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ADB:Boineburg, Johann Christian Freiherr von

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Artikel „Boyneburg, Johann Christian von“ von Karl Bernhardi in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 222–224, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Boineburg,_Johann_Christian_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:39 Uhr UTC)
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Boyneburg: Johann Christian v. B., ebenso bedeutend als Gelehrter, wie als Staatsmann, stammte aus der sogenannten schwarzen Linie Boyneburg-Lengsfeld und war der Sohn des herzoglich sächsischen Geheimraths und Oberhofmarschalls Berthold v. B. zu Eisenach, geb. 12. April 1622, † 1672. Nachdem er seine akademischen Studien in Jena, Marburg und Helmstädt vollendet hatte, begab er sich an den Hof der Landgrafen von Hessen-Darmstadt, wo damals Georg II. regierte, und gewann vorzugsweise das Vertrauen von dessen jüngerem Bruder, Johannes, welcher seit 1643 zu Braubach Hof hielt. Ungeachtet seiner Jugend schickten ihn die Landgrafen als Geschäftsträger an die Königin Christine von Schweden, um dieselbe in Beziehung auf die Erbschaftsstreitigkeiten zwischen Hessen-Cassel und Hessen-Darmstadt zu Gunsten dieser jüngeren Linie zu stimmen, was jedoch wegen der von Schweden gegen Hessen-Cassel bereits früher eingegangenen Verpflichtungen nicht gelingen konnte. Uebrigens zeigte sich ihm die Königin sehr gewogen, und sein zweijähriger Aufenthalt in Stockholm war für den strebsamen jungen Mann eine treffliche Schule staatsmännischer Bildung. Nach seiner Zurückkunft im J. 1646 schickte ihn dann Landgraf Georg nach Cassel, um durch eine unmittelbare Verhandlung mit der Landgräfin Amalia den Frieden zwischen beiden Linien herzustellen. Ein solcher Friedensvertrag kam auch zu Stande; als aber im September 1647 die kaiserlichen Truppen wieder Fortschritte in Hessen machten, weigerte sich Georg den Vertrag zu genehmigen, [223] rief B. zurück und belegte ihn sogar, unter dem Vorwand, seine Vollmacht überschritten zu haben, mit Arrest. Durch die ferneren Kriegsereignisse gedrängt, mußte jedoch Georg schon nach wenigen Monaten fast auf dieselben Grundlagen hin mit Hessen-Cassel ein schließliches Abkommen treffen, und B. leistete bald darauf den Brüdern Georg und Johann bei einer zwischen ihnen selbst entstandenen Irrung gute Dienste. Inzwischen eröffnete sich ihm eine umfassendere Thätigkeit bei dem Kurfürsten von Mainz, dessen Erzstift beim Abschluß des westfälischen Friedens nur mit Noth der Säcularisirung entgangen war, und jetzt von den benachbarten Fürsten wegen allerlei Forderungen in Anspruch genommen wurde. Unter Boyneburg’s Vermittlung wurden alle diese Streitigkeiten mit dem Pfalzgrafen, den beiden Hessen, mit Sachsen, Nassau und Würzburg friedlich beigelegt und der Kurfürst, welcher nun B. zu seinem Oberhofmarschall ernannte, vertraute demselben die wichtigsten Reichsgeschäfte an. Zur Anerkennung seiner auf dem Reichstage zu Augsburg bei der Wahl Leopolds zum römischen König geleisteten Dienste schlug ihn Kaiser Ferdinand III. zum Ritter und gewährte ihm eine Standeserhöhung; auch leistete er im J. 1658 bei der Kaiserwahl zu Frankfurt dem König Leopold gute Dienste; doch konnte der Kurfürst von Mainz, welcher B. zum Reichsvicekanzler ernannt hatte – weder früher von Ferdinand III., noch auch jetzt von Leopold die Bestätigung erlangen, weil man offenbar in Wien mit der Politik des Mainzer Hofes nicht einverstanden war. Inzwischen war B. im J. 1656 zur katholischen Religion übergetreten, und zwar, wie es scheint, nicht etwa nur aus weltlichen Rücksichten; denn die Religion war ihm eine ernste Angelegenheit des Lebens, und er hatte sich die Aufgabe gestellt, eine Vereinigung der lutherischen und der katholischen Kirche anzubahnen, ein Plan, welchen der Kurfürst selbst begünstigte und den später auch Leibnitz verfolgte. Seine Stellung am Hofe, wo er in der Politik zwischen Oesterreich und Frankreich und in den Kirchenangelegenheiten zwischen Katholiken und Protestanten zu vermitteln suchen mußte, wurde dadurch mehr und mehr schwierig. Dazu kam, daß er, durch das Vertrauen seines Fürsten sicher gemacht, auch wichtige Staatsangelegenheiten sehr selbständig behandelte und sowol in Wien als auch in Paris sich mächtige Gegner gemacht hatte. So bildete sich unter dem Geheimen Rath v. Reichenberg auch in Mainz eine ihm feindliche Partei, deren Schleichwege ihn dem französischen Hofe gegenüber zu einigen unvorsichtigen Schritten hinrissen, wodurch sich der Kurfürst selbst gekränkt fühlte. Dieser ließ ihn deshalb im J. 1664 verhaften und auf die Festung Königstein setzen. Doch schon nach wenigen Monaten wurde er, weil man nichts strafbares an ihm fand, seiner Haft entlassen, während Reichenberg, zu lebenslänglichem Arrest verurtheilt, in dieselbe Festung abgeführt wurde.

