ADB:Hartmann von Aue
Gottfried erwähnt ihn im Tristan als lebend, in der Krone wird sein Tod beklagt. – Hartmann ist, wie schon seine Sprache zeigt, ein Schwabe. Er nennt sich selbst von Aue geboren und Dienstmann zu Aue. Wo dies Aue zu suchen sei (der Name ist im süstwestlichen Deutschland nicht selten), darüber gibt es verschiedene Meinungen: lange war die ziemlich allgemein gebilligte, daß es Aue bei Freiburg im Breisgau sei: nach den neuesten Untersuchungen (Germ. 16. 155 f.), die zwar manches Irrige enthalten, ist aber vielmehr Obernau bei Rottenburg am Neckar gemeint.
Aue: Hartmann von A., ein schwäbischer ritterlicher Dichter. Von seinem Leben wissen wir nur wenig: er war um 1170 geboren und genoß eine für Ritter damals ungewöhnliche gelehrte Erziehung, wie seine Kenntniß des Lateinischen zeigt, und in dem Bericht über Gregorius’ Erziehung im Kloster hat man wol richtig Reminiscenzen des Dichters aus seiner eigenen Jugend vermuthet. Er machte einen Kreuzzug mit, wahrscheinlich den von 1197 und starb im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrh., vielleicht auch schon vor 1210.Wir haben von Hartmann eine Reihe von Liedern, die sich theils auf seinen Minnedienst, theils auf die Kreuzfahrt beziehen. Auch die beiden „Büchlein“ handeln von der Minne. In dem ersten, das die im Mittelalter sehr beliebte Form des Dialogs hat, klagt der Leib das Herz an, daß es ihn zu unerhörtem Minnedienst getrieben habe; nachdem das Herz sich vertheidigt, versöhnen sich beide und in einem kunstvollen Leich wird die Geliebte angerufen. Das zweite „Büchlein“, das einzige Werk, in dem Hartmann sich nicht nennt, ist von Haupt dem Dichter zugeschrieben worden mit guten Gründen, die aber nicht alle Zweifel beseitigen. Der Dichter klagt nicht wie sonst über das Vergebliche seines Minnedienstes, sondern über die Hut, die ihn jetzt von der Geliebten trennt. Er stellt [635] seine unwandelbare Treue beweglich dar und schließt mit der Bitte, daß auch die Geliebte ihm treu bleibe.
Hartmann’s Hauptwerke sind vier erzählende Gedichte, die er nach schriftlichen Vorlagen bearbeitete. Für die beiden Artusromane haben wir in den gleichnamigen Dichtungen des Chrestien von Troyes die Quellen Hartmann’s: Für den „Gregorius“ in der französischen Legende, die Luzarche 1857 herausgab, wenigstens eine seiner Vorlage ganz nahe stehende Fassung. Die schriftliche Quelle des „Armen Heinrich“ ist uns dagegen nicht bekannt. – Das älteste Gedicht ist der „Erec“, den Hartmann dichtete, als er noch nicht Ritter war; außer Eilhart’s „Tristan“ der erste deutsche Artusroman. Der „Erec“ zeigt schon Hartmann’s ganze Art, z. B. die Vorliebe, die Erzählung mit ausführlichen Gesprächen zu schmücken, oder zierliche Betrachtungen einzuflechten, die oft tändelnden Stichomythien, die Reim- und Wortspielereien: aber alles ist noch nicht so ebenmäßig und sicher angewendet, wie in den späteren Erzählungen, die bis c. 1203 gedichtet wurden. Hartmann will hier durch eine gewisse Gelehrsamkeit glänzen, daher fügt er außer kleineren Stücken 5153 f. den Bericht über Famurgan, den Chrestien nicht hatte, selbst hinzu und beschreibt 7286 f. das Pferd der Enite in fast 500 Versen, während Chrestien nur 40 hat. – Ganz ähnlich dem „Erec“ ist in Bezug auf die Fabel der „Iwein“: auch hier wird der Conflict zwischen Liebe und Ritterschaft behandelt. Das Verhältniß des Dichters zu Chrestien ist wesentlich dasselbe wie im „Erec“: aus einem anderen Romane hat H. die Entführung der Ginover in etwa 200 Versen zugesetzt, sonst sind es nur verhältnißmäßig wenig Züge, in denen er von Chrestien abweicht. In der Form zeigt der „Iwein“, sicher das letzte Werk Hartmann’s, deutlich den Fortschritt des Dichters. Auch im äußeren Umfang (der Iwein hat 8000 Verse, der Erec etwas über 10000) zeigt sich vortheilhaft das Maßhalten Hartmann’s im Vergleich zu anderen deutschen Artusromanen.
