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ADB:Hase, Karl von

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Artikel „Hase, Karl August von“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 36–47, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hase,_Karl_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:24 Uhr UTC)
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Band 50 (1905), S. 36–47 (Quelle).
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Hase: Karl August von H., geboren am 25. August 1800 in dem epheuumrankten Pfarrhause zu Steinbach bei Penig am Abhange des sächsischen Erzgebirges, hat, des Vaters frühzeitig beraubt, doch unter guter Menschen Obhut eine unverkümmerte Kindheit verlebt. Seine Gymnasialzeit in Altenburg (seit Ostern 1813) verschönte, über die Kleinheiten des täglichen Lebens hinaushebend, ein idealer Freundschaftsbund, welcher die freie ästhetische Weltansicht der Griechen mit christlicher Andacht und treuem deutschen Sinn zu vereinigen strebte zu einer naturgemäßen vollen menschlichen Bildung. „Wir blickten mit dem warmen, frommen Herzen in eine kühne Thatenwelt hinaus, über das Grab, über die Sterne“. Begeistert für Poesie, Freundschaft und Vaterland, schloß er sich als Leipziger Student (seit 1818) mit seinen Schulfreunden der Burschenschaft an, die, 1815 gegründet, ihre Organisation als allgemeine deutsche Burschenschaft in dem Saale des Kaffeehauses in Jena erhielt, das nachmals Hase’s beglücktes und beglückendes Familienhaus geworden ist. Das Bücher-Auto da Fé beim Wartburgsfest und die auf den übertriebenen Teutonismus der Burschenschaft zurückgeführte blutige That Karl Sand’s hatte die bekannten Folgen. Wegen Theilnahme an unerlaubten Verbindungen erhielt H. gleich seinem Freunde Ferdinand Herbst, dem nachmaligen katholischen Pfarrer in einer Vorstadt Münchens (s. A. D. B. XII, 48), das Consilium abeundi. Er wandte sich nach Erlangen (1821). Hier trat er durch Empfehlung eines Verwandten in befreundete Beziehung zu G. Heinrich Schubert (XXXII, 631), „dem freundlichen Führer aus den Reichen der Natur in das Himmelreich“. Schon damals ist ihm die Einsicht gekommen, daß die bloß freisinnige Theologie, welche das Christenthum zur Vernunftreligion aufklären wollte und allenfalls auch ohne Christus auskommen könnte, die welthistorische Bedeutung des Christenthums verkenne, das, als eine historische individuelle Religion auf Thatsachen gegründet, Gemeinden verbinde und Völker mit seinen sittlichen Bewegungen beherrsche. Ein heiter bewegtes Studentenleben, darin er die Kaiserrolle spielte, endigte mit Entlassung von der Universität „wegen Theilnahme am Dresdener Burschentage und wegen starken Verdachts, an der Spitze der seit 1820 aufgehobenen Burschenschaft gestanden zu haben“.

Nach bestandener Candidatenprüfung vor dem Oberconsistorium in Dresden kam ihm der Gedanke, bis zur Anstellung im geistlichen Amte sich als Privatdocent zu habilitiren, und zwar, seiner Neigung entsprechend, an [37] einer süddeutschen Universität. Seine Wahl fiel auf Tübingen. Hoffnungsvoll und viel verheißend, unter freundlichen geselligen Verhältnissen hat er daselbst seine akademische und litterarische Laufbahn 1823 begonnen. Da wendete die von Metternich eingesetzte Mainzer Centraluntersuchungscommission auch ihm ihre Aufmerksamkeit zu. Er hatte in der Burschenschaft beitragen wollen zur Erneuerung der politischen Größe Deutschlands durch Ausbildung eines großen Nationalgeistes, war aber der radicalen Richtung seiner ganzen maßvollen Persönlichkeit gemäß fern geblieben, das gerade Gegentheil von Arnold Ruge, dem „Minister des Aeußersten“, wie dieser selbst es aussprach: „Hase ist ein alter Jugendbündler und Coätane von mir; sonst passen wir wie Faust aufs Auge zusammen“. In einer seiner burschenschaftlichen (von alten Herren noch lange in freundlicher Erinnerung bewahrten) Reden (abgedruckt im 12. Bande von Hase’s „Gesammelten Werken“, Leipzig 1890–93) hatte er seine Verbindungsbrüder, weil noch viel zu wenig mit der Wirklichkeit bekannt, gewarnt, durch die That eingreifen zu wollen in das Getriebe des Staats, und über Sand geurtheilt: seine Gesinnung ist der Unsterblichkeit werth, seine Handlung des Todes würdig. Gleichwol ward er als schuldig der früheren Theilnahme an einer hochverrätherischen Verbindung zur Entsetzung von seinem Amte und zu zweijähriger Festungsstrafe verurtheilt. Der unfreiwillige Aufenthalt auf der kleinen Bergfeste Hohenasperg, wo ihm „Spinoza’s Ethik in ihrer erhabenen Resignation vor allem den Sturm des Herzens stillte“, reducirte sich auf acht Monate. Die Versagung des weiteren Aufenthalts in Württemberg führte ihn in die Heimath zurück, zunächst nach Dresden, 1826 nach Leipzig, um, wozu Ammon, der Oberhofprediger (siehe A. D. B. I, 405), ihm Muth gemacht, sich aufs neue zu habilitiren. Er fand hier Freunde an Archidiakonus Goldhorn (IX, 334) und an Tzschirner (XXXIX, 62), an dessen Sarg er schwur, seine Bahn zu gehen, wie er für Recht und Freiheit, für Christenthum und Protestantismus ein treuer Hort zu werden. Mit großer Freude hat er wieder das Katheder betreten, im Verein mit Theile, Niedner, Fleck die sogen. junge Facultät gebildet und seine zukunftsreiche schriftstellerische Thätigkeit fortgesetzt.