Zum Rücktritt in die mainzischen Dienste konnte B. sich nicht entschließen, und da er bei seiner Entlassung sich hatte verpflichten müssen, keine Dienste an einem andern deutschen Hofe anzunehmen, so lebte er, ganz den Wissenschaften hingegeben, abwechselnd in Mainz, wo er ein eigenes Haus besaß, und in Frankfurt. Auch ward durch die im Frühjahr 1668 erfolgte Verheirathung seiner ältesten Tochter mit dem Oberhofmarschall von Schönborn, einem Neffen des Kurfürsten, die Aussöhnung mit diesem gewissermaßen öffentlich beurkundet. Von dieser Zeit an bis zu seinem am 8. Dec. 1672 zu Mainz erfolgten Tode lebte er ihm engsten wissenschaftlichen und auch staatsmännischen Verkehr mit Leibnitz, welchen er zufällig in Nürnberg getroffen und, von dessen ungemeinen Fähigkeiten überrascht, alsbald veranlaßt hatte, seine dortige ungeeignete Stellung aufzugeben und nach Frankfurt überzusiedeln, wo B. damals wohnte. Im J. 1670 ward der 24jährige junge Rechtsgelehrte durch Boyneburg’s Vermittlung zum Rath bei dem höchsten Gerichtshof des Kurfürstenthums ernannt; [224] gleichwie auch Leibnitzens Sendung nach Paris und nach London ein Werk dieses Gönners war. Allerdings widmete nicht minder Leibnitz demselben seinerseits seine vollen Kräfte, die B. nach allen Richtungen hin anzuregen und auszunützen verstand. Bei Boyneburg’s Gesandtschaft an den polnischen Reichstag, um die Wahl des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg zu betreiben, im J. 1668 hatte ihm Leibnitz trefflich vorgearbeitet, und auf der Conferenz der Kurfürsten von Mainz und von Trier im Juli 1670, zu der auch B. und Leibnitz hinzugezogen wurden, entwarf letzterer eine Denkschrift, welche die Grundzüge eines deutschen Bündnisses „Zur Aufrechthaltung des westfälischen Friedens“ (d. h. zur Sicherung gegen Frankreich) enthielt, und welche in der 1671 auf dem Schlosse Marienburg zwischen dem Kaiser, Kurmainz, Kurtrier, Kursachsen und dem Bischof von Münster geschlossenen Defensiv-Allianz, wenigstens theilweise eine praktische Verwendung fanden. Der im J. 1673 erfolgte Tod des Kurfürsten von Mainz und die ungünstigen Strömungen der Zeit machten freilich auch diesen Versuch erfolglos.

Außer zwei Töchtern, von denen die jüngere an einen Grafen Stadion verheirathet war, hinterließ B. einen Sohn, Philipp Wilhelm (geb. 1656, † 1717), welcher ebenso berühmt geworden ist, wie der Vater. Er widmete sich dem geistlichen Stande, trat ebenfalls in mainzische Dienste, ward 1680 vom Kaiser Leopold zum Reichshofrath ernannt, und gleich, wie sein Vater, vom Kurfürsten von Mainz zum Reichsvicekanzler vorgeschlagen, jedoch ebenfalls vom Kaiser nicht bestätigt. Gewissermaßen als Entschädigung dafür ernannte ihn Leopold zum Wirklichen Geheimenrath und zu seinem Gesandten in Frankfurt, „um des Reiches Bestes zu wahren“; auch erhob er ihn in den Grafenstand. Im J. 1695, als er Aussicht hatte, zum Coadjutor des Kurfürsten von Mainz gewählt zu werden, leitete er diese Wahl auf den Bruder seines Schwagers, Lothar Franz von Schönborn, und wurde seinem besonderen Wunsche entsprechend, im J. 1708 mit der Statthalterschaft von Erfurt betraut, wo er bis zu seinem Tode 14 Jahre lang eine gesegnete Regierung führte. Insbesondere hat ihm die Universität viel zu verdanken, der er auch seine reichhaltige Bibliothek vermacht hat.

Ersch und Gruber, Encyklop. Bd. XII. S. 177 ff.; Strieder, Hess. Gel.-Gesch. I. S. 497 ff.