Zum Inhalt springen

ADB:Haß, Johannes

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Haß, Johannes“ von Otto Kaemmel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 750–753, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ha%C3%9F,_Johannes&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 21:52 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Haß, Kunz
Band 10 (1879), S. 750–753 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand Januar 2019, suchen)
Johannes Haß in Wikidata
GND-Nummer 119695812
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|10|750|753|Haß, Johannes|Otto Kaemmel|ADB:Haß, Johannes}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119695812}}    

Haß: Johannes H., Stadtschreiber und mehrmals Bürgermeister von Görlitz, Verfasser einer der bedeutendsten Stadtchroniken des angehenden 16. Jahrhunderts, geboren um 1476 zu Greiz im Vogtlande, gestorben am 3. April 1544 zu Görlitz. Aus einer Handwerkerfamilie seiner Vaterstadt entsprossen, besuchte H. nach mehreren anderen Anstalten auch die damals weitbekannte Stadtschule in Görlitz (seit Ostern 1491) und wurde sodann Michaelis 1493 in der philosophischen Facultät der Universität Leipzig inscribirt. Nachdem er hier das Baccalaureat erlangt, widmete er sich eine Reihe von Jahren hindurch dem Lehrerberufe in Zittau und Zwickau, bekleidete an letzterem Orte sogar das Rectorat, kehrte aber dann nach Leipzig zurück, um seine Studien mit der Erwerbung des Magisteriums abzuschließen (Ende 1505). Die nächsten Jahre verbrachte er in Naumburg als Lehrer, wie es scheint an der dortigen Domschule. Wie mancher [751] andere Schulmann seiner Zeit vertauschte er jedoch bald den Beruf des Lehrers mit dem einträglicheren eines städtischen Beamten, indem er im April 1509 die Stellung eines Stadtschreibers in Görlitz übernahm. Er trat damit ein in die Verwaltung einer der ansehnlichsten Stadtgemeinden des östlichen Deutschland, der hervorragendsten unter den Sechsstädten der damals seit Jahrhunderten mit Böhmen verbundenen Oberlausitz. Inmitten der ganz oligarchischen Organisation der städtischen Behörden behauptete das von H. seitdem bekleidete Amt eine um so wichtigere Stellung, als es das einzige auf unbeschränkte Zeit verliehene war, seinem Inhaber also einen dauernden und zwar sehr eingreifenden Einfluß sowol auf das Finanz- und Gerichtswesen der Gemeinde als auch und vor allem auf die Führung ihrer auswärtigen Geschäfte gestattete, welche oft keinen geringen Grad von diplomatischem Geschick voraussetzte. Eben damals stand der Bund der Sechsstädte im lebhaftesten Kampfe mit dem Adel seiner Landschaft theils um die Ausdehnung der städtischen Gerichtsbarkeit, welche Görlitz, Lauban, Löbau und Zittau auch über den ganzen Kreis, dessen Mittelpunkt die einzelne Stadt war, sogar über den Adel desselben erstreckte, theils um das städtische Gewerbemonopol, welches der Adel zu durchbrechen strebte. In zahlreichen Land- und Städtetagen der Oberlausitz, wie auf häufigen Sendungen nach dem böhmischen Königshofe verfocht damals H. das Recht seiner Stadt, und nicht zum wenigsten sein Verdienst war es, wenn es dem Städtebunde gelang, die Aufhebung des Kuttenberger Spruches am 26. Februar 1510, welcher den städtischen Gerichten alle Competenz über die Ritterschaft absprach und sie damit in die übelste Lage brachte, nach langen schwierigen Verhandlungen durchzusetzen (17. Sept. 1514). Kurz nachher vermählte sich H. mit der Tochter des wohlhabenden Breslauer Bürgers Hans Krapff, Barbara. War jene Schwierigkeit zum guten Theile durch Haß’ aufopfernde Thätigkeit beseitigt, so war er in einer andern kaum minder wichtigen Angelegenheit, welche ihn während der nächsten Jahre vorwiegend beschäftigte, weniger glücklich. Da Görlitz das ihm seit 1330 zustehende Münzrecht in der letzten Zeit im Uebermaße ausgeübt und die sogen. „Görlitzer Pfennige“ (in Silber), welche in der ganzen Landschaft das herrschende, in den angrenzenden Strichen ein sehr gebräuchliches Zahlungsmittel bildeten, in nachlässiger Prägung und leichter als gesetzlich ausgebracht hatte, so verboten Ende 1515 nach dem Vorgange Böhmens auch Mähren, Meißen und die meisten