Durch den Grafen Einsiedel, den dem Kreise der Erweckten zugethanen Cabinetsminister in Dresden, war August Hahn (s. A. D. B. X, 356) 1826 als Professor neuer Stiftung von Königsberg nach Leipzig berufen worden, zu gleichem Zweck wie Tholuck nach Halle. Um das für einen Leipziger Professor der Theologie nothwendige philosophische Magisteriumzu erlangen, schrieb Hahn seine Streitschrift „De rationalismi, qui dicitur, vera indole“ (1827), darin er den Rationalismus, ihm gleichbedeutend mit Naturalismus, als einen von England her eingedrungenen Todfeind des Christenthums (rei christianae infestus) hinstellte. Dieses Gallicinium Lipsiense entfesselte den Streit über das Existenzrecht des Rationalismus in der Kirche. H., der Sache Ernst erkennend, nahm in der anonymen Schrift „Die Leipziger Disputation“ (1827; Ges. W. VIII, 1, 1) als der Erste den hingeworfenen Fehdehandschuh auf. Er wies darauf hin, wie unbillig und unwahr es sei, den das Christenthum als die höchste Vernunft feiernden Rationalismus mit dem in der Christenheit verrufenen Namen Naturalismus zu behängen. Aber abgesehen vom Streite um Namen, da der Rationalist sein Höchstes, Frieden und Seligkeit im Christenthum findet, wie vermag der Supernaturalist ihm die Christlichkeit abzusprechen? „So erkennt endlich die höhere Einheit der gemeinsamen Liebe zu dem Herrn unter euch an, merkt endlich, daß beide Systeme der Wissenschaft, der theologischen Schule angehören, daß auf diesem Gebiete ein scharfer, freudiger Streit über sie geführt werden muß, daß sie aber beide im [38] Dienste des Christenthums stehen.“ Ein Recensent schließt sein Referat über die Schrift „voll Bewunderung für den unbekannten Verfasser“. Dagegen wurde Hahn, weil er von jedem getrennt sein wolle, der aus eigener Vernunft und Kraft an Jesum Christum seinen Herrn glaubt, als ein solcher angesehn, der damit selbst aus der Kirche Gottes herausfällt (die Litteratur dieses Streites ist verzeichnet in Fuhrmann’s Handbuch d. neuesten theol. Literatur [1830] S. 459, Krug’s Handwörterbuch d. philos. Wissenschaften [2. Aufl. 1833] III, 423 und bei Bretschneider, Entwicklung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe [4. Aufl. 1841] S. 192).

An Freundes Hand unternahm H. 1829 seine erste Reise nach Italien, classisch beschrieben in den „Briefen an die künftige Geliebte“, Pauline Härtel, seit 1831 das Kleinod seines Hauses. Am 15. Juli 1830 zog er, als außerordentlicher Professor nach Jena berufen, ein in die kleine ruhmvolle Stadt seiner Zukunft. War er in Leipzig für das Recht des Rationalismus eingetreten, so erwartete ihn hier ein Kampf gerade von rationalistischer Seite. Ueber Hase’s Jugend hatte die Romantik noch ihren Schimmer gebreitet. Er war ihrem Philosophen, Schelling, dem die Philosophie in ihrer Strahlenkraft sich immermehr zur Poesie verklärte, dem Genius huldigend, in Erlangen nahe getreten, und verehrte in ihrem Theologen, Schleiermacher, dem englischen Herold, den einen seiner theologischen Heiligen. Und wenn auch die Muse selbst, nachdem sie dem sentimentalen Jüngling noch einen ihrer lächelnden Blicke zugeworfen, allmählich vor der Denkarbeit des Mannes zurückwich, den Schwung der Phantasie, die Wärme des Herzens hat sie scheidend als freundliche Gabe ihm zurückgelassen. Und so erkannte er als seine Aufgabe, die kühnsten Forderungen der Vernunft mit den Bedürfnissen des Gefühls, das freieste Denken mit christlicher Begeisterung als einig darzuthun. Die Rationalisten standen dieser neuen Erscheinung zweifelnd gegenüber. Sein Eintreten für den freien Gedanken und für das kirchliche Recht des Rationalismus neben dem Supernaturalismus hatte ihren Beifall gefunden. Zu seinem Worte: „Biedere, gelehrte und fromme Männer, Säulen der Kirche stehen auf beiden Seiten“ bemerkte Schüler: „das hat ihn Gott durch Christus geheißen reden, den wackern Mann!“ Andrerseits konnte ihr nüchterner Verstand in seine „hyperpoetische Theologie“ sich nicht finden. Sie redeten von allegorisirender Dogmatik, von mystischen Modephrasen, Glasperlen, kaum mehr für Theater- und Romanenschmuck brauchbar. Und als die Quelle dieser Auswüchse dünkte ihnen eine phantastische Afterphilosophie, von welcher der sonst besonnene Mann sich habe influenziren lassen. Nun hatte H. in seiner Erstlingsschrift „Des alten Pfarrers Testament“ (Tübingen 1824, Ges. W. VI, 1) offen bekannt, wie Schelling, der Ossian der Philosophie, indem er das göttliche Leben der Natur erkannte, Erden an Sonnen band, die Hieroglyphe der Urwelt aus der Tiefe des Geistes enträthselte, sein junges Herz entflammt habe, aber sofort hinzugefügt, daß dieses System nur in seinen Mittelgliedern befriedige, aber Gottlosigkeit stehe am Anfang, Vernichtung am Ende. Indeß der Rationalismus ließ hierdurch sich nicht abwendig machen von seiner vorgefaßten Meinung. Röhr, sein sichtbares Oberhaupt (A. D. B. XXX, 92), veröffentlichte 1832 „Grund- und Glaubenssätze der evangelisch-protestantischen Kirche“. Dieser Versuch einer neuen, die reine, von allen dogmatischen Floskeln gesäuberte Lehre des Evangeliums darlegenden Symbolschrift hätte, zum Gesetz erhoben, den Rationalismus zur Kirchenlehre gemacht, die Supernaturalisten ausgeschlossen. H., vom Verfasser zur Begutachtung aufgefordert, bezeichnete jedes Symbol, durch welches eine Spaltung der Kirche veranlaßt würde, als eine unheilvolle Gewaltthat und vermißte in dem vorliegenden [39] das eigenthümlich Christliche, den kirchlichen Charakter. Seine am Schlusse ausgesprochene Meinung, daß aus dem apostolischen Symbole heraus das Neue und Zeitgemäße organisch zu gestalten wäre, hat er zu verwirklichen versucht in seiner streng objectiv gehaltenen, den streitenden Parteien einen möglichst freien Spielraum gewährenden „Confessio fidei ecclesiae evangelicae nostri temporis rationibus accommodata“ (1836). Seinen Zorn über diese Recension (wieder abgedruckt in den Ges. W. VIII, 2, 467) ließ Röhr an dem damals (1833) gerade in zweiter Auflage erschienenen Hutterus redivivus“ aus. Konnte eine Reproduction der orthodoxen Dogmatik schon an sich nicht auf seinen Beifall rechnen, so vermochte er sich eine solche, wie sie hier historisch-apologetisch auftrat, nur als dolus malus zu erklären. „Was will dieser Hutterus redivivus unter uns? Was hat das Schattenbild dieses aus der Gruft des 16. Jahrhunderts wieder heraufbeschwornen evangelischen Scholastikers den protestantischen Söhnen des 19. Jahrhunderts kund zu thun?