ADB:Berger, Johann Nepomuk von
[378] Wegen der sehr mißlichen Vermögensverhältnisse ward er frühzeitig für den Militärdienst bestimmt. Seine entschiedene Abneigung gegen den militärischen Beruf veranlaßte jedoch seine Mutter, ihn nach seinem Wunsche das Gymnasium in Olmütz besuchen zu lassen, wo er sich durch Privatunterricht erhielt. Im Alter von fünfzehn Jahren verlor er auch die Mutter und stand nun ganz sich selbst überlassen da. Ungebrochen durch seine Nothlage, betrieb er in Olmütz die philosophischen und insbesondere die mathematischen Studien mit hervorragendem Erfolge, widmete sich sodann, nachdem er die Absicht auf eine Anstellung bei einer Sternwarte hatte aufgeben müssen, den Rechtsstudien und der Universität zu Wien, wo er im Jahre 1841 den Doctorgrad erwarb und in die Advocaturspraxis eintrat. Neben seiner eigentlichen Berufsthätigkeit fortwährend juristische und philosophische Studien treibend, trat B. auch frühzeitig als Schriftsteller auf. Er schrieb sowol für belletristische Journale, zum Theil unter dem pseudonymen Namen „Sternau“, Novellen und humoristisch-satyrische Artikel, wie auch als Resultat seiner streng wissenschaftlichen Studien zahlreiche Aufsätze in der „Wiener Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit“ und im „Jurist“ von Wildner, in denen er den Kampf gegen die traditionelle österreichische Jurisprudenz als Vorkämpfer für die philosophisch-geschichtliche Behandlung der Rechtswissenschaften aufnahm. Die Bewegung des Jahres 1848 eröffnete B. die politische Laufbahn. Gleich nach den Märztagen nahm er Antheil an einer Demonstration gegen das erste vom Ministerium ausgegangene provisorische Preßgesetz mit der Broschüre „Die Preßfreiheit und das Preßgesetz“ (Wien, Tendler 1848) und an der Redaction eines neuen Entwurfes. Bei den Wahlen zum Frankfurter Parlament ward er vom Wahlbezirk Schönberg in Mähren zum Abgeordneten gewählt. Er nahm seinen Platz auf der äußersten Linken und wurde Mitglied des „Donnersberg“, nahm regen Antheil an den von da ausgegangenen Aufrufen der radical-demokratischen Partei, ohne jedoch jemals in die damals so sehr beliebte Arena der Volksversammlungen herabzusteigen, und gewann bald durch seine, ebensosehr durch logische Klarheit und scharfe Dialektik wie durch ätzenden Witz glänzenden Reden in der Paulskirche (insbesondere jene zu Gunsten der §§. 2 und 3 der Reichsverfassung und die berühmt gewordene Philippica gegen Welker aus Anlaß seines Uebertrittes zur Erbkaiserthum-Partei) nicht nur eine hervorragende Stellung im Schoße seiner Partei, sondern auch die Anerkennung der ganzen Versammlung. Im Mai 1849 kehrte er, ohne mit seinen Parteigenossen den Versuch des Rumpfparlamentes in Stuttgart zu theilen, nach Wien zurück, um daselbst die Advocatenlaufbahn anzutreten, wozu er noch im Sommer des Jahres 1848 unter dem Justizministerium Bach ernannt worden war. Das öffentliche mündliche Verfahren von den im Jahre 1861 eingeführten Schwurgerichten eröffnete B. Gelegenheit, seine hervorragende Befähigung als forenser Redner an den Tag zu legen. Er ward, dank seiner glänzenden Erfolge auf diesem Gebiete, bald einer der gesuchtesten Anwälte und legte dadurch den Grund zu einem nicht unbedeutenden Vermögen. Bei dem Einlenken in constitutionelle Regierungsformen ward B. im Jahre 1861 in der inneren Stadt Wien zum Abgeordneten in den niederösterreichischen Landtag gewählt und von da aus im Jahre 1864 in den Reichsrath entsendet. In dieser Stellung trat er schon frühzeitig in der Broschüre „Zur Lösung der österreichischen Verfassungsfrage“, Wien 1861, für die berechtigten Ansprüche Ungarns und für eine dualistische Gestaltung Oesterreichs, sodann im Reichsrath 1864 in der schleswig-holsteinischen Frage gegen die bewaffnete Intervention der deutschen Vormächte und gegen die Halbheiten des Ministeriums Schmerling, am entschiedensten aber nach der Verfassungssistirung im Jahre 1865 gegen das Ministerium Belcredi auf. Nach dem Sturze des letzteren und nach dem Eintritte Beust’s wurde er [379] ein entschiedener Anhänger des von diesem angebahnten Ausgleiches mit Ungarn, und schon im Jahre 1867 bei Bildung des sogenannten Bürgerministeriums als Minister ohne Portefeuille in den Rath der Krone berufen. In dieser Eigenschaft ward ihm die Leitung der Regierungspresse und das Amt eines Sprechministers zu Theil, das er auch bei vielen wichtigen Anlässen, namentlich bei der Debatte über das Wehrgesetz mit dem von der Regierung angestrebten Normalétat von 800000 Mann mit Einsetzung seiner ganzen oratorischen Begabung und mit vollständigem Erfolge ausführte. In