schlesischen Städte die Görlitzer Münze. Eine schwere wirthschaftliche Krisis, unter welcher die ganze Oberlausitz ebenso wie Görlitz selbst zu leiden hatte, war die nothwendige Folge. Aufs Angestrengteste bemühte sich H., auf der einen Seite die schwer geschädigten Bundesstädte und den gereizten Adel zu begütigen, auf der andern vor allem Böhmen für das Geld seiner Stadt wieder zu erschließen, während zugleich die Görlitzer Behörden das Möglichste thaten, um das schlechte Geld aus dem Verkehr zu ziehen und durch neugeprägtes zu ersetzen. Auf diesem Wege ist denn auch nach und nach die Krisis überwunden worden, während die meist von H. geführten Verhandlungen nicht zum Ziele führten. Die wirthschaftliche Bedrängniß, in welcher sich Görlitz Jahre hindurch sah, trug aber auch nicht wenig dazu bei, die Unzufriedenheit der Zünfte, namentlich der mächtigen Tuchmacherzunft, mit dem Regimente des Rathes, in dem nur wenige Handwerksmeister Aufnahme fanden, aufs Aeußerste zu steigern und ebenso wie in so vielen andern Städten jene Verbindung kirchlicher und politischer Bewegungen hervorzurufen, die der Reformationszeit charakteristisch ist. Eine Seuche, welche im J. 1521 Görlitz verheerte, erschütterte in der bisher kirchlich sehr devoten Stadt vollends die alten Grundlagen der religiösen Ueberzeugung, namentlich den Glauben an die seligmachende Kraft der sogen. guten Werke, und verschaffte den Predigten des lutherisch gesinnten Stadtpfarrers Franz [752] Rothbart williges Gehör. Fest stand H., wie der ganze Rath, auf dem Boden der alten Kirche, weniger aus kirchlicher Devotion, wie er denn über die Gebrechen des Clerus seiner Zeit in schärfster Weise geurtheilt hat und ein entschlossener Gegner jeder clerikalen Anmaßung war, als in der sehr begründeten Furcht, daß mit dem Zusammensturze des alten Kirchenthums auch die städtische Oligarchie in Gefahr komme. Daher vor allem die bittere Feindschaft, welche H. gegen Luther zeigt, und die Zähigkeit, mit der er die einbrechenden Neuerungen bekämpft. Er war es besonders, der die Entlassung Rothbart’s durchsetzte (Ostern 1523), aber er konnte dann nicht hindern, daß der Rath, um die auf politische Umgestaltung und freie Predigt des Evangeliums zugleich dringenden Zünfte wenigstens einigermaßen zu befriedigen, die Zurückberufung des Pfarrers beschloß (Ostern 1525) und damit nicht nur der lutherischen Reformation Thür und Thor öffnete, sondern auch die Bewegungspartei überhaupt ermuthigte, an gewaltsamen Umsturz der städtischen Verfassung zu denken. Der furchtbare Brand, welcher in der Nacht des 12. Juni 1525 einen großen Theil der Stadt in Asche legte und auch Haß’ Haus verzehrte, brachte die Bewegung nur für kurze Zeit zum Stillstande; bald entwickelte sich die Agitation unter Leitung des Tuchmachers Alexander Bolze aufs Heftigste. Der Rath indeß wies die Forderungen der Zünfte ab, ließ ihre Führer verhaften. Eine Verschwörung zum Zwecke ihrer gewaltsamen Befreiung wurde von H. entdeckt, dann rasch und energisch, freilich auch mit blutiger Strenge, unterdrückt (September 1527). Mit so großer Befriedigung aber auch H. die Niederwerfung der politischen Revolution betrachtete, den Fortgang der kirchlichen Umwälzung vermochte er nicht zu hindern. Um so lieber wandte er sich deshalb den auswärtigen Geschäften seiner Stadt zu, die seit der Thronbesteigung K. Ferdinands I. seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. An der Spitze der Görlitzer Deputirten wohnte er im Februar 1527 der Krönung des Habsburgers zu Prag bei, und wirkte dann bei der Bewilligung der Türkensteuern von 1529 und 1532 mit, Verhandlungen die ihn zu den beiden Generallandtagen der böhmischen Kronlande nach Budweis und Prag führten; im letztgenannten Jahr war er auch bei der Sammlung der für den Türkenkrieg geworbenen sechsstädtischen Mannschaften in Zittau beschäftigt, nahm überhaupt das regste Interesse an jenen Ereignissen, über die er dann in seiner Chronik sorgsam berichtete, was ihm bekannt geworden. Andere Sorgen nahmen ihn aber bald in noch erhöhtem Maße in Anspruch. Im J. 1530 mußte er einen für seine Stadt höchst ungünstigen Vertrag mit dem Adel unterzeichnen, welcher ihre Gerichtsbarkeit