“ Der gute Hutterus spielt, zum redivivus geworden, eine unfreiwillige Rolle, wie der von der Zauberin zu Endor citirte Geist Samuel’s, er ist ein maskirter Identitätsphilosoph, das ganze Buch ein schellingisch-orthodoxer Amalgamationsproceß. Um diesem Gerede von schellingisirender gläubelnder Neugläubigkeit im Hutterus redivivus und der damit beabsichtigten Täuschung der akademischen Jugend ein für allemal ein Ende zu machen, trat H., obwol schweren Herzens, in den Kampf ein, indem er den objectiv-historischen Charakter des Hutterus, wie das schon in der Vorrede ausgesprochen war, aufs klarste nachwies. Da aber ein solches Mißverstehen nicht aus der Beschränktheit eines Einzelnen erklärlich war, so mußte der von Röhr und Wegscheider vertretene Rationalismus selbst dafür in Anspruch genommen werden. H. fand vor allem an diesem Rationalismus auszusetzen den Mangel an geschichtlichem Sinn, wodurch eben die Mißdeutung des Hutterus redivivus verursacht worden war, sodann die Verkennung der Bedeutung des religiösen Gefühles, endlich sein negatives Verhalten zur Wissenschaft. Nicht die methodisch fortschreitende wissenschaftliche Untersuchung, sondern der gesunde Menschenverstand, das iudicium naturae, der Augenschein sollte als oberste Instanz entscheiden. Wahr ist in der Dogmatik die sententia, welche omnes homines, probi nimirum haben oder facillime sich aneignen. Im gesunden Menschenverstand lag die expansive Kraft des Rationalismus, die Bedingung seiner Ausbreitung in der Masse, aber zugleich seine Schwäche, wiefern nicht geniale, nur hausbackene Menschen ihm dienstbar werden konnten. Eine anonyme Recension der inzwischen erschienenen Hase’schen Kirchengeschichte, die als ein Dekokt aus Gieseler’s Werk, glänzend nach außen, innerlich arm und leer, hingestellt wurde, sollte diesen wissenschaftlich annulliren. Der Recensent, als welcher Gieseler selbst nicht zu seiner Freude offenbar wurde, hatte sich die Sache zu leicht gemacht und seinen Gegner weitaus unterschätzt. Endlich zum Beweis, daß der Rationalismus Neues nicht vorzubringen hatte, ließ Röhr eine Anzahl Recensionen aus der Kritischen Predigerbibliothek und Allgemeinen Litteraturzeitung unter dem Titel „Anti-Hasiana“ (1836) zusammendrucken, denen H. seinen „Anti-Röhr“ (1837, Ges. W. VIII, 1, 261) entgegenstellte. Der Rationalismus, aus der Entwicklung geboren, war dem Principe der Stabilität verfallen. Sich selbst in seiner damaligen Schulform für die realisirte Idee des Rationalismus achtend, darum identisch mit dem Protestantismus, hat er jeder Fortbildung und Ausgestaltung sich verschlossen, sie mit den Schlagworten Schellingianismus, Mysticismus, Allegorismus in fast hierarchischer Zähigkeit von sich abgewehrt. An dieser verständnißlosen Selbstgenügsamkeit ist er gestorben, und H. hat ihm das Endurtheil gesprochen. [40] Schon ein Zeitgenosse fand, daß auf Hase’s Seite die größere Bildung, die edlere Wissenschaftlichkeit, der feinere Witz und reichere Geist, dagegen auf Seiten des Rationalismus die nackte Endlichkeit seines Princips sich zeige.

Als einen Nachklang des Streites gegen den Rationalismus bezeichnet H. selbst seine Controverse mit Baur, dem Haupte der Tübinger Schule (A. D. B. II, 172). Das war allerdings ein ebenbürtiger Gegner, der mit eminentem Scharfsinn und tiefer Gelehrsamkeit in die Geschichte des Urchristenthums und seine Litteratur eingedrungen war. Der Feststellung des ursprünglichen Thatbestandes nachgehend, vermochte er das Johannes-Evangelium nur aus den Zeitverhältnissen des zweiten Jahrhunderts, nämlich zur Ausgleichung ebionitisch-montanistischer und heidenchristlich-gnostischer Tendenzen, zu begreifen, wodurch es selbstverständlich seinen geschichtlichen Charakter verlor. Daß der Lieblingsjünger den Meister, an dessen Brust er lag, nachmals für den Weltschöpfer gehalten, erschien ihm ohne Darangabe der Identität seines Selbstbewußtseins undenkbar. Dagegen trat H. in seinem Sendschreiben an Baur („Die Tübinger Schule“ 1855, Ges. W. VIII, 1, 415) für die Echtheit des vierten Evangeliums und zugleich der Apokalypse ein. Durch innere Entwicklung, durch seine eigne schöpferische That ist Johannes, der gottbesprachte Apokalyptiker, zum Evangelisten geworden, sein Evangelium die verklärte Apokalypse. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts, als er in Kleinasien vor der fortschreitenden geistigen Macht des Weltheilandes schon die Tempel der alten Götter veröden sah, da habe Johannes in der Logosidee den vollen Ausdruck seiner Huldigung, das Wort des ihn erfüllenden Geheimnisses erkannt. Aber durch den goldenen Panzer des Logos fühle man den Pulsschlag des menschlichen Herzens, an dem der Apostel gelegen habe: der ideale Gehalt schließe die geschichtliche Treue nicht aus. Baur hat erwidert, von beiden Seiten gedrängt, werde H. einer Retractation nicht entgehen können. Es ist so geschehen. Aus dem Evangelium des Johannes ist ihm ein Evangelium nach Johannes geworden, nämlich nach dem Tode des verklärten Meisters durch einen begabten Jünger niedergeschrieben. Die andern zwei Streitpunkte betreffen den Anfang und das Ende der Kirchengeschichte; Baur hatte die Entwicklung des Urchristenthums unter den Gesichtspunkt eines bis tief ins zweite Jahrhundert unentschieden fortwogenden Kampfes zwischen Ebionitismus unsd Paulinismus gestellt und daraus die urchristliche Litteratur als tendenziöse Streit- und Vermittlungsschriften erklärt. H. sah hier einen an sich berechtigten Gedanken über das rechte Maß hinausgeführt: schon seit Ende des ersten Jahrhunderts war der Paulinismus die allgemein herrschende Form des Christenthums. In seiner Kirchengeschichte hatte H. gesagt, daß seit dem westfälischen Frieden die Kirche nicht mehr die erste bewegende, sondern die zweite, in den Streit der Völker hineingezogene Macht sei. Dieses hatte Baur eine Degradation genannt, die Kirche stehe hier am Ausgang ihrer Geschichte wie eine abgebrannte da. H. fragte entgegen: „habe ich den Tempel von Ephesus angezündet?“ In der That, wo werden jetzt noch bei drohenden politischen Verwicklungen, wenn die Würfel über Krieg und Frieden fallen, die tonangebenden Lehrer der Kirche um ihre, vordem maßgebende, Meinung befragt? Der Kirche ist nur das Amt des barmherzigen Samariters geblieben, ihren Balsam auf die Wunden des Krieges zu legen. Dieser Streit ist geführt worden mit voller gegenseitiger Achtung, von H. in dem Bewußtsein, seine Bestimmung zu erfüllen: mitten im Kampfe für die Befreiung der Geister ihr Uebermaß zu bekämpfen.

