Zum Inhalt springen

Zwergsagen aus der Ober- und Niederlausitz

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Karl Haupt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Zwergsagen aus der Ober- und Niederlausitz
Untertitel:
aus: Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde. IV. Band, S. 211–224
Herausgeber: Johann Wilhelm Wolf, Wilhelm Mannhardt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag der Dieterichschen Buchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Göttingen
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[211]
ZWERGSAGEN AUS DER OBER- UND NIEDERLAUSITZ.
Vorbemerkung.

Nachstehende sagen handeln von zwergen, unter denen mir aber zwei verschiedene geschlechter, bergbewohner und waldbewohner begegnen. obgleich sie mit einander innerlich verwandt sind und ineinander übergehen, so ist doch zwischen beiden ein characteristischer unterschied. die berggeister (querxe, heinchen, feensmännel, ludki) erscheinen fast stets als corporation, als volk, massenhaft wie das gestein des gebirges dem sie vorzugsweise angehören; die waldgeister (holz- und buschmännlein und weiblein) mehr als individuen, angemessen der waldnatur, dem individualisirenden pflanzenreiche. jene sind fast nur männlichen geschlechts, diese theils männlich theils weiblich; jene nur gutmüthig, diese unter umständen auch boshaft und rachsüchtig. der schauplatz der querxsage ist die gebirgige Oberlausitz, vorzüglich die romantische gegend um Zittau. den mittelpunkt für die buschweiblein etc. bildet die wald- und hügelreiche gegend um Königshain bei Görlitz. diese letztere gegend ist vorzüglich merkwürdig wegen ihres reichthums an alten heidnischen opfersteinen und grabhügeln und, was bisher noch unbeachtet geblieben, an sagen und alterthümlichen volksgebräuchen.

Insbesondere klingen die zwergensagen wie ein an den bergen verhallender, in den wäldern dahinrauschender wehmüthiger abschiedsruf des gerade in der Oberlausitz nur langsam und sehr nach und nach verdrängten heidenthums, das in diesem von jeher politisch unselbständigen und unbedeutenden, von der geschichte fast vergessenen Winkelgau sich ungleich länger fristen konnte als in den übrigen östlichen marken des deutschen reichs.

In der nördlichen ebene sodann, die immer mehr und mehr slavische elemente der bevölkerung aufweist, finden wir nur hie und da, wo es heidnische grabhügel in besonderer menge giebt, die heinchen der Deutschen und die [212] ludki der Wenden. im übrigen finden wir in der nördlichen slavisch bevölkerten ebene keine unsrem deutschen zwerge entsprechende mythologische figur, der deutschgemüthliche, neckischzutrauliche, humoristischwehmüthige zwerg verkrüppelt – soweit er männlichen geschlechts ist – zu dem vorherrschend boshaften kobolde, der in die häuser kriecht, oder er wächst hoch auf zu der weiblich schönen, aber unheimlichen und dämonischen gestalt einer am brütenden mittage über die ebene schreitenden unglücksgöttin.


1. DIE QUERXE[1].

Die querxe sind überall in der Oberlausitz, besonders aber in Heinewalde bekannt. es sind ganz kleine männchen, die einst dort in den bergen wohnten und daherum ihr wesen trieben. die eingänge zu ihren wohnungen nennt man querxlöcher und man kann deren noch viele hier und da sehen. in Schlesien ist eins auf dem Prudelberge bei Stonsdorf; in der Oberlausitz findet man eins auf dem Dittersberge bei Schönau auf dem Eigen; desgleichen eins bei dem böhmischen Warnsdorf und am fuße des breiten berges bei Zittau. dort waren sie besonders zu hause und man konnte sie einen nach dem andern zu ihrem querxloche ein- und ausgehen sehen, wenn man sich die mühe nahm sie in ihrem treiben zu belauschen. ihren ursprung verdankten sie dem auf jenem berge noch befindlichen querxborne, einer klaren, frischen quelle, aus der beständig welche hervorquollen. die querxe konnten sich unsichtbar machen, indem jeder eine nebelkappe hatte, die sie gewöhnlich aufsetzten, wenn sie in die umliegenden dörfer gingen, um sich bei den bauern ihre speise heimlich zu holen. sie konnten aber den kümmel nicht leiden. deshalb [213] backen die leute dort immer einige kümmelkörner mit in das brod. solches gekümmeltes brod rührten sie nicht an.

