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ADB:Florencourt, Franz von

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Artikel „Florencourt, Franz von“ von Johann Saß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 594–600, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Florencourt,_Franz_von&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 21:44 Uhr UTC)
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Florencourt: Franz Chassot von F., bedeutender Publicist, wurde am 4. Juli 1803 in Braunschweig geboren. Seine Vorfahren gehörten einer alten normannischen Familie an. Sowol sein Großvater, der um 1780 aus [595] Frankreich einwanderte und in die Dienste des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig trat, als sein Vater bekannten sich wenigstens äußerlich zur katholischen Religion, waren aber beide mit protestantischen Frauen verheirathet. Der Knabe wurde in der Confession seiner Mutter erzogen, ohne jedoch ein inneres Verhältniß zum evangelischen Glauben zu gewinnen. Der gänzliche Mangel lebendiger Religiosität im Elternhause, der Skepticismus des Vaters und die oberflächlichen Lehren der Schule boten ihm, der von Haus aus tief religiös veranlagt war, weder Halt noch positive Förderung. Mit allen Fragen und Zweifeln sich selbst überlassen, wurde er ein leidenschaftliches, tief verschlossenes Kind, dem es ohne Glauben auch an Kraft fehlte, die ihm von den Eltern ertheilten Sittenlehren zu erfüllen. In seinem Buche „Meine Bekehrung zur christlichen Lehre und christlichen Kirche“ (Paderborn 1852) schildert F. eingehend diese Qualen und Kämpfe seiner jungen Jahre, deren fortwirkende Spuren sich durch sein ganzes späteres Leben ziehen. „Man hört und liest viel von den glücklichen und unschuldigen Tagen der Jugend“ – heißt es da – „ich habe diese selige, unschuldige Zeit der Jugend nie gekannt, und quälende Unruhe des Gewissens über die Verletzung des von meinen Eltern mir gelehrten Gesetzes ist die Grundstimmung, die schon den Knaben[WS 1] wachend und träumend peinigte.“ Segensreich fürs Leben war und blieb für ihn nur der Einfluß des natürlich-frommen Wesens seiner Mutter. „Das lebendige religiöse Grundgefühl, was auch in den wüstesten Perioden meines Lebens mich nie verlassen hat, und meine stete Sehnsucht nach einer Annäherung zu Gott schreibe ich diesem Einflusse zu.“ Dagegen blieb der von einem rationalistisch gesinnten Geistlichen ertheilte Confirmationsunterricht und die Confirmation selbst ohne jede bessernde Wirkung auf sein Innenleben. Im Gegentheil, „statt ein lebendiges, mündiges Mitglied der Kirche zu werden, war er nun erst definitiv ein todtes geworden“. Auch während seiner Jünglingsjahre gelang es nicht, Plan und Haltung in sein Thun und Treiben zu bringen. Wir geben ihm darüber wieder selbst das Wort. „Die meisten Menschen“, sagt er in der bereits erwähnten Schrift „Meine Bekehrung“ (S. 51 ff.), „denen mit dem Glauben an Christus auch das Streben nach Heiligung und dereinstiger Seligkeit schon in der Jugend abhanden gekommen ist, erwählen als Surrogat dafür, als Norm ihres Dichtens und Trachtens, eine gewisse weltliche Klugheitslehre, um sich damit tüchtig zur Erringung der weltlichen Vortheile und der materiellen Güter dieser Erde zu machen, da sie von überirdischen Gütern einmal nichts mehr wissen. Ihre Sittlichkeit wird von einem instinctartigen Eigennutze geregelt. Wer aber, wie ich, sei es nun von Natur oder durch die Eindrücke des elterlichen Hauses, von der lebhaftesten idealistischen Sehnsucht