Mit dem Streite gegen den Rationalismus lief parallel der Streit mit der Renaissance-Orthodoxie, H. gerade gelegen zum Nachweis, daß sein Kampf [41] gegen den Röhr’schen Rationalismus keinen Abfall von der freien Theologie bedeute. Bereits 1830 ließ Rudelbach sich vernehmen: „Ist nicht die Theorie des Unglaubens unter andern in den eleganten Schriften des Herrn Hase zur Toilettenlectüre aufgestutzt?“ Zur selben Zeit trat die Evangelische Kirchenzeitung mit der Anklage auf Profanirung des Lebens Jesu hervor, wiefern H. in unseligem Vernunfthochmuth die heilige Geschichte anders nicht als die profane zu behandeln beflissen sei. H. hat offen gestanden, daß er in der Behandlung einer heiligen und einer profanen Geschichte keinen wesentlichen Unterschied kenne, ja daß diese ganze Scheidung engherzig, ohne Realität sei. „In der heiligen Geschichte ist vieles Profane, in der Weltgeschichte vieles Heilige geschehen.“ In der That kann hiebei nur dieses mit Recht gedacht werden, daß, wie die Schriftauslegung nicht gelingen kann, wenn nicht ein Band pneumatischer Sympathie um den Exegeten und heiligen Autor sich schlingt, so auch die heilige Geschichte die ihr angemessene Darstellung nur finden kann bei einem für alles Ideale und Heilige aufgeschlossenen Sinn. Aus seiner Prorectoratsrede „Das junge Deutschland“ (1836, Ges. W. XII, 301) deutete die Evangelische Kirchenzeitung die Stelle, daß das christliche Leben in der Nachfolge Jesu die höhere Einheit des hellenischen und asketischen sei, dahin aus, als wenn neben das Christenthum als gleichberechtigt der Hellenismus gesetzt werden wolle: das Classische das Element der Freude für den Glücklichen, das Christliche das Element des Trostes für die Unglücklichen. Diese Entstellung veranlaßte H., die Evangelische Kirchenzeitung zu vermahnen, sie solle doch im litterarischen Verkehr neben der Orthodoxie und Sündenerkenntniß auf die ganz gewöhnliche Rechtschaffenheit halten, die sich auch Männer von bloßer Ehre unter einander zu erweisen pflegen. Und so ist H. noch öfter veranlaßt worden, mit der Evangelischen Kirchenzeitung und ihrem Herausgeber Hengstenberg sich zu befassen. Die Orthodoxie selbst hat er in ihrer relativen Berechtigung d. h. in ihrer Christlichkeit, soweit sie in ihr ist, anerkannt, obschon er wußte, daß auf Gegenseitigkeit schwerlich zu rechnen sei. Daher als Heinrich Krause, der temperamentvolle Redacteur der Protestantischen Kirchenzeitung (s. A. D. B. XVII, 74), zum Kampf gegen das orthodoxe Princip bis zur Vernichtung, zu einem Krieg auf Leben und Tod aufrief, trat H. ermäßigend mit dem Zugeständniß ein, daß die Orthodoxie, wie sie einst eine Fülle christlichen Lebens in sich getragen hat, so auch jetzt noch die Form einer wahrhaft christlichen Frömmigkeit sein könne, wenn auch bloße Orthodoxie nicht die Bürgschaft wahrer Sittlichkeit gewähre, vielmehr vereinbar sei mit einem unbekehrten, unwiedergeborenen Herzen. Die Wiedererstehung der Orthodoxie hat er aus dem religiösen Ernste, der durch große Volksgeschicke erweckt wurde, erklärt, ihr Emporkommen aus der vaterländischen Hoffnungslosigkeit und Blasirtheit, der auch die Empfänglichkeit für die Philosophie des Pessimismus entsprang, ferner aus der Begünstigung durch kluge Staatsmänner, aus dem Treiben der Lichtfreunde, der Ueberstürzung der freien Gemeinden, der Selbstvergötterung der pantheistischen Philosophie und der lebenslustigen Verzweiflung des Materialismus. „Ludwig Feuerbach und Bruno Bauer haben weit mehr für die Orthodoxie gewirkt als Hengstenberg und Harleß.“ Die Orthodoxie – das ist sein schließliches Urtheil – kommt ihm vor wie ein Palmbaum, der einst lebensfrisch im Garten Gottes stand und nun ein alter verwitterter Stamm ist, der durch künstliche Bewässerung verspätete Sprößlinge treibt, von Schling- und Schmarotzerpflanzen umwuchert.