Anmerkung. Die Schweizer zwerge schalten solches brod ‚gepiptes;‘ auch das mit anis bestreute und vom priester geweihte Agathenbrod ist ihnen zuwider. (Rocholz, sagen aus dem Aargau p. 338[L 3]). über den namen querxe hat prof. dr. Anton in Görlitz eine linguistisch-mythologische abhandlung geschrieben und als schulprogramm herausgegeben.


2. QUERXE AUF EINER BAUERNHOCHZEIT.

Einst kamen die querxe schaarenweise aus dem querxloche am breiten berge bei Zittau heraus und trieben kurzweil in den sträuchern des berges. da kam ein bauer aus Berthsdorf des weges. dem rief gerade seine frau zu, er möge sich zurecht machen und mit ihr auf eine hochzeit gehen, zu der sie beide eingeladen waren. als das die querxe hörten, berathschlagten sie unter sich und wurden bald einig, mit den bauersleuten zur hochzeit zu gehen und sich einmal auf anderer leute unkosten einen guten tag zu machen. also rufen sie sich einander zu und ermahnen sich gegenseitig, der nebelkappen auch ja nicht zu vergessen. da war aber ein anderer bauer aus Berthsdorf, der pflügte am fuße des berges, hörte wie sich die querxe beriethen und rief ihnen im spaße zu, sie möchten ihm doch auch eine nebelkappe mitbringen. da gingen die querxe auf den spaß ein, gaben ihm eine nebelkappe, auf daß er ungesehen mit zur hochzeit gehen könnte, sagten ihm aber, er dürfe zwar essen und trinken so viel ihm beliebte, aber ja von den speisen nichts zu sich stecken, wenn sie seine guten freunde bleiben sollten. also gingen die zwerge sammt dem bauern nach Berthsdorf zur hochzeit, stülpten vor dem dorfe ihre nebelkappen auf, gingen in das hochzeitshaus und setzten sich, unsichtbar wie sie waren, mit an den tisch, also daß immer zwischen zwei gebetenen ein ungebetener gast zu sitzen kam. auch der mitgebrachte bauer saß unsichtbar zu tische, hieb wacker auf die speisen ein und ließ [214] sich die guten gerichte wohl schmecken. als er nun satt geworden war, da dachte der gute mann an seine frau und seine armen kinder, wie sie daheim saßen und trockenes brod knabberten, konnte der lockung nicht widerstehen, griff zu und steckte ein großes stück kuchen in seine tasche, um es den seinigen mitzubringen. aber in demselbigen augenblicke war auch die nebelkappe verschwunden und mit einem male saß der ungebetene gast in seinen schlechten zäkerhosen und seinen gar nicht hochzeitlichen hemdeärmeln vor den sichtlichen augen der hochzeitleute. da war ein großer schrecken von beiden seiten und er mußte nun haarklein erzählen, wie er sammt den querxen sich eingeschmuggelt hatte. den weiblein ward es aber gar unheimlich, da sie von ihrer unsichtbaren nachbarschaft kunde erhielten und alle wußten nun, wie es zugegangen, daß die speisen so gar schnell ein ende genommen hatten. aber den bauer behielten sie da und luden ihn auch zu dem folgenden tage ein. auch die querxe stellten sich wieder ein, obgleich sie nicht mitgebeten waren. man sah es aber ganz deutlich wieder an der sichtlichen abnahme der speisen.


