbürgermeister gewählt, auch sonst mit verschiedenen Aemtern und Vertrauensposten betraut (z. B. dem eines Landtagsabgeordneten 1815–19, wo er zu den Vertheidigern der altwürttembergischen Volksrechte gehörte), hatte er reiche Gelegenheit, sein organisatorisches Talent zu üben und die praktischen Erfahrungen zu sammeln, die ihn zu seinem späteren Wirken befähigten und zu einem Rathgeber für Tausende machten. – Unterdessen hatte unter einem Theil des evangelischen Landvolkes in Württemberg aus verschiedenen Gründen und Anlässen (theils wegen Einführung einer neuen Liturgie, theils wegen schwärmerischer Erwartung einer nahen Vollendung des Gottesreichs auf Erden) eine religiöse Bewegung um sich gegriffen, welche theils auf Austritt aus der Landeskirche theils auf Auswanderung nach Amerika oder Rußland abzielte. Um Beides, Separation und Massenauswanderung, zu verhüten und viele tüchtige und arbeitsame christliche Familien der Heimath zu erhalten, erbat H. für sich und eine Anzahl von Gesinnungsgenossen von der württembergischen Landesregierung die Erlaubniß zur Gründung einer neuen, auf dem Grund des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses stehenden, aber von den landeskirchlichen Ordnungen unabhängigen, nach dem Vorbild der evangelischen Brüdergemeinde geordneten christlichen Gemeinde. Das Gesuch wurde nach längeren Berathungen 1819 genehmigt und es erfolgte auf einem zu diesem Zwecke angekauften, in der Nähe von Stuttgart und Leonberg gelegenen Rittergut die Gründung der Gemeinde Kornthal, deren erste Organisation und nachherige Leitung bis an sein Lebensende wesentlich in Hoffmann’s Hand lag. Er war zugleich Bürgermeister, Notar, Gemeindewirth, Kaufmann, Katechet, Leiter religiöser Privatversammlungen und zahlreicher anderer, im Schooß der Gemeinde entstandener Anstalten und Einrichtungen, – der „Vater“ und Patriarch seiner Gemeinde nicht nur, sondern auch zugleich der geistliche und weltliche Berather von vielen Anderen, die sich vertrauensvoll an den vielerfahrenen, ebenso weltklugen und energischen wie glaubenstreuen und in all’ seiner Frömmigkeit nichts weniger als kopfhängerischen Mann wandten. Seinen religiösen Standpunkt innerhalb der vielgestaltigen Richtungen seiner Zeit und seiner Umgebung charakterisirt er selbst, wenn er einmal von sich sagte: „ich bin als Pregizerianer erweckt worden (d. h. mit einer besonderen Erfahrung der göttlichen Gnade), ich möchte als Michelianer wandeln (d. h. mit ernstem Fleiß der Heiligung) und als Herrnhuter sterben (d. h. im alleinigen Vertrauen auf [595] Christi Kreuzestod); aber alle verschiedenen Parteien möchte ich im Mörser der Liebe zerpulvern und neue Menschen daraus bilden“. So stand er trotz seiner pietistischen Einseitigkeit doch mit einer großartigen Weitherzigkeit als ein Mann von ungeheuchelter Gottesfurcht und ungewöhnlicher Gebetskraft, ohne Menschenfurcht, aber voll aufopfernder Menschenliebe, als ein Vater und Patriarch inmitten seines Hauses und seiner Gemeinde da und lebt als „Vater Hoffmann“ noch heute fort im Gedächtniß seiner näheren Anhänger nicht nur, sondern des ganzen evangelischen Volkes von Altwürttemberg. – Er war drei Mal vermählt: aus seiner zweiten Ehe stammen seine beiden Söhne, von denen jeder ein Stück von des Vaters Geistesart und Willensenergie geerbt hat – der Berliner General-Superintendent Wilhelm H. (geb. 1806) und der noch jetzt in Palästina lebende Parlamentsabgeordnete und Stifter der Jerusalemsgemeinde, Christoph H. (geb. 1815).

Vgl. den Nekrolog im Schwäb. Merkur, 1846. S. 141 ff., abgedruckt in der Schrift: Zum Andenken an den vollendeten G. W. Hoffmann, Stuttgart 1846. Pfleiderer, Kornthal, die Geschichte seiner Entstehung etc., 1864; ders. in Herzog’s Theol. Real-Encykl. Bd. XIX, S. 734 ff.; Römer, Würt. Kirchengesch. S. 583; Palmer, Gemeinschaften etc., 1877, S. 48; C. Hoffmann, Leben und Wirken des Dr. Wilhelm Hoffmann, Berlin 1878. Bd. I.