und von einer unbegrenzten Liebe für alles, was den Menschen über sein bloß eigennütziges und thierisches Ich erhebt, getrieben und gestachelt wird, der muß nothwendiger Weise ohne Kompaß durch die Wogen wüst und wild umhergeworfen werden, wenn er den einzig möglichen Führer, Christus und sein Gesetz, außer Augen verloren hat. Die blos irdische Klugheit, die bis zu gewissen Grenzen auch ihr festes Gesetz hat, verachtet er, und die göttliche Offenbarung, nach der unbewußt sein ganzes Wesen lechzt, kennt er nicht, weil sein Blick für dieselbe verdüstert, sein Auge verschleiert ist. Ich gehörte einmal zu den Menschen, die das Gesetz aus Liebe erfüllen wollen und für welche ohne Liebe kein Gesetz vorhanden war. Hätte ich nun Liebe zu Christus und zu seiner heiligen Kirche gehabt, so würde ich auch das Gesetz, was diese uns auflegen, erkannt und zu erfüllen gestrebt haben. Stattdessen aber gab ich mich mit meiner Liebe irdischen Gegenständen hin, von denen ich alsdann das Gesetz ableitete, nach welchem ich für den Augenblick [596] zu handeln hatte. Die nothwendige Folge mußte planloses, leidenschaftliches Hineinstürmen ins Leben, mußte Zerstörung meiner selbst durch die Sünde sein. Aus dieser Andeutsung mag man es erklärlich finden, wie ich von Hause aus in günstiger äußerer Stellung, wohlhabend, kräftigen Körpers und nicht ohne geistige Talente es dennoch nie zu einer bürgerlichen Stellung habe bringen können, Gesundheit und Vermögen zum guten Theil verschleudert habe, während unzählige andere, die weniger natürliche Gaben besaßen, alle diese äußeren Zielpunkte mit Leichtigkeit erreicht haben, eben weil ihre weltliche Klugheit nicht gestört wurde von unklarer Sentimentalität und idealistischer Ueberschwänglichkeit“. Diese krankhafte, leidenschaftliche Sentimentalität wurde bei F. noch genährt durch eine ins Uebermaß getriebene verkehrte Lectüre. „Die große Bibliothek meines Vaters setzte mich in den Stand, schon als Knabe eine unendliche Menge von Gedichten und Romanen zu lesen, worin die überschwänglichsten Helden der Freundschaft, der Liebe und der Freiheit auftraten, und wodurch mein ohnehin zur leidenschaftlichen Sentimentalität gestimmtes Gemüth in immer krankhaftere Erhitzung hineingetrieben wurde. Schiller und Kotzebue, Jean Paul und August Lafontaine, wenn auch an Bildung und Intensivität des Gefühls himmelweit verschieden, wirkten doch gemeinsam auf dieses Ziel hin: auf Steigerung eines romanhaften Gefühls und auf unglückselige Uebertragung meiner Sehnsucht auf die verkehrtesten Gegenstände. Mit der Schwärmerei für Freundschaft begann die leidenschaftliche Irrfahrt durchs Leben schon auf der Schule; später trat eine durch Romane verbildete Geschlechtsliebe hinzu, und als drittes fand sich dann zuletzt die politische Schwärmerei für das Wörtchen Freiheit ein. In derartigen leidenschaftlichen Aufregungen habe ich meine Jünglingsjahre verbracht, und ein planloseres, immer nur an den augenblicklichen Moment gefesseltes Streben mag wohl selten gefunden werden. Zu diesem leidenschaftlichen Gefühlsdrange kam noch eine lebhafte Sinnlichkeit hinzu, wodurch der Zwiespalt und die Zerrissenheit meines Wesens nur noch mehr vergrößert wurde, indem meine überspiritualistische Gefühlsrichtung mit den Begierden in der erklärtesten Feindschaft war, beide ganz unvermittelt neben einander sich geltend machten. Dadurch kam denn auch wieder die Unwahrheit in mein von Haus aus offenes und hingebendes Wesen.“