3. QUERXGESCHENKE.

Nicht immer jedoch waren die besuche der querxe mit einem nachtheil für die menschen verbunden. wenn sie sich bei taufgastmählern und in wochenstuben einstellten, hielten sie, für die wöchnerin stets sichtbar, ihr eigenes mahl, entweder unter dem bette der wöchnerin oder unter dem ofen, wo man sie, um die wöchnerin nicht etwa gefahren auszusetzen, gerne gewähren ließ. sie waren höfliche leute, baten immer um erlaubniß und brachten der wöchnerin irgend ein stück kuchen oder zwieback zum geschenke ins bette, zuweilen aber auch gediegenere gaben, welche als talismane in den familien aufbewahrt wurden und dem ganzen geschlechte segen brachten.

Anmerkung. Die lausitzische familie Derer von Ponickau hatte solch ein wochengeschenk der zwerge zum talismane, das sie der ahnfrau des geschlechtes einst gegeben. zusammenstellung solcher sagen, wobei auch eine aus der O. L. siehe bei Büsching nachrichten I, 102, in Axel’s gespensterbuche s. 255, bei Rocholz (l. c. s. 264, 269, 339).

[215]
4. DIE HOCHZEIT DER QUERXE.

Zwischen Gaussig und Neukirch ist eine waldige anhöhe; daselbst befand sich früher ein freier rasenplatz, den das volk den tanzplatz nannte. davon geht die sage, daß dort zuweilen an nebligen abenden die querxe eine hochzeit feiern mit Musik, tanz und gelage bis zum frühnebel. wer aber einmal zufällig dazukommt, den laden sie ein mitzutanzen und geben ihm geschenke auf den weg, die glück und segen in’s haus bringen.

Anmerkung. Von einer solchen zwergenhochzeit schreibt sich der aus 3 brödchen bestehende talismann der familie Bünau zu Bomsen her. (der freimüthige 1814. s. 209).


5. DER ABSCHIED DER QUERXE.

Die einwohner von Dittersbach erzählen, daß vor der zeit, ehe die große glocke ist gegossen worden (welches anno 1514 geschehen) in dem naheliegenden berge querxe gewohnt haben. sie sind oft ins dorf gekommen und haben sich in die häuser und stuben verfügt, also daß die leute ihrer gar gewohnt gewesen. nachdem aber die glocke geläutet worden, hat sie der harte schall des erzes, welchen sie nicht erdulden können vertrieben, so daß man nun von denselben nichts mehr spürt.


Auch die auf dem breiten berge bei Zittau hausenden querxe wurden durch das läuten der glocken vertrieben. bei ihrem abzuge preßten sie einen bauer aus dem nahen dorfe Hainnwalde mit ein paar wagen und ließen sich über die böhmische grenze fahren. die beiden wagen wurden gepfropft voll, denn alle zwerge hingen sich darauf und daran, so daß an jeder latte und an jeder speiche ein querxlein hing. den bauer belohnten sie sehr reichlich, so daß er dadurch zu einem reichen manne wurde und alle seine nachkommen dieses glückes sich noch heute erfreuen.

Die querxe sagten beim abschiede: dann würden sie wiederkommen, wenn die glocken wieder würden abgeschafft sein und

[216]

wann Sachsenland
wieder käm’ an Böhmerland.

dann, meinten sie, würden auch bessere zeiten sein.


6. HÜBEL UND HABEL.

Zu dem besitzer der am Dittersberge gelegenen halbhufe kam einst, während er ackerte, ein zwerg und bat ihn, es Hübel (einem weiblichen zwerge) zu sagen, daß Habel (ein männlicher zwerg) gestorben sei. als nun der bauer diesen ihm sonderbaren vorfall beim mittagsessen erzählt, kommt ein bisher nie bemerktes weiblein aus einem winkel der stube zum vorschein, eilt wehklagend zum hause hinaus und den berg hinauf, ohne daß man es je wieder gesehen hat.

Anmerkung. Der ruf, der stets dieselbe wirkung hat, ist verschieden. das buschmännchen in Königshain (O. L.) ruft: Hipelpipel ist gestorben, das holzweibchen, ebendaselbst: deuto, deuto, andere O. L. zwerge: Urban ist todt; der könig ist gestorben; o große noth, o große noth, die alte mutter Pump ist todt.


