ADB:Heinrich von dem Türlin
[21] selbst mit der Schwester derselben. Die Absicht des zweiten Theils ist hauptsächlich die, einige im ersten Theil (6106, 6119, 8925) nur in Anspielungen angedeutete Abenteuer Gawein’s, der dadurch ganz in den Mittelpunkt gerückt wird, des breiteren auszuführen. Dadurch entsteht das seltsame Hysteronproteron, daß dieselben Geschichten, die im ersten Theil als in der Vergangenheit liegend genannt werden, in der Gegenwart des zweiten spielen, der sich doch andererseits als die Fortsetzung des ersten gibt. So die Abenteuer von Schastel marveille, von der Gralsuche, von dem Anger auf Colurmein. Auch äußerlich sind Unterschiede zwischen den beiden Theilen zu bemerken, vor allem in der durchschnittlichen Länge der Abschnitte, bedeutender sind aber die innerlichen: wenn der zweite Theil an Folgerichtigkeit der Composition hinter dem ersten weit zurücksteht, so übertrifft er ihn andererseits ganz ungemein durch Kraft des Pathos, Schärfe der Charakteristik (vor allem Kei’s) und plastisches Herausarbeiten einzelner Situationen (z. B. die meisterhafte Schilderung der Kußscene in der Barke 26 387 ff.), durch welche er sich den besten Werken des deutschen Mittelalters an die Seite stellt. Neben diesen Vorzügen stehen dann freilich vielfach Langweiligkeit und Eintönigkeit des Flusses der Erzählung, Unfeinheit der Empfindung in Ernst und Scherz. Als sein Muster befolgt er Hartmann, doch haben auch Wolfram und Wirnt in Beziehung auf Stoff und Form auf ihn Einfluß geübt. Seinen Zeitgenossen hat er gefallen: Rudolf von Ems rühmt ihn, Ulrich von dem Türlin, Konrad von Stoffeln, vielleicht auch Heinrich von Neustadt zeigen Spuren seiner Einwirkung. Nur für einzelne Episoden seines erhaltenen Werkes kennen wir französische Quellen, denen die seinigen wenigstens verwandt gewesen sein müssen, Einzelnes hat er sicher selbst erfunden, Vieles ist noch unaufgeklärt. Ausgaben: 1) Altdeutsche Blätter II, 215–40. Müllenhoff, Altdeutsche Sprachproben 1878, S. 125–136. Warnatsch, Der Mantel 1883. 2) Scholl 1852.
Türlin: Heinrich von dem T., epischer Dichter um 1220, aus Innerösterreich, vielleicht aus St. Veit in Kärnthen, ein gelehrter Laie bürgerlichen Standes, dem unstäten Leben der Fahrenden ergeben, von ritterlicher Gesinnung erfüllt, den Geistlichen abgeneigt (Krone 10 802 ff.). Von seinem ersten Werk, einem Lanzeletroman in Reimpaaren, dessen Existenz mir trotz Seemüller’s und G. Paris’ Bedenken erwiesen scheint, ist uns nur der Anfang, der sich als eine Bearbeitung des Fabliau du mantel mautaillé darstellt, erhalten. Sein zweites Werk, „Die Krone“, ist in ungleich langen, reimpaarigen, mit Dreireim schließenden Absätzen geschrieben. Das Gedicht zerfällt deutlich in zwei Theile, deren erster (bis 13 901) als selbständiges Gedicht gedacht und abgeschlossen scheint, vielleicht auch als solches veröffentlicht wurde. Dem zu Anfang aufgestellten Programm gemäß erzählt derselbe eine Geschichte aus Artus’ Leben, von seinem Kampfe mit einem Ritter, der auf Ginover Anspruch macht, von deren Entführung durch denselben und ihrer Rückeroberung durch Gawein. In sehr geschickter Weise wird diese Hauptgeschichte durch allerhand Abenteuer Gawein’s unterbrochen und das Ganze geht, dieser planvollen Composition entsprechend, mit einer Doppelhochzeit aus: der des versöhnten Entführers mit einer durch Gawein’s Dienste in den Wiederbesitz eines zauberkräftigen Zaumes gelangten Dame und der Gawein’s- Reissenberger, Zur Krone Heinrich’s v. d. T., Graz 1879. – Haupt, Die Lieder und Büchlein etc. S. XI–XVIII. – Lachmann, Wolfram S. XXII ff. Ueber den Eingang des Parzival: Kleine Schriften S. 513–18. – Martin, Zur Gralsage S. 20–31.– Zingerle, Germania V, 468–479. – Singer, Zs. f. d. Alt. XXXVIII, 250–72. – G. Paris, Romania XII, 461 Anm. – Seemüller, Anz. f. deutsches Alterth. X, 197–202.