Hartmann’s Dichtungen nach dem Französischen sind sehr verschieden beurtheilt worden: am wärmsten gelobt hat sie Benecke, am strengsten getadelt Gervinus, der H. zum bloßen Uebersetzer macht. Es scheint das richtige Urtheil in der Mitte zu liegen. Hartmann’s Gedichte sind weder Uebersetzungen im heutige Sinne, noch das, was wir freie poetische Behandlung eines fremden Stoffes nennen: am besten läßt sich aus der neueren Litteratur Herder’s „Cid“ vergleichen. Die Ritter, die für Ritter dichteten, wollten eine angenehme Unterhaltung gewähren – H. sagt dies selbst wiederholt – und idealisirten in dem Hofe des Artus das höfische Ritterwsen, das zu Ende des 12. Jahrh. in Deutschland Eingang gefunden hatte. Dieses Standesbewußtsein zeigt sich in Hartmann’s Werken überall. Er wendet seinen Humor, der sich übrigens in bescheidenem Maße offenbart, mit Vorliebe gegen das grobe und ungeschickte Benehmen nichtritterlicher Leute und vergißt nie nie das Angenehme eines behaglichen Wohlstandes zu betonen. Das Lob des correcten ritterlichen Benehmens in allen Lagen und der Tadel des Gegentheils wird von ihm mit solchem Nachdruck vorgetragen, daß man darin leicht den didaktischen Zweck erkennt, seinen Zuhörern und Lesern seine Rittersitte (hövescheit) zu empfehlen. Selbst die Frömmigkeit, von der H. durchdrungen ist, hat eine ritterliche Färbung. Die Unebenheiten der Fabel ist er bemüht zu beseitigen. So hat er namentlich den Charakter der Laudine, die Iwein, den Besieger ihres Gemahles, sofort heirathet, weiblicher und edler bargestellt als Chrestien. Meistens freilich sind es nur Anläufe, die Kleinigkeiten betreffen. Er bringt gern Sätze der Erfahrung an, die von verständiger Beobachtung des Lebens und einer gewissen Menschenkenntniß zeugen, die auch den Dichter als einen liebenswürdigen Mann erscheinen lassen. Weiter geht seine Reflexion allerdings nicht: sie ist öfters auch sehr äußerlich und geradezu gedankenlos. [636] So ist im Iwein und Erec der Conflict ohne rechte Tiefe fast nur conventionell gefaßt; im Gregor geht die glatte und behagliche Erzählung gar zu oberflächlich an dem Entsetzlichen der Fabel vorbei, während sie bei Nebendingen gerne verweilt. Und mit einer verzweifelten Naivetät wird von dem Bruder, der die sündliche Liebe zur Schwester bereut und eine Bußfahrt ins heilige Land unternimmt, die gewöhnliche Minnephrase wiederholt: sein Herz blieb beim Scheiden zurück bei der Schwester, das ihre folgte ihm. Ebenso wird von seinem Tode gesagt, er sei durch Liebesnoth herbeigeführt worden.
Die Mängel Hartmann’s wurden von seinen Zeitgenossen nicht so klar erkannt, wie von der Gegenwart. Uns muß er gegen die genialen Dichter Wolfram und Gottfried zurückstehen: da er aber mit Geschick die fremden Stoffe den Deutschen näher brachte (den Iwein hat man mit Recht das regelmäßigste und sauberste deutsche Gedicht über die Artussage genannt), so war für seine Zeit seine Art entschieden ansprechender. Das beweisen die zahllosen Nachahmungen und das ungetheilte Lob der anderen Dichter, von denen nur die beiden größten erwähnt seien: Gottfried eignet neidlos den Lorbeerkranz H. zu, und Wolfram versteckt nach seiner Art seine Anerkennung in scherzenden Anspielungen. Am besten bezeichnet Hartmann’s Wesen die von ihm so oft gepriesene mâze (das Maßhalten, die goldene Mittelstraße). Er ist ein Talent, aber kein Genie.
Vor dem Iwein dichtete er zwei kleinere Erzählungen: „Gregorius auf dem Steine“ und den „Armen Heinrich“. Beide lassen sich am besten als ritterliche Legenden bezeichnen. Sprache und Stil des Gregorius erinnern vielfach an den Erec, während der arme Heinrich der feineren und gereifteren Kunst des Iwein näher steht. Die Liebenswürdigkeit des Dichters hat in dem Leben des aussätzigen Herrn Heinrich von Aue bei der Familie des Meiers eine anziehende Idylle gegeben. Der Gegensatz, den dazu die Reden des opferfreudigen Mädchens mit ihrer mönchischen Sophistik bilden, ist von H. wol aus der Vorlage beibehalten worden. In unserer Zeit hat dies Gedicht vor allen anderen Hartmannn’s Theilnahme gefunden, da das allgemein Menschliche in der einfachen Fabel hier ohne die Zugabe einer bunten Fülle von Abenteuern sich zeigt.
Hartmann’s Gedichte sind 1827–1842 von Benecke, Lachmann und Haupt herausgegeben: Meisterwerke der philologischen Erklärung und Kritik. Eine Ausgabe mit Erklärungen zu allen Gedichten lieferte Bech 1867–69. Uebersetzt ist der arme Heinrich von K. Simrock 1830, Iwein vom Grafen Baudissin 1845 und von F. Koch 1848, Gregorius und Erec von S. O. Fistes (d. i. Weiske) 1851.