‚Urbanus sei todt‘ rufen auch die Voralsberger zwerge. (Vonbun s. 3, 7).[L 4] die Freiburger zwerge rufen ‚Hans Aebli, sag’s dem Appele, d’Appele sei todt,‘ was mit ‚Hübel und Habel‘ die meiste ähnlichkeit hat. (Kuenlin s. 25).[L 5]


7. DIE HEINCHEN.

In der gegend von Niemitzsch geht die sage, daß das land zuerst von den heinchen bewohnt gewesen wäre. dies waren kleine, fromme, friedliebende leute. es kamen aber die schafe mit ihren schafglöcklein, die vertrieben mit ihrem geläute die heinchen. da flüchteten diese unter die erde, bauten daselbst die heinenhäuser, und wenn landleute in ihre nähe kamen, da baten sie dieselben flehentlich, ihre heinenhäuser zu verschonen; zum danke schenkten sie den bauern brod und kuchen.

Anmerkung. Heinchenhäuser heißen bei Wellersdorf in der nähe von Sorau (N. L.) die todtenhügel, welche im norden den namen hünengräber haben. –

[217]
8. HEINCHEN ALS SCHMIEDE.

Auch bei Nieda im Görlitzer kreise kennt das volk heinenhäuser und eine heinenmauer. oft sieht man kleine flämmchen aus diesen heinenhäusern aufsteigen. das kommt von den unterirdischen werkstätten der schlosser und schmiede, denn die heinchen sind fleißige und arbeitsame leute, die auch den fleißigen menschen zugethan sind. legt ein solcher etwas ihm eigenes, etwa einen knopf, einen pfennig, ein stückchen leinwand auf die feueresse der heinchen, so findet er am andern morgen auf jener stelle ein werthvolles gegengeschenk, ackergeschirr, bleche, messing-, kupfergeräthe. einem faulen und arbeitsscheuen menschen aber werden in solchem falle nur ausgebrannte kohlen oder schlechte schlacken zu theil.

Anmerkung. Zwerge sind schmiede und metallarbeiter. der schmied Wieland ist ihr könig (W. Grimm, heldensage s. 388). sie schmieden bekanntlich den nordischen Asen ihre waffen, den ackerbauenden Lausitzern (oder aber als mythologisirte Wendenschmiede) natürlich pflüge. in Schleswig-Holstein hören die bauern das schmieden der zwerge. ein bauer rief einst im vorüberreiten, sie sollten ihm doch ein neues messer machen. bei der zurückkunft fand er ein solches, aber die damit geschnittenen wunden waren unheilbar (Müllenhoff nr. 386). ob den metallgeschenken der lausitzischen heinchen eine besondere kraft zugeschrieben wird, habe ich nicht ermitteln können. daß die brodgeschenke der querxe talismane von familien werden, haben wir bereits gesehen.

Die sage gedenkt der heinchen mit einer gewissen großmüthigen wehmuth und vergilt so gewissermaßen im munde unsres friedlichen bauern, was die blutige mission deutscher krieger zur zeit der Ottonen an den heiden der Lausitz verschuldet hat.


9. DIE VENSMÄNNEL.

Lange bevor Ostritz gebaut war, lebten daselbst die vensmännel. die vensmännel (feensmännel) sind ein kleines gutmüthiges völkchen, welches früher in dem sogenannten Venusberge (Feensberg, Feensmännelberg) wohnte.

Wenn die Ostritzer bier brauen wollten, borgten sie sich von den vensmänneln die braupfanne; wenn sie dieselbe nicht mehr brauchten, setzten sie dieselbe auf den steg, der über die Neiße führt, wo sie dann von jenen wieder [218] abgeholt wurde, und legten jedesmal zum dank eine semmel hinein. als aber einmal jemand die semmel aus der pfanne genommen und dafür einen dreck hineingelegt hatte, hörte die nachbarliche freundschaft auf. doch blieben sie noch dort wohnen, bis in Ostritz die ersten glocken aufgezogen wurden. den ton der großen glocke aber konnten sie nimmer vertragen und wanderten aus, alle zusammen mit sack und pack und verließen den berg. ihren weg nahmen sie durch die altstadt von Ostritz von morgen nach abend[WS 1] und haben auf diesem zuge melkgelten[WS 2] auf dem kopfe gehabt statt der hüte.