In diesen „folternden Widersprüchen“ lebte F., bis er in seinem einundzwanzigsten Jahre die Universität bezog. Jetzt befreite er sich sehr bald von ihnen, indem er in kühner Speculation die Existenz eines Sittengesetzes überhaupt leugnete, Willensfreiheit und objective Moral abschaffte, alles aus dem nexus rerum erklärte und sich ganz auf sich selbst stellte in dem Gefühl: „ich habe das Recht so zu sein, wie ich bin, und nur meine Auffassungsweise, meine Gefühlsweise ist das Gesetz, wonach ich fortan zu leben habe“. Für den Augenblick war damit der Kampf „zweier sich um ihn streitenden und sein Bewußtsein zerfleischenden Potenzen“ von ihm genommen. Zunächst widmete er sich in Marburg vier Jahre hindurch dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften. Gleichzeitig wurde er ein eifriges Mitglied der Burschenschaft. In Marburg lernte er im Winter 1824 den früh verstorbenen Friedrich Begemann kennen, dessen Dichterseele einen tiefen Einfluß auf ihn gewann, der von allen Freunden „am Innerlichsten“ auf ihn wirkte. Er war es, der „die Fittiche seiner Seele entfesselte, der ihn fühlen und wahr sein lehrte“. Durch ihn bekam er Selbstvertrauen und Lebenssicherheit. Dem Andenken dieses Freundes und einer Besprechung seiner Gedichtsammlung „Blumen von der Saale“ (Jena 1828) gilt einer der ersten Aufsätze Florencourt’s, in dem er zugleich ein anschauliches Bild von dem damaligen Studentenleben [597] entwirft. Sein eigenes Studentenleben setzte er weit über die gewöhnliche Frist hinaus fort und kann geradezu als Typus des „alten Studenten“ jener Zeit angesehen werden. Die Burschenschaft bildete nach wie vor einen Hauptgegenstand seiner geistigen Thätigkeit. Er beabsichtigte auch ihre Geschichte zu schreiben, die jedoch an den Censurverhältnissen scheiterte. 1834 wurde er in die Demagogenuntersuchungen verwickelt und saß längere Zeit in Kiel auf dem Carcer der Universität. Obgleich freigesprochen mußte er doch die Hoffnung auf ein öffentliches Amt aufgeben und sah sich so durch den Zwang der Verhältnisse – er hatte sich inzwischen auch verheirathet – zur journalistischen Thätigkeit hingedrängt, besonders nachdem der Plan, nach Amerika auszuwandern und dort das Glück zu versuchen, im letzten Augenblick daran gescheitert war, daß ihm die für diesen Zweck bestimmte Summe in Hamburg gestohlen wurde. Durch Wienbarg trat er in Verbindung mit den in Hamburg erscheinenden „Literarischen und kritischen Blättern der Börsenhalle“, deren Redaction er im J. 1838 übernahm. Sehr bald drang der Ruf seiner gewandten Feder in weitere Kreise. Aufsehen erregte namentlich ein Aufsatz, in dem er die Rechte der katholischen Kirche gegen die Eingriffe der preußischen Regierung vertheidigte und das Verfahren gegen den Erzbischof Clemens August von Köln scharf mitnahm, sowie ein anderer, der die Lügenhaftigkeit und Unrechtlichkeit der rationalistischen Geistlichen geißelte, nachdem einer von ihnen die Bibelgläubigen in Hamburg in einem Zeitungsartikel mit rohem wegwerfendem Hochmuth behandelt hatte. Beide Aufsätze sowie auch der oben erwähnte über Begemann finden sich zusammen mit zahlreichen anderen Beiträgen Florencourt’s zu den „Blättern der Börsenhalle“ wiederabgedruckt in seinem Buche: „Politische, kirchliche und literarische Zustände in Deutschland. Ein journalistischer Beitrag zu den Jahren 1838 und 1839“ (Leipzig 1840). Geist und Scharfsinn, strenge Wahrhaftigkeit und ein hoher Idea1ismus zeichnen die ganze Sammlung aus. Ueberall dringt ihr Verfasser auf Gesinnung und bekämpft energisch den Indifferentismus und die „Lüge der Zeit“.