H. hat eine bestimmte Form des Rationalismus, den Rationalismus vulgaris, siegreich überwunden, das rationale Princip, zu welchem der Protestantismus [42] nothwendig führt, allezeit hochgehalten. Aber die Autonomie der Vernunft ist von ihm nicht gemeint wie ein Titanenkrieg, der keinen Gott im Himmel und keinen Heiland auf der Erde will, auch nicht als ein Losreißen von allem, was in der Kirche geschichtlich geworden und fortzubestehen innerlich berechtigt ist. Immer maßhaltend in der Weise des Weisen von Lindos hat H. nur die Umgestaltung der evangelischen Kirche für ihre Entwicklung gehalten, welche aus den Grundgedanken des Protestantismus hervorgegangen ist und sie festhält, dagegen alle extremen und radicalen Bestrebungen abgewiesen. Denn „die Freiheit bedarf vor Allem der Maßhaltung, und alle ihre Feinde haben ihr nicht soviel Eintrag gethan, als ihre Uebertreibungen“. Aber nicht bloß, daß H. so die wilden Schößlinge des rationalen Principes, soviel an ihm war, abgeschnitten hat, er ist auch für das gute Recht des Supernaturalismus, nicht des dogmatischen, aber des religiösen, eingetreten, der, ohne die natürlichen Ursachen zu leugnen, hineilt zum göttlichen Urgrunde und dessen erhabenes Wort in allen großen Momenten sich unwillkürlich von den Lippen ringt. Das Christenthum selbst ist in dieser supernaturalen Form in die Welt getreten. Hiernach wurde er für einen Supernaturalisten oder doch für einen Vermittler des Rationalismus mit dem Supernaturalismus geachtet. Er ist’s gewesen im Sinne seines Ausspruches: „Supernaturalismus und Rationalismus sind gleich den Dioskuren Söhne derselben Mutter, der eine himmlischer, der andere irdischer Abkunft; wir erkennen sie als gleichberechtigte Brüder“.

Hase’s friedliche Arbeiten sind concentrirt in der Trilogie akademischer Lehrbücher. Zunächst „Das Leben Jesu“ (1829, 5. Aufl. 1865. Die Ausführung des Lehrbuchs ist die „Geschichte Jesu.“ 1876. 2. Aufl. in den Ges. W. IV), die erste rein wissenschaftliche Darstellung des hohen Gegenstandes: wie Jesus von Nazareth nach göttlicher Bestimmung durch die freie That seines Geistes und die Macht der Verhältnisse Weltheiland geworden ist, also Darstellung rein menschlicher Entwicklung Jesu, ohne das Göttliche im wahrhaft Menschlichen zu verkennen. Die eingehaltene streng historische Forschung, welche zuweilen mit einer Möglichkeit sich begnügen mußte, ist weder denen recht gewesen, die nur das Alltägliche für historisch halten, noch auch denen, welche den Einwendungen der Wissenschaft listige Einfälle entgegensetzen. Die frühere Halborthodoxie räumte ein, daß H. seinen Gegenstand auf ausgezeichnete Weise behandelt habe, sobald man einen Erlöser zugibt der göttlich ist um seiner menschlichen Vollkommenheit willen, womit aber zugleich die ganze Reihe der christologischen Theorien in der Hauptsache als ein Continuum von Irrthümern zugestanden sei. Nur bezüglich seiner Ansicht, daß Jesus seinen anfänglichen theokratisch-politischen Plan, nachdem er aus dem Erfolge seiner ersten Wirksamkeit die Unvermeidlichkeit seines zeitlichen Untergangs erkannt hatte, aufgegeben und die Gründung eines geistigen Reiches als die höhere Bedeutung seines Lebens erkannt habe, war er, den Einwendungen von Linke, Ullmann, Heubner nachzugeben, zeitweilig geneigt. Die spätere gesteigerte Orthodoxie hat es eine echte, hohle Phrase genannt, von einem Erlösungstod, wie Hase es thut, zu reden, wenn der Kreuzestod ein Scheintod war, ohne zu bedenken, daß unsere alten Dogmatiker, damit nicht die Auferstehung des Herrn zu seiner zweiten Menschwerdung werde, lehrten: humana Christi natura, materialiter considerata, in morte remansit. H. hat den orthodoxen An- und Wehklagen gegenüber nicht ungern auf Neander hingewiesen, der, so von Herzen geneigt, an das Wunder, als Durchbruch einer höheren Weltordnung, darum für Christus natürlich, zu glauben, doch, als er sein „Leben Jesu“ als durch einzelne Einstrahlungen des göttlichen Wesens unterbrochene Geschichte [43] einer menschlichen Entwicklung schrieb, so manches Mal durch seine Gewissenhaftigkeit zur Annahme von unwillkürlichen Umbildungen und Trübungen der evangelischen Ueberlieferung sich gezwungen sah. Hase’s Lehrbuch hat wacker Stand gehalten in dem Sturm, welchen Strauß als der Herostratus der evangelischen Geschichte erregte, und als nach ihm Bruno Bauer das feurige Schwert der in ihren Absolutismus erhobenen Kritik schwang, endlich als Erneste Renan’s thränenwerthe Tragödie des größten Menschensohnes die Gemüther bewegte, auch seines Theiles zur Beruhigung und Besonnenheit beigetragen. Wenn schon H. das Leben des Herrn von heiliger Sage umrändert sah, so war er doch weit davon entfernt, den Mythus zum erklärenden Princip des Ganzen zu erheben. Strauß hat nachmals über H. wegen seiner Fassung des Wunderbegriffs und wegen seiner Festhaltung am vierten Evangelium als dem Bericht eines Augenzeugen, wodurch eben die Mythenumrankung um den kahlgemachten Stamm zur Unmöglichkeit wurde, gleichwie über Schleiermacher’s Leben Jesu so unwirsch geurtheilt, daß er (meint H.) über die Schilderung seiner Vorgänger und Mitarbeiter das Herrenwort, so er’s für recht hielte, als Motto setzen könnte: Alle die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Mörder gewesen.