Anmerkung. Noch zeigt man in Ostritz einen weg zwischen zwei häusern, den sie einschlugen. oft erwähnt man ihrer noch sprichwörtlich, wie daß man von einem sagt, der recht kurze kleider hat: ‚er geht wie ein feensmännel.‘


10. DER SCHATZ IM VENUSBERGE.

Andere sagen, daß auch noch später welche gesehen worden sind, die man zurückgelassen hat, die im Venusberge verwahrten schätze zu bewachen. einmal zur christnacht sah ein vorübergehender den berg sich öffnen, drin saßen die feensmännel auf großen goldhaufen und riefen ihm zu:

greif ein’ griff
und streich ein’ strich
und packe dich.

er hat sich’s aber nicht getraut.

Anmerkung. Der berg ist gleich dem benachbarten Borsberge eine alte heidnische opferstätte (Pescheck im N. L. magaz. 1838[L 6]). ob der name des berges und zwerges von Venus oder Fee abzuleiten, ist viel unnöthig gestritten worden. die göttin, deren diener die zwerge sind, heißt ebenso oft Fee als Venus. es ist aber die weiße frau, frau Holle. in der christnacht, wo der wilde jäger zieht und mit ihm frau Holle, öffnen sich alle geheimnisse des berges. sollte vielleicht der name Ostritz auf den dienst der Ostara schließen lassen? Warum überhaupt ist die göttin selber nicht erwähnt? es scheint, daß sie zu zeitig den berg verließ und wie in der wirklichkeit, so auch in der sage – in’s kloster ging – zur hl. Maria wurde. nicht zufällig ist nämlich an dieser heidnischen opferstätte, die sicher noch lange zeit ein zufluchtsort der götzendiener war, das kloster Marienthal gegründet worden.

[219]
11. VENSMÄNNEL BLEICHT WÄSCHE.

Ein altes mütterchen in Neudörfel an der Wittich erinnerte sich noch ganz gut, was ihre urgroßmutter oft gesehen hatte: ein feensmännel hatte immer an der Wittiche gebleicht, bald auf der einen, bald auf der andern seite des flusses. dann war das vieh stets unruhig geworden und hatte nicht fressen wollen; auch töpfe hatte er bei sich gehabt.

Anmerkung. Wenn die wasserfrau wäsche bleicht, ist ein wetter im anzuge. das unruhigwerden des viehes bedeutet dasselbe. die töpfe indessen deuten ganz bestimmt auf einen berg- und keinen wassergeist. eine zwittersage.


12. DIE LUDKI[2].

Die ludki (d. h. kleine leute) sind die zwerge der Wenden. sie wohnen ebenfalls in hügeln, und zwar da wo sich urnen vorfinden. solche hügel heißen dann in der N. L. Ludkowa góra, Ludkenberg, oder Ludkowa górka, Ludkenhügel. sie sind gutmüthig und müssen schwer gereizt werden, ehe sie den menschen einen possen thun. sie borgten gern von den menschen allerlei hausrath und legten gewöhnlich bei der zurückgabe ein geschenk hinein. wenn einer ein butterfaß borgte, so pflegte er, weil er doch so klein war, hineinzukriechen und sich darin fortzukollern. was sie sonst zu zweien transportirten, das trugen sie nicht neben einander, sondern hintereinander gehend. sie waren auch spielleute und spielten eine art hackebret oder cymbal mit tangenten. daher besuchten sie als musikanten und manchmal auch als tänzer und tänzerinnen die freudenfeste der menschen und brachten dann fast immer geschenke mit. ihr lieblingsvergnügen war aber, in dem hause eines menschen bei nachtzeit ein gastmahl zu feiern. wer sie zu belauschen das glück hatte, sah sie dann durch unterirdische gänge und mäuselöcher zum vorschein kommen. beleidigen durfte man sie alsdann nicht, wenn man sein häusliches glück lieb hatte. seit die glocken eingeführt sind, sind auch die ludki allmählich verschwunden.