Anerkennung dieser Verdienste erhielt B. im Jahre 1869 die geheime Rathswürde und das Großkreuz der eisernen Krone. Die Eintracht, die anfänglich unter den Mitgliedern des Bürgerministeriums zu herrschen schien, hatte jedoch nicht lange Bestand. Bald zeigten sich wesentliche Gegensätze unter denselben, namentlich in Betreff des Vorgehens gegen die sich der Decemberverfassung gegenüber mehr oder minder oppositionell verhaltenden Landtage, und insbesondere rücksichtlich der von der öffentlichen Meinung in allen deutschen Kreisen als Mittel dagegen verlangten directen Wahlen. Diese Meinungsverschiedenheiten führten endlich im Jahre 1869 zu einer förmlichen Spaltung im Inneren des Ministeriums und zur Erstattung eines Majoritäts- und Minoritätsmemorandums in dieser Frage an den Kaiser, welche beide sogar durch das amtliche Blatt veröffentlicht wurden. B. stellte sich in dem von ihm verfaßten Minoritätsmemorandum (vom 26. December 1869. Allgemeine Zeitung 22. Januar 1870) auf die Seite der Grafen Taaffe und Potocki und nahm darin im Gegensatz zu seinen bisherigen Parteigenossen den Standpunkt der Berechtigung der einzelnen Landtage zur Antheilnahme an der gewünschten Aenderung der Wahlordnung und der Nothwendigkeit einer Verständigung mit der nationalen Opposition ein. In Folge der Niederlage, welche die von ihm vertretene Anschauung bei der darauf erfolgten Adresse-Debatte in beiden Häusern des Reichsraths erfuhr, trat B. mit seinen beiden Minoritätscollegen im März 1870 aus dem Ministerium, und zog sich unmittelbar darauf ganz ins Privatleben zurück, nachdem er durch ein seit Jahren mit zunehmender Intensität aufgetretenes Halsleiden zuerst das Gehör und zuletzt auch die Sprache vollständig verloren hatte und schon im letzten Jahre seiner ministeriellen Thätigkeit einzig auf den Weg schriftlicher Mittheilung angewiesen gewesen war. Er genoß jedoch die Ruhe des Privatlebens nur kurze Zeit, indem er nach seinem Beinbruche, den er sich im Zimmer zuzog, schon am 9. December 1870 seinen Leiden erlag. B. gehörte unstreitig zu den bedeutendsten Erscheinungen, welche die seit dem Jahre 1848 eingetretene Bewegung in Oesterreich an die Oberfläche des öffentlichen Lebens getrieben hat. Dank seiner gründlichen philosophischen Durchbildung und seines rastlosen bis an sein Ende fortgesetzten Studiums auf allen Gebieten des juristischen Wissens, beherrschte er sowol in den zahlreichen von ihm herrührenden Fachschriften (s. „Bibliotheca juridica“, Leipzig 1868, und Stubenrauch „Bibl. jur austr.“, Wien 1847), wie auch insbesondere als Redner die von ihm behandelten verschiedenartigsten Stoffe stets mit einer Klarheit und dialektischen Schärfe, wie sie auf der Tribüne in Deutschland nur selten vorgekommen. Seine geistige Richtung blieb zwar stets überwiegend kritisch und es hielt die Construction der positiven Ergebnisse mit der Schärfe seiner gegliederten Dialektik nicht immer gleichen Schritt. Seine vorzüglichste Begabung bewies er wol als forenser Redner, den er auch in der parlamentarischen Debatte nie ganz verläugnete. Seine Reden ohne Pathos, jedoch mit etwas zu häufiger Verwendung von witzigen Pointen, denen er nicht selten selbst einen richtigen Gedanken opferte, wirkten fast immer überzeugend auf den Verstand. Am wenigsten hat sich B. als Politiker dem mitunter abfälligen Urtheile der Zeitgenossen zu entziehen gewußt. Läßt sich auch die Häutung, der er sich seit seiner Rückkehr aus [380] Frankfurt unterzog, ganz wohl durch die gänzliche Veränderung der politischen und localen Situation erklären, so hat doch die Art und Weise, wie er sich gegen das Ende seiner politischen Laufbahn von seinen bisherigen Parteigenossen trennte und der föderalistischen Richtung in die Hände arbeitete, vielen und nicht ganz unbegründeten Tadel hervorgerufen. Bei der Verworrenheit der dermaligen Parteienlage in Oesterreich mag jedoch das endliche Urtheil hierüber einer späteren Zeit vorbehalten bleiben.
Berger: Johann Nepomuk B., geboren zu Proßnitz in Mähren 16. September 1816, † zu Wien 9. December 1870. B., der Sohn eines fürstl. Liechtenstein’schen Beamten verlor den Vater schon in seinem vierten Jahre.- Die Männer des deutschen Volkes (Frankfurt 1848–1851. Schmerber.) III. 7. Liefg.; Laube, das deutsche Parlament. Leipzig 1849; Biedermann, Erinnerungen aus der Paulskirche. Leipzig 1849; Kalisch, Shrapnells. Frankfurt 1849; Wurzbach, Biograph. Lex. I. S. 303; Jaques, D. Berger in seiner Wirksamkeit als Anwalt, Schriftsteller und Staatsmann, in der Zeitschrift für Notariat. Wien 1871 Nr. 10; Neue freie Presse 1870 Nr. 2259; Presse 1870 Nr. 341