Wenn vormals von einem kirchenhistorischen Triumvirate gesprochen wurde, so waren damit Neander, Gieseler und H. gemeint, letzterer, weil den beiden Erstgenannten die Fortsetzung ihrer Werke bis zur Gegenwart nicht vergönnt war, vorzugsweise der moderne Geschichtschreiber der Kirche. Mit durchgebildeter Vielseitigkeit, plastischem Talente, vielsagender Kürze und mit aller Freude an markanten Individualitäten als Repräsentanten ihres Zeitalters ist von ihm die Kirchengeschichte kunstreich dargestellt und ihr mit hochgebildetem ästhetischen Sinne die kirchliche Kunst eingeordnet worden. „Der Verfasser“, schreibt ein Beurtheiler 1835, „ist bei Goethe in die Schule gegangen und hat diesem das Geheimniß abgelernt, jenes klare, erquickende Licht über die Darstellung auszugießen, in welchem auch das scharf Ausgeschnittene nie zu grell ins Auge fällt.“ Auch Weltkinder fesselte die geistvolle Darstellung und der Anflug duftiger Romantik. Hase’s Kirchengeschichtschreibung hat sich nach verschiedenen Seiten hin abgegrenzt. Im Gegensatz zu den Neologen, unter deren Händen, indem sie ihr aufgeklärtes Ich zum Maßstab der geschichtlichen Erscheinungen der Vergangenheit machten, die Kirchengeschichte sich in eine Geschichte menschlicher Thorheiten und Schlechtigkeiten, Bedlamsgalerie und Botany-Bay in Einem, verwandelte, hat H. jedem Zeitalter durch Eingehen in seine Eigenart ein liebevolles Verständnis entgegengebracht. Diejenigen, welche in Neander’s Werk, in welchem die Kirchengeschichte zum sprechenden Beweis von der göttlichen Kraft des Christenthums, zu einer Schule christlicher Erfahrung und einer durch alle Jahrhunderte tönenden Stimme der Erbauung wird, ihr Ideal erblickten, vermißten bei H. den christlichen Lebenshauch, dem kunstvollen Dom mit dem himmelanstrebenden Thurme fehle das heilige Zeichen des Kreuzes. H. hat unter Berufung auf seine eigenthümliche Entwicklung erwidert: „Vom Dornenbusch muß man nicht Trauben lesen wollen; Rosen trägt er vielleicht.“ Die speculative Theologie wollte in seiner Kirchengeschichte eine Flucht vor der Allgemeinheit des philosophischen Gedankens bemerkt haben. „Das Ganze ist nicht von einer das Einzelne verknüpfenden Idee geistig durchdrungen. Es fehlt der substantielle Kern, der Begriff des bewegenden Princips der Kirchengeschichte. Eine kirchengeschichtliche Darstellung muß, um sich nicht in der Unbestimmtheit des Stoffes zu verlieren, eine concentrirende Tendenz haben und sich in ihrem eignen Selbstbewußtsein zusammmenfassen.“ Allein die Kirchengeschichte vollzieht sich eben nicht wie ein dialektischer Proceß, als continuirliche Fortbewegung [44] des Begriffs. Daher überall, wo der Stoff reagiren würde gegen das bewegende Princip, nichts übrig bliebe, als auszuscheiden, was sich dem Principe nicht fügen will. Und so hat in der That Marheineke in seiner „Universalkirchenhistorie“ der Herrschaft des Stoffes ein Ende zu machen gesucht durch den Grundsatz: „Nur was sich verknüpfen läßt als Ursache und Wirkung wird genommen aus der chaotischen Masse, das Uebrige bleibt an seinen Ort gestellt und, so lange dasselbe nichts Verständliches und Verstandenes wird, in dem Archiv der Zeit niedergelegt.“ Da nun aber dem Kirchenhistoriker ein derartiges Verfügungsrecht über den Stoff nicht zusteht, so wird anstatt der Ausscheidung vielmehr mit H. die geistige Durchdringung des Stoffes, ruhend auf dem zur lebendigen Anschauung gewordenen Quellenstudium, zu postuliren sein. H. hat als Kirchenhistoriker zuerst nur in seinem „Lehrbuche“ (1834, 11. Aufl. 1886, 12. Aufl., ohne die Anmerkungen, 1900) fortleben wollen, nachgehends sich aber doch bewegen lassen zur Herausgabe seiner über das Lehrbuch gehaltenen Vorlesungen als große Kirchengeschichte, der erste Band noch von seiner Hand redigirt (1885, die zwei übrigen Bände von G. Crüger, Ges. W. Bd. 1–3, 2. Aufl. 1895), ein Werk geistreicher Belehrung für alle, die an geistigen Interessen theilnehmen, ausgegangen und getragen inmitten einer Zeit schneidender Gegensätze von wohlthuendem Vertrauen auf die unzerstörbare Macht des christlichen Geistes. Als weitere Ausführungen einzelner Partieen der Kirchengeschichte sind erschienen die Heiligenbilder: Caterina von Siena und Franz von Assisi, letzteres von E. Renan ein chef d’oeuvre de critique religieuse genannt; die neuen Propheten: Jungfrau von Orleans, Savonarola, Wiedertäufer; ferner das Jenaische Fichtebüchlein, das junge Deutschland, das geistliche Schauspiel und die Rosenvorlesungen kirchengeschichtlichen Inhalts (Ges. W. VI).

Hase’s dogmatisches System, wie die Kirchengeschichte zuerst als Lehrbuch für akademische Vorlesungen erschienen (1826, 6. Aufl. 1870), dann unter dem Titel „Gnosis“ in zwei Bänden ausgeführt für die Gebildeten in der Gemeinde (1827, 2. Aufl. 1869, 3. Aufl. 1893 im 7. Bd. der Ges. W.), geht aus von der Freiheit, und zwar, im Gegensatz einerseits zur schlechthinigen Abhängigkeit Schleiermacher’s, andrerseits zur absoluten Freiheit, wie Fichte in der Wissenschaftslehre, Origenes in der Glaubenslehre sie verkündet hatte, von der relativen Freiheit. Es kann bezeichnet werden als eine Analyse des Begriffs der relativen Freiheit. Auf die Einrede, daß die Freiheit, mit welcher operirt wird, nicht bewiesen werde, hat H. erwidert: der oberste Grundsatz eines philosophischen Systems ist, wenn man aufrichtig sein will, immer unbeweisbar. Eben deshalb soll ein philosophisches System nicht mit einem Satz, der immer wieder einen anderen Satz als Beweis seiner Wahrheit zur Voraussetzung haben würde, beginnen, sondern mit einem Postulat, das allenfalls einer ablehnen, wofür er aber keinen Beweis fordern kann. Das Postulat der Hase’schen Religionsphilosophie lautet: Vollziehe deine Freiheit! Der Mensch ist frei, indem er beschließt, es zu sein. Die Freiheit als solche strebt nach dem Unendlichen. Aber die menschliche Freiheit ist eine beschränkte, beschränkt nach Anfang und Ende. Wir tauchen auf aus einem Nichts, ungefragt, ob wir in dieses irdische Dasein treten wollen. Ebensowenig hat einer das Ende seines Seins in der Hand, auch nicht „das Recht einer freien Verneinung des Daseins“ ist ihm gesichert, weil er nicht wissen kann, ob das Grab ihm Vernichtung bedeutet. Die Folge des Gegensatzes zwischen dieser Abhängigkeit und der Freiheit ist das Streben vom Endlichen aus zum Unendlichen, als ein immer weiteres Aufheben der Schranken. Da es jedoch der relativen Freiheit nicht möglich ist das Unendliche zu verwirklichen und zu gewinnen, so bleibt keine [45] andere Lösung, als daß der Mensch das Unendliche durch seine Liebe sich zu eigen macht. Dem Vortrefflichen gegenüber gibt es nach Schiller keinen Ausweg als die Liebe. „Da mich der Muth verließ, ihm gleich zu sein, entschloß ich mich ihn grenzenlos zu lieben.