Anmerkung. Daß zwerge im gänsemarsch gehen, berichtet auch die irische sage (Keightly, mythol. II, s. 192).

[220]
13. BUSCHMÄNNCHEN.

In den Königshainer bergen wohnten in alten zeiten viele buschmännchen, in gestalt, sprache und kleidung den menschen ähnlich, nur viel, viel kleiner; hatten auch ganz kleines vieh, ganz kleine hausgeräthe und ganz winzig kleine kinderchen. aber sie besaßen alle die kräfte, konnten sich unsichtbar machen und kamen und gingen, man wußte nicht woher und wohin. es waren indessen freundliche, harmlose leutchen die mit den bauern in gutem frieden lebten und ihnen manche gefälligkeit erwiesen. nur nach speise waren sie allzeit sehr begierig, aber wer ihnen gab, dem waren sie auch dankbar und schenkten ihm laub, das sich dann plötzlich zu hause in goldstücke oder blanke thaler verwandelte. leider waren sie sehr zart gebaut und als die glocken eingeführt wurden, konnten sie den schall nicht vertragen, kamen seltner und seltner, beklagten sich über die schmerzen die ihnen das läuten verursachte und blieben endlich ganz weg. zuletzt waren noch zwei übrig, die beim letzten bauer ganz am ende des dorfes lebten und sich nur dann und wann zeigten. einst erschien plötzlich das eine männchen weinend und wehklagend und rief allen im hause auf befragen jammernd zu: ‚Hipelpipel ist gestorben, Hipelpipel ist gestorben!‘ hierauf verschwand er und ist nicht wiedergekommen. wer aber Hipelpipel gewesen ist, ob des völkchens könig oder das weibchen des letzten der buschmännerchen, das hat bis auf den heutigen tag kein mensch erfahren können.


14. DIE HOLZWEIBLEIN[3].

„Auf dem Heydeberge bei Königshain hat es viel holzweiblein gegeben; sind gewesen wie kleine kinder mit schönen langen gelben krausen haaren; die hat der böse feind immer herumgejagt, welche nicht eher ruhe finden können bis sie zu einem stocke gekommen, da dann der holzhacker hat gesagt: ‚das walt’ Gott,‘ ehe er den baum umgehauen. da hat er sie mit frieden gelassen.“ –

[221] „Ist einmal ein solch holzweiblein winterszeit zu dem bauer in die stube gekommen, eben dessen der berg zugehörig, und sich den ganzen winter aufgehalten. haben ihm auch zu essen gegeben. frühjahrszeit kommt wieder dergleichen ein anderes solches holzweiblein zu dem bauer unter das fenster und ruft dem, das in der stube ist, zu: ‚deuto, deuto!‘ wie das in der stube solches höret, stehet es auf und gehet mit jammern fort und haben’s nicht mehr gesehen.“

Anmerkung. Sollte der ruf deuto durch ‚deutsche‘ zu erklären sein, so wären zwei hypothesen möglich. entweder ist es der name des holzweibleins; dann würde der ursprung der sage in die zeit der Wendeneinwanderung zu setzen sein, oder es heißt so viel als: ‚deutsche kommen!‘ und würde dann ein warn- und fluchtruf, die zwerge selbst aber repräsentanten der vertriebenen Slaven sein. für die erste annahme spricht vielleicht die erwähnung der blonden haare.

Eine solche historisch-nationale deutung ist indessen niemals stricte zu nehmen. in der anschauung des volkes vermischte sich die vorstellung von verdrängten nationen immer mit der ihrer götter, deren epigonen ja die zwerge sind.