1840 verließ F. Hamburg, wo er unter andern auch Wichern, den Vorsteher des Rauhen Hauses, als Freund gewonnen hatte, und zog nach dem Königreich Sachsen. Aus Leipzig ausgewiesen wandte er sich nach Thüringen und siedelte sich auf einem kleinen Landsitz in der Nähe von Naumburg an. Als Nachbar des alten Jahn zu Freyburg, der oft über Saale und Unstrut zu ihm herüberkam, lebte er hier eine Weile als einfacher Landmann und fand seine Befriedigung in der „conservativen Kraft des Ackerbaus“. Das Amt eines Naumburger Stadtverordneten, das man ihm übertrug, legte er sehr bald wieder nieder. Aus der Zeit seines Naumburger Aufenthalts ist besonders sein Auftreten gegen Uhlich und die „Lichtfreunde“ erwähnenswerth. Seine „Rede, gehalten in der Naumburger Versammlung der ‚protestantischen Freunde‘ am 8. Juli 1845“ erschien im Druck Elberfeld 1846. Inzwischen begann er aufs neue mit größtem Eifer seine Tagesschriftstellerei. Nicht thatenlos vermochte er den Zeitereignissen zuzusehen. „Jener elektromagnetische Telegraph zwischen der Welt und unserem eigenen Herzen, der uns zu fortwährender Mitleidenschaft zwingt“, ließ ihm keine Ruhe. In den „Blättem für literarische Unterhaltung“ ließ er eine Artikelreihe über die „Politische Literatur der Gegenwart in Deutschland“ erscheinen (Jg. 1843, Nr. 24–26, 57–59, 70–72) und betheiligte sich unter anderem an Biedermann’s „Deutscher Monatsschrift“ und dessen „Herold“ sowie an Wigand’s „Epigonen“. Mit unerschütterlichem Rechtsgefühl trat er immer wieder für die Forderungen des Liberalismus ein, namentlich für Constitution und Preßfreiheit und [598] kämpfte andererseits unermüdlich für das Recht und die Unabhängigkeit der verschiedenen Glaubensrichtungen, ohne sich selbst an eine bestimmte zu binden. Es kommen hier in erster Linie seine „Fliegenden Blätter über Fragen der Gegenwart“ (Heft 1-3, Naumburg 1845-46; Heft 4 „Ueber Bürgerversammlungen“, Leipzig 1846) sowie seine „Zeitbilder“ (Bd. 1–2, Grimma 1847) in Betracht, deren „mannbare, entschiedene Gesinnung, die weder nach oben noch nach unten Rücksichten nimmt“, die Kritik rühmend hervorhebt, während sie zugleich die „schulmeisterliche Methode“ tadelt, „die sich nicht selten mit einem gewissen pedantischen Hochmuth aufspreizt und das Recht für sich in Anspruch nimmt, allem, was außer ihr liegt, den Kopf zu waschen“. (Vgl. Bl. f. lit. Unterh., Jg. 1847, S. 1256.) Aus derselben Zeit stammen die beiden Broschüren: „Der Polenproceß und die Polenfrage im August 1847“ (Grimma 1847) und „Zur preußischen Verfassungsfrage“ (Hamburg 1847). Von 1847 bis 1848 redigirte F., abwechselnd in Dresden und bei seiner Familie in Naumburg lebend, den sächsischen „Verfassungsfreund, Zeitschrift für Constitutionalismus und conservativen Fortschritt. Ein Oppositionsblatt gegen Radicalismus und politische Experimentierlust“. So lautet genau der langathmige, aber höchst charakteristische Titel dieses Organs der conservativen sächsischen Adelspartei, das liberale und aristokratische Tendenzen in seltsamer Mischung vertrat. Als Leiter des „Verfassungsfreundes“ gerieth F. in eine heftige Fehde mit seinem früheren Freunde Robert Blum.