“ Die Liebe, ein von der Erde zum Himmel gespannter Bogen, übersteigt auch den Abgrund zwischen dem endlichen und unendlichen Sein und ist das eigentliche Wesen der Religion. Die Vollendung des religiösen Lebens ist erschienen in Christo, und in einer von seinem Geist beseelten Gemeinschaft nahet auch unser Leben dieser Vollendung. In der Ueberzeugung, daß das Christenthum, allen Entwicklungsstufen der Menschheit gewachsen, immer als die göttliche Feuersäule der Wallfahrt der Menschheit nach ihrem fernen gelobten Lande vorangehen wird, hat H. den historischen Entwicklungsproceß des religiösen Geistes im Christenthum bis zur Gegenwart dargestellt und freie Kritik geübt über den historischen Stoff, nur die Dogmen für religiöse Wahrheiten achtend, die aus der Liebe Gottes hervorgehen oder sie bedingen. Freie Wissenschaft und eine religiöse Bildung, die sich ihres Ursprungs vom See Genezareth her bewußt war, sind in diesem System vereinigt, ahnungsvoll angedeutet bereits in Raymund’s de Sabunde Theologia naturalis und in den Schriften Herder’s, den H. den andern seiner theologischen Heiligen nennt. In der Sacramentslehre ist er de Wette’s ideal-ästhetischer Auffassung beigetreten, wie er denn zu Herder und de Wette sich gern als Dritter denken mochte. Der Vermittelungstheologie erschien Hase’s Dogmatik bedeutsam als Ueberleitung vom abstracten Rationalismus zur kirchlichen Theologie. Einen ihrer Vertreter (L. Pelt, H. als Dogmatiker, Reuter’s Repertorium für die theologische Litteratur, Bd. 73, S. 133–55) gemahnte sie an die Ruinen der Burg zu Rüdesheim, die innerlich wohnlich für die Gegenwart eingerichtet, äußerlich das ehrwürdige und interessante Aussehen des grauen Alterthums trägt, umrankt von Weinlaub, umgeben von zierlichem Gitterwerk und Treppen von Gußeisen. Das Erscheinen des dogmatischen Lehrbuches wurde mit dem freudigsten Dank begrüßt ob der Ehre, welche der Universität Erlangen durch einen Schüler wie Dr. H. erwachsen muß, als welcher in siegreichster Weise bewiesen habe, daß von Erlangen aus nicht bloß düsterer, mystischer Nebel, sondern auch das reinste und strahlendste Licht echter Wissenschaft erwartet werden dürfe (Theolog. Litteraturblatt 1827, S. 201). H. selbst hat seine historisch-dogmatische Thätigkeit also charakterisirt: „Für eine wissenschaftliche Betrachtung des Lebens Jesu habe ich die Bahn gebrochen und bin der weiteren Entwicklung selbständig gefolgt. Für die Kirchengeschichte habe ich einen reicheren Inhalt, eine edle Form und freie Anschauung angegeben und darin am ersten auch Nachfolger gehabt. In der Glaubenslehre habe ich eine Schule nicht gegründet und keiner der herrschenden Parteien angehört. Daher war ich nie von einer Partei getragen, aber mit Einzelnen aus allen drei theologischen Hauptparteien im freundlichen Verkehr, und nicht wenige sind aus meiner Schule hervorgegangen oder doch durch mich angeregt worden, welche christliche Begeisterung, freies Denken und moderne Bildung vereinten. Große Ereignisse, denen ich vielleicht gewachsen gewesen wäre, sind nicht an mich gekommen zur Entwicklung verborgner Kräfte.“

Zu seinen Lehrbüchern ist 1862 das „Handbuch der protestantischen Polemik gegen die römisch-katholische Kirche“ (5. Aufl. 1890 in Bd. IX der Ges. W., 7. Aufl. 1900) getreten, vorbereitet in seiner anonymen Jugendschrift „Die Proselyten“ (1827 Ges. W. VI, 115), ausgeführt in der Erwägung, daß Möhler’s Symbolik wohl mehrere gründliche Gegenschriften, aber kein ihr ebenbürtiges und nicht in der bloßen Antithese sich bewegendes Werk auf protestantischer Seite gefunden habe. Die Virtuosität der Streitkunst, die, fern von aller Maßlosigkeit [46] und Leidenschaftlichkeit, den achtungswürdigen Gegner achtet und ihm Achtung abzwingt, das geschickte Heranziehen geschichtlicher Parallelen und Beispiele, die durchsichtige Klarheit, in welche auch verworrene Dinge gestellt werden, die feine sokratische Ironie, siegender oft als die gelehrteste Deduction, die vertraute Bekanntschaft mit der Capitale des Katholicismus, ihren Kunst- und Cultusstätten, dieses alles hat zusammengewirkt, um Hase’s „Polemik“ – friedlicher als ihr Name – zu dem classischen Werk zu machen, als welches sie anerkannt ist. In der Bereitwilligkeit der Anerkennung dessen, was auch im Reiche des Papstes Anerkennung verdient oder Entschuldigung, ist das siegesbewußte Vertrauen auf die eigne Sache ausgesprochen und liegt keine geringe Macht über den Gegner. Um aber so siegreich die Sache des Protestantismus zu führen, dazu gehörte auch die Geschlossenheit der dogmatischen Grundanschauung als eines freien Geistes freieigene Errungenschaft, wie nicht minder die große, reiche Kenntniß der Kirchengeschichte, die bis in das verborgenste Versteck katholischem Irrthum nachgehen und seine geschichtlichen Beweise entkräften konnte. Anfangs schien man katholischerseits Hase’s Polemik ganz ignoriren zu wollen. Allgemach wagten sich einige Pamphlete hervor unter nicht gerade einladenden Titeln, wie die „Fußangeln für protestantische Polemiker“ (1865) von Rector F. X. Schulte, und die „Litterarische Hasenjagd“ (1866) von L. Clarus (Geh. Regierungsrath Volck in Erfurt). Auf Widerlegung solcher Schriften hat sich H. selbstverständlich nicht eingelassen. Dagegen auf das „im Dienste des Evangeliums des Friedens, mit Liebe zur Wahrheit und Schonung der Personen“ geschriebene Buch von F. Speil (damals Subregens des Clerical-Seminars in Breslau) „Die Lehren der katholischen Kirche gegenüber der protestantischen Polemik“ (1865) ist er in Anmerkungen der späteren Auflagen der „Polemik“ eingegangen.