15. HOLZWEIBLEINS KUCHEN.

Ein bauer aus Spitzkunnersdorf ackerte einst gegen abend noch auf seinem felde, welches am fuße des forsten lag und bis an den busch hin sich erstreckte. da hörte er ein geräusch und mehrere weiberstimmen und als er sich umsah, da dampfte der gipfel des berges und eine menge holzweibel waren da, die bucken kuchen. der bauer bekommt appetit und wagt endlich die bitte auch für ihn einen kuchen mitzubacken; und siehe da, wie er den nächsten morgen aufs feld kommt, findet er auf dem raine neben seinem acker den allerschönsten kuchen von der welt.

Anmerkung. Zwerge sind freunde der pflügenden. eine ganz ähnliche sage bei Grimm d. s. n. 298, im volksb. 1844. s. 91. v. d. Hagens Germania 9, 27. Mone, anzeiger 1838. Wolf, hessische sagen anm. s. 193. Rocholtz, Aargauer s. 281. Grimm, myth. 423. sie ist in Westflandern eben so zu hause wie in der Schweiz, auf der Lüneburger heide wie in den Lausitzer bergen.

Zwerge sind meister im backen, daher ihre kuchen und brodgeschenke, und wiederum ihre broddiebstähle. die Schweizersage kennt [222] höhlen als backhöfe der zwerge (Rocholtz s. 335). Fischart (Gargantua c. 3) nennt die zwerge backofendrescherlein.

Wenn in der gegend von Zittau einmal die berge recht dampfen, sagen die bauern: die holzweiblein kochen kaffee.


16. BUSCHWEIBLEIN LÄSST SICH KÄMMEN.

Ein armes mädchen aus Zoblitz hütete ihr vieh in der Görlitzer haide ohnweit des brendreviers. als sie sich einmal umsieht, steht ein kleines weiblein hinter ihr mit bittender gebärde und sagt: schönes kind, kämme mich und lause mich, ich will dir auch ein schönes geschenk geben. das mädchen kämmt und lauset das kleine weibchen bis es mit schrecken gewahr wird, daß es darüber abend geworden ist, denn sie hatte weit bis zu hause. schnell springt sie auf und fängt an ihr vieh heimzutreiben, ohne an das versprochene geschenk zu denken. das kleine weiblein aber kommt ihr nachgelaufen und schüttet ihr eine ganze menge grüner blätter in die schürze. das arme mädchen, dem ganz angst geworden ist, nimmt sie zwar eine strecke weit mit, schüttet sie aber dann aus. nur ein blatt war am schürzenbande hängen geblieben, und als sie zu hause sie abbindet, fällt ihr ein blankes goldstück vor die füße. da bemerkt sie erst, welch einen schatz sie weggeworfen.

Anmerkung. Ein mädchen, das der frau Holle ihre ein jahr lang nicht gekämmten haare auskämmte, kämmte aus ihren locken perlen und edelsteine. (Grimms kinderm. III, 44).


17. HOLZWEIBLEINS KNÄUL.

Es war einmal eine frau, die hatte sich die gunst des holzweibleins erworben und das holzweiblein gab ihr einen knaul zwirn zum geschenk. wickle davon, sprach das weiblein, so lange du willst, es wird nie aufhören; aber hüte dich wohl nachzuforschen, ob es ein ende habe. also hatte die frau ein knaul und strickte und strickte davon und es hörte nimmer auf. aber sie war eine gar neugierige frau und einstmals machte sie den knaul auf und guckte hinein, ob sie kein ende sehen würde. da sprang auf einmal das ende heraus und der knaul dauerte nur noch bis zu diesem ende, da hatte sie doch was für ihre neugierde.

[223] Anmerkung. Ein märchen mit tifsinniger moral, in der wieder das holzweiblein gerade so erscheint wie anderweitig frau Holle, und die norddeutschen zwerge welche eben so mit einem nie endenden garnknäul begaben.


18. HOLZWEIBLEINS FREUNDE UND FEINDE.

Oft sitzen die holzweiblein spinnend oder strümpfe strickend auf den kreuzwegen. wenn sie im busche herumwandern, so haben sie gewöhnlich eine hucke holz auf dem rücken und stützen sich auf einen langen stab, immer aber sind sie alt, häßlich und zusammengeschrumpft.