empfindlich schmälerte. Erst nach langer aufopfernder Arbeit gelang es ihm, nicht nur die Bestätigung der städtischen Privilegien, in welchen die alte Ausdehnung der Gerichtsbarkeit implicite enthalten war, bei König Ferdinand durchzusetzen (15. Juli 1533), sondern auch einen neuen Vertrag zu erringen, welcher das frühere Verhältniß fast in seiner ganzen Ausdehnung wiederherstellte (19. Februar 1534). Die damals von ihm ausgearbeitete Denkschrift über die Entwicklung der städtischen Gerichtsbarkeit nahm er nachher in seine Chronik auf. Es erschien nur als verdiente Anerkennung, wenn H. im September 1533 zum Aeltesten des Schöffencollegs, dessen Mitglied er schon seit 1519 zeitweilig gewesen, und 1535 zum Bürgermeister erhoben wurde; noch zwei Mal, 1539/40 und 1543/4, hat er diese höchste Würde seiner Stadt bekleidet, ist auch 1536 von Kaiser Karl V. geadelt worden. Seine letzten Lebensjahre waren wieder theils durch Theilnahme an den Berathungen über Türkensteuern bezeichnet – so 1537, 1541 und 1543 –, theils durch neue Streitigkeiten mit dem Adel, die endlich der König am 8. Februar 1544 durch die Decisio Ferdinandea zum Nachtheil der städtischen Rechte entschied. Krank und tief bekümmert kehrte H. [753] nach Görlitz zurück; am 3. April 1544 ist er als Bürgermeister im Glauben der katholischen Kirche gestorben. H. war kein hervorragender Geist, aber ein fester, energischer Charakter, voll scharfen praktischen Verstandes und warmen Interesses für seine Stadt, die ihm als das Höchste auf Erden galt, in jedem Zuge ein echter Vertreter des nicht eben weitsichtigen, aber durch und durch charaktervollen deutschen Bürgerthumes seiner Zeit. Ihm hat er zugleich in seinen „Görlitzer Rathsannalen“ ein bleibendes Denkmal gesetzt. Sie umfassen in drei Bänden die Zeit von 1509 und 1542, doch sind dieselben im Einzelnen von einander wesentlich verschieden. Der erste Band besteht aus einer zusammenhängenden Reihe von Aufzeichnungen über die Geschäfte, welche H. in den J. 1509–17 durch die Hände gegangen sind, er ist also gleichzeitig mit den Ereignissen entstanden, besitzt deshalb den vollen Werth einer authentischen Quelle, deren Bedeutung, da H. in die Verhältnisse der Nachbarlande, namentlich Böhmens, tiefe Einblicke gewann, weit über die Grenzen der Oberlausitz hinausgeht. Der zweite Band, im J. 1517 begonnen, behandelt in erster Linie zusammenhängend die Münz- und Absatzkrisis seit dem J. 1515, geht dann aber ganz in die Weise des ersten Bandes über und schließt mit dem J. 1521 ab. Anders der Charakter des dritten Bandes. Die schweren Verwicklungen seit 1521 machten es H. unmöglich, in der bisherigen Weise seine Aufzeichnungen gleichzeitig mit den Ereignissen fortzusetzen; erst 1534 (19. März) begann er wieder mit der Niederschrift. Jetzt sah er sich veranlaßt, in zusammenfassender Darstellung mit Weglassung manches Nebensächlichen die Geschichte seiner Stadt von 1521 an darzustellen, vor allem die Entwicklung der kirchlichen Verhältnisse und der eng damit zusammenhängenden bürgerlichen Unruhen. In ähnlicher Weise hat er dann auch von 1534–42, wo er mitten im Satze abbricht, die Ereignisse behandelt. Ist nun dadurch in die Darstellung namentlich der Zeit von 1521–34, manche Ungenauigkeit, besonders in chronologischer Beziehung hineingekommen, so verleiht doch die mehr pragmatische Auffassung der Thatsachen in Verbindung mit der sehr stark hervortretenden Subjectivität des Verfassers, die sich vor Allem in dem Urtheil über die kirchliche und bürgerliche Bewegung äußert, dem Bande ein erhöhtes Interesse und den Werth eines wirklich litterarischen Werkes. Die sprachliche Fassung ist einfach und leicht verständlich, die Sprache selbst trägt neuhochdeutsches Gepräge, wenn sie auch noch manche alterthümliche Formen und namentlich eine große Anzahl von Provincialismen aufweist.

Vgl. Görlitzer Rathsannalen, herausgeg. von Th. Neumann und E. Struve als 3. u. 4. Band der Scriptores rerum Lusaticarum, Görlitz 1852. 1870. Otto Kämmel, Johannes Haß, Stadtschreiber und Bürgermeister zu Görlitz. Ein Lebensbild aus der Reformationszeit. Dresden, H. Burdach, 1874 (auch im Neuen Lausitzischen Magazin Bd. 51) VIII und 248 S.