Die Revolution von 1848 fand den ehemaligen Burschenschafter auf der äußersten Rechten. Die Methode seiner publicistischen Thätigkeit wurde jetzt eine andere. Während er früher mit vielen politischen Blättern weit verzweigte Verbindungen unterhielt und von irgend einer Tagesfrage ergriffen, „ein alter Landsknecht“, bald diesem, bald jenem bei der Durchführung einer Fehde zur Seite trat, brach er jetzt alle diese Verbindungen ab und concentrirte sich auf einen eigenen Kampfplatz, den er sich in dem Hallischen „Volksblatt für Stadt und Land“ schuf, dessen Redaction vom 12. April 1848 bis zum 31. August 1849 in seinen Händen lag. Ahlfeld, Jahn, Tholuck u. A. waren seine Mitarbeiter. Aus dem Programm, das F. zur Darlegung seines Standpunktes in der ersten von ihm redigirten Nummer veröffentlichte, seien hier nachstehende Sätze wiedergegeben, weil sie besser als alles andere zur Charakteristik ihres Verfassers dienen. Nachdem er betont hat, daß ihm „die christliche Ausbildung, der Geist der Milde und die eigentliche Weihe“ fehle, fährt er fort: „Ich habe den Muth, das als wahr Erkannte offen zu bekennen, und Menschenfurcht ist mir fremd. Ich zähle die Feinde nicht, wo es die gute Sache gilt; vielmehr drängt es mich um so mehr, Zeugniß abzulegen und in die Bresche zu springen, je mehr die Gefahr wächst und je heftiger die Schaar der Feinde herandrängt. Muthig und treu! das sei unser Wahlpruch. Ich bin von jeher ein ganz entschiedener Anhänger einer wahrhaft constitutionellen Verfassung mit Preßfreiheit und freiem Vereinsrecht gewesen. In dieser Zeit der Lüge soll uns keine Rücksicht auf Vortheil oder Gefahr, sie komme von welcher Seite sie wolle, je davon abhalten, unsere vollste, aufrichtigste Meinung auszusprechen, und zwar so stark, so entschieden, so feurig, wie wir es nach unseren schwachen Kräften vermögen. In dieser Zeit des Abfalls und Verraths wollen wir treu bleiben dem, was wir stets verfochten haben, treu wollen wir bleiben dem constitutionellen Königthum, welches ohne Respekt und Ehrfurcht gegen die Krone nicht denkbar ist; treu wollen wir an den Rechten der Kirche halten, und jede kirchliche Vereinigung, sie sei, welche sie wolle, gegen Angriffe von außen oder gegen Majoritätsdespotismus von innen treu vertheidigen. Treu endlich werden wir unserer Grundanschauung [599] aller menschlichen Verhältnisse bleiben, daß nämlich nichts haltbar auf die Länge ist und wenn es auch noch so glänzend erscheine, was sich nicht auf die tiefsten Grundlagen der moralischen Natur des Menschen gründet, was sich nicht auf Liebe und Glauben stützt. Die Lehren des Evangeliums haben wir stets auch auf die politischen Verhältnisse der Menschen und Staaten untereinander angewendet wissen wollen, und wir haben uns stets zu scharfem, bittern Tadel berechtigt geglaubt, wenn die Mächtigen dieser Erde diejenige Politik, welche das Christenthum lehrt, für sich nicht als bindend erachteten“. – Ein Hauptziel für Florencourt’s Angriffe bildete das Frankfurter Parlament, gegen das er sich in drei „Sendschreiben“ (vgl. Volksblatt, Jg. 1848, Nr. 42, 44–46, 65, 66; auch separat erschienen Naumburg bezw. Grimma 1848) aufs heftigste aussprach, wie er auch ein erbitterter Feind der Berliner National-Versammlung war. Das „Volksblatt“ hatte einen guten Erfolg, der aber F. auf die Dauer doch nicht befriedigte. Die Noth der Zeit, „eine Unsumme von Jämmerlichkeiten und Elendigkeiten, denen auch die stärkste Constitution zuletzt unterliegen muß“, drückte ihn zu Boden, und so beschloß er zum zweiten Male, nach den westlichen Staaten Nordamerikas auszuwandern, „um seinen Kindern dort eine hoffnungsreichere Zukunft, sich selber, fern von den Schmerzen der Civilisation, ein ruhiges, in Gott gesammeltes Ende zu bereiten“. Der Plan gelangte jedoch abermals nicht zur Ausführung und zwar infolge des energischen Protestes der „Volksblattgemeinde“, die ihren Führer nicht verlieren wollte. F. blieb in der Heimath, wandte sich aber doch sehr bald anderen Aufgaben zu. Zusammen mit seinem Freunde Friedrich Maaßen gründete er in Rostock den „Norddeutschen Correspondenten“, der vom 15. Juli 1849 ab erschien und „ein Organ, ein Führer, ein Vereinigungspunkt für die in Norddeutschland bis jetzt noch vereinzelt und versplittert dastehende conservative Partei werden sollte“. (Vgl. das „Programm“ im Volksblatt, Jg. 1849, Nr. 51 u. 52). In demselben Jahre schrieb er noch die Broschüre „Frankfurt und Preußen“ (Grimma 1849).