Sie sind für gewöhnlich gutmüthig, aber wer sie etwa häßlich nennt, den hauchen sie an, daß er beulen in’s gesicht bekommt, oder hucken ihm auf, wovon er lahm wird. für gute behandlung hingegen und freundliche worte sind sie aber gar dankbar, theilen gespinnste und strickwaaren aus, die sich wunderbar vermehren und glück und segen in’s haus bringen. sie helfen fleißigen spinnerinnen beim weifen und garnwinden und machen wohl auch kostbare geschenke. aber nur uneigennützige, fleißige und gefällige menschen erfreuen sich ihrer gunst.

Ihr ärgster feind ist der nachtjäger. wo er sie sieht, jagt er ihnen nach und treibt sie herum, daß sie vor angst nicht wissen, was sie thun sollen. ihr einziges rettungsmittel ist, so bald als möglich einen abgehauenen baumstumpf zu erreichen. wenn sie sich darauf setzen und sagen: Gott sei gedankt, oder: Gott sei gelobt! so muß sie der nachtjäger in ruhe lassen.


19. DAS MITTAGSMÄNNCHEN.

Das mittagsmännchen ist ein geist, der am hellen lichten tage herumgeht um die menschen zu vexiren. er erscheint als ein kleines, dürres, verwimmertes männchen, dem es mühe zu machen scheint eine große hucke holz auf dem rücken zu tragen. wenn es der mitleidige holzhauer unterstützen will, tönt ein schallendes gelächter und der ärmste befindet sich plötzlich mitten im sumpfe. diesem fliegt die axt vom helm, jenem zerspringt das sägeblatt, kurz an jedem wird irgend ein schabernack ausgeübt.

[224] Anmerkung. Das mittagsmännchen hat schon einen koboldartigen character, die wendische mittagsfrau aber wirft vollständig die zwergennatur ab und wird zur unglücksgöttin weshalb ich sie zu einer anderen nächstens zu besprechenden gruppe geordnet habe.


  1. Einzelnes über die querxe hat schon Büsching (nachrichten I),[L 1] anderes die oberlausitzische gesellschaft der wissenschaften in ihren zeitschriften fragmentarisch mitgetheilt. die sammlung oberlausitzischer sagen von Gräve[L 2] ist unbrauchbar, gefälscht und verballhornt. trotzdem hat Graeße (sagenschatz des königreichs Sachsen) ihn wörtlich abgedruckt.
  2. S. Haupt u. Schmaler, volkslieder der Wenden II, 268.
  3. Wörtlich nach einer in Königshain voriges jahr aufgefundenen handschriftlichen bauernchronik v. j. 1572.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. von morgen nach abend meint „von Ost nach West“
  2. Melkgelten: ein etwa 6 bis 8 Liter fassender Blecheimer, in den gemolken wird, vgl. Joachim Göschel, Angelika Braun: Beiträge zur Linguistik und Phonetik. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001 Google

verwiesene Literatur (unvollständig)

  1. Johann Gustav Gottlieb Büsching: Die Querxe (Nach Sagen in der Oberlausitz), in: Wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters. Erster Band, Wilibald August Holäufer, Breslau 1816, S. 72–76 u. 97–102 Google
  2. Heinrich Gottlob Gräve: Volkssagen und volksthümliche Denkmale der Lausitz. Reichel: Bautzen 1839 Google
  3. Ernst Ludwig Rochholz: Schweizersagen aus dem Aargau. Sauerländer: Aarau 1856, S. 338 Google
  4. Franz Josef Vonbun: Volkssagen aus Vorarlberg., P. P. Mechitharisten: Wien 1847, S. 4 Google
  5. Franz Kuenlin: Alpenblumen und Volkssagen aus dem Greyerserlande. Schundersch: Sursee 1834, S. 94 Google
  6. Der Opferhügel bei Ostritz, der Venusberg genannt. In: Neues Lausitzisches Magazin 1838, S. 282–292 Google