ADB:Anemüller, Bernhard
*): Bernhard A., fürstlich schwarzburg-rudolstädtischer Archivrath und Bibliothekar der öffentlichen Bibliothek zu Rudolstadt, wurde am 26. August 1820 in dem rudolstädtischen Dorfe Heberndorf bei Lehesten auf dem Thüringer Walde geboren. Sein Vater war dort Lehrer und Cantor, ein Mann von großer geistiger Regsamkeit, beständig auf die Ausbreitung seines Wissens bedacht, der in der Weltabgeschiedenheit seines Dorfes sich besonders viel mit Naturwissenschaften abgab und namentlich optische Studien trieb, sogar selbst Linsen schliff und Fernrohre baute. Er vererbte auf den Sohn wol in erster Linie den wissenschaftlichen Sinn und das Streben nach einer möglichst vielseitigen und umfassenden Ausbildung. Nachdem A. mehrere Jahre das Gymnasium zu Rudolstadt besucht hatte, studirte er 1840–43 Theologie und Geschichte zu Jena, wo besonders Karl Hase auf ihn großen Einfluß ausübte. Von 1843–48 war er Hauslehrer in der v. Ketelhodt’schen Familie zu Rudolstadt. 1848 wurde er Erzieher des Prinzen (späteren Fürsten) Georg von Schwarzburg-Rudolstadt, Sohnes des Prinzen Albert. In dieser Stellung verblieb er bis zum Jahre 1856, wo Prinz Georg die Universität bezog. 1857 bis 1868 wirkte er als Professor an dem Gymnasium und der neuerrichteten Realschule zu Rudolstadt. In dieser Zeit beschäftigte er sich sehr viel mit thüringischer und besonders schwarzburgischer Geschichte und trat dem damaligen Archivar Ludwig Friedrich Hesse (s. dessen von A. verfaßte Biographie A. D. B. XII, 304–306) nahe, sodaß, als dieser seines hohen Alters wegen sein Amt niederlegte, A. sein Nachfolger wurde. Als Archivar und Bibliothekar entwickelte er eine sehr ausgedehnte Thätigkeit. Vor allem galt es allerdings, Archiv und Bibliothek, die unter der Leitung des zwar sehr gelehrten, aber äußerst unpraktischen und unordentlichen Hesse stark in Verfall gerathen waren, wieder in Ordnung zu bringen. Dabei kamen umfangreiche Diebstähle ans Licht, welche ein Amanuensis Hesse’s, dem dieser zu viel Vertrauen geschenkt, verübt hatte und durch die viele Münzen, Siegel und auch Urkunden verloren gegangen waren: es gelang nur einen Theil noch wiederzuerhalten. Die Actenmassen und Urkunden bildeten wüste Haufen fast ohne jede Ordnung, Repertorien fehlten so gut wie ganz. Ebenso schlimm sah es auf der öffentlichen (Landes-)Bibliothek aus, deren Hauptmasse sich in jenem Saale befand, der zu Schiller’s Zeiten (vgl. dessen Briefwechsel mit Lotte) die Ketelhodt’sche Bibliothek enthielt. Hier war der Fußboden mit meterhohen Bücherhaufen bedeckt, oben auf den Repositorien lagen ähnliche Haufen, vielbändige Werke standen an oft zehn bis zwanzig verschiedenen Stellen verstreut, die Kataloge [412] gaben vielfach gar keine oder falsche Standorte an und tausende von Zetteln mit Büchertiteln fanden sich vor, deren Bestimmung überhaupt räthselhaft war. In dieses Chaos auch nur einige Ordnung zu bringen, erforderte jahrzehntelange entsagungsvolle Arbeit, die bei den viel zu beschränkten Mitteln, die der kleine Staat für beide Institute zur Verfügung stellte, für Anemüller’s Ungeduld oft gar zu langsam vorrückte. Doch hatte er die Freude, im Laufe der Jahre im Archiv wie in der Bibliothek wenigstens der Hauptsache nach wieder Ordnung einziehen zu sehen und besonders aus den reichen Schätzen des Archives, für das er sich in erster Linie interessirte, vielen Gelehrten Material für ihre Studien schaffen zu können. Neben dieser Verwaltungsthätigkeit fand er noch Zeit zu zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten, die sich fast alle mit der Geschichte seiner engeren Heimath befaßten. Auch der A. D. B. war er von Anfang an ein treuer stets bereiter Mitarbeiter. Die Ordnung der Bibliothek und des handschriftlichen Nachlasses der Fürstin Karoline Luise, geb. Prinzessin von Hessen-Homburg (1771–1854), die er im Auftrage des Fürsten Georg besorgte, gab die Veranlassung zu einer ausführlichen Biographie der geistvollen Frau. Im J. 1893 trat A., von den Beschwerden des Alters mehr und mehr geschwächt, in den Ruhestand. Er starb am 6. April 1896.
AnemüllerSchriften: „Barthol. Gernhard und der Rudolstädter Wucherstreit im 16. Jahrh., zugleich ein Beitrag z. Geschichte der Gräfin Katharina der Heldenmüthigen“ (1861); „Johann Friedrich Fürst zu Schwarzburg-Rudolstadt 1721 bis 1767“ (1864); „Der schwarzburgische Hauskrieg“ (1864); „Caroline Luise Fürstin zu Schwarzburg-Rudolstadt“ (1869); „Dramatische Aufführungen in den Schwarzburg-Rudolstädtischen Schulen im 17. und 18. Jahrh.“ (1882); „Geschichtsbilder aus der Vergangenheit Rudolstadts“ (1889); „Ruine Greifenstein. Klosterruine Paulinzelle“ (1882), außerdem zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften und Zeitungen und 59 Artikel von Abicht bis Wezel für die A. D. B.
[411] *) Zu Bd. XLVI, S. 16.