Einen entscheidenden Wendepunkt in Florencourt’s Leben bildet das Jahr 1851. Im April dieses Jahres trat er, der sich früher ausdrücklich als „religiösen Freidenker“ bezeichnet hatte, in Schwerin zum Katholicismus über. Die Geschichte und den psychologischen Zusammenhang seiner Conversion, die Erfahrungen und Kämpfe, die ihn zu diesem Schritt drängten, schildert er ausführlich in der bereits erwähnten Schrift „Meine Bekehrung“. Den letzten äußeren Anstoß gab seine Bekanntschaft mit dem mecklenburgischen Freiherrn Karl v. Vogelsang, der 1850 übergetreten war und nun im Verein mit dem Pastor Brocken in Schwerin F. in seinen Vorbereitungen wesentlich förderte und unterstützte. Dieser gab nach seinem Uebertritt seine kleine Einsiedelei bei Naumburg auf und zog, um mit seiner Familie fortan in einem katholischen Lande zu leben, nach Wien, wo er als Correspondent der „Deutschen Volkshalle“ eine sichere Lebensstellung fand. Bald darauf übernahm er die Redaction dieses damals in Köln erscheinenden Blattes, überwarf sich jedoch nach wenigen Jahren mit dem Verwaltungsrathe und gab 1854 ebenfalls in Köln die „Politische Wochenschrift“ heraus, in der er „ein dauerndes Organ für katholische Politik“ zu begründen hoffte. Doch fehlten ihm Zeit und Kraft zur Durchführung seiner Pläne. Die „Wochenschrift“ erwies sich nicht als lebensfähig und mußte im März 1855 eingehen. F. wurde in diesem Jahre Amtmann in dem westfälischen Städtchen Dringenberg und 1858 Procurator (Rendant) des Studienfonds zu Paderborn. Um 1870 ließ er sich pensioniren und lebte einige Zeit in Wien, von wo er jedoch bald wieder nach Paderborn zurückkehrte. Die Vaticanischen Decrete des Jahres 1870 riefen seinen geharnischten [600] Widerspruch hervor, er nahm an den Congressen zu München und Köln theil und schloß sich mit aller Entschiedenheit der altkatholischen Bewegung an. Noch einmal griff er zur Feder „als Greis und mit völlig gebrochener Kraft“, wie er selbst sagt. In seinen „Katholischen Briefen“ (Heft 1 – einziges – Wien 1871) behandelte er die weltliche Herrschaft des Papstes. Seine letzte größere Broschüre erschien 1872 unter dem Titel: „Ueber die Stellung und die Maßnahmen der Staatsregierung gegenüber dem Ultramontanismus“. Als jedoch Bischof Reinkens sich allen Staatsgesetzen unbedingt unterwarf, trennte F. sich wieder von den Altkatholiken und nahm nunmehr, da er sich auch nicht zum Rücktritt zur Vaticanischen Kirche bewegen ließ, eine gänzlich isolirte Stellung ein. Auf seinem Sterbebett freilich erklärte er sich gegenüber vielen Versuchen, ihn zur Unterwerfung zu bestimmen, ausdrücklich als Mitglied der altkatholischen Gemeinde. In den letzten Jahren seines Lebens war es sehr einsam um ihn und er selbst, von Alter und Krankheit gebeugt, ein stiller Mann geworden. Zuletzt wurde er der besseren Pflege wegen in das städtische Krankenhaus zu Paderborn gebracht, wo in der Nacht vom 9. zum 10. Sept. 1886 ein sanfter Tod dies unruhvolle Leben abschloß.