Die Hallischen Jahrbücher in ihrer mehrfach übel vermerkten Charakteristik der Universität Jena (1839) sagten von H., seine Berufung sei ganz im Geiste des jugendlich voranschreitenden Jena geschehen. Er ist der Repräsentant der Jenaischen Theologie im 19. Jahrhundert geworden, wie Johann Gerhard (s. A. D. B. VIII, 767) es war im 17. Jahrhundert. H. hat 1858 von Jena gesagt: „Johann Friedrich gründete glaubensmuthig durch eine große, sittliche That dem Protestantismus eine hohe Schule, welche im Laufe der Zeiten unerschrocken die Consequenz des Protestantismus gezogen und seine Entwicklung in der Theologie mit vollzogen hat, nämlich Versöhnung der Geschichte mit der Vernunft, der heiligen Ueberlieferung mit der wahrhaften Geistesbildung der Gegenwart, der freien Persönlichkeit mit der christlichen Gemeinschaft.“ Mannhaft ist er allezeit für seine Facultät als eine Burg der freien protestantischen Wissenschaft gegen alle Verdunkelung eingetreten, so noch 1881, als die Positiv-Unirten und landeskirchlichen Lutheraner, in der Thüringer kirchlichen Conferenz vereint, die Forderung stellten, durch Berufung namhafter evangelisch-lutherischer Theologen zu Professoren der Theologie der einseitigen liberalen und negirenden Richtung in Jena ein Gegengewicht zu geben („Das Eisenacher Attentat auf die theologische Facultät Jena im Jahre des Heiles 1881“. Jena 1881, S. 51 ff.). Aber er war nicht bloß Professor Jenensis, auch nicht bloß ein Praeceptor Germaniae, viele seiner Schriften sind in fremde Sprachen übersetzt (ein Verzeichniß der Uebersetzungen im Anhang zu Bd. X der Ges. W.), er selbst im fernen Hellas παρά τοίζ περιπύσις δεολόγοις gerechnet worden, quem – wie es in einem ihm gewidmeten Ehrendiplome heißt – vis ingenii et animi virtus, quem doctrinae praestantia et elegantia sermonis, quem mentis nobilitas, humanitas, fides carum et conspicuum reddiderunt omnibus popularibus et exteris. Er hat [47] ein hochbeglücktes Leben geführt, reich an Ehren und Beweisen der Liebe, und die träumerischen Hoffnungen seiner Jugend, wiedererweckt durch die mächtige Volksbewegung des Jahres 1848, sah er durch den idealen Krieg des Jahres 1870, an welchem seine drei Söhne rühmlichen Antheil nahmen, der Erfüllung nahe gebracht. Und diesem beglückten Leben hat auch der schöne Schlußstein, „ein Tod in liebenden Armen und eine ehrenvolle Bestattung“ nicht gefehlt. Unter den Gebeten seiner Kinder – die geliebte Lebensgefährtin, mit welcher die goldne Hochzeit zu feiern ihm vergönnt gewesen, war ihm (1885) in die ewige Heimath vorangegangen – ist er in der Morgenstunde des 3. Januar 1890 sanft entschlafen und mit allen kirchlichen und akademischen Ehren im Erbbegräbniß auf dem Friedhof zu Jena, der Ruhestätte so vieler großer Todten, bestattet worden („Zur Erinnerung an den Heimgang des Professors der Theologie D. C. A. v. Hase.“ Leipzig 1890). Seinen hundertsten Geburtstag haben Freunde und Verehrer gefeiert durch eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus (F. Blanckmeister, Festrede zur Enthüllung einer Gedenktafel an Hase’s Geburtshaus bei der Feier seines 100. Geburtstages in Niedersteinbach [Beiträge zur sächs. Kirchengeschichte 1901, Heft 15, S. 265–277]) und durch ein Denkmal in der Stadt seiner fast sechzigjährigen akademischen Wirksamkeit.

Ein vollständiges Verzeichniß der Schriften Hase’s und auch der von ihm herausgegebenen Werke – nämlich Libri symbolici ecclesiae evangelicae sive Concordia, 1827, Ed. III, 1846. – Tzschirners Christliche Glaubenslehre, 1829. – Baumgarten-Crusius, Christliche Dogmengeschichte, 2. Theil, 1846. – C. von Wolzogen’s Litterarischer Nachlaß, 1848, 2. Aufl. 1867 – in Ges. W. XII, 575. – Seine Jugenderinnerungen unter dem Titel Ideale und Irrthümer (1873, 3. Aufl. 1890), seine Erinnerungen an Italien und Annalen meines Lebens in Ges. W. XI. – Dazu: Der Burschenschafter auf dem theologischen Lehrstuhl. Eine Jubiläumshuldigung (Gartenlaube 1880 Nr. 29 ff). – G. Frank, Die Jenaische Theologie, 1858, S. 123 u. Decanatsrede (Zeitschr. für wissenschaftl. Theologie 1895, S. 161–186). – K. Alfred v. Hase, Geschichte der Familie Hase in 4 Jahrhunderten, 1898, S. 184–242. – G. Krüger, K. A. v. Hase (Realencyklopädie f. protest. Theol. u. Kirche. 3. Aufl. VII, 453 bis 461. – F. Blanckmeister, K. v. Hase. Ein Lebens- u. Charakterbild („Pfarrhaus“ 1900 Nr. 2, S. 26–31). – G. Fuchs, K. v. Hase, ein Bekenner des Christenthums und der Freiheit, 1900. – R. Bürkner, K. v. Hase, ein deutscher Professor, 1900. – Außerdem zu vergleichen die Geschichten der protestantischen Theologie von K. Schwarz, F. Nippold, O. Pfleiderer. Eine auführliche Besprechung der Ges. W. von P. Baumgärtner in der „Christlichen Welt“ 1894, Nr. 33 ff. – In A. Petzold’s Amtskalender für die evangel. Geistlichen des Großherzogthums Weimar (1900) ist, um Hase’s religiöse Anschauung zu kennzeichnen und sein Andenken zu ehren, jedem sonntäglichen Hauptpredigttexte ein Wort aus seinen Schriften beigegeben.