Was F. als Publicist geleistet hat, überragt weit das Durchschnittsmaß gewöhnlicher Tagesschriftstellerei. Seine geistvollen, kernigen Worte fanden zu ihrer Zeit weiten Wiederhall im deutschen Lande. Seine Stärke lag in seiner Ehrlichkeit. Von Einseitigkeiten war er nicht frei, und der Charakterzug, daß er seine besten Freunde und Gesinnungsgenossen stets fallen ließ, wenn sie nicht in allen Punkten ebenso dachten und empfanden wie er, hat ihm viel geschadet. Im Kampf für seine Ideale vermochte er sich nie genug zu thun, fühlte aber selbst deutlich die Grenze seiner Kraft und den Abstand zwischen Gewolltem und Vollbrachtem, indem er bekannte, „daß er als Schriftsteller die eigenthümliche Eigenschaft habe, seine beste Thätigkeit nur in Gedanken und nicht mit der Feder auszuüben“.

Vgl. Meyer’s Conversations-Lexicon, Suppl.-Bd. 3. Hildburghausen 1853, S. 573/74. – G. Vapereau, Dictionnaire universel des contemporains. 2. éd. Paris 1861, S. 659. – C. F. Chevé, Dictionnaire des conversions (=Migne, Nouvelle Encyclopédie théologique, Série II, Tome 33). Paris 1852, Sp. 632 u. 1471–1506. – D. A. Rosenthal, Convertitenbilder a. d. 19. Jahrhundert. 2. Aufl. Bd. 1, Abth. 2. Schaffhausen 1871, S. 464–471 u. 514–529. – Deutscher Merkur. Organ f. d. kath. Reformbewegung. Jg. 17, 1886, S. 297/98. – Köln. Volkszeitung v. 11. Sept. 1886. – J. F. v. Schulte, Der Altkatholicismus. Gießen 1887, S. 428. – A. Ruge, Fr. v. Florencourt u. d. Kategorieen d. polit. Praxis (in: Hallische Jahrbücher f. deutsche Wiss. u. Kunst, Jg. 1840, Nr. 281, 282); – Ders., Politik u. Philosophie (a. a. O. Nr. 292, 293). – Florencourt’s „Politisches Glaubensbekenntniß“ (Volksbl. f. Stadt u. Land, Jg. 1848, Nr. 90). – H. Pröhle, Fr. v. Florencourt. Eine Charakteristik (Bl. f. lit. Unterh., Jg. 1849, Bd. 2, Nr. 254, 255); – Ders., Feldgarben. Beiträge z. Kirchengesch., Literaturgesch. etc. Lpz. 1859, S. 58–67. – K. Biedermann, Mein Leben u. e. Stück Zeitgesch. Bd. 1. Breslau 1886, S. 129 bis 134. – R. Rocholl, Einsame Wege. Lpz. 1881, S. 41/42; N. F. 1898, S. 113–121. – O. Pfülf, Herm. v. Mallinckrodt. Freib. 1892, S. 62, 103 ff.; – Ders., Cardinal v. Geißel. Bd. 1, 1895, S. 359 Anm., 2, 1896, S. 291 Anm., 323 Anm., 324, 423. – L. Pastor, Aug. Reichensperger, Bd. 1, 1899, S. 348, 352, 356 ff., 359, 383. – Besonders: O. Kraus, Das Volksblatt f. Stadt u. Land unter Fr. v. Florencourt (in: Allgem. Konserv. Monatsschr. Jg. 50, 1893, S. 369 ff. u. 481 ff.).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Knabend